Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung von Verspätungszuschlägen
Leitsatz (NV)
Bei der Bemessung der Verspätungszuschläge ist es dem FA nicht verwehrt, das Gesamtverhalten des Steuerpflichtigen - einschließlich etwaiger Fristüberschreitungen in den Vorjahren - zu berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 152 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist als Architekt und die Klägerin als kaufmännische Angestellte tätig. Für das Jahr 1981 hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) durch besondere Verfügung vom 7. Juni 1982 die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung auf spätestens 30. September 1982 festgesetzt; dies geschah im Hinblick auf die Vermutung des FA, die Kläger müßten eine Abschlußzahlung namhafter Höhe leisten. In der Verfügung vom 7. Juni 1982 ist darauf hingewiesen, daß eine Fristverlängerung über den vorbezeichneten Termin hinaus nicht gewährt werden könne und bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung mit der Festsetzung eines Verspätungszuschlages gerechnet werden müsse.
Mit Schreiben vom 27. September 1982 und vom 27. Januar 1983 beantragte der steuerliche Berater der Kläger vergeblich Fristverlängerung bis zum 28. Februar 1983. Dem folgten mit Schreiben vom 17. und 28. Februar 1983 weitere Anträge auf Fristverlängerung bis zum 30. April 1983, die ebenfalls mit der Arbeitsüberlastung des Beraters und Schwierigkeiten bei der Abfassung der Steuererklärung begründet wurden. Auch diesen Anträgen entsprach das FA nicht.
Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1981 ging beim FA am 24. Mai 1983 ein. Die Kläger beantragten in der von ihnen unterschriebenen Erklärung die Zusammenveranlagung nach § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1981 vom 30. Juni 1983, der in einer Ausfertigung an beide namentlich benannten Ehegatten gerichtet ist, setzte das FA die Einkommensteuer auf 113 664 DM fest. Dies führte zu einer Abschlußzahlung von 74 640 DM. Außerdem setzte das FA in diesem Bescheid einen Verspätungszuschlag von 5 680 DM fest.
Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 30. November 1983 durch Herabsetzung des Verspätungszuschlages auf 4 960 DM teilweise stattgegeben. Die Säumnis der Kläger sei durch ein nicht entschuldbares Verhalten ihres Beraters entstanden; dieses sei den Klägern zuzurechnen (§ 152 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Die angeführten Gründe der Arbeitsüberlastung und der besonderen Schwierigkeiten im Streitfall könnten die Fristversäumnis nicht entschuldigen. Ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe, der zur fristgerechten Erledigung ihm erteilter Aufträge außerstande sei, müsse durch Einstellung zusätzlicher Kräfte, Ablehnung oder Rückgabe vorhandener Mandate Abhilfe schaffen. Nur besondere unvorhersehbare Ereignisse könnten eine Fristüberschreitung entschuldigen. Ein derartiger besonderer Grund sei von den Klägern nicht vorgetragen worden. Es seien zur Begründung der Fristverlängerungsanträge und der Beschwerde nur Erschwernisse angeführt worden, mit denen in mehr oder weniger starkem Umfang alle Angehörigen der steuerberatenden Berufe fertig werden müßten. Der Arbeitsbelastung und den Personalschwierigkeiten der steuerberatenden Berufe werde mit der allgemeinen Fristverlängerung bis zum 30. September eines jeden Jahres hinreichend Rechnung getragen. Deshalb hätte es auch zu den Sorgfaltspflichten des steuerlichen Beraters der Kläger gehört, die zu erwartenden Schwierigkeiten in seine Planungen einzubeziehen und - unter Berücksichtigung seines Personalbestandes und etwaiger Personalausfälle - nur so viele Mandate anzunehmen, daß die Abgabefrist eingehalten werden konnte. Der steuerliche Berater der Kläger habe dies offensichtlich nicht oder in nicht ausreichendem Maße getan. Auch der mit der Abfassung der Steuererklärung verbundene Arbeitsaufwand stelle keinen Entschuldigungsgrund dar. Der steuerliche Berater der Kläger vertrete diese schon seit Jahren, so daß ihm der erforderliche Arbeitsaufwand bekannt gewesen sei. Die Pflicht zur rechtzeitigen Planung hätte ihn um so mehr getroffen, weil er hätte erkennen müssen, daß die geleisteten Vorauszahlungen nicht ausreichen würden, die Einkommensteuerschuld zu tilgen.Soweit sich die Beschwerde gegen die Höhe des festgesetzten Betrages richte, sei sie zum Teil begründet. Ausgehend von den Höchstgrenzen des § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 und den gemäß Satz 2 des § 152 Abs. 2 AO 1977 zu berücksichtigenden Ermessenskriterien schlügen sich im Streitfall die Kriterien ,,Fristüberschreitung", ,,Zahlungsanspruch" und ,,gezogene Vorteile" im Zinsgewinn nieder, den die Kläger durch die verspätete Abgabe der Steuererklärung erzielt hätten. Bei einer Fristüberschreitung von 7 Monaten und 24 Tagen und unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 8 v. H. ergäbe sich bei einer Abschlußzahlung von 74 640 DM ein Zinsgewinn von 3 882 DM. Ein Verspätungszuschlag könne jedoch seinen gesetzlichen Zweck, den Steuerpflichtigen zur künftigen rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, nur erfüllen, wenn er den Betrag des erwirtschafteten Zinsgewinns übersteige. Es erscheine deshalb sachgerecht, die Höhe dieses Übersteigungsbetrages von den weiteren Ermessenskriterien ,,wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" und ,,Verschulden" abhängig zu machen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit komme vor allem in der Höhe der Einkünfte von 270 287 DM zum Ausdruck. Danach erscheine es geboten, den Übersteigungsbetrag mit 0,3 v. H. von 270 287 DM = 810 DM zu bemessen. Bei Bewertung des Verschuldens sei zu berücksichtigen, daß die Kläger die besondere Aufforderung des FA vom 7. Juni 1982 unbeachtet gelassen hätten. Dieser Gesichtspunkt gebiete, den Übersteigungsbetrag von 0,3 v. H. auf 0,4 v. H. der Einkünfte, also von 810 DM auf 1 081 DM zu erhöhen. Damit ergebe sich insgesamt ein Verspätungszuschlag von 4 960 DM.
Das Finanzgericht (FG) hat der auf Aufhebung der Festsetzung eines Verspätungszuschlages gerichteten Klage entsprochen. Zwar ist es der Auffassung, daß der entsprechende Bescheid des FA inhaltlich bestimmt und wirksam bekanntgegeben worden ist und die Kläger durch ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres steuerlichen Beraters schuldhaft die Frist zur Abgabe der Steuererklärung versäumt haben; jedoch läge bezüglich der Höhe des festgesetzten Verspätungszuschlages eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens vor, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führe.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils beantragt wird.
Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen. Sie treten der Auffassung des FG bei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zutreffend hat das FG die Auffassung der Kläger verneint, der ergangene Bescheid über einen Verspätungszuschlag wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung 1981 sei wegen Fehlens inhaltlicher Bestimmtheit im Sinne des § 119 Abs. 1 AO 1977 nichtig. Die mit dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1981 vom 30. Juni 1983 verbundene Festsetzung eines Verspätungszuschlages entspricht den gesetzlichen Anforderungen und ist den Klägern wirksam bekanntgemacht worden. Der erkennende Senat nimmt im einzelnen Bezug auf die Gründe seines Urteils vom 9. April 1987 IV R 192/85 (BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540).
2. Das FG hat ferner zutreffend bejaht, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlages vorliegen. Das FA hat den Klägern über die gesetzliche Frist des § 149 Abs. 2 AO 1977 hinaus Fristverlängerung bis zum 30. September 1982 zugestanden, eine weitere Fristverlängerung jedoch abgelehnt. Diese Ablehnung war aus den in der Beschwerdeentscheidung der OFD dargelegten Gründen im Streitfall sachgerecht und daher Rechtens; die Säumnis der Kläger beruht nicht auf entschuldbaren Gründen. Das Verschulden des steuerlichen Beraters ist ihnen gemäß § 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zuzurechnen.
3. Entgegen der Auffassung des FG ist jedoch ein Ermessensfehlgebrauch des FA nicht festzustellen. Der erkennende Senat braucht im Streitfall nicht zu dem Auslegungsverständnis des FG zum Verhältnis der Sätze 1 und 2 des § 152 Abs. 2 AO 1977 Stellung zu nehmen. Den Gründen der Beschwerdeentscheidung ist nämlich nicht zu entnehmen, daß die Verwaltungsentscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, mit welcher sich das FG in den Gründen seiner Entscheidung auseinandergesetzt hat. Vielmehr beruhen die Erwägungen der Verwaltung zur Höhe des Verspätungszuschlags ausschließlich auf einer Abwägung und Bemessung der in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 niedergelegten Kriterien.
In diesem Rahmen jedoch kann der Rechtsauffassung des FG zur Auslegung dieser Vorschrift nicht beigetreten werden. Die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Kriterien stehen gleichwertig nebeneinander und sind demgemäß sämtlich zu berücksichtigen. Dies schließt nicht aus, daß nach den Umständen des Einzelfalles ein Kriterium stärker hervortritt als ein anderes. Jedenfalls kann sich die Bemessung des Verspätungszuschlages nicht in dem Kriterium des gezogenen Vorteils erschöpfen und das Verschulden im Wege eines Pauschalbetrages bis zur Höhe von 200 DM berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang kann insbesondere nicht der Auffassung des FG beigetreten werden, das Verhalten des Steuerpflichtigen in den Vorjahren müsse unberücksichtigt bleiben. Einerseits muß das FA bei erstmaliger Fristüberschreitung zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige sich in den Vorjahren an die Fristen gehalten hat. So gesehen bietet meistens eine einmalige Fristüberschreitung keinen hinreichenden Grund zu der Ausübung eines Druckes auf den Steuerpflichtigen durch Festsetzung eines Verspätungszuschlages. Hat andererseits der Steuerpflichtige wiederholt oder gar laufend die Fristen nicht eingehalten, bewegte sich dieses Verhalten aber noch in einem zeitlichen Rahmen, so daß das FA bislang meinte, von der Anwendung des Druckmittels absehen zu können, dann kann ihm bei gravierender Fristüberschreitung in einem Folgejahr nicht verwehrt sein, das Gesamtverhalten des Steuerpflichtigen, das ja letztendlich der Gegenstand des vom Verspätungszuschlag ausgehenden Einflusses ist, nunmehr zu berücksichtigen.
Das Urteil des FG war aus den dargestellten Gründen aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Ermessenserwägungen, auf denen die Festsetzung des Verspätungszuschlages in Gestalt der Beschwerdeentscheidung beruht, lassen einen Fehlgebrauch nicht erkennen.
Zutreffend wird insbesondere darauf abgehoben, daß im Streitfall der Grad des Verschuldens berücksichtigt werden müsse. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der mit den steuerlichen Verhältnissen der Kläger vertraute steuerliche Berater wußte, daß die verspätete Abgabe der Steuererklärung zu einer Hinauszögerung der Zahlungsfrist für die hohe Abschlußzahlung führte. Das Argument der Arbeitsüberlastung kann in solchen Fällen keine Beachtung finden; es ist den Klägern vielmehr anzulasten, daß ihr Berater seine Arbeit so eingeteilt hat, daß gerade in einem Fall mit hoher Abschlußzahlung eine gravierende Fristversäumnis eingetreten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 415091 |
BFH/NV 1989, 1 |