Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Behinderten-Pauschbetrages
Leitsatz (NV)
Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, den gestaffelten Behinderten-Pauschbetrag des §33 b Abs. 3 Satz 2 EStG an die Preisentwicklung anzupassen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; EStG §§ 33, 33b
Tatbestand
Bei der Einkommensteuerveranlagung der ledigen Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für das Streitjahr 1988 wurde wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. antragsgemäß ein Pauschbetrag von 1 110 DM berücksichtigt. Die Klage, mit der die Klägerin einen ihrer Ansicht nach realitätsgerechten Grundfreibetrag von 10 000 DM geltend gemacht hatte, wies das Finanzgericht ab und ließ die Revision zu.
Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter. Im Verlaufe des Revisionsverfahrens ist ein Änderungsbescheid ergangen, den die Klägerin zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8 und 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) zur Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages ergangen war, hat die Klägerin ihre Revision darauf gestützt, daß der Behindertenpauschbetrag (§33 b des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) verfassungswidrig sei, weil er nicht in realitätsgerechter Höhe gewährt werde. Anstelle der angesetzten 1 110 DM seien unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Preisentwicklung 1 640 DM abzuziehen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Einkommensteuer unter Gewährung eines um 540 DM erhöhten Behindertenpauschbetrages festzusetzen und die Kosten des Verfahrens auch insoweit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) aufzuerlegen, als sie durch die Geltendmachung des erhöhten Grundfreibetrages entstanden sind, denn das BVerfG habe entschieden, daß die Regelung des Grundfreibetrages zwar weiterhin anzuwenden, aber nicht verfassungsgemäß sei.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Gemäß §33 b Abs. 1 EStG wird wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die Körperbehinderten unmittelbar infolge ihrer Körperbehinderung erwachsen, auf Antrag ohne Kürzung um die zumutbare Belastung (§33 Abs. 3 EStG) ein Pauschbetrag abgezogen, wenn nicht Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, die bei Anwendung des §33 EStG zu einem höheren Abzug führen. Gemäß §33 b Abs. 3 EStG werden unter den Voraussetzungen des §33 b Abs. 2 EStG nach dem Grad der dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit gestaffelte Pauschbeträge berücksichtigt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Klägerin danach ein Pauschbetrag von 1 110 DM zu gewähren war und gewährt worden ist.
An der Verfassungskonformität von §33 b Abs. 3 Satz 2 Stufe 3 EStG bestehen keine Zweifel.
a) Der Gesetzgeber ist in der Regel nicht gehalten, Steuerpflichtigen über Pauschbeträge den Abzug möglicherweise gar nicht entstandener, also lediglich vermuteter Mehraufwendungen zu ermöglichen (BVerfG-Beschluß vom 29. Oktober 1987 1 BvR 672/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1989, 152).
Wie die Klägerin zutreffend ausführt, dienen die Pauschbeträge des §33 b Abs. 3 Satz 2 EStG der Verwaltungsvereinfachung. Damit erübrigt sich einerseits für den Steuerpflichtigen, seinen diesbezüglichen Aufwand zu belegen, und andererseits wird der Verwaltung erspart zu überprüfen, ob tatsächlich Aufwendungen angefallen sind und ob es sich ihrem Charakter nach um abziehbare Beträge handelt. Die Entscheidung darüber, in welchem Umfang aus Gründen eines kostengerechten Gesetzesvollzugs Nachweisverzicht erfolgt, steht grundsätzlich im freien gesetzgeberischen Ermessen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch keine Bindung aus der Tatsache eines vom Gesetzgeber einmal gewählten und durchgeführten Ordnungsprinzips. Denn das Einkommensteuerrecht ist von dem Grundsatz des Einzelnachweises geprägt. Demgegenüber stellen Pauschalen, wie beispielsweise in §9 a EStG oder im hier streitigen §33 b Abs. 3 Satz 2 EStG, Ausnahmen von dieser Regel dar. Es mag Gründe geben, das Steuerrecht durch Typisierungen und Pauschalierungen zu vereinfachen (vgl. z. B. die Beiträge in Festschrift für Dietrich Meiding, 1994). Jedoch steht es dem Gesetzgeber frei, in welchem Umfang er hiervon Gebrauch macht.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Charakter der hier streitigen Aufwendungen, selbst wenn sich wegen der schwierigen Abgrenzbarkeit eine vermehrte Typisierung anbieten sollte. Ebenso wie sich der Gesetzgeber im Bereich der Erwerbsaufwendungen z. B. im Hinblick auf die Abgrenzung der Lebenshaltungskosten mit Teiltypisierungen begnügen konnte, mußte er im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen keine weitergehende Pauschalierung vornehmen.
Da der Gesetzgeber in Fällen wie dem hier vorliegenden in seiner Entscheidung, ob und wie er pauschalieren will, grundsätzlich frei ist, bleibt es ihm auch überlassen, ob er im Laufe der Jahre eine Anpassung vornimmt. Zwar mag eine zeitnahe Angleichung von einmal als zweckmäßig angesehenen Pauschalen sozialpolitisch erstrebenswert erscheinen. Ein aus der Verfassung abzuleitender Zwang des Gesetzgebers zum Tätigwerden ergibt sich dafür aber nicht. Unerheblich ist auch, ob -- wie die Klägerin meint -- eine Stufung der Pauschbeträge in Fünfer- statt in Zehner-Graden "nicht zeitgemäß" sei, zumal nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich ist, daß die Abstufungen als solche willkürlich wären.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht, wenn der Klägerin tatsächlich höhere Aufwendungen als der gewährte Pauschbetrag erwachsen sein sollten, die nur wegen der zumutbaren Belastung (§33 Abs. 3 EStG) unberücksichtigt bleiben. Der vom Gesetzgeber in Höhe der zumutbaren Belastung in §33 Abs. 1 EStG angeordnete Selbstbehalt ist nicht zu beanstanden, da der Gesetzgeber zu einer reinen Verwirklichung des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht verpflichtet ist. Dementsprechend hat das BVerfG die Regelung über die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung für die Rechtslage nach dem EStG 1975 für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten (BVerfG-Beschluß in HFR 1989, 152; ebenso Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 15. November 1991 III R 30/88, BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179). Nichts anderes gilt für die Rechtslage des Streitjahres, nach welcher die zumutbare Belastung gemessen am jeweiligen Gesamtbetrag der Einkünfte sogar prozentual ermäßigt wurde.
Wie das BVerfG auch neuerdings betont, schließen sowohl das objektive als auch das subjektive Nettoprinzip nicht aus, daß anstelle tatsächlich angefallener Aufwendungen der Besteuerung ein typischer Aufwand abgeltend zugrunde gelegt wird (BVerfG- Beschluß vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BStBl II 1997, 518). Erst recht steht es daher -- jedenfalls hinsichtlich der Sphäre der Einkommensverwendung -- im gesetzgeberischen Ermessen, statt typischer die höheren tatsächlich angefallenen Kosten zu berücksichtigen und dem Umstand unterschiedlicher Leistungsfähigkeit durch eine nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte gestaffelten zumutbare Belastung Rechnung zu tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens auch insoweit zu tragen, als sie bis zur Einschränkung ihres Revisionsantrages begehrt hat, die Einkommensteuer unter Gewährung eines Grundfreibetrages von 10 000 DM festzusetzen (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1995 III R 52/90, BFHE 178, 559, BStBl II 1996, 20). Die gegen das genannte BFH-Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde ist vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG- Beschluß vom 16. Oktober 1996 2 BvR 2956/95, Der Steuer-Eildienst 1996, 798).
Fundstellen
BFH/NV 1998, 441 |
DStRE 1998, 92 |
HFR 1998, 371 |