Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen des Rechtsvorgängers für eine im Rohbau fertiggestellte und vom Einzelrechtsnachfolger nach Fertigstellung eigengenutzte Wohnung sind nicht nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt
Leitsatz (NV)
Erwirbt ein Steuerpflichtiger von seinen Eltern im Wege vorweggenommener Erbfolge ein Grundstück mit einem von den Eltern bewohnten Einfamilienhaus und einem im Rohbau fertiggestellten Anbau gegen Übernahme von Verbindlichkeiten und Zahlung von Gleichstellungsgeldern an die Geschwister (teil-)entgeltlich, gehören zur Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG nur das auf den Rohbau und den dazu gehörenden Grund und Boden zur Hälfte entfallende (Teil-)Entgelt sowie die vom Steuerpflichtigen erbrachten Kosten für die Fertigstellung des eigengenutzten Anbaus. Die von den Eltern für den Rohbau aufgewendeten Herstellungskosten sind nicht begünstigt.
Normenkette
EStG § 10e Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind seit Juni 1987 verheiratet; sie wurden im Streitjahr 1987 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger erhielt durch notariellen Vertrag vom Mai 1986 von seinen Eltern im Wege vorweggenommener Erbfolge ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück übertragen.
Nach den vertraglichen Vereinbarungen hatte der Kläger seinen Geschwistern jeweils 20 000 DM zu zahlen. Ferner übernahm er die dinglich gesicherten Darlehensverbindlichkeiten, die zum Zeitpunkt der Übergabe des Grundstücks im Juni 1986 mit 57 175 DM valutiert waren. Die Eltern verpflichteten sich, den Rohbau des von ihnen begonnenen Anbaus an das Wohngebäude zu vollenden. Im übrigen hatte der Kläger den Anbau, der eine eigenständige Wohnung enthalten sollte, auf eigene Kosten fertigzustellen.
Die von den Eltern getragenen Kosten für die Erstellung des Rohbaus beliefen sich auf 81 171 DM, die vom Kläger für die Fertigstellung aufgewendeten Herstellungskosten auf 155 945 DM. Der Anbau war im Juni 1987 bezugsfertig und wurde seitdem von den Klägern zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Das ursprüngliche Wohngebäude bewohnten nach wie vor die Eltern des Klägers.
Durch Ehe- und Erbvertrag vom August 1987 wurde das Grundstück gemeinschaftliches Eigentum der Kläger (Gesamtgut, § 1416 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB).
In der Einkommensteuererklärung 1987 beantragten die Kläger für den Anbau einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 in Höhe von 5 v. H. der vom Kläger sowie der von seinen Eltern aufgewendeten Herstellungskosten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte nur einen Abzugsbetrag aus den vom Kläger selbst getragenen Herstellungskosten. Der Einspruch der Kläger war erfolglos.
Im Klageverfahren beantragten die Kläger, die von den Eltern aufgewendeten Herstellungskosten für den Anbau (81 171 DM) sowie die hälftigen Anschaffungskosten für den zum Anbau gehörenden Grund und Boden (16 288 DM) in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG einzubeziehen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 670 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 e Abs. 1 EStG. Es führt aus: Nach § 10 e Abs. 1 EStG seien nur die vom Bauherrn oder Erwerber getragenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigt, nicht dagegen Aufwendungen, die eine andere Person geleistet habe. Entgegen der Auffassung des FG seien die von den Eltern erbrachten Herstellungskosten nicht aufgrund des allgemeinen Herstellungskostenbegriffs begünstigt. Auch nach § 255 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) seien Herstellungskosten nur gegeben, wenn eigene Aufwendungen vorlägen. Aufwendungen habe der Kläger für den Rohbau aber nur in Höhe von 25 544 DM gehabt. Denn die ihm durch die Übernahme des Grundstücks entstandenen Anschaffungskosten in Höhe von 117 175 DM entfielen in Höhe von 25 544 DM auf den Rohbau und in Höhe von 16 288 DM auf den zum Anbau gehörenden Grund und Boden. Die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG betrage daher 189 633 DM (Rohbau 25 544 DM + 1/2 Grund und Boden 8 144 DM + Fertigstellungskosten 155 945 DM). Der Abzugsbetrag belaufe sich demnach auf 9 482 DM.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 die Einkommensteuer auf ... DM festzusetzen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der geänderte Einkommensteuerbescheid 1987 vom 4. Januar 1993.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Zu Unrecht hat das FG die von den Eltern des Klägers für die Erstellung des Rohbaus aufgewendeten Kosten in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG einbezogen. Begünstigt sind nur die dem Kläger entstandenen Anschaffungskosten für die Übernahme des Grundstücks, soweit sie auf den Rohbau und den dazu gehörenden Grund und Boden entfallen, sowie die vom Kläger selbst aufgewendeten Kosten für die Fertigstellung des Anbaus.
1. Unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen kann der Steuerpflichtige nach § 10 e Abs. 1 Satz 1 EStG von den Herstellungskosten einer Wohnung im eigenen Haus und der Hälfte der Anschaffungskosten des dazu gehörenden Grund und Bodens im Jahr der Fertigstellung und den folgenden sieben Jahren bis zu 5 v. H. wie Sonderausgaben abziehen. Stellt der Steuerpflichtige die Wohnung nicht selbst her, sondern schafft er eine bereits fertig gestellte Wohnung an, kann er statt der Herstellungskosten 5 v. H. der Anschaffungskosten wie Sonderausgaben abziehen (§ 10 e Abs. 1 Satz 4 EStG).
a) Dem Kläger sind für den Erwerb der Wohnung im Rohbau Anschaffungskosten und für deren Fertigstellung Herstellungskosten entstanden. Ob es sich letztlich um die Anschaffung oder um die Herstellung einer Wohnung handelt, kann dahinstehen, weil im Streitjahr 1987 sowohl die Anschaffung als auch die Herstellung in gleicher Weise begünstigt waren.
b) Der Kläger hat das Grundstück übertragen bekommen gegen Übernahme von Verbindlichkeiten in Höhe von 57 175 DM und gegen Zahlung von Gleichstellungsgeldern an die Geschwister in Höhe von insgesamt 60 000 DM. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 5. Juli 1990 GrS 4--6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847) ist die Übertragung eines Grundstücks im Wege vorweggenommener Erbfolge unter Übernahme von Verbindlichkeiten und gegen Zahlung von Gleichstellungsgeldern ein teilentgeltliches Rechtsgeschäft. In Höhe der übernommenen Verbindlichkeiten und der Gleichstellungsgelder entstehen dem Übernehmer Anschaffungskosten, die -- soweit sie eine zu eigenen Wohnzweken genutzte Wohnung und den dazu gehörenden Grund und Boden betreffen -- grundsätzlich nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt sind (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. August 1991 X R 116/89, BFHE 165, 267, BStBl II 1992, 736). Soweit die Anschaffungskosten für das Grundstück in Höhe von 117 175 DM anteilig auf den Erwerb des Rohbaus und den dazu gehörenden Grund und Boden entfallen, gehören sie zur Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG, die anteiligen Kosten für Grund und Boden jedoch nur zur Hälfte.
c) Die von den Eltern getragenen Kosten für den Rohbau können dagegen nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Auch wenn man mit dem FG die Anschaffung des Rohbaus und dessen Fertigstellung durch den Kläger insgesamt als Herstellungsvorgang ansieht und den Rohbau als Wirtschaftsgut beurteilt, das zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern in das Wirtschaftsgut "Wohnung" eingegangen ist, ist der Wert des Rohbaus bzw. der von den Eltern hierfür aufgewendete Betrag nicht nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt. Die den Eltern für die Erstellung des Rohbaus entstandenen Aufwendungen von 81 171 DM sind zwar Herstellungskosten i. S. des § 255 Abs. 2 HGB und im Sinne des Einkommensteuerrechts. Grundförderung nach § 10 e Abs. 1 EStG wird aber nur gewährt für Herstellungs- oder Anschaffungskosten, die der Hersteller oder Erwerber der eigengenutzten Wohnung, der die Begünstigung begehrt, selbst getragen hat; Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Rechtsvorgängers sind bei einem Erwerb im Wege der Einzelrechtsnachfolge nicht nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt (BFH-Urteile vom 4. Dezember 1991 X R 89/90, BFHE 166, 346, BStBl II 1992, 295, und vom 21. April 1993 X R 22/91, BFH/NV 1993, 720).
d) Der im Bereich des Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzugs entwickelte Gedanke, daß unter bestimmten (im einzelnen streitigen) Voraussetzungen auch Zahlungen eines Dritten als Aufwendungen des Steuerpflichtigen anzusehen sind (vgl. Vorlagebeschluß des IV. Senats des BFH vom 9. Juli 1992 IV R 115/90, BFHE 169, 56, BStBl II 1992, 948), ist im Bereich der Steuerbegünstigung nach § 10 e EStG nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 8. Juni 1994 X R 51/91, BFHE 175, 76, BStBl II 1994, 779).
2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.
Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung wird das FG ermitteln, inwieweit die dem Kläger entstandenen Anschaffungskosten von 117 175 DM auf den Altbau, den Rohbau und den Grund und Boden entfallen. Im Hinblick auf den Leitsatz seines Urteils in BFHE 165, 267, BStBl II 1992, 736 (und den dazu ergangenen Nichtanwendungserlaß des Bundesministeriums der Finanzen vom 7. August 1992, BStBl I 1992, 522) stellt der Senat klar, daß das vom Kläger aufgewendete (Teil-)Entgelt im Verhältnis der Verkehrswerte von Grund und Boden, Altbau und Rohbau aufzuteilen ist. Im FG-Urteil ist nur der anteilige Betrag für den Grund und Boden angegeben. Danach entfällt von den Anschaffungskosten in Höhe von 117 175 DM ein Betrag von 32 575 DM auf den Grund und Boden, der zur Hälfte dem Neubau zuzuordnen ist. In welchem Verhältnis sich die restlichen Anschaffungskosten in Höhe von 84 600 DM auf den Altbau und den nach § 10 e EStG begünstigten Rohbau verteilen, hat das FG -- aus seiner Sicht zu Recht -- nicht festgestellt.
Fundstellen
Haufe-Index 420374 |
BFH/NV 1995, 506 |