Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob ein von einer Personengesellschaft erzielter Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, muß grundsätzlich im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 215 AO entschieden werden.
Werden nach Einstellung eines Gewerbebetriebs die zu ihm gehörenden Wirtschaftsgüter nicht im wesentlichen in einem Akt an Dritte veräußert oder in das Privatvermögen des Unternehmens überführt, sondern im Wege der Liquidation nach und nach im Laufe mehrerer Wirtschaftsjahre veräußert, so ist der in den einzelnen Wirtschaftsjahren entstehende Gewinn kein Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16 und 34 EStG.
Normenkette
EStG § 15/2, § 16/1, § 34/2/1; AO § 215 Abs. 2 Nr. 2, § 218 Abs. 2
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine KG, betrieb bis Ende 1950 die Zurichtung und Färberei von Rauchwaren. Am 31. Oktober 1950 stellt sie ihren Betrieb ein; am 22. Januar 1951 wurde das Gewerbe abgemeldet. Anschließend wurde liquidiert; die noch vorhandenen Vermögensgegenstände wurden nach und nach veräußert, Forderungen eingezogen und Schulden beglichen. Die Bfin. ermittelte fortlaufend Gewinne und Verluste. Für 1951 wurde vom Finanzamt entsprechend der Erklärung der Bfin. ein Verlust von 4.673 DM und für 1952 ein Gewinn von 5.827 DM festgestellt. Im Streitjahr 1953 erzielte die KG einen buchmäßigen Gewinn von 1.562 DM. Das Finanzamt betrachtete diesen Gewinn als laufenden Gewinn aus Gewerbebetrieb. Die Bfin. wollte dagegen den Gewinn als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn (§ 16 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) behandelt wissen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus, daß, wenn, wie im Streitfall, die bei Betriebsaufgabe vorhandenen Wirtschaftsgüter nach und nach im Laufe von drei Jahren veräußert würden, bei Einstellung des Betriebs keine Betriebsaufgabe im Sinne des § 16 EStG vorliege.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Unstreitig haben die Vorinstanzen den Gewinn der Bfin. der Höhe nach richtig ermittelt. Die Gesellschafter der Bfin. bestreiten nur, daß es ein laufender Gewinn im Sinne des § 15 EStG ist. Sie sehen ihn als Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG an und stützen darauf den Anspruch auf die Vergünstigungen nach § 16 Abs. 4 EStG (Freigrenze von 10.000 DM) und § 34 EStG (ermäßigten Steuersatz).
Die Frage, ob der Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, muß in dem Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (§ 215 der Reichsabgabenordnung - AO -) entschieden werden; die Entscheidung ist nicht erst im Steuerveranlagungsverfahren der Gesellschafter zu treffen. In den Veranlagungsverfahren der Gesellschafter wird zwar über die Anwendung der Vergünstigungsvorschriften entschieden. über die Vorfrage aber, ob der Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, muß mit bindender Wirkung (§ 218 Abs. 2 AO) im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung (§ 215 AO) entschieden werden, um widersprechende Entscheidungen für mehrere Beteiligte auszuschließen und weil die erforderlichen Unterlagen gewöhnlich nur dem Betriebsfinanzamt zur Verfügung stehen. Die Vorschrift des § 215 AO dient der Zweckmäßigkeit. Darum muß auch der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bei ihrer Auslegung eine besondere Rolle spielen (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 230/38 vom 25. Mai 1938, Reichssteuerblatt 1938 S. 718). Aus diesen Erwägungen hat die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nach anfänglichem Schwanken die Frage, ob der von Personengesellschaften erzielte Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, für die Regel in das Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung nach § 215 AO verwiesen (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 381/40 vom 13. November 1940 - Reichssteuerblatt 1940 S. 1042 -, VI 456/41 vom 28. Januar 1942 - Reichssteuerblatt 1942 S. 90 -). Der Senat tritt dieser Rechtsprechung bei. Das Finanzgericht hat deshalb ohne Rechtsverstoß über die ihm unterbreitete Streitfrage im vorliegenden Verfahren nach § 215 AO entschieden.
Sachlich ist die Auffassung des Finanzgerichts nicht zu beanstanden. Die Gesellschafter hätten bei Aufgabe des Betriebs im Jahre 1950 möglicherweise die bei Betriebseinstellung vorhandenen geringwertigen Güter des Anlage- und Umlaufvermögens zum Teilwert in ihr Privatvermögen überführen und dadurch die stillen Reserven mit einem Schlag verwirklichen können. In diesem Fall wäre § 16 in Verbindung mit § 34 EStG anwendbar gewesen. Sie sind aber diesen Weg nicht gegangen, sondern ließen die Güter im Betrieb und veräußerten sie im Wege der Liquidation nach und nach unter Ausweis von Gewinn und Verlust bei der Einzelveräußerung. Eine solche über längere Zeit sich erstreckende Liquidation ist keine Betriebsaufgabe im Sinne des § 16 EStG, wie das Finanzgericht mit Recht ausgeführt hat. Der IV. Senat hat in dem Urteil IV 368/55 U vom 7. März 1957 (Slg. Bd. 64 S. 556, Bundessteuerblatt 1957 III S. 209) im gleichen Sinne entschieden. Der Senat tritt dieser Entscheidung bei.
Mit Recht hat das Finanzgericht der Frage, wann die Gewerbesteuerpflicht der Bfin. erloschen ist (vgl. dazu Abschn. 22 Abs. 1 und 2 der Gewerbesteuer-Richtlinien 1951 und die dort angeführte Rechtsprechung) keine Bedeutung für die hier zu entscheidende Frage beigemessen, ob der unstreitig erzielte Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist. Bei der Beurteilung der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Gewerbesteuerpflicht erlischt, ist das Wesen der Gewerbesteuer als Realsteuer von wesentlichem Einfluß. Dieser Gesichtspunkt scheidet für die vorliegende Streitfrage aus.
Fundstellen
Haufe-Index 408871 |
BStBl III 1957, 414 |
BFHE 1958, 468 |
BFHE 65, 468 |