Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Nachsichtgewährung, wenn infolge eines Versehens im Büro des bevollmächtigten Rechtsanwalts die Rechtsbeschwerde verspätet eingelegt wird.
Normenkette
AO § 86; FGO § 56
Tatbestand
Streitig ist der Erlaß von Umstellungsgrundschuldzinsen und die Aussetzung der Einziehung von Tilgungsleistungen für II/1948 und für 1949 auf Grund des § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich. Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt. Die Oberfinanzdirektion hat die Beschwerde des Beschwerdeführers (Bf.) als unbegründet zurückgewiesen. Das vom Bf. angerufene Finanzgericht hat seine Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Laut bei den Akten des Finanzgerichts befindlicher, den Poststempel vom 27. Februar 1954 tragender Postzustellungsurkunde ist der Brief des Finanzgerichts, der dessen Urteil enthielt, am 27. Februar 1954 in dem Büro des den Bf. vertretenden Rechtsanwalts X. zu Händen seines Angestellten zugestellt worden. Laut ferner bei den Akten befindlicher Postzustellungsurkunde ist das Urteil am gleichen Tage der Oberfinanzdirektion zugestellt worden.
Am 31. März 1954 ist die Rechtsbeschwerde des Rechtsanwalts namens des Bf. beim Finanzgericht eingegangen. Der Bf. hat gebeten, ihm hinsichtlich der Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist Nachsicht zu gewähren, weil der mit den Eingängen in der Kanzlei beschäftigte Angestellte das eingegangene Urteil des Finanzgerichts mit dem Stempel vom 1. März 1954 versehen habe und der Anwalt hierdurch in den Glauben versetzt gewesen sei, das Urteil sei erst am 1. März eingegangen, und die Rechtsmittelfrist laufe daher erst mit dem 1. April 1954 ab. Der Kanzleiangestellte sei äußerst zuverlässig, und es sei unerklärlich, weshalb das Urteil den Eingangsstempel vom 1. März 1954 trage, wenn es laut Zustellungsurkunde am 27. Februar 1954 zugestellt sei.
Entscheidungsgründe
Wie schon der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat (vgl. z. B. Urteil V A 170/21 vom 18. Januar 1922, Slg. Bd. 8 S. 80 ff.), darf sich ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsmäßigen Bürobetrieb im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht genötigt wird, darauf verlassen, daß ihm sein Personal Fristsachen rechtzeitig vorlegt, insbesondere auch die Eingänge und die Termine richtig einträgt. In diesem Umfange trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden, wenn er den Eingang von Terminsachen und ihre fristgerechte Vorlage büromäßig nicht persönlich überwacht. Kommt unter solchen Verhältnissen eine durch ein Versehen des Personals verursachte Fristversäumnis vor, so ist dies im allgemeinen ein Grund zur Nachsichtgewährung, es sei denn, daß dem Rechtsanwalt vorzuwerfen ist, er habe es im allgemeinen an Aufsicht fehlen lassen. Daß in der vorliegenden Sache den Bevollmächtigten des Bf. in dieser Beziehung ein Verschulden treffe, für das der Bf. nach § 86 Satz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) einzustehen hätte, lassen die Vorgänge nicht erkennen. Es bestehen deshalb keine Bedenken, hinsichtlich der Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist dem Bf. Nachsicht zu gewähren.
Der Senat hat es für angemessen erachtet, über diesen selbständigen Streitpunkt durch Zwischenurteil zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kostenlast und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 408023 |
BStBl III 1954, 350 |
BFHE 1955, 363 |
BFHE 59, 363 |