Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die bloße Ankündigung eines Rechtsmittels ersetzt dessen Einlegung nicht, wenn das Schreiben nicht erkennen läßt, daß sich der Abgabepflichtige durch die vorangegangene Entscheidung beschwert fühlt und ihre Nachprüfung begehrt. Besonders bei geschäftserfahrenen Abgabepflichtigen, z. B. Steuerberatern, ist davon auszugehen, daß sie klar ausdrücken, ob sie bereits Rechtsmittel einlegen oder dies erst später tun wollen.
Ganz allgemein erfordern prozessuale Erklärungen im Steuerrechtsmittelverfahren im Interesse der Rechtssicherheit eine klare Ausdrucksweise.
Der Grundsatz, daß die Versäumung von Rechtsmittelfristen infolge Büroversehens bei Rechtsanwälten und Steuerberatern u. U. Anlaß zur Nachsichtgewährung bietet (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs III 130/54 S vom 10. September 1954 und V 123/56 U vom 13. September 1956, Slg. Bd. 59 S. 363, BStBl 1954 III S. 350, und Slg. Bd. 63 S. 341, BStBl 1956 III S. 327), gilt auch dann, wenn es sich um Rechtsmittel des Anwalts oder Steuerberaters selbst handelt, deren Bearbeitung er seinem eigenen Büro übertragen hat.
Normenkette
AO §§ 86, 249, 238; FGO § 56
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist vom Finanzamt unter dem 10. September 1955 zur Vermögensabgabe herangezogen, die Abgabeschuld auf 1.100 DM festgesetzt worden. Der Einspruch gegen den Abgabebescheid ist vom Finanzamt als unbegründet zurückgewiesen worden. Der Einspruchsbescheid ist am 14. Dezember 1956 zugestellt.
Am 15. Januar 1957 ging beim Finanzamt ein Schreiben ein, in dem der Bf. mit den folgenden wörtlich wiedergegebenen Sätzen Berufung einlegte:
"Gegen die Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 1956 in der Vermögensabgabesache Dr. B. lege ich hiermit unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 18. Dezember 1956 Berufung ein. Eine ausführliche Begründung reiche ich umgehend nach. Mein bisheriges Vorbringen halte ich ausdrücklich aufrecht."
Den vom Finanzamt in der Stellungnahme zur Berufungsschrift erhobenen Einwand, daß die Rechtsmittelfrist versäumt und die Berufung verspätet eingelegt sei, beantwortete der Bf. damit, daß er auf das in der Berufungsschrift erwähnte Schreiben vom 18. Dezember 1956 verwies, in dem er erklärt hatte, er werde gegen die Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 1956 Berufung einlegen. Er führte dazu im einzelnen aus, daß mit diesem Schreiben die Rechtsmittelfrist gewahrt worden sei, weil hierfür bereits die schriftliche Ankündigung, das Rechtsmittel einlegen zu wollen, genüge. Hilfsweise bat der Bf. auch um Gewährung von Nachsicht und trug zur Begründung seines Antrags vor, daß angesichts des Umfangs seiner Praxis Termine und Fristen nicht von ihm selbst überwacht werden könnten, sondern daß er sich hierfür der Hilfe sorgfältig ausgewählter Angestellter bedienen müsse. Im Streitfalle sei die Rechtsmittelfrist von seinem früheren Assistenten T. überwacht worden, gegen dessen Zuverlässigkeit niemals Beanstandungen erhoben worden seien. Wenn deshalb wirklich die Rechtsmittelfrist versäumt sein sollte, so handele es sich um eine einmalige menschliche Unzulänglichkeit, die unvermeidlich vorkomme. Deshalb sei zumindest der Nachsichtantrag begründet.
Das Finanzgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Er hat entgegen den Ausführungen des Bf. den Standpunkt eingenommen, der Ankündigung der Berufung, die in dem Schriftsatz vom 18. Dezember 1956 enthalten gewesen sei, komme nach den besonderen Umständen des Streitfalles nicht die Bedeutung zu, die der Bf. ihr beizulegen wünsche. Die unbefangene Würdigung der Erklärung des Bf. im Schriftsatz vom 18. Dezember 1956 führe vielmehr zu dem Schluß, daß es ihm zunächst nur darum zu tun gewesen sei, für die Zahlung der Vermögensabgabe Aufschub zu erlangen. Wäre der Bf. im Zeitpunkt der Absendung dieses Schreibens bereits entschlossen gewesen, Berufung einzulegen, so würde er es nach Ansicht des Finanzgerichts zumindest vorsorglich getan haben, ebenso wie er vorsorglich um Stundung gebeten habe. Daß aber der Bf. in diesem Zeitpunkt noch nicht entschlossen gewesen sei, Berufung einzulegen, ergebe sich - wie das Finanzgericht weiter ausführt - aus dem Inhalt des Schreibens vom 15. Januar 1957, in dem er ausdrücklich erklärt habe, er lege "hiermit" Berufung ein. Das Finanzgericht kam deshalb zu dem Ergebnis, daß unter diesen Umständen das Schreiben vom 18. Dezember 1956 noch nicht als Berufung angesehen werden könne. Die Gewährung von Nachsicht lehnte es mit der Begründung ab, daß ein Steuerberater sich nicht mit der ganz allgemein gehaltenen und völlig unsubstantiierten Behauptung entschuldigen könne, in seinem Büro würden die Fristen sorgfältig überwacht, und er habe sein Personal sorgfältig ausgesucht. Vielmehr müsse von einem Steuerberater erwartet werden, daß er in seinen eigenen Steuersachen die Rechtsmittelfristen persönlich überwache.
Der Bf. hat Rechtsbeschwerde (Rb.) erhoben. Er rügt fehlerhafte Anwendung des geltenden Rechts, insbesondere des § 249 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO). An seinem Antrag auf Nachsichtgewährung hält er auch weiterhin fest. Er bemängelt insoweit ungenügende Aufklärung des Sachverhalts durch das Finanzgericht.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Soweit der Bf. die Verletzung des § 249 Abs. 2 AO rügt, vermag der Senat seinen Ausführungen allerdings nicht zu folgen. Nach § 249 Abs. 2 AO gilt ein Rechtsmittel als eingelegt, wenn aus der Erklärung desjenigen, der sie einreicht oder abgibt, hervorgeht, daß sich der Erklärende durch die Entscheidung beschwert fühlt und ihre Nachprüfung begehrt. Ob ein Schriftstück eine Rechtsmitteleinlegung darstellt, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Gegebenenfalls kann auch schon die schriftliche Ankündigung, ein Rechtsmittel einlegen zu wollen, als Rechtsmitteleinlegung angesehen werden. Für einen Einzelfall hat dies der Reichsfinanzhof in der Entscheidung III A 372/29 vom 6. Februar 1930 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 234 Abs. 2 Rechtsspruch 14, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 703) ausgesprochen, und das Schrifttum (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anmerkung 6 zu § 249) hat sich dieser Auffassung angeschlossen, jedoch unter der Voraussetzung, daß sich aus dem Inhalt des Schreibens ergibt, der Pflichtige fühle sich durch die Entscheidung beschwert, bestreite z. B. die Abgabepflicht, und begehre Nachprüfung. Wie im Streitfall das Finanzgericht ohne erkennbaren Rechtsirrtum ausgeführt hat, enthält das Schreiben des Bf. vom 18. Dezember 1956 keinerlei Erklärung dieses Inhalts. Der Antrag des Bf. ist - bei bloßer Ankündigung der späteren Einlegung eines Rechtsmittels - lediglich auf Stundung des Abgabebetrages gerichtet.
So hat auch das Finanzgericht das Schreiben des Bf. ausgelegt. Diese Auslegung ist besonders im Zusammenhang mit der späteren tatsächlichen Berufungsschrift des Bf. vom 15. Januar 1957 durchaus sinnvoll und verstößt nicht gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der Beweiswürdigung oder gegen allgemeine Denkgesetze. Bei dem Schreiben eines geschäftserfahrenen Abgabepflichtigen, insbesondere eines erfahrenen Steuerberaters, ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, daß der Verfasser des Schreibens klar zum Ausdruck bringt, ob er ein Rechtsmittel einlegt, oder ob er dies erst später tun will. Ganz allgemein erfordern prozessuale Erklärungen in dem gesetzlich geordneten Steuerrechtsmittelverfahren im Interesse der Rechtssicherheit eine Ausdrucksweise, die keinen Zweifel über den Inhalt der Erklärung zuläßt. Wie auf der einen Seite ein Steuerberater, der nicht mit klaren Worten Rechtsmittel eingelegt hat, es mit Recht beanstanden würde, wenn die Finanzbehörde in jedem Falle ein nur angekündigtes Rechtsmittel als bereits eingelegt ansähe und ihn zur Kostentragung heranzöge, so kann sich auf der anderen Seite ein Steuerberater, wenn es sich um die Rechtzeitigkeit der Rechtsmitteleinlegung handelt, nicht dadurch benachteiligt fühlen, daß das Finanzamt oder das Finanzgericht eine bloße Ankündigung des Rechtsmittels lediglich als das behandelt, was sie ihrem Wortlaut nach ist.
Somit ist die Berufung des Bf. verspätet eingelegt. Mit Recht hat er jedoch gerügt, daß das Finanzgericht der Frage der Nachsichtgewährung nicht nähergetreten sei. Wie der erkennende Senat bereits in der Entscheidung III 130/54 S vom 10. September 1954 (Slg. Vd. 59 S. 363, Bundessteuerblatt 1954 III S. 350) für den Fall der Rb. eines Rechtsanwalts für einen Auftraggeber ausgesprochen hat, ist im allgemeinen unter der Voraussetzung eines ordnungsmäßig eingerichteten Bürobetriebes und seiner erforderlichen überwachung Nachsicht zu gewähren, wenn in einem Einzelfall infolge des Versehens eines Angestellten eine Frist versäumt ist. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat sich in dem Urteil V 123/56 U vom 13. September 1956, Slg. Bd. 63 S. 341, Bundessteuerblatt 1956 III S. 327, der Entscheidung des III. Senats vom 10. September 1954 angeschlossen und ihre Grundsätze auch auf Versehen im Büro eines Steuerberaters übertragen. Der erkennende Senat trägt keine Bedenken gegen die Entscheidung des V. Senats in der Frage der Ausdehnung der Nachsichtgewährung auf Fälle von Büroversehen bei Steuerberatern. Die Grundsätze der vorerwähnten Entscheidungen sind daher auch im Streitfall zu beachten gewesen, in dem der Bf. nach seinen Angaben sein Rechtsmittel in der Vermögensabgabesache in seinem eigenen Büro bearbeiten ließ. Es kann dabei nicht als außergewöhnlich angesehen werden, daß ein Steuerberater seine eigenen Steuer- und Rechtsmittelsachen durch das von ihm selbst geleitete Büro bearbeiten läßt. Der Fall ist insoweit ebenso zu beurteilen, wie wenn es sich um die Bearbeitung des Rechtsmittels eines Dritten handelte. Unter diesen Umständen vermag der Senat die Auffassung der Vorinstanz nicht zu billigen, nach der den Bf. bei eigenen Rechtsmitteln eine erhöhte Sorgfaltspflicht treffe und er deshalb stets persönlich die Wahrung der Rechtsmittelfristen überwachen müsse. Der Bf. hat schon vor dem Berufungsgericht dargelegt, daß er sich bei der Bearbeitung seines Rechtsmittels der Hilfe seines damaligen Assistenten T. bedient habe. Dessen Tätigkeit habe bisher niemals Anlaß zu Beanstandungen gegeben, auch seien keine Termine versäumt worden. Wenn das Vorbringen des Bf. noch gewisse Einzelheiten im Hinblick auf das Bestehen eines ordnungsmäßig eingerichteten Büros und auf das akute Versehen bei Versäumung der Rechtsmittelfrist vermissen ließ, so war es Sache des Finanzgerichts, den Sachverhalt nach dieser Richtung hin weiter aufzuklären. In diesem Zusammenhang lag es vor allem nahe, die ordnungsmäßige Einrichtung des Bürobetriebes zu prüfen, den früheren Angestellten T. persönlich zu hören und ihn über die Ursache der Fristversäumung sowie darüber zu befragen, wer das Schreiben vom 18. Dezember 1956 gezeichnet hat (anscheinend hat er selbst es, ohne Andeutung des Vertreterverhältnisses, unleserlich unterschrieben), und wie das Zeichnungsrecht sowie die Zeichnungsform geregelt gewesen ist.
Da das Finanzgericht diese Aufklärung des Sachverhalts unterlassen hat, unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung. Die Sache geht zur Sachaufklärung im vorstehenden Sinne und zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurück. Dieses wird auch zu klären haben, ob der Bf. bei der Auswahl seiner Mitarbeiter die erforderliche Sorgfalt beobachtet und seiner Aufsichtspflicht genügt hat.
Die Entscheidung über die Kostenlast für das Rechtsbeschwerdeverfahren und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes werden dem Finanzgericht übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 408976 |
BStBl III 1958, 119 |
BFHE 1958, 310 |
BFHE 66, 310 |