Leitsatz (amtlich)
Unterhält ein Unternehmen, das die Herstellung von Maschinen betreibt, eine Zweigniederlassung, die dem Vertrieb und der Reparatur der im Hauptwerk hergestellten Maschinen dient, so kann es sich insoweit um einen Teilbetrieb im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG handeln.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine KG - stellt in L. Großküchenmaschinen her, die sie im wesentlichen durch Vertreter vertreiben läßt. Um in Z. eine Zweigstelle zu errichten, erwarb sie dort im Jahre 1963 ein unbebautes Grundstück, das sie in den Jahren 1964 und 1965 mit einem sechsgeschossigen Wohn- und Geschäftsgebäude bebauen ließ. Aus Werbegründen ließ die Klägerin die Fassaden dieses Gebäudes mit den gleichen Farben versehen wie das Hauptgebäude in L. In der Zweigstelle wurden Fertigmaschinen und Ersatzteile gelagert und verkauft sowie ein Kundendienst mit Reparaturannahme unterhalten. Die Zweigstelle wurde in den Jahren 1964 und 1965 von einem Angestellten der Klägerin geführt. Der in Z. getätigte Umsatz beliet sich im Jahre 1964 auf 13 000 DM, im Jahre 1965 auf 50 000 DM. Nach dem Ausscheiden des Angestellten im Jahre 1965 entschloß sich die Klägerin zur Aufgabe der Zweigstelle. Sie verkaufte das Grundstück am 6. Dezember 1965.
In ihrer Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für das Jahr 1965 machte die Klägerin geltend, daß der durch den Verkauf des Grundstücks verwirklichte Veräußerungsgewinn in Höhe von 612 285 DM gemäß §§ 16, 34 EStG begünstigt sei. Bei der Zweigstelle in Z. habe es sich um einen Teilbetrieb gehandelt, der gleichzeitig mit dem Verkauf des Grundstücks aufgegeben worden sei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) rechnete dagegen bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1965 den bei der Veräußerung des Grundstücks verwirklichten Gewinn dem laufenden Gewinn zu. Nach Ansicht des FA lag keine Teilbetriebsaufgabe vor (Bescheid vom 14. Juni 1967).
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Ein Teilbetrieb sei ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig sei. Gegen eine organisatorische Selbständigkeit der Zweigstelle spreche, daß diese in der Gliederung des Unternehmens nicht gesondert geführt worden sei. Der Vertrieb in Z. sei organisatorisch von den sonstigen Betriebsmitteln nicht abgegrenzt gewesen. Die Befugnisse des Angestellten in Z. seien nicht einmal in einem schriftlichen Anstellungsvertrag niedergelegt worden. Die der Zweigstelle zugewiesenen Aufgaben seien nach ihrem Umfang nicht derart gewesen, daß sie eine organisatorische Verselbständigung erfordert hätten. Außerdem habe die Errichtung des Gebäudes im wesentlichen nicht dem Geschäftsbetrieb der Zweigstelle gedient; das Gebäude sei vielmehr als Kapitalanlage des gesamten Unternehmens anzusehen gewesen. Selbst wenn man aber das Gebäudegrundstück dem "gesonderten Betriebsvermögen" der Zweigstelle zurechne, würde die Zweigstelle hierdurch zu keinem Teilbetrieb. Denn nach der Art der Nutzung wäre der Grundstücksverwaltung im Rahmen der Zweigstelle ein "bestimmendes Gewicht" zugekommen; eine Grundstücksverwaltung könne aber ihrer Natur nach keinen selbständigen Teilbetrieb begründen.
Mit ihrer Revision läßt die Klägerin die Verletzung der Vorschriften der §§ 16, 34 EStG rügen. Sie ist der Auffassung, der Zweigstellenbetrieb habe nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine gewisse Selbständigkeit besessen. Das zeige sich schon in der umfangreichen Aufgabenstellung. Die Selbständigkeit sei auch darin zu sehen, daß sich der Zweigbetrieb in Z. ohne eine qualifizierte Persönlichkeit nicht habe aufrechterhalten lassen; es sei nicht möglich gewesen, den Zweigbetrieb vom Stammwerk aus zu leiten. - Die vom FG vertretene Auffassung, das Gebäude einerseits und die Zweigniederlassung andererseits seien zwei selbständige Vermögensteile, entspreche nicht der unternehmerischen Entscheidung der Klägerin und sei gekünstelt. Das Gebäude sei ausschließlich aus Gründen, die mit dem Betrieb der Zweigstelle zusammenhingen, errichtet worden; die Klägerin habe mit dieser Maßnahme ausreichenden Raum für den Betrieb und Wohnungen für künftige Mitarbeiter schaffen wollen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz und der Einspruchsentscheidung den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, daß der bei der Aufgabe des Teilbetriebs in Z. erzielte Gewinn in Höhe von 612 285 DM als Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16, 34 EStG angesetzt wird. Außerdem soll die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 139 Abs. 3 FGO für notwendig erklärt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird das angefochtene Urteil aufgehoben, weil das FG das Bestehen eines Teilbetriebs zu Unrecht verneint hat. Die Sache wird an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen; mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Voraussetzungen einer steuerbegünstigten Aufgabe eines Teilbetriebs (§ 16 Abs. 1 und Abs. 3 in Verbindung mit § 34 EStG) im vorliegenden Fall erfüllt waren.
1. Ein Teilbetrieb im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist (Urteil des BFH vom 8. September 1971 I R 66/68, BFHE 103, 173, BStBl II 1972, 118, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Es muß hiernach eine Untereinheit des Gesamtbetriebs, ein selbständiger Zweigbetrieb im Rahmen des Gesamtunternehmens vorliegen (BFH-Urteil vom 27. März 1969 IV R 113/68, BFHE 95, 387, BStBl II 1969, 464).
Die gewisse Selbständigkeit des Teilbetriebs braucht sich nicht in erster Linie aus organisatorischen Maßnahmen zu ergeben, da diese im Einzelfall mehr oder weniger zufallsbedingt sein können. Es ist auch nicht entscheidend, daß die Befugnisse des Teilbetriebsleiters durch einen schriftlichen Anstellungsvertrag abgegrenzt sind. Für die zur Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit ist vielmehr maßgebend, ob die dem abgeteilten Unternehmenszweig gewidmeten Wirtschaftsgüter in ihrer Zusammenfassung einer Betätigung dienen, die sich von der übrigen gewerblichen Tätigkeit des Unternehmens deutlich unterscheidet. Eine für örtlich abgegrenzte Bereiche zuständige Filialagentur erfüllt diese Voraussetzungen in der Regel (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 1967 IV 83/63, BFHE 90, 435, BStBl II 1968, 123).
Lebensfähig ist ein Teil des Gesamtunternehmens dann, wenn von ihm seiner Struktur nach eigenständige betriebliche Tätigkeit ausgeübt werden kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Tätigkeit sofort Gewinne erwarten läßt. Auch ein erst im Aufbau befindlicher und daher zunächst noch ohne Gewinn arbeitender Betriebsteil kann in diesem Sinne lebensfähig sein.
Hiernach war die Zweigniederlassung der Klägerin als Teilbetrieb anzusehen. Die in Z. errichtete Zweigstelle, die die Lagerung und den Verkauf von Fertigmaschinen und Ersatzteilen sowie einen Kundendienst mit Reparaturannahme zum Gegenstand hatte, war gegenüber dem Herstellungsbetrieb in L. genügend deutlich abgegrenzt. Die Tätigkeiten vollzogen sich in räumlich voneinander getrennten Bereichen. Es wurden jeweils andere Betriebsmittel verwendet, wobei das Betriebsgrundstück und das auf ihm errichtete Gebäude wegen ihres wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dem Betriebsteil in Z. diesem zuzurechnen waren. Ferner wurde auch in beiden Betriebsteilen jeweils anderes Personal eingesetzt. Schließlich sind keine Umstände erkennbar, die die Lebensfähigkeit des Betriebsteils in Z. hätten in Frage stellen können. Für die Lebensfähigkeit der Zweigniederlassung war es jedenfalls nicht erheblich, ob der - erst im Entstehen begriffene - Zweigbetrieb bereits in dieser Entwicklungsphase mit Gewinn arbeiten konnte.
Ohne Einfluß auf die Entscheidung ist die vom FG getroffene Feststellung, das verkaufte Grundstück habe im wesentlichen nicht dem Geschäftsbetrieb der Zweigstelle gedient. Das FG hat mit dieser Feststellung offenbar zum Ausdruck bringen wollen, daß die Nutzung des Gebäudes zu einem wesentlichen Teil durch Vermietung erfolgte (bzw. erfolgen sollte) und die hiermit verbundene Tätigkeit (Grundstücksverwaltung) die Eigenschaft eines Teilbetriebs nicht habe begründen können. Diese Auffassung trifft indessen nicht zu. Der BFH (Urteil vom 24. April 1969 IV R 202/68, BFHE 95, 323, BStBl II 1969, 397) hat zwar entschieden, daß eine innerhalb eines Gewerbebetriebs bestehende Grundstücksverwaltung in der Regel keinen Teilbetrieb bilden könne, weil es insoweit an der "Betriebs"-Eigenschaft fehle. Diese Entscheidung bezieht sich indessen nur auf solche Fälle, in denen der organisch geschlossene Betriebsteil, um dessen Qualifizierung als Teilbetrieb es geht, ausschließlich aus einer Grundstücksverwaltung besteht. Im Streitfall fiel indessen eine durch Vermietungstätigkeit begründete Gundstücksverwaltung mit einer eigengewerblichen Raumnutzung zusammen; die Vermietung von Räumen bildete nur einen Teil der zum Zweigbetrieb gehörenden Tätigkeit.
2. Zu einer abschließenden Beurteilung der Frage, ob eine steuerbegünstigte Aufgabe des Teilbetriebs im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG vorgelegen hat, reichen die in der Vorentscheidung enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen nicht aus.
Die Aufgabe eines Teilbetriebs liegt vor, wenn der Inhaber des Teilbetriebs seine gewerbliche Tätigkeit insoweit einstellt und die dem Teilbetrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter im wesentlichen in einem einheitlichen Vorgang veräußert oder in sein Privatvermögen überführt (vgl. BFH-Urteile vom 16. September 1966 VI 118, 119/65, BFHE 87, 134, BStBl III 1967, 70; vom 25. Juni 1970 IV 350/64, BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719). An einer steuerbegünstigten Teilbetriebsaufgabe fehlt es dagegen, wenn bei der Einstellung des Teilbetriebs Wirtschaftsgüter von nicht untergeordneter Bedeutung als Betriebsvermögen in den nicht aufgegebenen Unternehmensteil übernommen und die hierin liegenden stillen Reserven deshalb nicht aufgelöst werden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1964 IV 102/64 U, BFHE 81, 240, BStBl III 1965, 88).
Im vorliegenden Fall ist bisher nicht geklärt, ob das gesamte zum Teilbetrieb gehörende Betriebsvermögen verkauft oder ob einzelne hierzu gehörende Wirtschaftsgüter von nicht untergeordneter Bedeutung als Betriebsvermögen in den nach der Teilbetriebsaufgabe noch verbliebenen Betriebsteil in L. überführt und die hierin liegenden stillen Reserven deshalb nicht aufgelöst wurden. Zu der Art und Bedeutung sowie dem weiteren rechtlichen Schicksal etwa nicht mitverkaufter Wirtschaftsgüter der Zweigstelle ist in dem angefochtenen Urteil nichts gesagt; vom Rechtsstandpunkt des FG aus bedurfte es hierzu keiner Klärung. Insoweit sind noch Tatsachenfeststellungen und eine entsprechende rechtliche Würdigung durch das FG nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 70606 |
BStBl II 1973, 838 |
BFHE 1974, 245 |