Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Binnenschiffahrtsunternehmer, der an Land eine Wohnung hat, begründet am Wohnort nur dann eine Betriebstätte, wenn sich dort von einer festen örtlichen Anlage aus dauernd betriebliche Handlungen vollziehen. Telefongespräche von der Wohnung aus und Fahrten mit dem Pkw, durch die lediglich die Verbindung zwischen dem privaten und dem betrieblichen Bereich hergestellt wird, genügen dazu nicht, ebensowenig ein Bankkonto, das lediglich die betrieblichen überschüsse zur privaten Verwendung aufnimmt und bereithält.
Normenkette
GewStDV §§ 6, 15; GewStG § 28; StAnpG § 16
Tatbestand
Der Bf. betreibt ein Binnenschiffahrtsunternehmen. Er ist Eigentümer (Schiffseigner) eines Motorgüterschiffes. Sein Wohnsitz ist in N., wo er und die Familie seines Schwiegersohnes ein eigenes Haus bewohnen. Bis zum 28. Februar 1963 hatte der Bf. sein Gewerbe in D. angemeldet. Das Schiff ist seit 14. April 1960 im Schiffsregister des Amtsgerichts D. mit dem Heimathafen D. eingetragen. Vorher war es im Schiffsregister des Amtsgerichts M. mit dem Heimathafen N. eingetragen.
Nach dem Krieg stellte der Bf. sein Schiff ganz in den Dienst einer Reederei in B. - Reederei -. Er führt nur noch Frachtaufträge aus, die ihm von der Zweigniederlassung dieser Reederei in D. aufgegeben werden. Die Zweigniederlassung setzt das Schiff ein, wie wenn es ein eigenes wäre. Als Gegenleistung erhält der Bf. eine monatliche Bruttovergütung von 8.000 DM. Die Reederei besorgt den Schuldendienst des Bf. und zahlt für ihn auch die Reparaturen. Ihre Zweigniederlassung begleicht die Bunkerrechnungen. Sie nimmt auch die Abrechnung der einzelnen Fahrten vor. Die Ausgaben, die während der Fahrt des Schiffes anfallen, z. B. für Löhne, Lebensmittel sowie Hafen-, Schleusen- und Lotsengebühren, zahlt der Führer des Schiffes (Schiffer). Schiffer ist halbjährlich der Bf. selbst und halbjährlich sein bei ihm angestellter Schwiegersohn, der sich das ganze Jahr über auf dem Schiff befindet. Der Schiffer trägt die laufenden Ausgaben in ein Bordbuch ein. Auch die Lohnunterlagen befinden sich an Bord. Die notwendigen Gelder erhält der Schiffer an Land bei der Zweigniederlassung der Reederei in D. oder bei deren Filialen.
Die Belege und Rechnungsunterlagen werden zur Buchhaltung der Reederei nach B. geschickt. Dort werden die monatlich entstandenen Unkosten mit der Bruttovergütung des Bf. verrechnet und der überschuß auf ein Konto des Bf. bei der Volksbank in N., seiner einzigen Bankverbindung, überwiesen. Gelegentlich erhält der Bf. auf diesem Weg auf seine Anforderung hin auch Vorschüsse. Die Mitteilungen über vorgenommene Gut- und Lastschriften einschließlich der Rechnungsabschriften sowie einen monatlichen Auszug über Einnahmen und Ausgaben schickt die Reederei von B. nach N. Der Bf. gibt sie nach überprüfung an eine Treuhand- Gesellschaft weiter, die seine Bücher führt und seine steuerlichen Angelegenheiten erledigt.
Wenn es geschäftlich erforderlich ist, fährt der Bf. zu Besprechungen mit der Reederei oder ihrer Zweigniederlassung nach D. Er unterhält in N. einen PKW, der im streitigen Erhebungszeitraum (1960) nach seinen Angaben in der Einkommensteuererklärung zu 87 % betrieblich genutzt wurde. Außerdem besitzt der Bf. in seiner Wohnung in N. einen Telefonanschluß und ist im Telefonbuch mit seiner Anschrift in N. und der Gewerbebezeichnung "Schiffahrt" eingetragen. Seine betrieblich bedingten Telefonkosten betrugen im streitigen Erhebungszeitraum nach seinen Angaben 1.024,80 DM.
Das Finanzamt (FA) teilte durch schriftlichen Bescheid den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für 1960 der Gemeinde N. zu.
Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) hat unter Berufung auf Abschn. 24 Abs. 2 GewStR 1958 die Auffassung vertreten, der Bf. habe in der Gemeinde N. eine Betriebstätte zur Ausübung seines Binnenschiffahrtsunternehmens unterhalten.
Mit der weiteren Beschwerde begehrt der Bf. die Zuteilung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1960 an die Stadt D.
Entscheidungsgründe
Die weitere Beschwerde, über die der BFH nach den vor dem Inkrafttreten der FGO geltenden Vorschriften als Tatsacheninstanz zu entscheiden hat (§ 184 Abs. 2 Ziff. 2, 3 FGO, §§ 390, 388, 306 AO a. F.), ist begründet.
Die Betriebstätte des Bf. gilt im Erhebungszeitraum 1960 bis 13. April 1960 in N., vom 14. April 1960 an in D. als vorhanden (§ 6 GewStDV). Diese Vorschrift bestimmt, daß bei Binnen- und Küstenschiffahrtsbetrieben, die feste örtliche Anlagen oder Einrichtungen zur Ausübung des Gewerbes nicht unterhalten, eine Betriebstätte an dem Ort als vorhanden gilt, der als Heimathafen (Heimatort) im Schiffsregister eingetragen ist. Ihre Anwendung setzt also voraus, daß für das Unternehmen eine Betriebstätte nach § 16 Abs. 1 StAnpG nicht zu ermitteln ist (BFH-Entscheidung IV B 130/58 vom 12. November 1959, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 70).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Weder in N. noch in D. noch an einem anderen Ort ist der Tatbestand einer Betriebstätte des Bf. erfüllt. Der Bf. hat sein Schiff ganz in den Dienst der Reederei gestellt. Es kann auf sich beruhen, ob das Rechtsverhältnis zwischen ihm und der Reederei als Vermietung des Schiffes in Verbindung mit einem Dienstverschaffungsvertrag (Urteil des Reichsgerichts I 434/12 vom 18. Juni 1913, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 82 S. 427) oder als Ausrüstungsverhältnis (§ 2 Abs. 1 des Binnenschiffahrtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 27. September 1952, BGBl 1952 I S. 641) oder aber als Unterfrachtvertrag Ausrüstungsverhältnis (§ 2 Abs. 1 des Binnenschiffahrt- und Flößereirecht, 3. Aufl., § 2 des Binnenschiffahrtgesetzes, Anm. 1 b, § 26 des Binnenschiffahrtgesetzes Anm. 9 d). Entscheidend ist für die Frage nach dem Vorhandensein einer Betriebstätte, daß die Tätigkeit, die den Gewerbebetrieb des Bf. ausmacht, keiner festen Anlage oder Einrichtung an Land zugeordnet werden kann. Der Gewerbebetrieb des Bf. erschöpft sich im wesentlichen darin, daß der Bf. als Schiffseigner sein Schiff während der Vertragszeit im Dienst der Reederei fahren läßt und es zum Teil selbst als Schiffer führt. Dieser Vorgang vollzieht sich auf dem Schiff, auf dem Wasser und in den Häfen, die das Schiff jeweils anläuft. Im übrigen hat die Reederei dem Bf. fast alle Aufgaben abgenommen, die an sich dem Bf. als Schiffseigner obliegen. Der Bf. führt nur die Frachtaufträge aus, die ihm die Zweigniederlassung der Reederei aufgibt. Diese rechnet auch mit den Kunden ab. Darüber hinaus zahlen die Reederei und ihre Zweigniederlassung die Bunkerrechnungen und die Reparaturen, mit denen der Bf. dann im Innenverhältnis belastet wird. Sie stellen ihre Kassenbereitschaft für andere Ausgaben zur Verfügung, nehmen die Geschäftspost des Bf. in Empfang, bearbeiten seine Geschäftsvorfälle und verwahren seine Geschäftsunterlagen. Die Zweigniederlassung der Reederei in D. kann dabei nicht als Vertreter des Bf., ihre Räume können nicht als Geschäftseinrichtungen des Bf. im Sinne des § 16 Abs. 2 Ziff. 2 StAnpG angesehen werden. Ständiger Vertreter im Sinne dieser Vorschrift kann zwar auch ein selbständiger Gewerbetreibender sein, aber nur dann, wenn er an die Weisungen des anderen Unternehmers gebunden ist (BFH-Beschluß I B 282/62 U vom 12. Oktober 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 83 S. 526 - BFH 83, 526 -, BStBl III 1965, 690). Der Vertreter muß in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Unternehmer stehen. Hier ist es umgekehrt. Nicht die Reederei und ihre Zweigniederlassung sind von dem Bf. abhängig, sondern dieser hat sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den beiden Firmen begeben. Wenn diese Aufgaben wahrnehmen, die an sich dem Bf. obliegen, erledigen sie damit insoweit ihre eigenen Angelegenheiten, als sie das Schiff des Bf. in ihren eigenen Betrieb eingegliedert haben. Außerdem genügt es für die Annahme der nach § 16 Abs. 2 Ziff. 2 StAnpG erforderlichen Verfügungsgewalt des Unternehmers über die Räume des Vertreters nicht, daß der Unternehmer das Recht hat und ausübt, die Räume des Vertreters zur überprüfung der Geschäftsvorfälle zu betreten (BFH-Entscheidung I B 156/58 S vom 9. März 1962, BFH 74, 614, BStBl III 1962, 227). Darauf beschränken sich aber im wesentlichen das Recht und die Tätigkeit des Bf. in den Räumen der Zweigniederlassung der Reederei in D.
Was sich demgegenüber noch als dem Gewerbebetrieb dienende Tätigkeit des Bf. an Land vollzieht, vermag eine Betriebstätte gleichfalls nicht zu begründen. Nach der Rechtsprechung ist es für die Annahme einer Betriebstätte erforderlich, daß sich in einer festen örtlichen Anlage oder Einrichtung dauernd Tätigkeiten vollziehen, die dem Gewerbebetrieb unmittelbar dienen (Entscheidung des Reichsfinanzhofs - RFH - VI B 15/39 vom 11. Oktober 1939, RStBl 1939, 1095; BFH-Entscheidung I B 148/59 U vom 30. August 1960, BFH 71, 585, BStBl III 1960, 468; RFH-Beschluß VI B 11/41 vom 8. Oktober 1941, RStBl 1941, 814). Diese Merkmale einer Betriebstätte sind für den Bf. in N. und in D. nicht erfüllt. Die Ferngespräche, die der Bf. von seiner Wohnung in N. aus geführt hat, und die Fahrten mit dem in N. untergebrachten PKW haben nach der glaubhaften Darstellung des Bf. im wesentlichen dazu gedient, in der Zeit, die der Bf. nicht auf dem Schiff verbringt, die Verbindung zwischen dem privaten Bereich in N. und dem betrieblichen Bereich in D. und an anderen Orten herzustellen. Eine ständige betriebliche Einrichtung kann daher weder in dem Telefon noch in der Garage oder dem Abstellplatz für den PKW in N. erblickt werden. Das gleiche gilt für das Bankkonto des Bf. in N., das die betrieblichen überschüsse oder gelegentlich auch Vorschüsse lediglich aufnimmt, um sie zur privaten Verfügung durch den Bf. bereitzuhalten. Für die Annahme der OFD, daß in dem Hause des Bf. in N. Entscheidungen über die Rührung und Unterhaltung des Schiffes getroffen würden, fehlen ausreichende Anhaltspunkte. Aber auch die Verhandlungen und Besprechungen des Bf. mit der Zweigniederlassung der Reederei in D. finden nur in unregelmäßigen Zeitabständen statt und können nicht als dauernde betriebliche Tätigkeit des Bf. gewertet werden, ganz abgesehen davon, daß es für die Annahme einer Betriebstätte auch an der weiteren Voraussetzung einer festen örtlichen Anlage oder Einrichtung des Bf. fehlte. Daß der Bf. bei diesen Besprechungen die Räume der Zweigniederlassung der Reederei mitbenutzt, verleiht ihm keine für die Annahme einer Betriebstätte ausreichende Verfügungsgewalt über diese Räume.
Daher greifen die §§ 6, 15 GewStDV ein. Da als Heimathafen des Schiffes des Bf. im Erhebungszeitraum 1960 zeitlich nacheinander N. und D. eingetragen waren, muß der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag auf diese beiden Gemeinden zerlegt werden (§ 28 Satz 2 GewStG).
Fundstellen
Haufe-Index 412143 |
BStBl III 1966, 548 |
BFHE 1966, 514 |
BFHE 86, 514 |