Entscheidungsstichwort (Thema)
(Kirchensteuerpflicht in konfessionsverschiedenen Ehen - Rechtswidrigkeit des § 11 KiStGAV BY)
Leitsatz (amtlich)
1. 1. Bei verfassungskonformer Auslegung muß Art.2 Abs.1 KiStG Bay dahin verstanden werden, daß Schuldner der ev.-lutherischen Kirchensteuern nur ein Mitglied der ev.-lutherischen Kirche sein kann.
2. Art.9 Abs.2 KiStG Bay regelt nur die Bemessungsgrundlage der für den steuerpflichtigen Ehepartner konfessionsverschiedener Eheleute zu erhebenden Kirchensteuer.
3. Art.10 KiStG Bay bestimmt nur, daß Eheleute, die nach Art.2 Abs.1 KiStG Bay persönlich steuerpflichtig sind, für Zwecke der Kircheneinkommensteuer Gesamtschuldner sind, wenn sie zusammenveranlagt werden. Die Vorschrift begründet keine Gesamtschuldnerschaft zwischen konfessionsverschiedenen Eheleuten.
Orientierungssatz
1. Abweichung vom BFH-Urteil vom 26.9.1979 VI R 27/77.
2. Die Vorschrift des § 11 der Verordnung zur Ausführung des bayrischen Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften vom 15.3.1967 (KiStGAV BY) ist rechtswidrig, weil ihr die notwendige Ermächtigungsgrundlage fehlt.
Normenkette
KiStG BY Art. 1 Abs. 1; KiStG BY Art. 2 Abs. 1; KiStG BY Art. 9 Abs. 2; KiStG BY Art. 10; KiStGAV BY
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gehört der römisch-katholischen Kirche an. Er ist verheiratet. Seine Ehefrau ist Mitglied der ev.-lutherischen Kirche. Beide Eheleute wurden für die Streitjahre 1974 bis 1983 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. In dieser Zeit bezog der Kläger die wesentlich höheren Einkünfte. Seine Ehefrau erzielte nur Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Evang.-Luth. Kirchensteueramt) erließ gegenüber beiden Eheleuten als Gesamtschuldnern diverse Bescheide wegen ev. Kircheneinkommensteuer.
Von diesen Bescheiden wurde der vom 6.Dezember 1976 wegen ev. Kircheneinkommensteuer 1974 vom Kläger nicht angefochten. Gegen alle anderen Bescheide legte er Einspruch ein bzw. er leitete sie gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in das bereits vorher anhängige Klageverfahren über. Die Einsprüche wies das Evang.-Luth. Kirchensteueramt durch Einspruchsentscheidungen vom 23.November 1981 und vom 23.Oktober 1985 als unbegründet zurück. Die Klagen, mit denen der Kläger sich gegen die Verfassungsmäßigkeit des sog. Halbteilungsgrundsatzes bei konfessionsverschiedenen Eheleuten wandte, hatten keinen Erfolg.
Mit seiner vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt sinngemäß, das Urteil des FG München vom 16.Dezember 1985 VII (XIII) 325/81 Ki, 344/83 Ki, 248/84 Ki und XIII 272/85 Ki und die im Rubrum genannten Kirchensteuerbescheide 1974 bis 1983 aufzuheben.
Das Evang.-Luth. Kirchensteueramt beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer Sachentscheidung durch den erkennenden Senat entsprechend dem Klageantrag (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
1. Nach Art.1 Abs.1 des bayrischen Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, Religions- und weltanschauliche Gemeinschaften (KiStG Bay) vom 15.März 1967 (Gesetz- und Verordnungsblatt --GVBl-- 1967, 317) sind Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, Kirchensteuern zu erheben. Nach Art.2 Abs.1 KiStG Bay sind Schuldner der Kirchensteuern die Angehörigen der in Art.1 KiStG Bay genannten Gemeinschaften. Zwar läßt die Verwendung des Plurals (die Angehörigen) eine Auslegung dahin zu, daß auch ein Mitglied der röm.-katholischen Kirche Schuldner ev.-lutherischer Kirchensteuern ist. Bei verfassungskonformer Auslegung muß Art.2 Abs.1 KiStG Bay jedoch dahin verstanden werden, daß Schuldner der ev.-lutherischen Kirchensteuern nur ein Mitglied der ev.-lutherischen Kirche sein kann. Dies folgt aus der Überlegung, daß das Recht, Kirchensteuern zu erheben, den Kirchen vom Staat verliehen ist. Das Grundgesetz (GG) legt aber durch Art.4 Abs.1, Art.3 Abs.3, Art.33 Abs.3 GG sowie durch Art.136 Abs.1 und 4 und Art.137 Abs.1 WRV i.V.m. Art.140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse. Aus dieser Pflicht zur religiösen und konfessionellen Neutralität folgt, daß der Staat einer Religionsgemeinschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleihen darf, die ihr nicht angehören. Entsprechend muß Art.2 Abs.1 KiStG Bay dahin verstanden werden, daß die Vorschrift dem Evang.-Luth. Kirchensteueramt nicht das Recht verliehen hat, der ev.-lutherischen Kirche nicht angehörende Personen zur ev.-lutherischen Kirchensteuer heranzuziehen (vgl. auch: Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 14.Dezember 1965 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206, 216). Dem stehen die Urteile des BVerfG vom 14.Dezember 1965 1 BvL 31 u. 32/62 (BVerfGE 19, 226), und 1 BvR 606/60 (BVerfGE 19, 268) nicht entgegen. Die Urteile betreffen "glaubensverschiedene" Eheleute. Aus ihnen darf jedoch nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, für "konfessionsverschiedene" Eheleute gelte etwas anderes. Das BVerfG hatte lediglich keine Veranlassung, in einem Verfahren, das nur "glaubensverschiedene" Eheleute betraf, etwas über die Besteuerung "konfessionsverschiedener" Eheleute auszusagen.
2. Aus Art.9 und 10 KiStG Bay folgt nichts anderes. Die Vorschriften stehen im zweiten Teil des Gesetzes, der mit Kirchenumlagen überschrieben ist. Sie regeln die Bemessungsgrundlagen und andere Erhebungsfragen für die in Art.2 Abs.2 KiStG Bay erwähnten Kirchensteuern. Sie stehen damit den Vorschriften (Art.1 bis 5) des ersten Teils des KiStG Bay gegenüber, die das Besteuerungsrecht und die Steuerpflicht regeln. Die Vorschriften des zweiten Teils des KiStG Bay bauen auf denen des ersten Teils auf. Sie verändern insbesondere die in Art.2 Abs.1 KiStG Bay geregelte persönliche Steuerpflicht eines Angehörigen der in Art.1 Abs.1 KiStG Bay genannten Gemeinschaften nicht.
Entsprechend regelt Art.9 Abs.1 Nr.2 KiStG Bay nur, daß dann, wenn nicht dauernd getrennt lebende umlagepflichtige Eheleute verschiedenen steuerberechtigten Kirchen oder Gemeinschaften angehören, die Kircheneinkommensteuer bei Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer für jede der beteiligten Kirchen oder Gemeinschaften aus der Hälfte der nach Art.9 Abs.2 KiStG Bay gekürzten Einkommensteuer erhoben wird. Damit betrifft die Vorschrift nur die Bemessungsgrundlage der für den steuerpflichtigen Ehepartner konfessionsverschiedener Eheleute (hier z.B. für die Ehefrau des Klägers) zu erhebenden Kirchensteuer (vgl. auch Urteil des BVerfG vom 14.Dezember 1965 1 BvL 16/58 und 3/59, BVerfGE 19, 282, 287). Sie verändert dagegen nicht die sich nur aus Art.2 Abs.1 KiStG Bay ergebende persönliche Steuerpflicht eines Angehörigen bzw. Nichtangehörigen der in Art.1 Abs.1 KiStG Bay genannten Gemeinschaften.
Art.10 KiStG Bay begründet schon seinem Wortlaut nach keine von Art.2 Abs.1 KiStG Bay abweichende persönliche Steuerpflicht, sondern nur eine Gesamtschuldnerschaft. Die Gesamtschuldnerschaft eines Steuerpflichtigen setzt aber dessen Schuldnerschaft voraus. Art.10 KiStG Bay bedarf deshalb der Ergänzung durch eine andere Vorschrift, aus der sich die Schuldnerschaft jedes der in Art.10 KiStG Bay angesprochenen Ehegatten ergibt. So gesehen kann Art.10 KiStG Bay eine Gesamtschuldnerschaft nur für die Ehegatten vorsehen, die beide der steuerberechtigten Kirche oder Gemeinschaft angehören und zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Dies ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung. Das BVerfG hat dieses Ergebnis als "eindeutig" bezeichnet (vgl. Urteil in BVerfGE 19, 282, 287). Zwar betrifft die Entscheidung Art.10 KiStG Bay i.d.F. vom 26.November 1954 (GVBl 305). Auch bezog sich dessen Wortlaut nicht nur auf Ehegatten, sondern allgemein auf zusammenveranlagte Umlagepflichtige. Zu den letzteren gehörten jedoch insbesondere zusammenveranlagte Eheleute. Deshalb ist für beide Fassungen entscheidend, daß Art.10 KiStG Bay schon seiner Stellung im zweiten Teil des Gesetzes nach nicht die in Art.2 Abs.1 KiStG Bay geregelte persönliche Steuerpflicht ausweitet.
Zwar ist die Entscheidung in BVerfGE 19, 282, 287 zur Besteuerung glaubensverschiedener Eheleute ergangen. Der erkennende Senat geht jedoch auch insoweit davon aus, daß für konfessionsverschiedene Eheleute nichts anderes gelten kann. Wäre die Rechtslage eine andere, so würden ganz allgemein die Angehörigen der in Art.1 Abs.1 KiStG Bay genannten Gemeinschaften dem Besteuerungsrecht aller dort genannten Kirchen und Religionsgemeinschaften unterworfen sein. Sie wären damit gegenüber solchen Personen unverhältnismäßig benachteiligt, die keiner steuerberechtigten Kirche oder Gemeinschaft angehören. Dies erscheint dem Senat ausgeschlossen.
3. Der Senat verkennt nicht, daß § 11 der Verordnung zur Ausführung des bayrischen Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, Religions- und weltanschaulichen Gemeinschaften vom 15.März 1967 von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht. Die Vorschrift ist jedoch rechtswidrig, weil ihr die notwendige Ermächtigungsgrundlage fehlt. Nach Art.26 KiStG Bay dürfen nur die zum Vollzug des Gesetzes erforderlichen Ausführungs- und Überleitungsvorschriften durch die Verordnung geregelt werden. Die Verordnung darf jedoch nicht die Gesetzesregelungen verändern.
4. Der Senat weicht zwar mit der getroffenen Entscheidung von dem Urteil des VI.Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26.September 1979 VI R 27/77 (Entscheidungen in Kirchensachen, Band 17, S.314 ff.) ab. Deshalb ist jedoch die Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich, weil die Zuständigkeit für Kirchensteuersachen heute ausschließlich beim I.Senat liegt (vgl. Geschäftsverteilungsplan 1991 des BFH, Teil A I.Senat, Nr.9, BStBl II 1991, 111).
5. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Grundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die angefochtenen Steuerbescheide waren ersatzlos aufzuheben, soweit sie sich gegen den Kläger als Inhaltsadressaten richten. Damit lebt der Bescheid vom 6.Dezember 1976 über ev. Kircheneinkommensteuer 1974 gegenüber dem Kläger wieder auf, weil dieser den Bescheid damals nicht angefochten hatte. Im übrigen berührt die getroffene Entscheidung nicht die Wirksamkeit aller Bescheide gegenüber der Ehefrau des Klägers.
Fundstellen
Haufe-Index 63542 |
BFH/NV 1991, 65 |
BFHE 164, 573 |
BFHE 1992, 573 |
BB 1991, 1918 |
BB 1991, 1918-1919 (LT) |
DB 1991, 2018-2019 (LT) |
DStR 1991, 1217 (KT) |
HFR 1991, 666 (LT) |
StE 1991, 307 (K) |
StRK, KiSt Bayern R.22 (LT) |
FR 1991, 608 (KT) |
Information StW 1991, 519 (T) |
NJW 1992, 2176 |
NJW 1992, 2176 (L) |
FamRZ 1991, 1430 (L) |
NVwZ 1992, 303-304 (LT) |
ZevKR 1992, 202-205 (ST) |