Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschusserzielungsabsicht; Abfluss von Schuldzinsen durch Novation
Leitsatz (NV)
- Die Überschusserzielungsabsicht kann auch dann bejaht werden, wenn der Steuerpflichtige neben der Absicht, auf Dauer gesehen einen Überschuss zu erzielen, zugleich die Erwartung oder Hoffnung hat, mit der Kapitalanlage steuerfreie Vermögensvorteile zu erzielen. Dabei ist nicht erforderlich, dass der beabsichtigte Einnahmenüberschuss den voraussichtlichen steuerfreien Vermögensvorteil betragsmäßig übersteigt.
- Ob eine Schuldumschaffung (Novation) zum Abfluss von Schuldzinsen führt, kann sich nicht nur danach bestimmen, ob die Schuldumschaffung im Interesse des Gläubigers liegt, sondern auch danach, ob die Schuldumschaffung Ausdruck der freien Dispositionsbefugnis des Schuldners über den geschuldeten Zinsbetrag ist.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 6, § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 11 Abs. 2; BGB § 608
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss im Streitjahr 1990 im Rahmen eines ihm von der X-GmbH in Zusammenarbeit mit der V-Bank angebotenen Anlagekonzepts vier Kapitallebensversicherungen mit zehnjähriger Laufzeit gegen Einmalbetrag ab. Die Einmalbeträge einschließlich der Risikobeiträge beliefen sich auf insgesamt … DM.
Zur Finanzierung der Beiträge nahm der Kläger am 30. Juli 1990 einen Kredit bei der V-Bank auf. Aufgrund dieses Vertrags wurde dem Kläger ein Kreditrahmen von 2 Mio. DM zugesagt. Der Kredit sollte in Höhe von 1 Mio. DM ausgezahlt werden. Darüber hinaus sollte der Kredit der Mitfinanzierung der Zinsen, die aus der Kreditausreichung resultieren, bis zu einem Betrag von 1 Mio. DM dienen. Die Zinsen sollten dem Darlehenskonto des Klägers ―je nach Refinanzierungsmaßnahme der V-Bank― vierteljährlich, jährlich oder am Ende der Laufzeit der Refinanzierungsmaßnahme der V-Bank belastet werden. Die Rückzahlung der aufgelaufenen Kosten und Zinsen sowie des Kapitals sollte aus den fälligen Beträgen der Kapitallebensversicherungen erfolgen. Sondertilgungen und Zinsfestschreibungen waren möglich. Der Zinssatz belief sich jährlich auf 0,75 % über dem Refinanzierungszinssatz der V-Bank.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von … DM geltend. Dieser Betrag setzte sich aus den im Streitjahr aufgelaufenen Schuldzinsen und der Kreditgebühr zusammen, die jeweils anteilig um die Risikobeiträge für die Lebensversicherungen gekürzt wurden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte den Abzug der vom Kläger insoweit geltend gemachten Werbungskosten ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1998, 637).
Mit der ―vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen― Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Er beantragt,
das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1990 vom 14. April 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. September 1994 dahin zu ändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von … DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Auffassung des FG, der Kläger habe im Streitjahr keine Überschusserzielungsabsicht gehabt, wird nicht von den tatsächlichen Feststellungen des FG gedeckt. Des Weiteren hat das FG zu Unrecht angenommen, dass die vom Kläger geltend gemachten Schuldzinsen im Streitjahr nicht abgeflossen seien (§ 11 Abs. 2 EStG).
1. Das FG konnte auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Schuldzinsen nicht zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen getätigt wurden.
a) Schuldzinsen sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, soweit sie mit dieser Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 EStG). Das ist der Fall, wenn der aufgenommene Kredit zum Erwerb oder zur Schaffung einer Kapitalanlage verwendet wird und der Zweck der Schuldaufnahme in der Erwerbssphäre liegt (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817; BFH-Urteil vom 24. März 1992 VIII R 12/89, BFHE 168, 415, BStBl II 1993, 18). Der erkennende Senat hat dies in ständiger Rechtsprechung dann bejaht, wenn die Finanzierung der Anschaffung oder dem Halten einer Kapitalanlage dient, bei der nicht die Absicht der Erzielung steuerfreier Vermögensvorteile, sondern auf Dauer gesehen die Absicht der Erzielung eines Überschusses der Einnahmen (§ 8 EStG) über die Werbungskosten (§ 9 EStG) im Vordergrund steht (vgl. z.B. Urteile vom 23. März 1982 VIII R 132/80, BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463; vom 8. Oktober 1985 VIII R 234/84, BFHE 145, 335, BStBl II 1986, 596; vom 15. Dezember 1987 VIII R 281/83, BFHE 154, 456, BStBl II 1989, 16). Ob sich die Absicht lediglich auf einen bescheidenen Überschuss zu beziehen braucht ―wie der Senat in vorstehend genannter ständiger Rechtsprechung entschieden hat― oder ein wirtschaftlich ins Gewicht fallender Ertrag beabsichtigt sein muss ―wie dies vom IV. Senat des BFH für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft gefordert worden ist (vgl. Urteile vom 26. Juni 1985 IV R 149/83, BFHE 144, 67, BStBl II 1985, 549; vom 14. Juli 1988 IV R 88/86, BFH/NV 1989, 771)― braucht vom Senat nicht entschieden zu werden, nachdem das FG keine hinreichenden Feststellungen zur Höhe des vom Kläger beabsichtigten Überschusses getroffen hat.
b) Hat der Steuerpflichtige neben der Absicht, auf Dauer gesehen einen Überschuss zu erzielen, auch die Erwartung oder Hoffnung, mit der Kapitalanlage steuerfreie Vermögensvorteile zu realisieren, so steht dies dem vollumfänglichen Abzug der Schuldzinsen als Werbungskosten nicht entgegen, sofern die Absicht, steuerfreie Wertsteigerungen zu realisieren, nur mitursächlich für die Anschaffung der ertragbringenden Kapitalanlage ist (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 128/76, BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36; vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, unter 3. b und unter 4. der Gründe; in BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463; in BFHE 154, 456, BStBl II 1989, 16). Soweit der erkennende Senat in seinen vorstehend genannten Entscheidungen ausgeführt hat, dass die Überschusserzielungsabsicht bei der Kapitalanlage im Vordergrund stehen müsse und die Absicht, steuerfreie Vermögensvorteile zu realisieren, nur mitursächlich sein dürfe, ist dies nicht dahingehend zu verstehen, dass ein betragsmäßiges Überwiegen des vom Steuerpflichtigen beabsichtigten Einnahmenüberschusses i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG gegenüber dem voraussichtlichen steuerfreien Vermögensvorteil erforderlich sei. Vielmehr ist allein darauf abzustellen, ob eine Überschusserzielungsabsicht ―die sich, wie unter II. 1. a der Gründe ausgeführt, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nur auf einen bescheidenen Überschuss zu beziehen braucht, nach der für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft ergangenen Rechtsprechung des IV. Senats hingegen auf einen wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Ertrag beziehen muss― festgestellt werden kann. Ist eine Überschusserzielungsabsicht in diesem Sinne zu bejahen, so tritt eine etwaige daneben stehende Absicht, steuerfreie Vermögensvorteile zu realisieren, stets zurück und kann nicht im Vordergrund stehen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, unter 4. der Gründe). Dies gilt selbst dann, wenn nach der für die Dauer der Kapitalanlage gebotenen Prognose zu erwarten ist, dass die erwarteten steuerfreien Vermögensvorteile die beabsichtigten steuerpflichtigen Einnahmenüberschüsse i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG voraussichtlich übersteigen werden. Eine Aufteilung der Werbungskosten ist bei zu bejahender Überschusserzielungsabsicht trotz der zugleich bestehenden Erwartung, steuerfreie Vermögensvorteile zu realisieren, grundsätzlich nicht geboten (vgl. BFH-Urteile vom 4. Mai 1993 VIII R 7/91, BFHE 171, 495, BStBl II 1993, 832; sowie VIII R 89/90, BFH/NV 1994, 225).
c) Mit den vorstehend aufgezeigten Grundsätzen steht die Annahme des FG, es bestehe kein wirtschaftlicher Zusammenhang der geltend gemachten Schuldzinsen mit den nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG steuerpflichtigen Zinsen aus den Lebensversicherungen, nicht im Einklang. Einen derartigen wirtschaftlichen Zusammenhang hätte das FG nur verneinen dürfen, wenn es eine Überschusserzielungsabsicht des Klägers nicht hätte bejahen können. Das FG hat das Fehlen einer Überschusserzielungsabsicht aber nicht festgestellt. Vielmehr hat es dem Kläger zu seinen Gunsten die Absicht unterstellt, einen Überschuss zu erzielen; die Überschusserzielungsabsicht sei jedoch gegenüber der Absicht, erheblich höhere und vergleichsweise sichere steuerfreie Vermögensvorteile zu erzielen, lediglich zweitrangig.
Besteht eine Überschusserzielungsabsicht, so kann diese Absicht ―wie unter II. 1. b der Gründe ausgeführt― durch eine daneben bestehende Absicht, steuerfreie Vermögensvorteile zu erzielen, nicht mehr in den Hintergrund gedrängt werden; dies gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die zu erwartenden steuerfreien Vermögensvorteile den steuerpflichtigen Gesamtüberschuss voraussichtlich übersteigen werden. Das FG hätte daher die Überschusserzielungsabsicht des Klägers nicht unterstellen und sodann nur als zweitrangig ansehen dürfen. Vielmehr hätte es die Überschusserzielungsabsicht prüfen müssen und nur bei Nichtfeststellbarkeit der Überschusserzielungsabsicht den Werbungskostenabzug versagen dürfen.
2. Zu Unrecht hat das FG den Abzug der geltend gemachten Schuldzinsen als Werbungskosten mit der Begründung versagt, die vom Kläger geltend gemachten Schuldzinsen seien im Streitjahr nicht gemäß § 11 Abs. 2 EStG abgeflossen.
a) Ausgaben sind gemäß § 11 Abs. 2 EStG in dem Kalenderjahr als Werbungskosten anzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Der Begriff "Leistung" ist dabei wirtschaftlich zu verstehen. Daher sind Werbungskosten in dem Kalenderjahr geleistet und damit abziehbar, in dem der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Gegenstand der geschuldeten Erfüllungsleistung verloren hat; auf den Verlust der rechtlichen Verfügungsmacht kommt es hingegen nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 14. Januar 1986 IX R 51/80, BFHE 146, 48, BStBl II 1986, 453). Für den Zeitpunkt der Leistung i.S. von § 11 Abs. 2 EStG ist die Leistungshandlung entscheidend, die abgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige von sich aus alles Erforderliche getan hat, um den Leistungserfolg herbeizuführen.
aa) Geldbeträge fließen beim Steuerpflichtigen in der Regel dadurch ab, dass dieser sie entweder bar entrichtet oder sie von seinem Konto überweist. Im Fall der Überweisung kommt es dabei nicht darauf an, ob das Konto ein Guthaben ausweist, sondern es genügt ein entsprechend hoher Kreditrahmen (BFH-Urteil in BFHE 146, 48, BStBl II 1986, 453); durch die Lastschrift auf dem Konto manifestiert sich der Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht. Der Überweisung steht es gleich, wenn die Zinsen zu Lasten eines im laufenden Geschäftsverkehr eingesetzten Kontokorrentkontos gebucht werden, der Kreditrahmen nicht ausgeschöpft ist und die Bank die weitere Kreditierung nicht verweigert (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1997 IV R 47/95, BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509; s. auch BFH-Beschluss vom 14. Januar 1999 IX B 144/98, BFH/NV 1999, 784, zur Verneinung eines Zinsabflusses bei betragsmäßig festgelegten, zweckgebundenen Darlehen).
bb) Ein Abfluss von Zinsen i.S. von § 11 Abs. 2 EStG kann aber auch durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger bewirkt werden, auf Grund derer der Zinsbetrag nunmehr aus einem anderen Rechtsgrund (in der Regel auf Grund eines Darlehens) geschuldet werden soll. In dieser Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Schuldners über den geschuldeten Betrag liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld (Zinsen) durch tatsächliche Zahlung beglichen hätte (= Abfluss beim Schuldner) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder ―als Darlehen― zur Verfügung gestellt hätte (vgl. BFH-Urteile vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe; vom 22. Juli 1997 VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter 2. a, bb der Gründe). Auf Grund der Novation lässt sich der Schuldner unter Abkürzung des zuvor beschriebenen Leistungswegs die ihm in Höhe des Zinsbetrags zustehende Darlehenssumme nicht auszahlen, sondern verrechnet sie mit den von ihm geschuldeten Zinsen.
Ob sich die Novation als Ausdruck der wirtschaftlichen Verfügungsmacht darstellt, ist von der Rechtsprechung des BFH bislang regelmäßig danach beurteilt worden, ob die Schuldumschaffung im Interesse des Gläubigers liegt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe, m.w.N.; vom 24. März 1993 X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe; in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755). Der BFH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung jedoch wiederholt betont, dass es sich bei der Interessenabwägung lediglich um ein Indiz für die wirtschaftliche Verfügungsmacht handelt (BFH-Urteile in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe; vom 22. Juli 1997 VIII R 72/95, BFH/NV 1998, 295; in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755). Dieses Indiz kann für die Frage der wirtschaftlichen Verfügungsmacht dann geeignet sein, wenn sich ein überwiegendes Interesse der einen Vertragspartei deutlich feststellen lässt. So vermag ein überwiegendes Interesse des Gläubigers an der Novation bestehen, wenn er im Betrieb des Schuldners eine rentable Kapitalanlage anstrebt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe); hingegen wird ein überwiegendes Interesse des Schuldners an der Novation zu bejahen sein, wenn er im Zeitpunkt der Novation nicht zahlungsfähig ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe).
Gleichwohl bestehen Fallkonstellationen, in denen die Interessenlage der Vertragspartner als Indiz für den Verlust bzw. die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht von geringerer Bedeutung ist. Dies gilt beispielsweise für Sachverhalte, in denen beide Vertragsparteien ein annähernd gleichwertiges Interesse an der Novation haben. Denkbar ist dies bei der Schuldumwandlung von Zinsen, die für ein von einem gewerblichen Kreditgeber ausgereichtes Darlehen geschuldet werden; hier wird der Kreditgeber ―sofern der Kreditnehmer und Zinsschuldner kreditwürdig ist― an der Erhöhung der verzinslichen Darlehenssumme durch Novation ebenso ein Interesse haben wie der Kreditnehmer, der ohne Vorliegen privater oder betrieblicher Interessen zu einer Erhöhung der von ihm zu verzinsenden Darlehenssumme durch Novation gewöhnlich nicht bereit sein wird. Des Weiteren ist die Interessenlage der Vertragspartner von geringerer Bedeutung, wenn die Novation im Vorhinein vereinbart wird. Denn in diesem Fall stellt sie sich als Bestandteil einer Gesamtheit aller zum Ausgleich von gegenläufigen Interessen ausgehandelten Vertragsbedingungen dar (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, bb der Gründe).
Hat in den vorstehend genannten Fällen die Interessenlage der Vertragspartner als Indiz für die wirtschaftliche Verfügungsmacht nur eine untergeordnete Bedeutung, so kommt es für die Frage, ob der Schuldner die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den von ihm geschuldeten Betrag verloren hat, darauf an, ob die Novation Ausdruck der freien Dispositionsbefugnis der Vertragsbeteiligten über den geschuldeten Geldbetrag ist. Dies ist der Fall, wenn sich die Novation bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich als Abkürzung des oben beschriebenen langen Leistungswegs erweist; hierzu ist erforderlich, dass der Schuldner sowohl im Zeitpunkt der Novationsvereinbarung als auch ―bei einer vorab getroffenen Schuldumschaffungsvereinbarung― im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Novation kreditwürdig ist, ihm deshalb der Gläubiger den für die Begleichung der Zinsschuld erforderlichen Geldbetrag als Darlehen auch ausbezahlen würde und der kreditwürdige Schuldner in der Lage wäre, den ihm ausbezahlten Darlehensbetrag zur umgehenden Begleichung der Zinsschuld zu verwenden.
b) Nach Maßgabe der vorstehend aufgezeigten Grundsätze ist ein Abfluss der vom Kläger geltend gemachten Schuldzinsen im Streitjahr zu bejahen.
Der Senat vermag zwar auf Grund fehlender Feststellungen des FG bezüglich der Ausgestaltung des Kreditkontos des Klägers nicht zu entscheiden, ob im Streitfall die unter II. 2. a, aa der Gründe genannten Voraussetzungen vorliegen, die nach der Entscheidung des IV. Senats des BFH (in BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509) einen Abfluss von Schuldzinsen rechtfertigen können. Gleichwohl ist ein Abfluss i.S. von § 11 Abs. 2 EStG jedenfalls deshalb zu bejahen, weil der Kläger mit der V-Bank eine Novationsabrede getroffen hat, mit der er über den geschuldeten Zinsbetrag wirtschaftlich verfügte.
aa) Bereits mit Abschluss des Darlehensvertrags vom 30. Juli 1990 hatten der Kläger und die V-Bank im Voraus (vgl. hierzu BFH-Urteile in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe; in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter 2. b, aa, bbb der Gründe) eine Novation vereinbart, mit der die fällig werdenden Zinsen in ein verzinsliches Darlehen umgewandelt werden sollten. Der erkennende Senat ist insoweit nicht an einer eigenständigen Auslegung des Darlehensvertrags gehindert, nachdem das FG ―durch genau bezeichnete Bezugnahme auf den Vertrag (vgl. die Rechtsprechungsnachweise in Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 27)― die erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen und offengelassen hat, ob die Vertragsparteien eine Stundungsabrede oder eine Novation getroffen haben (zur Vertragsauslegung durch die Revisionsinstanz vgl. BFH-Urteile vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563; vom 2. April 1998 III R 67/97, BFHE 186, 79, BStBl II 1998, 613).
Dass der Kläger und die V-Bank im Voraus eine Novation bezüglich der fällig werdenden Zinsen vereinbart haben, ergibt sich daraus, dass die V-Bank dem Kläger bereits im Darlehensvertrag zusagte, neben der Auszahlung von 1 Mio. DM auch die auf diesen Betrag zu entrichtenden Zinsen bis zu einem Betrag von 1 Mio. DM mitzufinanzieren, dem Kläger zu diesem Zweck einen entsprechenden Kreditrahmen einräumte und die Vertragsparteien als Fälligkeit für die Zinsen den Fälligkeitszeitpunkt des ausgezahlten Darlehens vereinbarten. Zwar ist die zuletzt genannte Fälligkeitsvereinbarung für sich betrachtet nicht geeignet, eine Novation anzunehmen (so auch BFH in BFH/NV 1999, 784); denn sind die für ein langfristiges Darlehen zu zahlenden Zinsen in Abänderung der Fälligkeitsregelung des § 608 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erst am Ende der Darlehenslaufzeit zu entrichten, bedarf es keiner Schuldumwandlung in ein Darlehen, das den bereits vereinbarten ―späten― Zeitpunkt für die Zinsfälligkeit nicht hinausschiebt. Jedoch ergibt sich aus den weiteren getroffenen Vereinbarungen ―insbesondere aus dem für die Zinsen eingeräumten Kreditrahmen und der im Kreditvertrag ausdrücklich erklärten Bereitschaft der V-Bank, die nach Ablauf der entsprechenden, im Darlehensvertrag bezeichneten Zinsperioden zu verbuchenden Zinsen mitzufinanzieren―, dass die Vereinbarung eines auf den Rückzahlungszeitpunkt der Darlehensvaluta bezogenen Fälligkeitstermins für die Zinsen bereits Bestandteil der Novation war, mit der die Vertragsparteien eine Umwandlung der Zinsen in ein verzinsliches Darlehen herbeiführen wollten.
bb) Für die Beantwortung der Frage, ob der Kläger infolge der Novation über den von ihm geschuldeten Zinsbetrag wirtschaftlich verfügt hat, kommt es im Streitfall nicht auf das Indiz der Interessenlage der Vertragspartner an. Denn zum einen hat ―wie vorstehend unter II. 2. a, bb der Gründe ausgeführt― dieses Indiz bei einer im Vorhinein getroffenen Novation nur untergeordnete Bedeutung (vgl. BFH in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, bb der Gründe). Zum Anderen bestand neben dem ―vom FG zutreffend erkannten― Interesse des Klägers, dem an einer Fremdfinanzierung der Lebensversicherungen ohne Einsatz von Eigenmitteln gelegen war, auch ein nicht unerhebliches Interesse der V-Bank an einer Novation, da sie auf diese Art ihr Kreditvolumen ertragsteigernd und ―angesichts der Abtretung der Lebensversicherungsansprüche an sie sowie der unstreitigen Kreditwürdigkeit des Klägers― weitgehend gesichert erhöhen konnte.
Der Zinsabfluss folgt im Streitfall vielmehr daraus, dass die bereits bei Abschluss des Kreditvertrags vorgenommene Novation Ausdruck der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Klägers über den geschuldeten Zinsbetrag war.
Auf Grund der Darlehenszusage seitens der V-Bank und auf Grund seiner Kreditwürdigkeit hatte der Kläger im Entstehungszeitpunkt der Zinsen einen durchsetzbaren Anspruch auf Auszahlung der Darlehenssumme in Höhe der geschuldeten Zinsen; diesen Betrag hätte er auch ―wie zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist― angesichts seiner finanziellen Situation umgehend zur Zinsleistung verwenden und damit einen unmittelbaren Zinsabfluss i.S. von § 11 Abs. 2 EStG herbeiführen können. Mit der Novation wurde dieser umständliche Leistungsweg ―Auszahlung eines weiteren Darlehens durch die V-Bank an den Kläger zur Finanzierung der Zinszahlung und umgehender Wiederabfluss des gleichen Betrags beim Kläger zwecks Erfüllung der Zinsschuld― vermieden. Die Novation stellt sich angesichts dieses durchsetzbaren Anspruchs auf Auszahlung eines weiteren Darlehens und der Kreditwürdigkeit des Klägers lediglich als Abkürzung eines zweifachen Geldflusses dar und ist damit Ausdruck einer freien Dispositionsbefugnis des Klägers. Einkommensteuerrechtlich hat dies zur Folge, dass mit der Novation der Kläger die ihm zustehende Darlehenssumme zur Bezahlung der Zinsschuld einsetzt (Abfluss der Zinsen beim Schuldner) und die V-Bank die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den als Darlehen an den Kläger eingesetzten Geldbetrag (zurück)erhält (Zufluss der Zinsen beim Gläubiger).
3. Der Senat hebt die Entscheidung der Vorinstanz auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), da die Sache mangels erforderlicher Feststellungen nicht entscheidungsreif ist.
Das FG wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung prüfen müssen, ob der Kläger hinsichtlich der erworbenen Lebensversicherungen eine Überschusserzielungsabsicht hatte. Dabei wird es beachten müssen, dass die Überschusserzielungsabsicht für jede Kapitalanlage gesondert ―d.h. für jede einzelne vom Kläger abgeschlossene Lebensversicherung― zu prüfen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 154, 456, BStBl II 1989, 16, unter 2. a der Gründe; in BFHE 168, 415, BStBl II 1993, 18). Hierzu hat der Kläger, der für das Vorhandensein der Überschusserzielungsabsicht die Feststellungslast trägt (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1997 IX R 17/96, BFHE 183, 142, BStBl II 1997, 650, m.w.N.), objektive Umstände vorzutragen, aufgrund derer er zu Beginn der Kapitalanlagen erwarten konnte, dass er mit jeder einzelnen Lebensversicherung auf Dauer gesehen einen Gesamtüberschuss erzielen würde. Hierzu zählen etwa vor Vertragsabschluss erstellte Zins- und Renditeprognosen oder ein im Vorhinein festgelegter Einsatz von Eigenmitteln. Soweit der Kläger vor Vertragsabschluss erstellte Ertragsberechnungen der Lebensversicherungsunternehmen oder der V-Bank vorlegt, sind diese Berechnungen einer Überprüfung durch das FG zugänglich. Das FG wird in diesem Zusammenhang prüfen müssen, ob die Berechnungen die Dauer der Kapitalanlage, das bei Vereinbarung eines variablen Zinssatzes bestehende Zinsrisiko sowie den Umstand, dass Überschussanteile aus Lebensversicherungen nicht garantiert sind, hinreichend berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 425174 |
BFH/NV 2000, 825 |
DStRE 2000, 623 |
HFR 2000, 569 |
EStB 2000, 197 |