Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat eines FG ist nicht ordnungsgemäß besetzt, wenn die Vertretung des Vorsitzenden dem regelmäßigen Vertreter nicht nur vorübergehend überlassen wird.
2. Eine nicht nur vorübergehende Verhinderung des Vorsitzenden Richters liegt vor, wenn er infolge Todes, Dienstunfähigkeit, Erreichens der Altersgrenze oder Versetzung in ein anderes Amt von seiner bisherigen Tätigkeit auf Dauer ausgeschlossen ist.
Normenkette
FGO § 4; GVG §§ 21f, 21e
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 4.Oktober 1984 die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wegen Anforderung von Gesellschaftsteuer zur Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung als unzulässig abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil wurde der Klägerin am 12.November 1984 zugestellt. Sie legte am 12.Dezember 1984 beim FG eine nur auf § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützte Revision ein. Mit dieser macht sie geltend, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil der regelmäßige Vertreter des Vorsitzenden den Vorsitz geführt habe und die auf Grund einer Wahl zum Richter am Bundesfinanzhof (BFH) frei gewordene Vorsitzendenstelle in der Zeit vom 13.Februar 1984 bis zum 19.März 1985 wegen einer haushaltsgesetzlichen Besetzungssperre nicht habe besetzt werden können. Außerdem sei dem FG insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen, als es die mündliche Verhandlung unterbrochen und knapp 10 Minuten später in anderer Richterbesetzung fortgesetzt habe, weil die Richterin am FG M aus Gründen des § 51 Abs.2 FGO von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen gewesen sei. Bei dieser Sachlage habe das FG die mündliche Verhandlung vertagen müssen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil vom 4.Oktober 1984 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Auf eine entsprechende Anfrage des Vorsitzenden des Senats hat der Präsident des FG mit Schreiben vom 16.März 1987 das Vorbringen der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht als richtig bestätigt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Das FG war bei der Urteilsfassung am 4.Oktober 1984 i.S. des § 116 Abs.1 Nr.1 FGO nicht vorschriftsmäßig besetzt.
a) Gemäß § 4 FGO i.V.m. § 21f Abs.1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) führt entweder der Präsident oder ein Vorsitzender Richter den Vorsitz in dem Senat eines FG. Nur bei Verhinderung des Vorsitzenden führt den Vorsitz ein anderes ordentliches Mitglied des Senats, das Richter auf Lebenszeit ist (§ 28 Abs.2 Satz 2 des Deutschen Richtergesetzes --DRiG--) und das das Präsidium vor Beginn des Geschäftsjahres zum regelmäßigen Vertreter bestellt hat.
b) Ein Senat ist dagegen nicht ordnungsgemäß besetzt, wenn --wie im Streitfall-- die Vertretung des Vorsitzenden dem regelmäßigen Vertreter nicht nur vorübergehend überlassen wird. Eine nicht nur vorübergehende Verhinderung des Vorsitzenden Richters tritt ein, wenn er infolge Todes, Dienstunfähigkeit, Erreichens der Altersgrenze oder Versetzung in ein anderes Amt von seiner bisherigen Tätigkeit auf Dauer ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 5.Juni 1985 VIII ZR 135/84, BGHZ 95, 22, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1986, 427; Beschluß vom 11.Juli 1985 VII ZB 6/85, BGHZ 95, 246, HFR 1986, 428). In einem solchen Fall muß das Präsidium des FG (§ 21e Abs.3 Satz 1 GVG) gegebenenfalls den Vorsitz dem Vorsitzenden Richter eines anderen Senats übertragen. Eine entsprechende Anwendung des § 21f Abs.2 GVG kommt in einem solchen Falle nur für die Zeitspanne in Betracht, die erforderlich ist, um eine Entscheidung durch das Präsidium zu treffen, es sei denn, daß mit der alsbaldigen Wiederbesetzung der Vorsitzendenstelle gerechnet werden kann.
c) Im Streitfall waren die Voraussetzungen einer nur vorübergehenden Vertretung des Vorsitzenden Richters nicht mehr gegeben. Nach der Mitteilung des Präsidenten des FG schied der bisherige Vorsitzende Richter wegen seiner Versetzung an den BFH am 13.Februar 1984 aus seinem früheren Amt auf Dauer aus. Da infolge der damals bestehenden Besetzungssperre mit einer alsbaldigen Wiederbesetzung der Vorsitzendenstelle nicht gerechnet werden konnte, hätte das Präsidium des FG unverzüglich Vorsorgemaßnahmen i.S. des § 21e Abs.3 Satz 1 GVG treffen müssen. Solche Vorsorgemaßnahmen waren in der Zeit bis zum 4.Oktober 1984 nicht getroffen worden, obwohl die Zeit ausgereicht hätte, um sie zu treffen. Damit war das FG am 4.Oktober 1984 nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt. Darüber, ob die Besetzungssperre rechtmäßig war, hatte der Senat nicht zu befinden.
2. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, ohne daß dem BFH eine Entscheidung in der Sache selbst möglich ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rdnr.4, 71).
Fundstellen
Haufe-Index 61994 |
BFH/NV 1989, 20 |
BStBl II 1989, 424 |
BFHE 155, 470 |
BFHE 1989, 470 |
BB 1989, 1112-1113 (LT1-2) |
BB 1989, 1189 |
DB 1989, 1012 (K) |
HFR 1989, 376 (LT) |