Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungsbefugnis einer Rechtsanwalts-AG; ausreichende Revisionsbegründung durch Bezugnahmen; Schutzwirkung des § 277 AO 1977 für Gesamtschuldner
Leitsatz (amtlich)
1. Auch Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der AG kommen als vor dem BFH vertretungsberechtigte Personen in Betracht.
2. Für die ordnungsgemäße Begründung der Revision reicht es jedenfalls aus, wenn die Revisionsbegründung auf die in Kopie beigefügte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und auf den mit Gründen versehenen, die Revision wegen Divergenz zulassenden Beschluss des BFH Bezug nimmt, die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ihrerseits ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt und der BFH in seinem Zulassungsbeschluss das Vorliegen der gerügten Divergenz bejaht hat.
3. Der nach § 268 AO 1977 gestellte Aufteilungsantrag ist identisch mit dem in § 277 AO 1977 genannten Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung. § 277 AO 1977 entfaltet seine Schutzwirkung für jeden der Gesamtschuldner, solange über einen Aufteilungsantrag noch nicht unanfechtbar entschieden ist. Verwertungsmaßnahmen (wie z.B. die Einziehung einer Forderung) sind daher erst nach Bestandskraft des Aufteilungsbescheids zulässig, unabhängig davon, ob der betreffende Gesamtschuldner diesen Schutz auch verdient.
Normenkette
AO 1977 §§ 268, 277; FGO § 62a Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a; BRAO § 59c
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat am im November 2000 zusammen mit seiner Ehefrau beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) die Aufteilung seiner Einkommensteuerschuld 1998 beantragt. Mit Aufteilungsbescheid vom November 2000 wurde dem Antrag stattgegeben. Dabei entfielen 100 % des aufzuteilenden Betrages auf den Kläger. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage gegen den Aufteilungsbescheid.
Im Dezember 2000 erließ das FA gegen den Kläger eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in dessen Konten bei der S. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen mit dem Bestehen eines Vollstreckungsverbots nach § 277 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Anfechtungsklage, die er nach Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellte, mit der er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom Dezember 2000 begehrte.
Das Finanzgericht (FG) bejahte zwar ein berechtigtes Interesse des Klägers an dieser Feststellung wegen konkreter Wiederholungsgefahr, wies die Klage jedoch als unbegründet ab. Dabei führte es aus, die Pfändungsverfügung diene lediglich der Sicherung und werde daher durch § 277 AO 1977 nicht ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einziehungsverfügung komme § 277 AO 1977 nicht zum Zuge, weil "nicht jeder Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld gleichzeitig ein(en) Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung" beinhalte. Der Aufteilungsantrag habe lediglich hinsichtlich der Ehefrau des Klägers eine Beschränkung der Vollstreckung bewirkt, nicht aber auch hinsichtlich des Klägers, da diesem nach der Aufteilung die Schuld allein zuzurechnen sei. Der Kläger falle nicht in den Schutzbereich des § 277 AO 1977. Er sei aufgrund der Aufteilung alleiniger Vollstreckungsschuldner für Vollstreckungszwecke. Die Vorschrift des § 277 AO 1977 besage nicht, wie der Kläger meine, dass der durch die Vorschrift gewährte Schutz bereits dann eingreife, "wenn über den Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld unanfechtbar nicht entschieden sei". Es sei auch rechtsmissbräuchlich, einen Aufteilungsbescheid zu beantragen und den dann ergangenen Bescheid ohne Angabe von Gründen nur deshalb anzufechten, um die Vollstreckung zu verhindern.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin ließ der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 17. Februar 2003 die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung insoweit zu, als es dem Kläger auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einziehungsverfügung des FA vom Dezember 2000 ankam. Hinsichtlich der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit auch der Pfändungsverfügung des FA vom Dezember 2000 war damit das klageabweisende Urteil des FG rechtskräftig geworden.
In dem nach § 116 Abs. 7 FGO als Revisionsverfahren fortgeführten Verfahren nimmt der Kläger, der durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG) vertreten wird, zur Begründung seiner Revision auf seine in Kopie beigefügte Nichtzulassungsbeschwerde und den Zulassungsbeschluss des BFH sowie hinsichtlich des Feststellungsinteresses auf seinen ebenfalls in Kopie beigefügten Schriftsatz vom … an das FG und die vom FA nicht bestrittenen Ausführungen zur Wiederholungsgefahr im vorinstanzlichen Urteil Bezug.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die angefochtene Einziehungsverfügung rechtswidrig war.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit dieses mit der Entscheidung des BFH über die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers noch nicht rechtskräftig geworden ist, und zu der vom Kläger begehrten Feststellung, dass die Einziehungsverfügung des FA vom Dezember 2000 rechtswidrig war (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
1. Die Revision ist zulässig. Der Kläger ist ordnungsgemäß vor dem BFH vertreten; der Inhalt der Revisionsbegründung entspricht den Mindestanforderungen.
a) Nach § 62a Abs. 2 FGO i.V.m. § 3 Nr. 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) sind auch Rechtsanwaltsgesellschaften zur Vertretung vor dem BFH berechtigt, wenn sie durch Personen tätig werden, die ―wie im Streitfall die auftretende Rechtsanwältin― gemäß § 3 Nr. 1 StBerG i.V.m. § 62a Abs. 1 Satz 1 FGO zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen und damit zur Vertretung vor dem BFH befugt sind. Die Rechtsform der Rechtsanwaltsgesellschaft wird in § 62a Abs. 2 FGO nicht vorgeschrieben. Daher kommen auch Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der AG als vor dem BFH vertretungsberechtigte Personen in Betracht (BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2003 I B 168/03, BFH/NV 2004, 224; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 62a Rz. 10; Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 62a FGO Rz. 26; Dumke in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 62a Rz. 18). Auch die Begründung des Gesetzgebers zu dem neuen § 62a FGO geht, ohne irgend welche Einschränkungen für eine AG zu machen, davon aus, dass "künftig auch Berufsgesellschaften mit (Voll-)Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen vor dem Bundesfinanzhof vertretungsberechtigt sind" (BTDrucks 14/4061, 8).
Dem steht nicht entgegen, dass die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gegenwärtig in den §§ 59c ff. lediglich Zulassungsregelungen für Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) kennt. Daraus folgt aber nicht, dass die mit der Zulassung von Rechtsanwaltsgesellschaften betraute Landesjustizverwaltung (§ 59g Abs. 1 Satz 1 BRAO) bzw. ―im Streitfall― die Rechtsanwaltskammer, auf welche in Nordrhein-Westfalen diese Befugnis übertragen worden ist (vgl. § 224a Abs. 1 BRAO, § 1 der Verordnung zur Übertragung von Befugnissen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 26. Januar 1999, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1999, 40), nur Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH zulassen darf. Das Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) lässt es vielmehr geboten erscheinen, in entsprechender Anwendung der §§ 59c Abs. 1, 59g BRAO auch Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform einer AG zuzulassen (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 27. März 2000 3 Z BR 331/99, Monatsschrift für Deutsches Recht 2000, 733; s. auch BFH in BFH/NV 2004, 224, jeweils m.w.N. aus dem Schrifttum; a.A. Kempter/Kopp, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 777, 781, die eine Rechtsanwalts-AG de lege lata nur als Organisations- und/oder Besitz-AG, nicht aber auch als Berufsausübungsgesellschaft zulassen wollen). Überdies wäre es auch, wie bereits der I. Senat des BFH in seinem Beschluss in BFH/NV 2004, 224 ausgeführt hat, mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren, dass zwar eine Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Rechtsform der AG vor dem BFH auftreten darf (§ 49 StBerG, § 27 der Wirtschaftsprüferordnung), nicht aber auch eine gesellschaftsrechtlich ebenso strukturierte Rechtsanwaltsgesellschaft.
Der Senat geht davon aus, dass die den Kläger vertretende Rechtsanwaltsgesellschaft von der zuständigen Rechtsanwaltskammer zugelassen ist. Gegenteilige Anhaltspunkte sind vom FA nicht vorgebracht worden und auch nicht ersichtlich.
b) Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Hierzu wird von der Rechtsprechung des BFH gefordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lässt, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält, und dass der Revisionskläger ferner die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angibt, die seiner Auffassung nach das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Norm, nämlich das Revisionsgericht zu entlasten und den Revisionskläger zu zwingen, Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen (vgl. z.B. die Senatsbeschlüsse vom 30. April 2002 VII R 109/00, BFH/NV 2002, 1185, und vom 31. Oktober 2002 VII R 4/02, BFH/NV 2003, 328). Demgemäß muss sich der Revisionskläger mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinander setzen und darlegen, weshalb er diese für unrichtig hält (vgl. BFH, Beschluss vom 16. Oktober 1998 III R 7/98, BFH/NV 1999, 501; Urteil vom 16. März 2000 III R 21/99, BFHE 192, 169, BStBl II 2000, 700; Senatsbeschluss in BFH/NV 2003, 328).
Diese Anforderung schließt es im Allgemeinen aus, dass die Revision allein durch Bezugnahme auf Schriftsätze begründet wird, die in einem früheren Abschnitt des Verfahrens eingereicht worden sind. Insbesondere kann wegen der unterschiedlichen Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde einerseits und einer Revision andererseits zur Begründung der Revision regelmäßig nicht allein auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, die zur Zulassung der Revision geführt hat, Bezug genommen werden (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 62, m.w.N.). Ausnahmen hiervon hat die Rechtsprechung des BFH allerdings dann zugelassen, wenn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde inhaltlich zugleich den Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügt, weil sie bereits eine ausreichende kritische Würdigung des angefochtenen Urteils unter dem Gesichtspunkt seiner materiell-rechtlichen und/oder verfahrensrechtlichen Richtigkeit enthält. So wird eine Bezugnahme der Revisionsbegründung auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere dann als zulässig erachtet, wenn die Revision auf einen Verfahrensmangel gestützt wird und der BFH in dem die Revision zulassenden Beschluss den gerügten Verfahrensmangel bejaht und deshalb die Revision zugelassen hat (vgl. BFH-Urteile vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578; vom 7. März 1995 XI R 82/93, BFH/NV 1995, 990, und vom 5. Juni 1997 III R 183/94, BFH/NV 1998, 203).
Wegen der insoweit mit der Verfahrensrüge vergleichbaren Rechtslage bei einer Divergenzrüge können diese ausnahmsweise geltenden Grundsätze für die Begründung einer Verfahrensrevision auch für eine auf Divergenz gestützte Revision herangezogen werden. Hiernach reicht es für eine ordnungsgemäße Begründung der Revision jedenfalls aus, wenn die Revisionsbegründung auf die in Kopie beigefügte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und auf den mit Gründen versehenen, die Revision zulassenden Beschluss des BFH Bezug nimmt, die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ihrerseits ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt und das Revisionsgericht in seinem Zulassungsbeschluss das Vorliegen der gerügten Divergenz bejaht hat (BFH-Urteil vom 2. Juli 1998 IV R 60/97, BFH/NV 1999, 149; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 62).
Genauso liegt es im Streitfall. Der Kläger hat in seiner Nichtzulassungsbeschwerde ausreichend dargelegt, dass das FG in dem angefochtenen Urteil zu § 277 AO 1977 eine Auffassung vertreten hat, die von dem BFH-Beschluss vom 30. November 1993 VII B 199/93 (BFH/NV 1994, 525) in entscheidungserheblicher Weise abweicht. Der erkennende Senat hat in seinem Zulassungsbeschluss vom 17. Februar 2003 VII B 234/02 (BFH/NV 2003, 1063) die Revision wegen dieser geltend gemachten Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Es genügt daher noch den Anforderungen an eine Revisionsbegründung, wenn sich der Kläger auf die der Revisionsbegründung in Kopie beigelegte Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Schriftsatz … bezieht.
Hinsichtlich der Darlegung des nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO für die erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen berechtigten Interesses, für das sich der Kläger auf seinen der Revisionsbegründung in Kopie beigefügten Schriftsatz … bezieht, waren weitere Ausführungen entbehrlich, da das FG in dem angefochtenen Urteil selbst das Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr bejaht hat, das FA hiergegen keine Einwendungen erhoben hat und der Senat auch keine Veranlassung sieht, die diesbezüglichen Ausführungen des FG in Frage zu stellen.
2. Die Revision ist auch begründet. Die Rechtsauffassung des FG zu § 277 AO 1977 steht nicht im Einklang mit dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das angefochtene Urteil war daher, soweit es im Umfang der Zulassung der Revision noch nicht rechtskräftig geworden ist, aufzuheben; ferner war antragsgemäß festzustellen, dass die Einziehungsverfügung des FA vom Dezember 2000 rechtswidrig war (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
a) Nach § 277 AO 1977 dürfen, solange nicht über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung unanfechtbar entschieden ist, Vollstreckungsmaßnahmen nur soweit durchgeführt werden, als dies zur Sicherung des Anspruchs erforderlich ist. Unter "Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung" ist der Aufteilungsantrag nach § 268 AO 1977 zu verstehen, wonach bei zusammenveranlagten Personen, die gesamtschuldnerisch die festgesetzte Einkommensteuer schulden, jeder von ihnen beantragen kann, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO 1977 bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Einen solchen Antrag hat der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau im November 2000 beim FA gestellt.
Schon nach dem Wortlaut des § 277 AO 1977 ist es unerheblich, welcher der Gesamtschuldner den Aufteilungsantrag gestellt hat. Der Aufteilungsantrag eines der Gesamtschuldner zieht die Rechtsfolge des § 277 AO 1977 für beide Gesamtschuldner nach sich, und zwar unabhängig davon, welches das voraussichtliche Ergebnis der Aufteilung durch die Finanzbehörde sein wird. Selbst wenn die Aufteilung bereits durchgeführt ist und hiernach ―wie im Streitfall gemäß dem Aufteilungsbescheid vom November 2000― einer der Gesamtschuldner (hier: der Kläger) die gesamte Steuerlast zu tragen hat, während der andere Gesamtschuldner (die Ehefrau des Klägers) vollständig verschont wird, bleibt die Rechtsfolge des § 277 AO 1977 noch solange in Kraft, bis die Rechtskraft des Aufteilungsbescheids eingetreten ist, denn erst dann ist über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung unanfechtbar entschieden. Dies macht auch Sinn, denn ist ein Rechtsbehelf gegen den Aufteilungsbescheid eingelegt, besteht die Möglichkeit, dass die Aufteilung im Rechtsbehelfsverfahren oder ggf. in einem sich anschließenden Klageverfahren noch geändert wird. Vollstreckungsmaßnahmen, die über Maßnahmen zur Sicherung des Steueranspruchs hinausgehen, sollen aber erst dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Aufteilung unabänderlich, also bestandskräftig ist. Erst dann kommt die volle Wirkung der Vollstreckung, und zwar nach Maßgabe der auf die einzelnen Gesamtschuldner entfallenden Beträge, zum Zuge (§ 278 Abs. 1 AO 1977). Jeder Gesamtschuldner (Ehegatte) trägt nunmehr "seine" Steuerschuld allein. Im Streitfall hatte der Kläger den Aufteilungsbescheid angefochten und nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
b) In dem vorstehend ausgeführten Sinne (2. a) ist § 277 AO 1977 im Zusammenhang der Aufteilungsvorschriften in der Rechtsprechung des erkennenden Senats verstanden und angewendet worden (vgl. das Senatsurteil vom 12. Juni 1990 VII R 69/89, BFHE 163, 498, 502, BStBl II 1991, 493, 495, und den Senatsbeschluss in BFH/NV 1994, 525). Aus dem Schrifttum ist eine abweichende Auffassung nicht ersichtlich.
Wenn demgegenüber das FG der Auffassung ist, die Voraussetzungen des § 277 erster Halbsatz AO 1977 seien im Streitfall nicht erfüllt, weil nicht jeder Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld gleichzeitig einen Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung beinhalte, möchte das FG die Schutzwirkung des § 277 AO 1977 ersichtlich demjenigen der Gesamtschuldner nicht zugute kommen lassen, der nach der noch nicht bestandskräftigen, also noch nicht endgültigen Aufteilung die Steuer schuldet.
Diese Auffassung des FG ist sowohl im Ansatz als auch in den Folgen rechtsfehlerhaft. Es gibt keinen Grund, Anträge auf Aufteilung der Steuer gemäß § 268 AO 1977 nach dem voraussichtlich zu erwartenden Ergebnis der Aufteilung dahin gehend zu differenzieren, dass sie nur dann als Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung i.S. des § 277 AO 1977 angesehen werden, wenn sie von dem Gesamtschuldner, gegen den letztlich auch die Steuer oder jedenfalls ein Teilbetrag der Steuer vollstreckt werden kann, gestellt worden sind. Wäre dem so, machte die Maßgabe des § 277 AO 1977, dass nämlich über den Antrag unanfechtbar entschieden worden sein muss, ehe endgültige Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, keinen Sinn. Denn dann hätte der Gesetzgeber auf den Zeitpunkt des Aufteilungsbescheids und nicht auf dessen Bestandskraft abstellen müssen. Die vom FG vorgenommene Differenzierung, wonach die von der Finanzbehörde im Aufteilungsbescheid festgelegte Aufteilung der Steuerschuld für die Vollstreckung als maßgeblich erachtet würde, führte nämlich dazu, dass die bewusste Festlegung des Gesetzgebers auf die Bestandskraft der Aufteilung umgangen würde. Das voraussichtliche oder vermeintliche Ergebnis der Aufteilung darf aber keinesfalls vorweggenommen werden. Dies kann nur verhindert werden, indem klar daran festgehalten wird, dass der nach § 268 AO 1977 gestellte Aufteilungsantrag in jedem Fall gleichzeitig der in § 277 AO 1977 genannte Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung ist. Es handelt sich um ein und denselben Antrag.
Dass § 277 AO 1977 mithin für jeden der Gesamtschuldner Schutzwirkung entfaltet, solange über einen Aufteilungsantrag noch nicht unanfechtbar entschieden ist, ist weder unangemessen noch anstößig. Das Vollstreckungsinteresse des Fiskus kann solange zurückstehen, bis die Aufteilung der Steuerschuld endgültig ist und nicht mehr auf einen Rechtsbehelf hin der Abänderung unterliegt. Der mit der Gewähr der größeren Richtigkeit versehenen, wenn auch zeitlich aufgeschobenen Verwertung von gepfändeten oder sonst sichergestellten Vermögensgegenständen wird der Vorzug vor einer zügigen und möglicherweise voreiligen Verwertung gegeben, ohne dass die Befriedigung des Fiskus letztlich gefährdet würde, denn ihm stehen alle Möglichkeiten der Pfändung und sonstiger Sicherungsmaßnahmen offen; aufgeschoben werden muss lediglich die Verwertung, bis die Aufteilung bestandskräftig ist (Senat in BFH/NV 1994, 525). Es erscheint somit ausgeschlossen, dass die gesetzliche Regelung letztlich zu Steuerausfällen führt.
Die Schutzwirkung des § 277 AO 1977 kommt im Übrigen, anders als das FG meint, auch demjenigen zu, der einen Aufteilungsbescheid beantragt hat und diesen, ohne eine Begründung zu geben, nur aus dem Grunde anficht, um die endgültige Vollstreckung hinauszuschieben. Wieso dies rechtsmissbräuchlich sein soll, hat das FG nicht näher belegt. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass ein vom Gesetzgeber gewährtes Mittel des Vollstreckungsschutzes auch zu Zwecken nutzbar gemacht wird, die der Gesetzgeber möglicherweise nicht bedacht hat. Daher darf bei der Anwendung des § 277 AO 1977 nicht danach gefragt werden, ob der betreffende Gesamtschuldner den Vollstreckungsschutz auch verdient. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass der Schutz nach § 277 AO 1977 zunächst auch denjenigen zugute kommt, die vollstreckungshindernde Interessen ohne rechtlichen Grund vertreten (Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 277 AO 1977 Rz. 7; Kraemer, Die Aufteilung einer Gesamtschuld, Deutsche Steuer-Zeitung 1989, 609, 612).
3. Da das angefochtene Urteil auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da die Einziehungsverfügung des FA über eine bloße Sicherungsmaßnahme hinausgeht und bereits einen Akt der Verwertung darstellt (Senat in BFH/NV 1994, 525), hätte das FA die Einziehung der Steuerforderung gegenüber dem Kläger nicht verfügen dürfen, solange über dessen Aufteilungsantrag noch nicht unanfechtbar entschieden war. Nach Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung durch das FA konnte der Kläger seine Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellen (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). An dem berechtigten Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einziehungsverfügung wegen vom FG bejahter Wiederholungsgefahr besteht kein Zweifel. Daher war unter Aufhebung des FG-Urteils in dem angefochtenen Umfang festzustellen, dass die Einziehungsverfügung des FA vom Dezember 2000 rechtswidrig war.
Fundstellen
Haufe-Index 1143911 |
BFH/NV 2004, 855 |
BStBl II 2004, 566 |
BFHE 2004, 22 |
BFHE 205, 22 |
BB 2004, 1094 |
DB 2004, 1134 |
DStRE 2004, 792 |
DStZ 2004, 356 |
HFR 2004, 764 |