Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Die Kreditgewinnabgabe ist eine Steuer vom Vermögen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 2 AO.
Durch § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 2 AO werden diejenigen Steuern von der Fehlerberichtigung ausgeschlossen, die laufend erhoben werden; der Ausschluß bezieht sich dagegen nicht auf Steuern, die durch einen einmaligen besonderen Anlaß ausgelöst werden.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 3; LAG § 161
Tatbestand
Streitig ist, ob die Berichtigung eines rechtskräftigen Kreditgewinnabgabebescheids auf Grund der Aufdeckung von Fehlern durch die Aufsichtsbehörde zuungunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) zulässig ist.
Nachdem die Beschwerdeführerin (Bfin.) zu Vorauszahlungen auf die Kreditgewinnabgabe herangezogen worden war, machte sie unter Berufung auf Tz. 42/43 des Zweiten Sammelerlasses zur Kreditgewinnabgabe LA 2700 - 25/54 vom 12. Juli 1954 (Bundessteuerblatt 1954 I S. 350) geltend, daß ein bisher im Verhältnis 10 : 1 umgestelltes, vom Vater des damaligen Geschäftsführers und Ehemanns der Mitgesellschafterin der Bfin. gegebenes Darlehen von 29.900 RM im Verhältnis 1 : 1 umzustellen sei, und nahm eine entsprechende änderung ihrer DM-Eröffnungsbilanz vor. Das Finanzamt anerkannte diese Bilanzänderung und setzte die endgültige Kreditgewinnabgabe durch rechtskräftigen Bescheid auf 0 DM fest.
Bei einer Nachprüfung deckte die Oberfinanzdirektion als Aufsichtsbehörde auf, daß ein zur Bilanzänderung berechtigendes Verwandtendarlehen nicht vorlag, und wies das Finanzamt an, eine entsprechende Berichtigung durchzuführen. Das Finanzamt setzte daraufhin erneut die Kreditgewinnabgabe nach einem Schuldnergewinn von 13.800 DM fest.
Hiergegen richtete sich die Sprungberufung, der das Finanzgericht stattgegeben hat. Das Finanzgericht hat angenommen, daß das Verbot der Berichtigung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO für die Steuern vom Vermögen sich auch auf die Kreditgewinnabgabe beziehe. Der Wortlaut dieser Vorschrift rechtfertige auch nicht, einmalige Abgaben von dem Berichtigungsverbot auszunehmen. Der Grundsatz der Aufrechterhaltung der Rechtskraft wiege hier so schwer, daß eine steuerlich ungleichmäßige Behandlung gegenüber ähnlich gelagerten Fällen in Kauf genommen werden müsse.
Der Vorsteher des Finanzamts hat gegen das Urteil Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt und Verletzung des materiellen Rechts gerügt. Die Kreditgewinnabgabe sei eine Art Wertzuwachssteuer; in jedem Falle handle es sich bei ihr aber um eine Steuer, die mit der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer vergleichbar sei. Auch die Kreditgewinnabgabe sei eine Stichtagabgabe und müsse deshalb zu den einmaligen Steuern gerechnet werden, deren Berichtigung zulässig sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 2 AO besteht die Berichtigungsmöglichkeit bei Aufdeckung eines Fehlers durch die Aufsichtsbehörde zuungunsten des Steuerpflichtigen nicht für die Steuern vom Einkommen, vom Ertrag, vom Umsatz und vom Vermögen (ausschließlich der Erbschaftsteuer). Für die Frage, ob sich das Berichtigungsverbot auf die Kreditgewinnabgabe bezieht, kommt es darauf an, ob diese als eine Steuer vom Einkommen, Vermögen oder Ertrag angesehen werden kann und ob sich das Verbot auch auf einmalige Abgaben erstreckt.
Die Kreditgewinnabgabe ist eine Steuer vom Vermögen. Daß sie eine Steuer im Sinne des § 1 AO ist, ist unbestritten. Streit besteht aber darüber, ob es sich um eine Steuer vom Vermögen oder vom Einkommen oder um keines von beiden handelt. Garbe (Rundschau für den Lastenausgleich 1956 S. 83) vertritt den letzten Standpunkt, gibt aber keine befriedigende Erklärung für seine Ansicht, wenn er sagt, "daß hier Schuldnergewinne aus der Reichsmark-Umstellung der Währungsreform zur Abgabe herangezogen werden". Meilicke ist in "Probleme des Finanz- und Steuerrechts" (Festschrift für Ottmar Bühler) S. 102 der Ansicht, die Kreditgewinnabgabe sei keine Steuer vom Vermögen, weil sie an einen Gewinn anknüpfe; es handle sich um eine Steuer vom Vermögenszuwachs (a. a. O. S. 103). Hierzu ist zu bemerken, daß die Vermögenszuwachssteuer vom 8. April 1922 (Reichsgesetzblatt I S. 346) als "eine nach dem Vermögenszuwachs bemessene Steuer vom Vermögen" angesehen wurde (vgl. Strutz, Handausgabe der Vermögensteuergesetze 1922 S. 271). Eine Vermögenszuwachssteuer kann also durchaus als eine Steuer vom Vermögen betrachtet werden. Wenn Meilicke es weiter ablehnt, die Kreditgewinnabgabe als Steuer vom Einkommen anzusehen, so ist diese Meinung nur begründet, wenn man den Begriff "Einkommen" nur aus dem derzeitigen Einkommensteuergesetz herleiten will. Es ist aber durchaus gerechtfertigt anzunehmen, daß dieser Begriff hier in einem weiteren Sinn verwendet worden ist. Hopf-Littmann, Lastenausgleich, Einführung vor §§ 161 bis 197 I Abschnitt 2, sieht in der Kreditgewinnabgabe eine Sondergewinnsteuer. Im Gegensatz zu diesen Ansichten ist nach Kühne-Wolff (Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, Ausgleichsabgaben, Vorbemerkung Abschnitt 2) die Kreditgewinnabgabe eine Steuer vom Vermögen, und auch Harmening, Kommentar zum Lastenausgleich, Vorbemerkung zu § 161 Abs. 2, bezeichnet sie als Vermögensabgabe, die als Lastenausgleichsabgabe zu der allgemeinen Vermögensabgabe hinzutritt. Diesen letzten Ansichten wird man folgen müssen, weil Gewinne entweder durch die Besteuerung des Einkommens oder des Vermögens erfaßt werden können. Wenn man ferner bedenkt, daß der Gesetzgeber zunächst von einer einheitlichen Vermögensabgabe ausging und nur aus technischen Gründen die Hypothekengewinnabgabe und die Kreditgewinnabgabe gesondert behandelte - daß ferner der Kreditgewinn mehr Anlaß als das Objekt der Steuer ist -, so wird man der Ansicht, daß die Kreditgewinnabgabe eine Steuer vom Vermögen ist, den Vorzug zu geben haben.
Unbestrittenermaßen ist die Kreditgewinnabgabe ebenso wie die übrigen Lastenausgleichsabgaben eine einmalige Steuer, wenngleich die Zahlungen verteilt sind. Die Beschränkung des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO bezieht sich aber nur auf die laufenden, nicht dagegen auf einmalige Abgaben. Das ergibt sich aus der geschichtlichen Entwicklung und der darauf aufbauenden Stellungnahme des früheren Reichsfinanzhofs.
Ursprünglich waren durch § 212 Abs. 3 AO 1919 nur die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ausschließlich der Erbschaftsteuer, das heißt die Veranlagungsteuern, bei Aufdeckung von Fehlern durch die Aufsichtsbehörde von der Steuernachforderung ausgeschlossen. Durch die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930 (Reichsgesetzblatt I S. 559) III. Teil Kapitel 1 § 6 Ziff. 2 wurde als weitere Ausnahme die Umsatzsteuer eingefügt. Als Grund hierfür ist angegeben, daß die Umsatzsteuerveranlagung mit der Einkommensteuerveranlagung zusammen vorgenommen werde.
Während für die Preußische Erbschaftsteuer und die Reichserbschaftsteuer von 1906 eine Fehlerberichtigung jederzeit zulässig war, hat man bei Abfassung der AO auf Grund der historischen Entwicklung der Einkommensteuer die Berichtigungsmöglichkeit dieser Steuer eingeschränkt (vgl. Zitzlaff, Zur Frage der Rechtskraft im Steuerrecht, Steuer und Wirtschaft 1936 Sp. 1499). Zitzlaff folgert mit Recht, insbesondere aus der Fassung seit 1931, den Grundsatz, daß die Fehlerberichtigung bei den großen periodisch zu veranlagenden Steuern ausgeschlossen sein soll, während sie bei den einmaligen Steuern nach seiner Ansicht zulässig ist. Der Grund für diese Unterscheidung - bei einmaligen, für lange Zeit sich auswirkenden Steuern müsse der Staat auf möglichst fehlerfreie Veranlagung bestehen, während bei den periodisch zu veranlagenden Steuern das Interesse des Staates gegenüber den Interessen des einzelnen zurückzutreten habe - ist nach Ansicht von Zitzlaff schwer verständlich, denn im Gegensatz zu früher hätten die periodischen Steuern in der Regel eine größere geldliche Bedeutung als die einmaligen. Der nachweisbare Inhalt einer Vorschrift ist aber für ihre Auslegung maßgebend; die Vorschrift muß nach ihrer Fassung und dem ihr zugrunde liegenden Zweck auch dann angewendet werden, wenn Gründe für eine änderung sprechen sollten. Diese Auffassung stimmt mit der Ansicht des Reichsfinanzhofs in dem Gutachten Gr.S. D 9/36 vom 7. August 1936 (Reichssteuerblatt 1936 S. 919) und in dem Urteil IV 75/38 vom 28. Juli 1938 (Reichssteuerblatt 1938 S. 809) überein; die Vorschrift ist in der vorliegenden Fassung als maßgebliches Recht anzuwenden.
Ostendorf (Deutsche Steuer-Zeitung A 1957 S. 53) und die Ausführungen in "Der Betrieb" 1956 S. 632, 633 halten die Fehlerberichtigung bei der Kreditgewinnabgabe nicht für zulässig; sie meinen, daß es andernfalls einer Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes bedürfe, die schon vom Reichsfinanzhof mit der oben bezeichneten Rechtsprechung abgelehnt worden sei.
Bei dieser Rechtsprechung war aber die Frage an den Reichsfinanzhof wesentlich anders gestellt als in dem hier zu entscheidenden Fall. Der damalige Reichsminister der Finanzen wünschte die im 1. Halbsatz des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO zugelassene Möglichkeit einer änderung rechtskräftiger Bescheide ohne die im 2. Halbsatz vorgesehene Einschränkung. Das hätte die unbeschränkte Zulassung von Berichtigungsveranlagungen bei Aufdeckung von Fehlern durch die Aufsichtsbehörden bedeutet. Damit wäre eine Ausnahmevorschrift des Gesetzes außer Kraft gesetzt worden, was vom Reichsfinanzhof abgelehnt wurde. Im vorliegenden Fall soll das aber nicht geschehen. Der Senat anerkennt die Rechtsgültigkeit des Halbsatzes 2 der Vorschrift und darf sich darum mit Recht auf das Urteil IV 75/28 und das Gutachten Gr.S. D 9/36 a. a. O. berufen. Bei Auslegung der Ausnahmevorschrift und Erforschung ihres Inhalts kommt er aber zu dem Ergebnis, daß Halbsatz 2 der Ziff. 3 nur für die ihrem Wesen nach einmaligen Steuern gilt, was auch vom Schrifttum überwiegend vertreten wird (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 222 Anm. 12; Kühn, Reichsabgabenordnung, 4. Auflage, § 222 Anm. 7a; Zitzlaff a. a. O.). Diese Ansicht stimmt mit dem nicht veröffentlichten Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 4/36 vom 11. Juli 1936 überein, auf das in dem Gutachten Gr.S. D 9/36 a. a. O. (mit dem irrtümlichen Datum vom 12. Juni 1936) Bezug genommen wird. Dieses Gutachten sagt, daß das Gesetz offenbar diejenigen Steuern begünstigen will, die im allgemeinen laufend erhoben werden. Steuern dagegen, die durch einen einmaligen besonderen Anlaß ausgelöst werden, wolle das Gesetz in der richtigen Höhe, unbeeinflußt durch Veranlagungsfehler erhoben sehen. Wenn das Gesetz in diesem Zusammenhang von Steuern vom Vermögen spreche, müsse angenommen werden, daß es damit in erster Linie die Vermögensteuer meine und daneben diejenigen Steuern, die dieser Steuer wesensgleich seien. Dieser Ansicht schließt sich der entscheidende Senat an.
Weil das Finanzgericht dies verkannt hat, ist sein Urteil aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 409007 |
BStBl III 1958, 157 |
BFHE 1958, 407 |
BFHE 66, 407 |