Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof gegenüber Entscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts bei Maßnahmen, welche die Zulassung oder Entziehung der Zulassung von Helfern in Steuersachen betreffen.
2. Einem Helfer in Steuersachen darf die Zulassung nicht schon deshalb entzogen werden, weil das Finanzamt das Vertrauen zu ihm verloren hat; vielmehr müssen objektive Gründe die Entziehung rechtfertigen.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; Berliner VGG §§ 24, 29-31; AO § 107a
Tatbestand
Durch Verfügung vom 4. Februar 1950 untersagte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (Bf.) vorläufig die Ausübung der Tätigkeit als Helfer in Steuersachen. Das Finanzamt begründete seine Maßnahme damit, daß der Bf. zwei ihm von seinem Mandanten übergebene Geldbeträge von 750 DM und 350 DM -- also zusammen 1 100 DM-West -- entgegen dem ihm erteilten Auftrag nicht sofort an das Finanzamt abgeführt, sondern erst einige Monate später bei Durchführung der Pfändung der Möbel des Mandanten diese Beträge eigenmächtig zum damaligen Wechselkurs in DM-Ost eingetauscht und dann am 13. März 1949 5 000 DM-Ost bei der Finanzkasse zugunsten des Mandanten eingezahlt habe.
Das Finanzamt behielt sich in der Verfügung vor, dem Bf. später die Zulassung zu entziehen. Es brachte zum Ausdruck, daß diese Entscheidung wesentlich von dem Ausgang eines gegen den Bf. schwebenden Strafverfahrens abhängig gemacht werden würde, in dem ihm Begünstigung hinsichtlich einer von demselben Mandanten begangenen oder versuchten Steuerhinterziehung zur Last gelegt wurde.
Das Landesfinanzamt Berlin (Beschwerdegegner -- Bg. --) wies die gegen das vorläufige Tätigkeitsverbot vom Bf. eingelegte Beschwerde durch Bescheid vom 4. April 1950 als unbegründet zurück.
Bevor das Verwaltungsgericht Berlin über die gegen diesen Beschwerdebescheid erhobene Klage entschied, wurde der Bf. in dem erwähnten Strafverfahren durch rechtskräftig gewordenes Urteil einer Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 6. Februar 1952 wegen Vorteilsbegünstigung (zur versuchten Steuerhinterziehung) im Sinne der §§ 392, 389 der Reichsabgabenordnung -- AO -- anstelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von einem Monat zu einer Geldstrafe von 100 DM-West sowie zu einer weiteren Geldstrafe von 200 DM-West verurteilt.
Daraufhin entzog nunmehr das Finanzamt dem Bf. durch Verfügung vom 29. August 1952 die Zulassung als Helfer in Steuersachen. Über seine dagegen an das Landesfinanzamt eingelegte Beschwerde ist nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des Bf. noch nicht entschieden.
Das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte durch das in diesem Rechtsmittelverfahren angefochtene Urteil vom 22. Oktober 1952 das durch die Verfügung des Finanzamts vom 4. Februar 1950 ausgesprochene und durch den Beschwerdebescheid des Landesfinanzamts vom 4. April 1950 aufrechterhaltene vorläufige Tätigkeitsverbot und erklärte diese Maßnahme für rechtmäßig.
Durch Rechtsmittelbelehrung brachte das Verwaltungsgericht zum Ausdruck, daß gegen sein Urteil nach § 24 des Berliner Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 8. Januar 1951 (Berliner VGG) -- Verordnungsblatt für Berlin 1951 S. 46 ff. --die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin gegeben sei.
Entsprechend dieser Rechtsmittelbelehrung hat der Bf. Berufung eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat die Streitsache unter Hinweis auf das am 27. Juni 1952 für Berlin (West) erfolgte Inkrafttreten des Gesetzes über den Bundesfinanzhof an den Bundesfinanzhof zur Entscheidung über das Rechtsmittel abgegeben.
Entscheidungsgründe
1. Es ist zunächst zu prüfen, ob das Rechtsmittel als Berufung anzusehen und deshalb an das Oberverwaltungsgericht Berlin zur zuständigen Entscheidung abzugeben -- oder ob es als Rechtsbeschwerde (Rb.) an den Bundesfinanzhof zu behandeln ist, womit sich der Bf. einverstanden erklärt hat.
Der Bundesfinanzhof hat sich in zahlreichen Entscheidungen auf den Standpunkt gestellt, daß der gegenüber den Bestimmungen der AO erweiterte Rechtsmittelschutz des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) auch in Streitigkeiten betreffend die Zulassung (und Entziehung der Zulassung) der Helfer in Steuersachen eine Anfechtung der von den Finanzverwaltungsbehörden getroffenen Ermessensentscheidungen vor den Steuergerichten im weiteren Sinne (Finanzgerichte und Bundesfinanzhof) ermöglicht. (Vgl. u. a. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 47/51 S vom 25. Juli 1951, Slg. Bd. 55 S. 432, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1951 III S. 173, Steuer und Wirtschaft -- StuW -- 1952 Nr. 40; IV 218/51 U vom 7. Februar 1952, Slg. Bd. 56 S. 190, BStBl. 1952 III S. 76, StuW 1952 Nr. 126, und II 113/52 U vom 1. Oktober 1952, Slg. Bd. 56 S. 832, BStBl. 1952 III S. 319, StuW 1953 Nr. 36.)
Ebenso entspricht es der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, daß für den gegenüber der AO erweiterten Rechtsmittelschutz des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Steuergerichte verfahrensmäßig die Vorschriften des § 229 AO entsprechend anzuwenden sind und daher die Berufungsurteile der Finanzgerichte grundsätzlich durch Rb. an den Bundesfinanzhof angegriffen werden können (so Urteil des Bundesfinanzhofs I 107/53 U vom 25. August 1953, BStBl. 1953 III S. 293, mit ausführlicher Wiedergabe der Rechtsprechung).
Da Art. 19 Abs. 4 GG als Bestandteil der Grundrechtsbestimmungen auch für Berlin (West) maßgebend ist (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- I B. v. R. 24/51 -- vom 25. Oktober 1951 -- Slg. der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. I S. 70 ff.), trägt der Senat keine Bedenken, diesen Rechtsmittelzug auch für die entsprechenden Streitigkeiten aus dem Bereich von Berlin (West) als gegeben anzusehen.
Etwas anderes kann auch -- entgegen dem vom Bg. angeführten, vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Bundesfinanzhof in Berlin (West) ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin III B 42/51 vom 25. September 1951, Steuer und Zollblatt -- StuZBl. -- für Berlin 1952 S. 191, Deutsche Steuerzeitung Ausgabe B 1952 S. 416 -- nicht aus der Überschrift über Teil II Abschn. II des Berliner VGG hergeleitet werden. Unter "Verfahren in Streitigkeiten aus öffentlichen Abgaben" (im Sinne dieser Überschrift) sind nach Ansicht des Senats nicht nur solche Streitigkeiten zu verstehen, die die eigentliche Festsetzung von Steuern betreffen, sondern darüber hinaus alle mit der Durchführung der Abgabenerhebung im Zusammenhang stehenden Rechtsstreitigkeiten, die Aufgaben zum Gegenstand haben, die den Finanzämtern nach der AO und auf Grund von auf Ermächtigungen der AO beruhenden Rechtsverordnungen obliegen. Dazu gehören auch Rechtsstreitigkeiten, welche die Zulassung oder die Entziehung der Zulassung von Helfern in Steuersachen und Steuerberatern betreffen.
Auch § 35 der Berliner VGG steht der Zulässigkeit der Rb. nicht entgegen. Zwar soll nach dieser Bestimmung gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts die Rb. nur insoweit gegeben sein, als sie nach den Vorschriften der AO zulässig ist. Diese Bestimmung greift jedoch deshalb nicht Platz, weil es sich bei dem auf Grund des Art. 19 Abs. 4 GG vorgesehenen Rechtsmittelschutz um eine Erweiterung gegenüber den nach der AO gegebenen Rechtsmitteln handelt, die unmittelbar auf der genannten, auch für Berlin (West) geltenden Bestimmung des GG beruht (vgl. Urteil des erkennenden Senats II 158/52 U vom 13. Januar 1954, BStBl. 1954 III S. 87 ff., besonders S. 88, 89).
Das gegen die Berufungs- (Verwaltungsklage-) Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin eingelegte Rechtsmittel ist daher -- entsprechend der Abgabeverfügung des Oberverwaltungsgerichts Berlin -- als Rb. anzusehen und als solche zulässig.
2. In der Sache selbst führt die Rb. insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung, als der Rechtsstreit, der lediglich das vorläufige Tätigkeitsverbot und die diese Untersagungsverfügung bestätigende Beschwerdeentscheidung des Landesfinanzamts zum Gegenstand hat, -- übrigens schon vor Erlaß des Urteils des Verwaltungsgerichts -- in der Hauptsache seine Erledigung gefunden hat. Denn ein vorläufiges Tätigkeitsverbot wird dadurch als solches gegenstandslos, daß die Entziehung der Zulassung als Helfer in Steuersachen endgültig -- vorbehaltlich der Nachprüfung im Rechtsmittelverfahren -- ausgesprochen wird.
3. Gleichwohl muß über die Rechtmäßigkeit des vorläufigen Tätigkeitsverbots entschieden werden, weil von der Bejahung oder Verneinung der Rechtmäßigkeit die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens abhängt. Weder § 107a AO noch die Verordnung zur Durchführung des § 107a der Reichsabgabenordnung -- DV zu § 107a AO -- vom 11. Januar 1936 (Reichssteuerblatt -- RStBl. -- S. 65) sehen ein vorläufiges Tätigkeitsverbot vor. Vielmehr enthält Abs. 6 des § 107a AO nur eine Befugnis des Finanzamts, die Erlaubnis zurückzunehmen, d. h. endgültig die Entziehung der Zulassung auszusprechen. Andererseits stellt ein vorläufiges Tätigkeitsverbot, wie auch der Bf. nicht verkennt, eine Maßnahme dar, die den betroffenen Helfer in Steuersachen weniger stark in seinen Rechten beeinträchtigt, als eine endgültige Zurücknahme der Erlaubnis. Die vorläufige Untersagung der Betätigung schließt es -- wie auch der Streitfall zeigt -- nicht aus, daß die Praxis bis zur endgültigen Klärung von einem anderen Helfer in Steuersachen als Treuhänder verwaltet wird und der Betroffene auf diesem Wege noch Einnahmen aus der Praxis erzielen kann.
Es ist daher rechtlich eine vorläufige Untersagung der Ausübung der Tätigkeit dann nicht zu beanstanden, wenn an sich die Voraussetzungen für die Entziehung der Zulassung gegeben sind und, wie im Streitfall, die endgültige Entscheidung von dem Ausgang eines gerichtlichen Strafverfahrens abhängig gemacht werden soll.
4. Dem Rechtsvertreter des Bf. ist darin beizustimmen, daß die Finanzämter nicht befugt sind, nach ihrem völlig freien Ermessen jederzeit eine Zurücknahme der Erlaubnis auszusprechen. Es genügt auch nicht, daß das Finanzamt -- von seinem subjektiven Standpunkte allein aus betrachtet -- das Vertrauen zu dem Helfer in Steuersachen verloren hat, um unter diesem Gesichtspunkt einem Helfer in Steuersachen die Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz zu entziehen, zumal das zur Willkür führen könnte. Vielmehr ist -- wie bei jeder Ermessensentscheidung -- eine Entziehung der Zulassung nur dann zulässig, wenn der objektive Sachverhalt im Rahmen der gesetzlichen Ermessensgrenzen und nach den für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Grundsätzen von Recht und Billigkeit eine so schwerwiegende Maßnahme rechtfertigt, so daß niemals aus willkürlichen oder aus unsachlichen Beweggründen die Erlaubnis zurückgenommen werden darf.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, daß nach § 2 DV zu § 107a AO -- der insoweit nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit den Grundrechtsartikeln des GG vereinbar ist -- die Zulassung eines Helfers in Steuersachen nur erfolgen darf, wenn er die für den Beruf erforderliche persönliche Zuverlässigkeit besitzt. Aus dieser Bestimmung ist das Recht der Finanzverwaltungsbehörden zu folgern, die Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen dann zurückzunehmen, wenn Umstände eintreten, die bei objektiver Beurteilung eine Unzuverlässigkeit des Helfers in Steuersachen erweisen.
5. Im Streitfall hat der Bf. sich durch die -- unstreitige -- mehrmonatige Einbehaltung der ihm zur Abführung an die Finanzkasse übergebenen Beträge, auch unter Berücksichtigung der Begleitumstände, eine so schwerwiegende Unkorrektheit zuschulden kommen lassen, daß auch in einer Entziehung der Zulassung auf Grund dieses Vorfalls eine Ermessensverletzung nicht zu erblicken gewesen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, daß durch das Verhalten des Helfers in Steuersachen eine erhebliche Gefährdung und Schädigung seines Mandanten eingetreten ist, weil die Nichtabführung der Beträge die Abholung der gepfändeten Möbel zwecks Durchführung der Zwangsversteigerung zur Folge hatte. Der Bf. kann auch nicht mit seinem Einwand Erfolg haben, es handele sich nur um einen Einzelfall. Denn der Einzelfall schließt die Möglichkeit in sich, daß der Bf. auch in anderen Fällen sich ähnlich verhält und dadurch die Interessen seiner Mandanten und die Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt gefährdet. Unter diesen Umständen kann auch keine Rücksicht auf das hohe Alter des Bf. genommen werden, zumal er ein -- wenn auch nicht hohes -- Ruhegehalt bezieht und deshalb nicht ausschließlich auf den Gelderwerb aus der Tätigkeit als Helfer in Steuersachen angewiesen ist.
Im Ergebnis waren daher zur Zeit des Erlasses der vorläufigen Untersagungsverfügung und ihrer Bestätigung durch das Landesfinanzamt an sich die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung gegeben, so daß nach den früheren Ausführungen das vorläufige Tätigkeitsverbot als mildere Maßnahme keine Rechtsverletzung darstellt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Vorinstanzen bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Maßnahme das später ergangene Strafkammerurteil berücksichtigen durften oder nicht.
6. Dem Bf. ist zuzugeben, daß die verhältnismäßig lange Dauer der vorläufigen Untersagung an sich Bedenken unterliegt. Die lange Aufrechterhaltung der vorläufigen Maßnahme war aber auf die Hinauszögerung des Strafverfahrens, das für die Entscheidung von Bedeutung sein konnte, zurückzuführen und stellt daher aus diesem Grunde keine Ermessenverletzung dar.
In diesem Rechtsbeschwerdeverfahren, das lediglich das vorläufige Tätigkeitsverbot betrifft, kann der Darlegung des Bf. keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, daß das Landesfinanzamt, wofür sein bei den Akten des Verwaltungsgerichts befindliches Schreiben vom 26. Juli 1950 spricht, dem Bf. "in Aussicht gestellt" oder zugesagt habe, ihn "als Helfer in Steuersachen nach einer Frist von drei Monaten wieder zuzulassen, sofern sich zwischenzeitlich nichts Nachteiliges" gegen ihn "ergibt". Welche Folgerungen aus dieser Erklärung zu ziehen sind, muß vielmehr der Prüfung in dem gegen die Entziehungsverfügung vom 29. August 1952 anhängigen Rechtsmittelverfahren überlassen bleiben.
Da die vorläufige Maßnahme eine Rechtsverletzung nicht enthält, waren die Kosten des Rechtsmittelverfahrens dem Bf. aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 407909 |
BStBl III 1954, 167 |
BFHE 1954, 671 |