Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine körperliche Bestandsaufnahme des Vorratsvermögens zum Bilanzstichtag ist nicht unbedingt Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung, sofern die vom Steuerpflichtigen angewendete Methode der Bestandsermittlung auch bei strengen Anforderungen eine angemessene Kontrolle ermöglicht und die Gewähr bietet, daß die Bestände vollständig erfaßt und bewertet worden sind.
2. Zur Frage der Aufbewahrungspflicht der Bestandsverzeichnisse und der dazu erstellten Belege.
Normenkette
EStG § 6/2; HGB § 39; AO § 162 Abs. 8; EStG § 4 Abs. 1, § 5
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine KG, betreibt einen Holzhandel. Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist streitig, ob mangels Ordnungsmäßigkeit der Buchführung der Bfin. für 1950 und 1951 die beantragten Vergünstigungen gemäß §§ 7a, 7c des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versagen sind.
Der Prüfer hatte den in den Bilanzen vom 31. Dezember 1949 bzw. 31. Dezember 1950 mit 62.620,65 DM bzw. 64.215,45 DM ausgewiesenen Warenbestand unverändert in die Prüferbilanzen übernommen. Er hatte aber ausgeführt, eine körperliche Bestandsaufnahme sei zu den einzelnen Stichtagen nicht oder nur bei Teilbeständen vorgenommen worden; die Bestände seien teilweise errechnet, teilweise vollständig und teilweise nach Besichtigung auf Grund von Mengenberechnungen geschätzt worden; irgendwelche Uraufzeichnungen lägen nicht vor.
Das Finanzgericht führte aus: Aus den Unterlagen 1 bis 4 zur Bestandsaufnahme vom 31. Dezember 1949 ergäben sich vier voneinander abweichende Endbestände für das Fichtenstammholz. Aus den Unterlagen zur Bestandsaufnahme vom 31. Dezember 1950 gehe hervor, daß der Geschäftsführer nur einen Teil der Bestände im Laufe des folgenden Wirtschaftsjahres durch körperliche Bestandsaufnahme überprüft, den Rest aber offensichtlich nur rechnerisch ermittelt habe. Die Bestandsaufnahmen zu den Stichtagen seien auch unvollständig. Denn die Bfin. habe selbst vorgetragen, daß sie neben 10 Holzlagerstellen an Bahnhöfen noch 200 Lagerstellen im Walde unterhalte. In der Warenbestandsaufnahme vom 31. Dezember 1949 bzw. 31. Dezember 1950 erschienen aber nur 7 bzw. 10 Positionen.
Entscheidungsgründe
Diese Ausführungen tragen nicht die Auffassung des Finanzgerichts, daß die Bestandsaufnahmen vom 31. Dezember 1949 und 31. Dezember 1950 mangelhaft seien und die Buchführung wegen dieses Systemmangels nicht als ordnungsmäßig anerkannt werden könne. Weder das Handelsrecht noch das Steuerrecht enthalten Bestimmungen für die Form des in § 39 HGB vorgeschriebenen jährlichen Inventars, insbesondere für die Warenbestandsaufnahme. Maßgebend sind die Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung, wie sie sich im Hinblick auf den Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Inventur entwickelt haben (vgl. insbesondere Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1883-1885/31 vom 1. Februar 1933, Reichssteuerblatt - RStBl - S. 1062; Baier-Fähnrich, "Die steuerliche Betriebsprüfung" S. 126, 130). In Abschn. 45 a der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1951 (Abschnitt 25 EStR 1953) werden im wesentlichen die Grundsätze wiedergegeben, die sich hinsichtlich der Inventur des Vorratsvermögens herausgebildet haben. Der übergeordnete Gesichtspunkt ist, daß die Warenbestandsaufnahme die Gewähr der vollständigen Erfassung der Bestände und die Möglichkeit der Kontrolle bieten muß. In der Regel ist zur Erreichung dieser Zwecke die körperliche Bestandsaufnahme zum Bilanzstichtag geboten. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Im Urteil IV 296/52 U vom 27. August 1953 (Slg. Bd. 58 S. 170, Bundessteuerblatt - BStBl - III S. 357) hat der Bundesfinanzhof den Fall behandelt, daß die mit einer körperlichen Bestandsaufnahme verbundene Arbeit außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht. Abschn. 45a Abs. 4 EStR 1951 (Abschn. 25 Abs. 4 EStR 1953) behandelt die Fälle, in denen aus betrieblichen, klimatischen oder sonstigen Gründen die Bestände am Bilanzstichtag nicht körperlich aufgenommen werden können. In Abschn. 45a Abs. 5 EStR 1951 (Abschn. 25 Abs. 5 EStR 1953) werden die Voraussetzungen erörtert, unter denen die von einem Steuerpflichtigen angewendete Methode der sogenannten permanenten Inventur beim Vorratsvermögen steuerlich anerkannt werden kann. Abschn. 26 EStR 1953 stellt die Voraussetzungen dar, unter denen beim beweglichen Anlagevermögen von der körperlichen Bestandsaufnahme abgesehen werden kann. In verschiedenen Fällen haben also die Rechtsprechung und die Verwaltung auf eine körperliche Bestandsaufnahme zum Bilanzstichtag verzichtet. Sie verlangen allerdings im Hinblick auf den Zweck des Inventars, daß die von dem Steuerpflichtigen angewendete Methode der Bestandsermittlung auch bei strengen Anforderungen eine angemessene Kontrolle ermöglicht und die Gewähr bietet, daß die Bestände vollständig erfaßt und bewertet sind.
Grundsätzlich müssen nicht nur die Bestandsverzeichnisse selbst aufbewahrt werden, sondern auch die Belege, die den Bestandsverzeichnissen zugrunde liegen. Wenn die Verpflichtung zur Aufbewahrung solcher Belege vielleicht auch nicht unmittelbar aus § 44 HGB abgeleitet werden kann, so entspricht die Aufbewahrung doch kaufmännischen Gepflogenheiten und ist dadurch ein Bestandteil der Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung geworden. Vgl. dazu Adler-Düring-Schmaltz, "Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaften" 1938 S. 149; Bott, "Lexikon des kaufmännischen Rechnungswesens 1955", Bd. 1 Spalte 157; Schär-Prion, "Buchhaltung und Bilanz", 6. Auflage S. 328; Kalveram, "Kaufmännische Buchhaltung", 4. Auflage S. 23. Für das Steuerrecht ergibt sich die Aufbewahrungspflicht aus § 162 Abs. 8 der Reichsabgabenordnung, der in seinem Wortlaut über § 44 HGB hinausgeht (vgl. dazu Baier-Fähnrich a. a. O. S. 121). Die Aufbewahrungspflicht für steuerliche Zwecke erstreckt sich auf Unterlagen, die im Zuge der Inventur erstellt worden und ein geeignetes Hilfsmittel sind, unter Mitwirkung der an der Inventur beteiligten Personen den Bilanzansatz in angemessener Weise prüfen zu können. Auch für die Frage des Umfangs der Aufbewahrungspflicht müssen, wie bei der Form der Bestandsaufnahme, die Gesichtspunkte der Beweissicherung und der Kontrollmöglichkeit im Vordergrund stehen. Daraus ergibt sich, daß bei der Abgrenzung der Aufbewahrungspflicht auch die Verhältnisse des einzelnen Betriebs in Betracht zu ziehen sind (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1756/32 vom 5. Juli 1933, Slg. Bd. 34 S. 17, RStBl. S. 763). Um eine ausreichende Kontrollmöglichkeit zu gewährleisten, werden in der Regel z. B. die Aufnahmelisten, auch soweit sie sich nur auf einzelne Abteilungen eines Unternehmens erstrecken, aufzubewahren sein, während gewöhnlich vorbereitende Schmierzettel, nachdem sie in die Aufnahmelisten übernommen worden sind, vernichtet werden können. Bei der Abgrenzung der Aufbewahrungspflicht kann unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit auch berücksichtigt werden, daß das jährlich anfallende Inventarmaterial seinen Umfang nach verhältnismäßig gering ist; im Gegensatz z. B. zu den täglichen Registrierkassenstreifen, deren längere Aufbewahrung für größere Unternehmen eine erhebliche Belastung wäre, ohne daß ihnen auf der anderen Seite ein wesentlicher Beweiswert zukommt, wenn das Endergebnis der Registrierkassenstreifen von Angestellten ordnungsmäßig in die Kassenbücher übertragen worden ist (vgl. dazu Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1088-1092/31 vom 2. Juni 1932, RStBl S. 591; VI A 867/31 vom 22. April 1931, RStBl S. 395).
Sind die Belege, die aufzubewahren sind, bei einer Betriebsprüfung nicht vorhanden, so entfällt grundsätzlich die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Es kommt dabei nicht darauf an, aus welchen Gründen die Belege fehlen, ob sie z. B. überhaupt nicht erstellt worden sind, oder ob sie nach der Errichtung vernichtet worden oder durch höhere Gewalt untergegangen sind. Für die Frage der Ordnungsmäßigkeit kommt es auf den objektiven Zustand der Buchführung im Zeitpunkt der Prüfung an (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs I 129/52 S vom 10. Februar 1953, Slg. Bd. 57 S. 268, BStBl III S. 106). Der Senat hat in dem amtlich nicht veröffentlichten Urteil I 42/54 vom 7. September 1954, auf das in "Der Betrieb" 1955 Seite 1175 hingewiesen ist, eine Buchführung trotz Verlustes der Inventurunterlagen noch als ordnungsmäßig anerkannt, weil die Unterlagen vor dem Verlust durch einen zuverlässigen Steuerberater geprüft und in Ordnung befunden worden waren. Es handelte sich damals um einen Sonderfall, aus dem allgemeine Rechtsgrundsätze nicht abgeleitet werden können. Soweit jedenfalls die Rechtsausführungen des Urteils I 42/54 mit den oben entwickelten Rechtsgrundsätzen in Widerspruch stehen, hält der Senat nicht daran fest.
Die angefochtene Entscheidung läßt nicht einwandfrei erkennen, wie die Bfin. bei der Bestandsaufnahme vorgegangen ist. Das Finanzgericht nimmt anscheinend an, die Bfin. habe eine sogenannte permanente Inventur gehabt, ohne aber den Richtlinien in Abschn. 45a Abs. 5 EStR 1951 Rechnung zu tragen. Diese Auffassung findet in den Akten keine Stütze. Es ist auch mit dem Vortrag der Bfin. und dem Inhalt der Akten nicht zu vereinbaren, wie das Finanzgericht Widersprüche in der Bestandsaufnahme, z. B. bei der Position Fichtenstammholz, begründet. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Mißverständnis vorliegt. Das gleiche gilt für die Feststellung des Finanzgerichts, daß der Warenbestand an den Bilanzstichtagen mengenmäßig nur unvollständig erfaßt sei, weil die Zahl der Holzlagerstellen viel größer sei, als die in der Bestandsaufnahme erscheinenden Positionen. Nach dem Vortrag der Bfin. ist anzunehmen, daß der Bestand nicht nach Lagerstellen, sondern nach Holzarten aufgezeichnet worden ist. Die Bfin. hat, wie sie vorträgt, jeweils eine größere Zahl von Lagerstellen zu einer Position zusammengefaßt. Läge, wie das Finanzgericht annimmt, eine mengenmäßig unvollständige Bestandsaufnahme vor, so hätte das Finanzgericht die Bestände zu den Bilanzstichtagen höher schätzen müssen. Die Ausführungen des Finanzgerichts lassen auch nicht erkennen, welche Belege zur Warenbestandsaufnahme fehlen und ob nach den obigen Rechtsgrundsätzen nicht schon deshalb die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung verneint werden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 408355 |
BStBl III 1956, 82 |
BFHE 1956, 222 |
BFHE 62, 222 |
BB 1956, 266 |
DB 1956, 272 |