Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Sachverhaltsermittlung
Leitsatz (NV)
1. Bei der finanzgerichtlichen Prüfung, ob vom FA geltend gemachte steuerbegründende oder steuererhöhende Tatsachen vorliegen, sind alle Umstände des Einzelfalls frei zu würdigen, insbesondere auch, ob der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.
2. Die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen erhöht sich bei außergewöhnlichen Gestaltungen und aus dem Gesichtspunkt der Beweisnähe.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in X ein Transportunternehmen. Im Streitjahr (1978) führte er hauptsächlich Transporte im Nahverkehr für Kiesausbeuteunternehmen und Bauunternehmen aus.
Zwischen dem 2. April und 4. Oktober 1978 wurden auf ein Betriebskonto des Klägers sieben Geldbeträge zwischen 10000 und 40000 DM bar eingezahlt, die der Kläger in seiner Buchführung als Einlagen behandelte.
Auf die Aufforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -), die Herkunft dieser Geldbeträge darzulegen und unter Beweis zu stellen, erklärte der Kläger gegenüber dem FA: Er habe von seinem Vater und seinem Schwiegervater je ... DM erhalten. ... DM habe ihm seine Ehefrau geliehen, die dieses Geld aus dem Verkauf von Schmuck erlöst habe.
Das FA, das im übrigen die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Klägers nicht beanstandete, behandelte die einbezahlten Beträge als nicht versteuerte Einnahmen und unterwarf den Nettobetrag als zusätzlichen Umsatz und zusätzlichen Gewinn der Besteuerung. Im Einspruchsverfahren wiederholte der Kläger im wesentlichen seinen Vortrag und machte darüber hinaus getlend, die Schlußfolgerung des FA, es habe sich um zusätzliche Umsätze und zusätzliche Gewinne gehandelt, könne auch deswegen nicht richtig sein, weil der für das Jahr 1978 erklärte Gewinn durchaus im Rahmen der Vorjahre liege. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage brachte der Kläger vor: Er habe im Jahre 1978 das Geschäftskonto um über ... DM überzogen. Er sei nicht in der Lage gewesen, diese Verbindlichkeit aus dem Unternehmen zu tilgen. Er habe sich deswegen die hierzu nötigen Geldmittel außerhalb des Betriebes verschafft. Seine inzwischen verstorbenen Eltern und seine Schwiegereltern hätten ihm im Jahre 1978 jeweils ... DM überlassen. Seine - inzwischen von ihm geschiedene - Ehefrau habe damals Schmuck verkauft und ihm den Erlös in Höhe von ... DM für den Betrieb überlassen.
Nachdem sich im Laufe des gerichtlichen Verfahrens herausgestellt hatte, daß die Eltern des Klägers bereits in den Jahren 1967 bzw. 1972 verstorben waren, behauptete der Kläger, ... DM stammten aus dem Nachlaß seiner Eltern. Dieser Betrag habe an sich in seinem - des Klägers - Privatvermögen verbleiben sollen. Zum Ausgleich dafür, daß er diese Summe aus seinem Privatvermögen in das Betriebsvermögen eingelegt habe, hätten seine Schwiegereltern ebenfalls einen Betrag von ... DM geleistet. Zum Beweis dafür, daß er aus dem Nachlaß seiner Eltern Geld erhalten habe, legte der Kläger die Fotokopie eines Überweisungsträgers eines Notars vom 19. Februar 1973 über einen Auszahlungsbetrag von ... DM vor.
In seiner Bilanz zum 31. Dezember 1973 hatte der Kläger Einlagen von Privatentnahmen und Erbschaft in Höhe von ... DM ausgewiesen.
Im Erörterungstermin vom 5. November 1987 erklärte der Kläger u.a., der relativ niedrige Umsatz in Höhe von rd. ... DM und der sich daraus ergebende Gewinn von ... DM im Jahre 1978 beruhten darauf, daß sein im Jahre 1974 erworbener Lkw reparaturbedürftig gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) kam aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, der Kläger habe im Jahre 1978 von seinen Schwiegereltern ... DM erhalten und auf das bezeichnete Konto eingezahlt. Es hielt nicht für erwiesen, daß es sich bei den weiteren ... DM um Einlagen und nicht um Erlöse aus Lieferungen oder sonstigen Leistungen des Klägers handele. Es äußerte Bedenken dagegen, daß der Kläger über Jahre hinweg ... DM zu Hause aufbewahrt habe, obwohl er für sein Unternehmen erhebliche Kredite benötigt und hierwegen zwischen ... DM und ... DM jährlich Zinsen aufgewendet habe. Der Kläger habe zur Herkunft dieser Mittel wechselnde Angaben gemacht. Die Verbuchung von Einlagen von Privatentnahmen und Erbschaft in Höhe von ... DM im Jahre 1973 spreche dafür, daß der Kläger den von seinen Eltern von Todes wegen erlangten Betrag bereits seinerzeit ganz oder zum Teil in den Betrieb eingelegt habe. Als nicht glaubhaft erachtete das FG auch die Angaben des Klägers über die angeblich erzielten Erlöse aus Schmuckverkäufen.
Das FG setzte den Gewinn um ... DM herab und wies die Klage in bezug auf die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer im übrigen ab. Insoweit ist das Urteil des FG rechtskräftig geworden. Hinsichtlich der Umsatzsteuer gab das FG der Klage in vollem Umfang statt. Es setzte die Umsatzsteuer für 1978 auf ... DM fest. Zur Begründung führte es aus, Gewinnerhöhungen beruhten nicht zwingend auf Betriebseinnahmen, sondern könnten z.B. auch durch Teilwerterhöhungen zustande kommen. Umsatzerhöhungen seien dagegen steuererhöhende Tatsachen, für die grundsätzlich das FA die Feststellungslast trage. Hierdurch unterscheide sich die Rechtslage bei der Umsatzsteuer einerseits und der Einkommensteuer andererseits.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es führt aus: Die objektive Beweislast für steuererhöhende Merkmale obliege zwar der Behörde. Die Beweisführung sei aber nicht nur durch Unterlagen, Auskünfte usw. möglich, sondern könne sich auch aus den besonderen Umständen des Einzelfalls und aufgrund von Erfahrungssätzen schlüssig ergeben. Die Betriebsvermögensmehrungen von ... DM beim Kläger könnten nur auf nicht erklärten Einnahmen beruhen. Sie seien nicht auf Teilwerterhöhungen zurückzuführen, weil die Bilanzen des Klägers für das Streitjahr und für die Vorjahre keine entsprechenden Posten aufwiesen. Da die Verhältnisse beim Kläger leicht überschaubar seien, könne der Zuwachs nur im Bereich des Unternehmens angefallen sein. Niemand könne mehr Geld ausgeben oder anlegen, als er aus seinen steuerpflichtigen oder sonstigen Quellen zur Verfügung habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zutreffend rügt das FA, daß das FG gewisse für die Beweiswürdigung geltende Rechtsgrundsätze verletzt habe.
a) Bei der finanzgerichtlichen Prüfung, ob vom FA geltend gemachte steuerbegründende oder steuererhöhende Tatsachen vorliegen, sind alle Umstände des Einzelfalles frei zu würdigen (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Oktober 1992 VI R 62/88, BFHE 169, 432, BStBl II 1993, 117). Hierzu zählt insbesondere, ob der Steuerpflichtige der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nachkommt (BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 129/85, BFHE 165, 326, BStBl II 1992, 55). Die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen verstärkt sich bei außergewöhnlichen Gestaltungen, z.B. der Einzahlung hoher Barbeträge, bei widersprüchlichen, teilweise eindeutig widerlegten Angaben zur Herkunft der eingezahlten Mittel und aus dem Gesichtspunkt der Beweisnähe, wenn der Steuerpflichtige allein in der Lage ist, die erforderlichen Informationen zu geben (BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Wird der Steuerpflichtige diesen Anforderungen an seine Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung nicht gerecht, können sich das FA und das FG hinsichtlich steuerbegründender und steuererhöhender Tatsachen mit einem geringeren Grad an Überzeugung begnügen (BFH-Urteile in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 30. November 1989 I R 14/87, unter A 3. c, BFHE 159, 82, BStBl II 1990, 993). In solchen Fällen kann von dem Sachverhalt ausgegangen werden, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht (BFH-Urteil in BFHE 159, 82, BStBl II 1990, 993, a.a.O.).
b) Diese Grundsätze hat das FG bei seiner Entscheidung nicht beachtet. Es wird bei einer erneuten Beweiswürdigung die besonderen Umstände des Falles, insbesondere die Ungewöhnlichkeit der Einzahlung hoher Barbeträge, die widersprüchlichen, zum Teil widerlegten Angaben des Klägers und dessen Beweisnähe zu berücksichtigen haben.
Fundstellen