Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsveräußerung bei einer Partenreederei - Anwendbarkeit der §§ 16, 34 EStG auf im Aufbau befindliche Betriebe oder Teilbetriebe
Leitsatz (amtlich)
Eine Betriebsveräußerung liegt auch vor, wenn eine Partenreederei das in ihr wirtschaftliches Eigentum übergegangene betriebsbereite Schiff noch vor Aufnahme des zunächst geplanten Schiffahrtsbetriebs veräußert.
Orientierungssatz
1. Bei einer Partenreederei bilden das Schiff und das Schiffszubehör den Kernbestandteil des Betriebsvermögens und demzufolge die wesentlichen Betriebsgrundlagen, so daß deren Veräußerung eine Betriebsveräußerung i.S. der §§ 16, 34 EStG ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Die §§ 16, 34 EStG sind auch auf im Aufbau befindliche Betriebe oder Teilbetriebe anzuwenden, die ihre werbende Tätigkeit noch nicht aufgenommen haben; Voraussetzung ist danach, daß die wesentlichen Betriebsgrundlagen bereits vorhanden sind und bei zielgerechter Weiterverfolgung des Aufbauplans ein selbständig lebensfähiger Organismus zu erwarten ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 1.2.1989 VIII R 33/85). Nach dem eindeutigen Wortlaut kann die Anwendung der §§ 16, 34 EStG im Einzelfall nicht davon abhängig gemacht werden, daß sich in dem Betrieb über einen längeren Zeitraum stille Reserven ansammeln konnten.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr (1977) Mitglied einer Partenreederei (PR). Die PR hatte 1976 den Auftrag zum Bau eines Seeschiffes in Japan gegeben und auch bereits einen Zeitchartervertrag mit dem ausländischen Schiffahrtsunternehmen B abgeschlossen. Am 21.Januar 1977 schloß die PR mit B jedoch einen Vertrag, nach dem B ihr das zu diesem Zeitpunkt noch im Bau befindliche Schiff zum Preis von 6 025 000 DM abkaufte. Das Schiff sollte danach noch am Tage der Übernahme von der Werft durch die PR an B übergeben werden. Darüber wurde am 21.März 1977 eine Verkaufsurkunde (Bill of Sale) ausgestellt. Am 28.März 1977 kam es nach Fertigstellung des Schiffs zur Probefahrt und am 31.März 1977 zur Übergabe des Schiffes. An diesem Tage gab die PR die Erklärung ab, sie habe das Schiff übernommen und am gleichen Tag an B übergeben, ohne es vorher in kommerziellen Gebrauch genommen zu haben. Am 14.März 1977 war das Schiff auf Antrag des Korrespondentreeders für die PR im Seeschiffsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen worden. Diese Eintragung wurde aber bereits am 18.März 1977 antragsgemäß wieder gelöscht, nachdem der Korrespondentreeder dem Amtsgericht mitgeteilt hatte, das Schiff werde ins Ausland verkauft und die PR werde aufgelöst.
Die PR ging davon aus, sie habe das Schiff und damit ihren Gewerbebetrieb im ganzen an B veräußert. Aus dieser Veräußerung erklärte sie einen Veräußerungsgewinn i.S. der §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 699 797 DM, den der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) antragsgemäß zunächst so feststellte. Nach einer Betriebsprüfung stellte sich das FA auf den Standpunkt, der Gewinn sei nicht nach §§ 16, 34 EStG steuerbegünstigt und erließ gemäß § 164 Abs.2 AO 1977 den entsprechend geänderten und angefochtenen Bescheid vom 1.September 1981.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Das FG führte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13.Januar 1966 IV 76/63 (BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168) aus, das Schiff sei die einzige wesentliche Betriebsgrundlage der PR gewesen, so daß es sich, da zugleich die Absicht, Seeschiffahrt zu betreiben, endgültig aufgegeben worden sei, um eine Betriebsveräußerung im ganzen handele.
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der §§ 16, 34 EStG und des § 76 FGO. Eine Betriebsveräußerung i.S. des § 16 Abs.1 EStG liege nicht vor, weil nicht ein Schiff veräußert, sondern Ansprüche aus dem Schiffsbauvertrag abgetreten worden seien. Auch eine Betriebsaufgabe i.S. des § 16 Abs.3 EStG könne mangels vorheriger Ausübung einer werbenden Tätigkeit nicht angenommen werden. Die Vorschrift des § 76 FGO sei verletzt, weil --bei Annahme einer Betriebsveräußerung-- ein Teil des erzielten Veräußerungspreises als nicht tarifbegünstigte Abfindung für die Entlassung des Charterers aus dem Chartervertrag angesehen werden müsse.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 FGO).
1. Nach § 16 Abs.1 Nr.1 i.V.m. § 34 Abs.1 und 2 EStG unterliegt der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs einem ermäßigten Steuersatz. Eine Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang auf einen Erwerber übertragen werden (vgl. Urteile vom 24.Juni 1976 IV R 199/72, BFHE 119, 425, BStBl II 1976, 670; vom 24.März 1987 I R 202/83, BFHE 149, 542, BStBl II 1987, 705; vom 3.Oktober 1989 VIII R 142/84, BFHE 159, 428, BStBl II 1990, 420). Bei einer PR, die sich nach § 489 des Handelsgesetzbuches (HGB) stets nur auf ein Schiff erstrecken kann, bilden das Schiff und das Schiffszubehör den Kernbestandteil des Reedereivermögens und demzufolge die wesentlichen Betriebsgrundlagen, so daß deren Veräußerung eine Betriebsveräußerung i.S. der §§ 16, 34 EStG ist (BFH-Urteile vom 24.Januar 1973 I R 156/71, BFHE 108, 111, BStBl II 1973, 219; vom 5.November 1985 VIII R 257/80, BFHE 145, 58, BStBl II 1986, 53). Maßgebend ist das wirtschaftliche Eigentum (vgl. § 39 AO 1977). Eine Betriebsveräußerung liegt daher vor, wenn das wirtschaftliche Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen wird. Das setzt voraus, daß der Veräußerer vor der "Veräußerung" wirtschaftlicher Eigentümer der wesentlichen Betriebsgrundlagen war.
Nach Art.VII Nr.4 des Schiffsbauvertrags, auf den das FG Bezug genommen hat, gingen das Eigentum am Schiff und die Gefahr mit der Übergabe des Schiffs auf den Käufer über. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ist es zur Übergabe durch die Werft an die PR am 31.März 1977 gekommen. Damit ist die PR am 31.März 1977 wirtschaftliche Eigentümerin des Schiffs geworden. Im Anschluß hieran hat die PR das wirtschaftliche Eigentum am Schiff auf B übertragen. Die Auffassung des FA, es sei nicht ein Schiff veräußert, sondern es seien Ansprüche aus einem Schiffsbauvertrag abgetreten worden, ist mit den eindeutigen zivilrechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten unvereinbar.
2. Zutreffend hat das FG angenommen, das Senatsurteil vom 27.Januar 1966 IV 31/63 (BFHE 85, 164, BStBl III 1966, 271) schließe die Anwendung der §§ 16, 34 EStG im Streitfall nicht aus. In diesem Urteil hat der Senat allerdings für den Fall der Veräußerung eines im Bau befindlichen Schiffes durch eine Baureederei ausgeführt, er verweise zur Nichtanwendung der genannten Vorschriften auf seine Entscheidung in BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168. Dieses Urteil beruht, wie der BFH bereits im Urteil in BFHE 108, 111, BStBl II 1973, 219 ausgeführt hat, auf der Erwägung, daß § 16 Abs.1 EStG nicht anwendbar sei, wenn ein Unternehmer zwar die wesentlichen Betriebsgrundlagen, z.B. das einzige Schiff seines Schiffahrtsbetriebs veräußert, jedoch im zeitlichen Zusammenhang damit einen gleichartigen Betrieb --wenn auch in anderer Rechtsform-- neu aufbaue, z.B. durch Erwerb und Betrieb eines größeren Schiffs im Rahmen einer PR; in diesem Falle werde das bisherige Unternehmen nicht beendet, sondern lediglich auf eine neue Grundlage gestellt. Es kann offenbleiben, ob an dieser Auffassung auch heute noch festgehalten werden könnte. Denn im Streitfall ist das bisherige wirtschaftliche Engagement der PR durch die Nichtinbetriebnahme des Schiffs und Auflösung der Gesellschaft beendet und nicht in anderer Rechtsform fortgeführt worden.
3. Entgegen der Auffassung des FA steht der Anwendung der §§ 16, 34 EStG auch nicht entgegen, daß die Veräußerung vor der Aufnahme des eigentlichen Schiffahrtsbetriebs erfolgte. Nach dem BFH-Urteil vom 1.Februar 1989 VIII R 33/85 (BFHE 156, 158, BStBl II 1989, 458) sind die §§ 16, 34 EStG auch auf im Aufbau befindliche Betriebe oder Teilbetriebe anzuwenden, die ihre werbende Tätigkeit noch nicht aufgenommen haben; Voraussetzung ist danach, daß die wesentlichen Betriebsgrundlagen bereits vorhanden sind und bei zielgerechter Weiterverfolgung des Aufbauplans ein selbständig lebensfähiger Organismus zu erwarten ist. Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Betrieb i.S. des § 16 EStG ist der betriebliche Organismus, in dem eine betriebliche Tätigkeit, die zu Einkünften i.S. des § 15 EStG führt, entfaltet werden kann. Es ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsveräußerung, daß der Veräußerer mit den veräußerten wesentlichen Betriebsgrundlagen tatsächlich bereits eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hat; entscheidend ist, daß mit den veräußerten wesentlichen Betriebsgrundlagen ein Betrieb tatsächlich geführt werden könnte (Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 16 Anm.8; Gänger in Hartmann/ Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 16 Rz.34; Abschn.139 Abs.1 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR--; Urteil in BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168). Begünstigt ist hiernach die Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen, mit denen ein Betrieb tatsächlich geführt werden kann. Aus der Sicht des Veräußerers führt dies dazu, daß die Veräußerung der wesentlichen Grundlagen eines Betriebs auch dann nach §§ 16, 34 EStG begünstigt sein kann, wenn im Veräußerungszeitpunkt die betriebliche Tätigkeit noch nicht aufgenommen war. Mit dem VIII.Senat im Urteil BFHE 156, 158, BStBl II 1989, 458 ist der erkennende Senat ebenfalls der Auffassung, daß nach dem eindeutigen Wortlaut die Anwendung der §§ 16, 34 EStG im Einzelfall nicht davon abhängig gemacht werden kann, daß sich in dem Betrieb über einen längeren Zeitraum stille Reserven ansammeln konnten.
4. Auch die Verfahrensrüge ist unbegründet. Das FG war nicht gehalten, weitere Feststellungen zu den für die Kaufpreisbemessung führenden Umständen zu treffen. Nach dem Vertrag zwischen der PR und B war der Betrag von 6 025 000 DM als Kaufpreis für das Schiff ausgehandelt worden. An diese vertragliche und auch durchgeführte Vereinbarung ist für die Besteuerung anzuknüpfen. Anhaltspunkte dafür, daß die Vereinbarung nicht ernsthaft gemeint gewesen sei und den tatsächlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht entsprochen habe, sind nicht gegeben. Welche Umstände im einzelnen die Bestimmung des Kaufpreises beeinflußt haben, ist unerheblich. Unerheblich wäre deshalb auch, wenn die Aufhebung des Chartervertrags die Höhe des Kaufpreises beeinflußt haben sollte. Die PR hätte dann lediglich eine ihr günstige Ausgangslage --Abschluß eines langfristigen Chartervertrags zu für sie günstigen Bedingungen-- genutzt, um einen höheren Preis für die Veräußerung des Schiffs zu erzielen.
Fundstellen
Haufe-Index 63926 |
BFH/NV 1992, 34 |
BStBl II 1992, 380 |
BFHE 166, 448 |
BFHE 1992, 448 |
BB 1992, 2133 |
BB 1992, 2133-2134 (LT) |
DB 1992, 1390 (L) |
DStZ 1993, 120 (KT) |
HFR 1992, 344 (LT) |
StE 1992, 230 (K) |