Leitsatz (amtlich)
Wird der auch privat genutzte PKW eines Arbeitnehmers während einer beruflich veranlaßten Fahrt beschädigt, so kann, wenn dieser das Fahrzeug nicht reparieren läßt, die durch den Unfall herbeigeführte Wertminderung in vollem Umfang als Werbungskosten berücksichtigt werden. Die Wertminderung bemißt sich nach dem Unterschiedsbetrag zwischen den Zeitwerten des Fahrzeugs vor und nach dem Unfall, nicht nach den bei einer Reparatur voraussichtlich anfallenden Aufwendungen.
Normenkette
EStG 1971 § 9 Abs. 1 Nr. 7, § 7 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist nichtselbständiger Handlungsbevollmächtigter. Im Jahre 1971 erlitt er während einer beruflichen Fahrt mit seinem PKW einen Verkehrsunfall, der zu einer Beschädigung des Fahrzeugs führte. Die für die Beseitigung des Unfallschadens voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten beliefen sich nach dem Kostenvoranschlag einer Kfz-Werkstatt auf 1 966 DM. Der Kläger ließ die Reparatur nicht ausführen. Er gab das unfallbeschädigte Fahrzeug bei der Anschaffung eines Neuwagens in Zahlung. Auf den Kaufpreis wurde der Wert des Altwagens mit 5 200 DM angerechnet. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1971 (Streitjahr) machte der Kläger den dem Kostenvoranschlag entsprechenden Betrag von 1 966 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung als Werbungskosten ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die geltend gemachten Unfallkosten seien als Werbungskosten abziehbar, da der Kläger den Verkehrsunfall nicht grobfahrlässig verursacht habe.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, die Unfallschäden seien im Streitfall schon dem Grunde nach nicht als Werbungskosten anzuerkennen. Auch widerspreche die Ermittlung des abziehbaren Betrages durch die Vorinstanz der Höhe nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Oktober 1973 VI R 395/70 (BFHE 111, 59, BStBl II 1974, 185). Bei Zugrundelegung eines unter Einräumung einer vierjährigen Nutzungsdauer und entsprechender Absetzungen für Abnutzung (AfA) ermittelten Zeitwertes des PKW vor dem Unfall ergebe sich ein absetzbarer Betrag, der den Werbungskostenpauschbetrag gemäß § 9a Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG) nicht übersteige.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Vorinstanz hat zutreffend die vom Kläger geltend gemachten Unfallkosten dem Grunde nach als Werbungskosten anerkannt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellen Aufwendungen eines Arbeitnehmers im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich während einer beruflichen Fahrt ereignet hat, Werbungskosten dar (Urteil vom 16. Februar 1970 VI R 254/68, BFHE 99, 300, BStBl II 1970, 662, mit weiteren Nachweisen).
Nach den unangefochtenen und daher den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG ereignete sich der Verkehrsunfall des Klägers auf einer beruflichen Fahrt. Im Streitfall kann offenbleiben, ob die Unfallursache auf ein leichtfahrlässiges oder auf ein grobfahrlässiges Verhalten des Klägers zurückzuführen ist. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH im Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105), der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 24. Februar 1978 VI R 177/73, BFHE 124, 524, BStBl II 1978, 380), sind die Kosten eines Verkehrsunfalles, den ein Steuerpflichtiger bei einer beruflichen Fahrt erlitten hat, nicht deshalb von der Berücksichtigung als Werbungskosten ausgeschlossen, weil der Unfall auf einem bewußten und leichtfertigen Verstoß des Steuerpflichtigen gegen Verkehrsvorschriften beruht.
2. Dem FG ist jedoch hinsichtlich der Höhe der anerkannten Werbungskosten nicht zu folgen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz können die als Unfallkosten anzuerkennenden Werbungskosten des Klägers ohne weitere Feststellungen nicht mit dem Betrag gleichgesetzt werden, mit dem die voraussichtlichen Kosten einer evtl. Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs veranschlagt worden sind.
Da der Kläger die Reparatur nicht ausführen ließ, sind ihm bezüglich der Instandsetzung des Unfallwagens keine Aufwendungen i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG entstanden. Denn Aufwendungen i. S. dieser Vorschrift sind nur tatsächlich getätigte Ausgaben (Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 9 EStG Anm. 9). Der als Werbungskosten abziehbare Betrag ist, wenn der Arbeitnehmer sein Fahrzeug nicht reparieren läßt, gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG nach der Absetzung für außergewöhnliche technische Abnutzung zu bemessen, die auf das Fahrzeug des Klägers infolge des Verkehrsunfalls entfällt (Urteile des Senats VI R 395/70; vom 2. März 1962 VI 79/60 S, BFHE 74, 513, BStBl III 1962, 192). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG sind erfüllt. Durch die Unfallbeschädigung des PKW ist ein gegenüber der gewöhnlichen Abnutzung erhöhter Substanzverbrauch eingetreten. Die Höhe der Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) bemißt sich, jedenfalls wenn für das Fahrzeug kein "Buchwert" vorliegt, nach der durch die Unfallbeschädigung eingetretenen Minderung des Zeitwertes des PKW des Klägers vor dem Unfall (Urteile des Senats VI R 395/70 und VI 79/60 S). Diese Wertminderung kann nicht ohne weiteres in Höhe der aufgrund eines Kostenvoranschlages voraussichtlich anfallenden Reparaturaufwendungen angenommen werden. Denn der Zeitwert des Fahrzeugs vor dem Unfall und der des unfallbeschädigten PKW bestimmen sich entsprechend § 8 Abs. 2 EStG nach dem marktüblichen Preis. Danach sind für die Höhe der Wertminderung eines gebrauchten PKW infolge eines Verkehrsunfalles die Verhältnisse auf dem Markt für Gebrauchtfahrzeuge maßgeblich, während sich die Instandsetzungskosten nach einem Reparaturkostenvoranschlag danach bemessen, welche Aufwendungen erforderlich sind, um den Wagen entsprechend seinem früheren Zustand wiederherzustellen. Es ist zwar möglich, daß diese unterschiedlichen Wertmaßstäbe im Einzelfall zum gleichen Ergebnis führen. Die grundsätzliche Bemessung der Wertminderung eines Wirtschaftsguts aufgrund außergewöhnlicher Abnutzung nach der Höhe des erforderlichen Instandsetzungsaufwandes ist jedoch mit § 9 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht vereinbar.
Die Vorentscheidung, die auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung beruht, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um zur Höhe der Wertminderung des PKW aufgrund außergewöhnlicher technischer Abnutzung zu entscheiden. Denn die Vorentscheidung bietet keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, wie hoch der Zeitwert des PKW vor dem Unfall war und ob der vom Kläger im Zusammenhang mit der Neuanschaffung eines PKW erzielte Erlös für den Unfallwagen marktgerecht (§ 8 Abs. 2 EStG) oder möglicherweise durch eine versteckte Rabattgewährung bezüglich des angeschafften Neufahrzeuges beeinflußt war. Das FG wird im Wege der Schätzung den Unterschiedsbetrag zwischen dem Zeitwert des PKW des Klägers vor dem Unfall und dem Wert des beschädigten PKW zu ermitteln haben. Bei der Schätzung des erstgenannten Zeitwerts können die Listen der Kfz-Händler über den Wert gebrauchter PKW einen Anhalt bieten.
3. Der Betrag der AfaA ist in vollem Umfang als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Senat hält entgegen der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen FG vom 12. Juni 1979 III 32/73 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 488) an seiner Rechtsprechung im Urteil VI R 395/70 fest, wonach die Aufwendungen zur Beseitigung eines anläßlich einer beruflichen Fahrt eingetretenen Unfallschadens an einem auch privat genutzten Fahrzeug in voller Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Zwar werden, wie das Schleswig-Holsteinische FG zutreffend ausführt, die normalen AfA grundsätzlich nur entsprechend der geschätzten tatsächlichen Nutzungsanteile teils beruflich und teils privat berücksichtigt. Dies ist auch sachgerecht. Dagegen hält es der Senat für zutreffend, daß sich die bei einer beruflich veranlaßten Fahrt eingetretene AfaA in vollem Umfang steuerrechtlich auswirkt, weil sie auch lediglich durch das berufliche Ereignis herbeigeführt worden ist.
Fundstellen
BStBl II 1980, 71 |
BFHE 1980, 143 |
NJW 1980, 2376 |