Leitsatz (amtlich)
1. Ersetzt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Kosten für die Benutzung seines eigenen Kfz auf Dienstreisen mit den Pauschsätzen des Abschn. 21 Abs. 11 LStR 1970, so kann der Arbeitnehmer daneben außergewöhnliche Aufwendungen, insbesondere Unfallkosten, als Werbungskosten geltend machen.
2. Zu den Unfallkosten, die als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht werden können, gehören auch Aufwendungen zur Beseitigung eines Schadens, der als Folge des Unfalls an der Garage des Arbeitnehmers entstanden ist.
Normenkette
LStR 1970 Abschn. 21 Abs. 11 S. 4; LStDV 1970 § 20 Abs. 2; EStG 1971 § 9 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1971 als Arbeitnehmer (Verbandsprüfer eines Genossenschaftsverbandes) tätig. Er benutzte für Dienstfahrten seinen eigenen PKW und erhielt hierfür 0,25 DM je gefahrenem Kilometer von seinem Arbeitgeber lohnsteuerfrei ersetzt. Am 7. Mai 1971 mußte er eine Außenprüfung wegen Herzbeschwerden abbrechen und vorzeitig nach Hause zurückkehren. Infolge eines Schwächeanfalls fuhr er dabei gegen die Rückwand seiner Garage. Es entstanden Schäden in Höhe von 658,03 DM an der Garage und in Höhe von 1 003,68 DM an seinem PKW, die ihm der Arbeitgeber nicht ersetzte.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 1971 nur die Kosten für die Reparatur des PKW als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht aber die Aufwendungen für die Beseitigung des Schadens an der Garage. Er war der Meinung, daß diese Kosten mit dem Ansatz des Nutzungswerts nach der Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus (Einfamilienhaus-Verordnung) vom 26. Januar 1937 (RGBl I 1937, 99, RStBl 1937, 161) abgegolten seien. Im Einspruchsverfahren berücksichtigte das FA auch die Kosten für die Reparatur des PKW nicht mehr mit der Begründung, daß durch den Betrag von 0,25 DM je gefahrenen Kilometer nach Abschn. 21 Abs. 6 i. V. m. Abs. 11 Satz 4 LStR 1970 sämtliche mit der beruflichen Nutzung des PKW verbundenen Aufwendungen und damit auch die Unfallkosten abgegolten seien.
Das FG gab der Klage statt; es war der Auffassung, daß größere Unfallschäden in einer Höhe wie im Streitfall mit dem Kilometersatz nicht abgegolten seien.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 EStG 1971 und des § 20 Abs. 2 LStDV 1970. Es trägt u. a. vor: Jeder Steuerpflichtige könne wählen, ob er beruflich veranlaßte Fahrtkosten pauschal oder im einzelnen nachgewiesen als Werbungskosten geltend machen wolle. Wähle er die Pauschbetragsregelung, so könnten einzelne, wenn auch außergewöhnliche Aufwendungen, nicht als zusätzliche Werbungskosten berücksichtigt werden. Es widerspräche dem Sinn der Pauschbetragsregelung, die der Vereinfachung des Verfahrens dienen solle, wenn sie mit dem Einzelnachweis verquickt würde.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Unfallkosten sind bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten neben den vom Arbeitgeber steuerfrei gezahlten Pauschbeträgen von 0,25 DM je gefahrenen Kilometer zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1971). Das FG ist davon ausgegangen, daß sich der Unfall vor Beendigung der Rückkehr des Klägers von einer Außenprüfung, also auf einer Dienstfahrt, infolge eines Schwächeanfalls des Klägers ereignet hat. Es hat diese tatsächlichen Feststellungen dahin gewürdigt, daß der Unfall durch die Berufstätigkeit des Klägers veranlaßt war. Hiergegen sind zulässige und begründete Revisionsrügen nicht erhoben worden, so daß der Senat hieran gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO). Bedenken gegen die Würdigung des FG ergeben sich nicht etwa aus der Tatsache, daß der Unfall seinen Grund in einem Schwächeanfall des Klägers hatte. Zwar hat der Große Senat des BFH im Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105) erkennen lassen, daß er einen bei durch Alkoholgenuß beeinträchtigter Fahrtüchtigkeit verursachten Unfall regelmäßig nicht mehr als beruflich veranlaßt ansehen würde. Ein Schwächeanfall kann indessen nicht mit dem Genuß von Alkohol gleichgestellt werden.
Zu den Unfallkosten gehören auch die Aufwendungen zur Reparatur der Garage des Klägers. Das Einfahren des PKW in die Garage war der letzte Teil der Reise und deshalb wie die übrige Reise beruflich veranlaßt. Es bedarf hiernach keiner Entscheidung, ob die Aufwendungen auch als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht werden und ob die Vorschriften der Einfamilienhaus-Verordnung entgegenstehen könnten. Jedenfalls schließt die Einfamilienhaus-Verordnung die Geltendmachung von Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht aus.
Die Tatsache, daß der Arbeitgeber dem Kläger die Aufwendungen für dienstliche Fahrten mit dem eigenen PKW in Höhe des Pauschbetrages von 0,25 DM je gefahrenen Kilometer (Abschn. 21 Abs. 11 Satz 3 LStR 1970) nach § 3 Nr. 16 EStG 1971, § 4 Nr. 3 LStDV 1970 lohnsteuerfrei ersetzt hat, steht der Berücksichtigung der Unfallkosten als Werbungskosten nicht entgegen. Die Pauschbetragsregelung hat der Senat als vertretbare Schätzung i. S. von § 217 der Reichsabgabenordnung (AO) anerkannt, die der Arbeitsvereinfachung für die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Finanzbehörden und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dient (vgl. Urteil des BFH vom 15. Dezember 1967 VI R 268/67, BFHE 90, 498, BStBl II 1968, 126). Der Senat vermag der Auffassung des FA nicht zu folgen, daß mit dieser Regelung auch außergewöhnliche Kosten, insbesondere Unfallkosten, abgegolten sein sollen. Der Senat hat bereits im Urteil vom 17. Oktober 1973 VI R 26/73 (BFHE 111, 69, BStBl II 1974, 186) erkennen lassen, daß neben Reisekosten, die als Werbungskosten nach Abschn. 21 Abs. 6 LStR 1970 mit den Pauschsätzen des Abschn. 21 Abs. 11 LStR 1970 geltend gemacht werden, noch außergewöhnliche Kosten als Werbungskosten anerkannt werden können. Dies muß auch dann gelten, wenn nicht der Arbeitnehmer die Pauschsätze als Werbungskosten geltend macht, sondern wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Reisekosten mit eigenem Kraftfahrzeug mit den Pauschsätzen des Abschn. 21 Abs. 11 LStR 1970 lohnsteuerfrei ersetzt. Der Grund für die Steuerfreiheit des Reisekostenersatzes ist, daß es sich bei den ersetzten Aufwendungen um Werbungskosten des Arbeitnehmers handelt (Urteil des Senats vom 11. August 1972 VI R 274/70, BFHE 107, 24, BStBl II 1972, 917). Der Abzug von Werbungskosten und die Steuerfreiheit des Werbungskostenersatzes durch den Arbeitgeber dürfen grundsätzlich nicht unterschiedlich beurteilt werden. Für die insoweit vergleichbare Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1969 über Pauschbeträge für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit eigenem Kraftfahrzeug ist ebenfalls in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß außergewöhnliche Kosten, insbesondere Unfallkosten, neben den dort genannten Pauschbeträgen geltend gemacht werden können (vgl. zuletzt Urteil vom 24. Februar 1978 VI R 177/73, BStBl II 1978, 380).
Das FA bezieht sich zu Unrecht auf die Anweisung in Abschn. 21 Abs. 11 Satz 4 LStR 1970, daß mit dem Ersatz der Pauschbeträge durch den Arbeitgeber sämtliche mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundenen Aufwendungen abgegolten sein sollen. Falls sich diese Regelung auch auf Unfallkosten beziehen sollte, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Unfallkosten sind nicht vorhersehbar. Es besteht deshalb für die Verwaltungsbehörden keine Möglichkeit, derartige Kosten in eine Schätzung der durchschnittlich anfallenden und als Werbungskosten anzuerkennenden Fahrtkosten einzubeziehen. Von einer vertretbaren Schätzung im Sinne des § 217 AO könnte dann nicht mehr gesprochen werden. Eine solche Schätzung kann sich vielmehr nur auf die gewöhnlichen, typischerweise anfallenden Aufwendungen erstrecken. Der Einwand des FA, daß der Kläger der Anwendung der Pauschbeträge durch die Geltendmachung der tatsächlichen Kosten ausweichen könne, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die tatsächlichen Aufwendungen werden nur anerkannt, wenn sie im einzelnen nachgewiesen werden (vgl. Abschn. 21 Abs. 6 Satz 1 LStR 1970). Der Arbeitnehmer weiß aber keineswegs schon vorher, ob er einen Unfall erleiden wird. Er weiß also auch nicht, ob ein Anlaß gegeben sein könnte, seine gesamten Aufwendungen nachzuweisen. Erleidet er dann tatsächlich einen Unfall, so wird die zunächst unterlassene Aufzeichnung der Aufwendungen oft nicht mehr nachholbar sein. Im übrigen hat auch die Finanzverwaltung seit 1975 ihre Auffassung geändert und die FÄ angewiesen, außergewöhnliche Aufwendungen neben den Pauschbeträgen als Werbungskosten anzuerkennen (vgl. Abschn. 25 Abs. 8 Satz 4 LStR 1975).
Fundstellen
Haufe-Index 72754 |
BStBl II 1978, 381 |
BFHE 1978, 540 |