Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangslage bei Ablösung einer Versorgungszusage durch einen Gesellschafter-Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Erhält der anlässlich der Liquidation einer Gesellschaft entlassene Arbeitnehmer, der zugleich deren Gesellschafter ist, für die Aufgabe seiner Versorgungsansprüche eine Abfindung, so ist u.a. Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, dass ein Zwang zur Liquidation der Gesellschaft bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratete Eheleute, die im Streitjahr 1997 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der … mbH (Muttergesellschaft), die Alleingesellschafterin der Fa. I-GmbH (im Folgenden GmbH) war. Der Kläger war auch alleiniger Geschäftsführer dieser GmbH. Die GmbH hatte dem Kläger Ende 1984 Versorgungsleistungen in Form einer Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrente zugesagt. Die Altersrente sollte von der Vollendung des 65. Lebensjahres an zur Auszahlung kommen, die Invalidenrente im Fall der Berufsunfähigkeit. Die Anwartschaften blieben auch dann erhalten, wenn das Beschäftigungsverhältnis mit der GmbH vor Erreichen der Altersgrenze durch Kündigung endete. Für den Fall einer nachhaltig wesentlichen Verschlechterung der Lage behielt sich die GmbH vor, die Versorgungsvereinbarung zu ändern bzw. die zugesagten Leistungen zu kürzen (Versorgungsvertrag vom 1. November 1984).
Die GmbH betrieb im Wesentlichen die Direktwerbung für Großkunden. Die Produktivität war nach Angaben des Klägers ab 1992 rückläufig. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und zur Vermeidung drohender Verluste habe die Muttergesellschaft die Liquidation der GmbH beschlossen. Im Zuge der Liquidation wurde der Anstellungsvertrag mit dem Kläger mit Abfindungsvereinbarung vom 9. Dezember 1997 aufgehoben. Der Kläger verzichtete gegen Zahlung eines Betrags in Höhe von 575 000 DM auf alle Ansprüche aus der Versorgungsvereinbarung. Der Betrag entsprach dem Teilwert der Pensionsrückstellung zum 31. Dezember 1996 lt. Bilanz der GmbH.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) versagte die Anwendung des halben Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG); er gewährte lediglich die Ermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG. Im Fall der selbst herbeigeführten Liquidation sei die Ursachenkette vom angestellten Anteilseigner selbst gesteuert worden.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 196 veröffentlicht. Von einem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zwang zur Liquidation könne nicht ausgegangen werden. Der Verzicht sei nicht zwangsläufig und unvermeidbar gewesen.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Die enge Auslegung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG durch das FG führe dazu, dass bei einem Alleingesellschafter die Tarifermäßigung nie in Betracht komme.
2. Entgegen der Auffassung des FG bestehe ein erheblicher Unterschied zwischen dem freiwilligen Verkauf der Anteile und der Liquidation, die immer zur Zerschlagung des Unternehmens führe.
3. Im Fall der Entscheidung vom 16. April 1980 VI R 86/77 (BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393) habe der Bundesfinanzhof (BFH) die Tarifermäßigung gewährt. Der vorliegende Fall unterscheide sich von dieser Entscheidung nur dadurch, dass der Kläger selbst den Beschluss über die Liquidation gefasst habe.
4. Der Entschluss zur Liquidation habe nüchterner kaufmännischer Überlegung entsprochen, sei aber nicht aus freien Stücken erfolgt. Der Kläger sei ursprünglich davon ausgegangen, dass das Unternehmen in seiner bisherigen Struktur habe weitergeführt werden können; mit dem laufenden Rückgang von Aufträgen und dem Wegfall von Kunden habe der Kläger nicht gerechnet. Bei einem Alter von 53 Jahren habe der Kläger kein Risiko eingehen können; er habe darauf bedacht sein müssen, seine Altersversorgung so sinnvoll wie möglich zu regeln. Er habe ohnehin nur den Barwert erhalten, der bis zum Ende des Vorjahrs zurückgestellt worden sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid … in Gestalt der Einspruchsentscheidung … dahin gehend zu ändern, dass die Entschädigung mit dem halben Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1 EStG besteuert wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Eine relevante Zwangssituation liege nicht vor, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer die Ablösung der Versorgungszusage selbst herbeiführe. Der Entschluss zur Liquidation der offensichtlich nicht überschuldeten GmbH beruhe letztlich auf der freien Entscheidung des Klägers. Davon sei der BFH ―entgegen der Auffassung des Klägers― auch in der Entscheidung in BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393 ausgegangen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Entscheidung, dass ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder tatsächlicher Zwang zur Liquidation und zur Aufgabe der Versorgungsansprüche nicht vorgelegen habe.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. Urteil des BFH vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH in BFH/NV 2002, 638). Der Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich aus Altersgründen zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, muss nicht damit rechnen, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen Abfindung durch die GmbH möglich ist; denn die Gesellschaft wird in ihrer Liquidität durch laufende Zahlungen weniger beeinträchtigt als durch eine einmalige Abfindung.
2. Die Liquidation eines Unternehmens führt im Regelfall dazu, dass auf Veranlassung oder Druck des Unternehmens bestehende Arbeitsverhältnisse aufgelöst und Versorgungszusagen abgelöst werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393). Ist der anlässlich der Liquidation entlassene Arbeitnehmer allerdings zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-Gesellschaft, so hat er möglicherweise die Ursachenkette für die Auflösung seines Dienstverhältnisses freiwillig in Gang gesetzt. Es ist deshalb zu prüfen, ob aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft ein Zwang zu deren Liquidation bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Die vorgenannten Ausführungen gelten auch für den Kläger als Alleingesellschafter der alleinigen Gesellschafterin der GmbH.
Das FG hat ―"selbst wenn man den Vortrag des Klägers zur wirtschaftlichen Situation als zutreffend unterstellt"― einen Zwang zur Liquidation mit der Begründung verneint, dass die GmbH zur Abwicklung der zugesagten Versorgungsansprüche mit ruhendem Geschäftsbetrieb hätte weitergeführt oder aber auf die Muttergesellschaft hätte verschmolzen werden können. Damit allein lässt sich die Freiwilligkeit der Liquidation nicht begründen.
3. Die Sache geht zur Nachholung von Feststellungen zur wirtschaftlichen Situation der GmbH an das FG zurück. Dieses wird für die Frage, ob die Liquidation zwangsläufig war, neben der Vermögenslage und der Liquidität der GmbH insbesondere deren Auftragslage und die Marktsituation zu klären haben. Zu prüfen sein wird auch, ob die Fortführung der GmbH zum Zweck der bloßen Erfüllung der Pensionsverpflichtung oder deren Verschmelzung auf die Muttergesellschaft auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen Nachteile von einem fremden Dritten zur Vermeidung der Abfindungszahlung bevorzugt worden wäre.
Besteht ―wie im Streitfall― die Besonderheit, dass die Muttergesellschaft einen im Wesentlichen gleichen Unternehmensgegenstand hat, wird zusätzlich zu prüfen sein, ob der vom Kläger behauptete Auftragsrückgang bei der GmbH mit einer Verlagerung von Aufträgen auf die Muttergesellschaft zusammenhing, so dass die Liquidation der GmbH letztlich freiwillig in Kauf genommen wurde. Dabei wird sich auch die Frage stellen, ob und weshalb die Muttergesellschaft die Abfindungszahlung geleistet hat und ob sie die Versorgungszusage hätte übernehmen können.
Fundstellen
Haufe-Index 871471 |
BFH/NV 2003, 242 |
BStBl II 2003, 177 |
BFHE 2003, 275 |
BFHE 200, 275 |
BB 2003, 83 |
DStRE 2003, 145 |
HFR 2003, 250 |