Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die erst über ein Jahr nach der Schlußbesprechung erfolgte Übersendung des Betriebsprüfungsberichts Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO rechtfertigen kann.
Normenkette
AO § 131 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wies in ihrer Vermögenserklärung auf den 1. Januar 1964 die Gewinnausschüttung 1962 als sonstige Verbindlichkeit aus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erkannte diese Verbindlichkeit unter Hinweis darauf, daß die Gewinnausschüttung 1962 erst im Juni 1965 beschlossen worden sei, nicht an. Hiergegen erhob die Klägerin keine Einwände. Sie beantragte jedoch Erlaß der auf die Gewinnausschüttung 1962 entfallenden Vermögensteuer aus Billigkeitsgründen, weil die verspätete Festsetzung des Ausschüttungsbetrages eine Folge der bei ihr von Dezember 1962 bis Mai 1963 durchgeführten Betriebsprüfung sei. Das FA habe bei der im Mai 1963 stattgefundenen Schlußbesprechung keine ausreichenden Angaben über die Höhe der Steuerforderungen gemacht. Deshalb habe die Handelsbilanz für das Jahr 1962 der Gesellschafterversammlung nicht in 1963 zur Beschlußfassung vorgelegt werden können. Erst der im September 1964 übersandte Betriebsprüfungsbericht habe eine abschließende Klärung gebracht.
Das FA lehnte den Erlaßantrag der Klägerin ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Auch die Klage blieb erfolglos.
Hiergegen richtet sich die Revision.
Die Klägerin rügt Verletzung materiellen Steuerrechts. Sie ist der Ansicht, die Anwendung des § 131 AO sei zu Unrecht verneint worden. Die Klägerin macht erneut geltend, sie sei durch die unangemessen lange Dauer von 16 Monaten zwischen dem Tag der Schlußbesprechung und der Bekanntgabe des Betriebsprüfungsberichtes gehindert gewesen, ihre Handelsbilanz für 1962 turnusgerecht in 1963 zu erstellen und zu verabschieden, um den Gewinnverteilungsbeschluß noch in 1963 fassen zu können. Für die Bilanzierung in der Handelsbilanz sei die Höhe der vorgesehenen Ausschüttung und für deren Höhe die Liquidität der Gesellschaft von Bedeutung. Die Liquidität wiederum sei von der Höhe der sich aufgrund der Betriebsprüfung ergebenden Steuernachforderungen abhängig gewesen.
Eine richtige handelsrechtliche Bilanzierung sei nur nach abschließender Stellungnahme des FA zu den bei der Schlußbesprechung offengebliebenen Sachfragen möglich gewesen. Es sei daher unbillig, eine Steuer zu erheben, die nur deshalb entstanden sei, weil das FA den Betriebsprüfungsbericht erst mit erheblicher Verspätung übersandt habe.
Nach Auffassung der Klägerin war es unzumutbar, sie nach Durchführung der Betriebsprüfung noch so lange über die abschließende Beurteilung durch das FA im unklaren zu lassen. Die Klägerin sieht darin eine Versagung des rechtlichen Gehörs. Sie rügt ferner einen Verstoß gegen den Grundsatz der Zumutbarkeit und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Außerdem macht sie geltend, das Urteil der Vorinstanz verstoße gegen den Inhalt der Akten.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Klägerin rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 131 AO. Nach dieser Vorschrift können im Einzelfall Steuern und sonstige Geldleistungen ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Das FG, das die Entscheidung des FA zutreffend als Ermessensentscheidung (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OBG 3/70, BFHE 105, 107; BStBl II 1972, 603) angesehen hat, hat mit Recht das Vorliegen sachlicher Billigkeitsgründe verneint.
Eine sachliche Härte liegt vor, wenn es dem Steuerpflichtigen, unabhängig von dessen wirtschaftlichen Verhältnissen, nicht zugemutet werden kann, eine nach dem Gesetz geschuldete Steuer zu erbringen. Der sachliche Billigkeitsgrund kann auch in dem Sachverhalt selbst begründet sein (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Finanzgerichtsordnung und Nebengesetzen, 1.--6. Aufl., Anm. 22 zu § 131 AO). Unter besonderen Umständen kann auch ein Verhalten der Behörde einen sachlichen Billigkeitsgrund darstellen. Die Rechtsprechung hat das unter anderem dann angenommen, wenn der Steuerpflichtige ausschließlich durch eine verzögerliche Arbeitsweise der Behörde gehindert war, Steuervorteile in Anspruch zu nehmen, die er bei normaler Arbeitsweise sicherlich erlangt hätte (vgl. Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 28. März 1958 VII C 58/57 Monatsschrift für Deutsches Recht 1958 S. 629; StRK, Reichsabgabenordnung, § 131 n. F., Rechtsspruch 16). In einem solchen Fall würde der Steuerpflichtige, vorausgesetzt er hat nachweislich seinerseits alles ihm den Umständen nach Zumutbare getan, gegenüber der Mehrzahl der Steuerpflichtigen benachteiligt, ohne daß es auf sein eigenes Verschulden zurückzuführen ist. Die Anwendung des Gesetzes würde zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führen und die Erhebung der Steuer unbillig erscheinen lassen.
2. Im Streitfall rechtfertigt jedoch die Verzögerung bei der Übersendung des Betriebsprüfungsberichtes nicht einen Steuererlaß aus sachlichen Billigkeitserwägungen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Verzögerungen im Betriebsprüfungsverfahren im allgemeinen und bei der Übersendung des Betriebsprüfungsberichts im besonderen eine sachliche Härte begründen können. Billigkeitsmaßnahmen hätten allenfalls dann in Betracht kommen können, wenn allein das Verhalten des FA zwangsläufig dazu geführt hätte, daß die Klägerin die Handelsbilanz zum 31. Dezember 1962 erst im Jahr 1965 aufstellen konnte und die Gewinnverteilung 1962 ebenfalls erst im Jahr 1965 beschlossen werden konnte. Das war aber nicht der Fall.
a) Aufstellung und Genehmigung des Jahresabschlusses 1962 waren auch ohne Vorliegen des Betriebsprüfungsberichtes möglich. Der Klägerin war zwar die abschließende rechtliche Beurteilung der bei der Betriebsprüfung offengebliebenen steuerlichen Zweifelsfragen nicht bekannt. Trotz der sich für sie hieraus ergebenden Schwierigkeiten war die Klägerin jedoch nicht gehindert, eine den tatsächlichen Verhältnissen am Stichtag entsprechende Handelsbilanz aufzustellen.
b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist, weil in bezug auf diese Feststellungen keine Revisionsgründe vorgebracht worden sind (§§ 118 Abs. 2, 120 Abs. 2 FGO), war der Klägerin bei der Schlußbesprechung im Mai 1963 eine Zusammenstellung übergeben worden, aus der die Ergebnisse der Betriebsprüfung hervorgingen, soweit sie nach Auffassung der Betriebsprüfungsstelle einen etwaigen Steueranspruch begründeten. Diese Zusammenstellung wies zwar lediglich die Besteuerungsgrundlagen aus, Wertangaben fehlten. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen Anspruch auf Vorlage einer zahlenmäßigen Berechnung der voraussichtlichen Steuermehr- und/oder Steuerminderbeträge hatte. Entscheidend ist vielmehr, daß der Klägerin bekannt war, bei welchen Bilanzpositionen die Betriebsprüfung die von ihr, der Klägerin, vertretene Rechtsauffassung nicht teilte. Hierbei handelte es sich im wesentlichen um die Positionen "X-Wagen" und "Erhöhung der Rückstellung im Zusammenhang mit Aktien-Transaktionen". In beiden Fällen waren die Besteuerungsgrundlagen so fest umrissen, daß die Klägerin die steuerlichen Auswirkungen -- erforderlichenfalls mit Hilfe ihres steuerlichen Beraters -- zumindest annähernd hätte berechnen können.
Während bei der Frage der Aktivierung das nach der Schlußbesprechung veröffentlichte Urteil des BFH vom 27. März 1963 I 201/62 U (BFHE 76, 837, BStBl III 1963, 304) mitberücksichtigt werden konnte, ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß das FA der von der Klägerin vorgenommenen Erhöhung der Rückstellung zustimmen würde.
Da die Klägerin keinen Anspruch auf § 208 Abs. 2 AO hat, daß ihr das FA in jedem Fall einen Prüfungsbericht zuleitet (vgl. BFH-Urteil vom 27. März 1961 I 276/60 U, BFHE 73, 61; BStBl III 1961, 290), ist entgegen der Auffassung der Klägerin dem Erfordernis der Unterrichtung über das Ergebnis der Betriebsprüfung ausreichend Rechnung getragen.
c) Die Klägerin hätte sonach in Höhe des für sie erkenn- und berechenbaren Betriebsprüfungsrisikos in der Handelsbilanz eine Rückstellung bilden können (vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., 1968, Anm. 120 zu § 152 AktG). Damit hätte auch eine zumindest annähernde Liquiditätsberechnung durchgeführt werden können. Die letztlich noch verbleibende Unsicherheit mußte die Klägerin als Folge des Betriebsprüfungsverfahrens in Kauf nehmen, zumal auch im außersteuerlichen Bereich begründete Zweifelsfragen auftreten können, welche die nach § 41 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) ohnehin vorgeschriebene Bilanzaufstellung erschweren können. Die Grenze der Zumutbarkeit ist insoweit nicht überschritten. Wenn die Klägerin dennoch abwartete, bis der Betriebsprüfungsbericht vorlag und selbst nach dessen Vorliegen noch geraume Zeit verstreichen ließ bis zur Aufstellung der Handelsbilanz und zu dem Beschluß über die Gewinnverteilung 1962, so geht das zu ihren Lasten. Sie trägt insoweit das Risiko, daß durch dieses Zuwarten die Voraussetzungen für die Festsetzung der Vermögensteuer in Höhe des begehrten Erlaßbetrages erfüllt werden.
3. a) Der Senat läßt offen, ob dem FG darin gefolgt werden kann, daß die Ablehnung des beantragten Erlasses auch deshalb nicht ermessensfehlerhaft sei, weil die Klägerin im Wege des Rechtsbehelfsverfahrens die Möglichkeit gehabt habe, die Richtigkeit der Wertansätze einer von ihr unmittelbar im Anschluß an die betreffenden Geschäftsjahre erstellten, auf der Handelsbilanz beruhenden Steuerbilanz feststellen zu lassen. Daß die Entscheidung des FA nicht ermessensfehlerhaft war, ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Damit wird die Rüge der Klägerin, das FG habe durch die Verweisung auf den Rechtsbehelfsweg im Festsetzungsverfahren gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, hinfällig.
b) Mit der Rüge, die Entscheidung des FG verstoße gegen den Inhalt der Akten, kann die Klägerin nicht durchdringen. Das Gericht hat seiner Entscheidung keinen anderen als den von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt zugrunde gelegt. Die Aussage, der Klägerin seien die Tatsachen bekannt gewesen, die nach Auffassung der Konzernprüfungsstelle eine Steuernachforderung begründen konnten, kann nach dem Gesamtinhalt des Urteils nur dahingehend verstanden werden, daß nicht auf die steuerlich relevanten Komponenten im einzelnen, sondern auf das Gesamtergebnis der Betriebsprüfung abgestellt wird. Danach ergab sich aber nach Auffassung der Betriebsprüfung ein steuerliches Mehrergebnis zu Lasten der Klägerin. Zu Recht stellte das FG dabei auf die maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Schlußbesprechung ab. Ob die vom FA gemachten Angaben ausreichten, um das steuerliche Mehrergebnis der Betriebsprüfung zumindest annähernd berechnen zu können, ist eine Frage der Wertung.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71812 |
BStBl II 1976, 359 |
BFHE 1976, 412 |