Leitsatz (amtlich)
Hilft die Gemeinde dem bei ihr eingelegten Einspruch gegen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte nicht ab und legt sie deshalb die Sache dem FA zur Entscheidung vor, so ist gemäß § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG die Einspruchsentscheidung vom FA zu erlassen.
Normenkette
EStG § 39 Abs. 6 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die seit 1979 geschiedene frühere Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) erklärte im Jahre 1978 gegenüber der Lohnsteuerstelle der zuständigen Stadtverwaltung, sie lebe vom Kläger seit 1977 getrennt und führe gemeinsam mit den beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kindern einen eigenen Haushalt. Die Stadt änderte darauf die Lohnsteuerkarte 1979 des Klägers dahingehend, daß sie mit Wirkung vom 1. Januar 1979 statt der Steuerklasse III, Zahl der Kinder 2, nur noch die Steuerklasse I eintrug. Hiergegen legte der Kläger bei der Stadt Einspruch mit der Begründung ein, die Behauptungen seiner früheren Ehefrau träfen nicht zu. Die Stadt gab den Einspruch zur weiteren Bearbeitung an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) ab. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit der Klage beantragte der Kläger, die Einspruchsentscheidung des FA und die Entscheidung der Stadtverwaltung über die Änderung der Steuerklasseneintragung aufzuheben. Er machte geltend, die Familienwohnung sei auch noch in den Jahren 1978 und 1979 Mittelpunkt des ehelichen Lebens gewesen.
Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf und führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1980, 343 veröffentlichten Urteil zur Begründung im wesentlichen aus: Zuständig für die Entscheidung über den Einspruch sei nicht das FA, sondern die Stadt gewesen. Nach § 39 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe die Eintragung und die Änderung der Steuerklasse durch die Gemeinde zu erfolgen. Der gegen diesen Verwaltungsakt gegebene Einspruch sei daher gemäß § 367 der Abgabenordnung (AO 1977) ebenfalls bei der Gemeinde einzulegen und von dieser zu entscheiden. Durch die Abgabe der Sache an das FA sei es weder sachlich noch örtlich zuständig geworden. Die Gemeinde hätte als selbständige Landesfinanzbehörde über den Einspruch entscheiden müssen. Die Weisungsbefugnis des FA ändere daran nichts. Wegen dieses Verfahrensfehlers müsse die Einspruchsentscheidung aufgehoben werden, damit die sachlich zuständige Stadt über den Einspruch entscheiden könne. Eine Entscheidung zur materiellen Rechtslage sei daher nicht möglich.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 39 Abs. 6 EStG. Das FA könne einen bei der Gemeinde eingelegten Einspruch aus Zweckmäßigkeitsgründen an sich ziehen. § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG gehe als speziellere Vorschrift der allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift des § 367 Abs. 1 AO 1977 vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Entgegen der Ansicht des FG hat das FA zu Recht über den bei der Stadt eingelegten Einspruch entschieden.
a) Nach § 39 Abs. 1 EStG ist die Gemeinde für die Ausstellung der Lohnsteuerkarten zuständig. Die Gemeinde hat gemäß § 39 Abs. 3 EStG u. a. die Steuerklasse und die Zahl der Kinder auf der Lohnsteuerkarte einzutragen und diese Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte auf Antrag oder von Amts wegen zu ändern, wenn sie von den Verhältnissen zu Beginn des Kalenderjahres zugunsten des Arbeitnehmers abweichen (§ 39 Abs. 4 EStG). Die Eintragungen sind gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen i. S. des § 179 Abs. 1 AO 1977 (§ 39 Abs. 3 Satz 4 EStG). Hiergegen ist als außergerichtlicher Rechtsbehelf der Einspruch gegeben (§ 348 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977).
Das FG meint, gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 habe die Gemeinde über den bei ihr eingelegten Einspruch zu entscheiden, weil sie den ursprünglichen Verwaltungsakt (Eintragung und Änderung der Lohnsteuerkarte) als sachlich zuständige Finanzbehörde erlassen habe. Ein Teil des Schrifttums hat sich dieser Auffassung im Ergebnis angeschlossen (vgl. Giloy, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB--, Fach 6, S. 1725, 1808 Anm. 88; Giloy/Grudschok/Kleinsorge/Tullius, Einkommensteuer einschließlich Lohnsteuer, Kommentar, § 39 Anm. 3e). Überwiegend herrscht aber die Ansicht vor, das FA habe über den Einspruch zu entscheiden, wenn die Gemeinde diesem nicht abhelfe. Die Zuständigkeit des FA für die Einspruchsentscheidung wird entweder mit § 367 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., § 39 Tz. 48; Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuer-Recht, § 39 Anm. 17) oder mit § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG begründet (Horlemann, Der Betrieb --DB-- 1980, 995; Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 39 Anm. 7; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 39 Tz. 67; wohl auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 39 EStG, grüne Blätter, Erläuterungen zu Abs. 6).
Nach Auffassung des Senats hat das FA aufgrund der Vorschrift des § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG die Einspruchsentscheidung zu erlassen, wenn die gemeinde dem bei ihr eingelegten Einspruch nicht abhilft und deshalb die Sache dem FA zur Entscheidung vorlegt. Hiervon ist er im Ergebnis schon in seinem Urteil vom 14. August 1981 VI R 33/78 (BFHE 134, 277, BStBl II 1982, 111) ausgegangen.
An sich wären zwar die Gemeinden als Landesfinanzbehörden zur Entscheidung über den Einspruch gegen die von ihnen vorgenommenen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte berufen (§ 367 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Nach § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG kann aber das FA erforderlichenfalls Verwaltungsakte, für die die Gemeinde sachlich zuständig ist, selbst erlassen. Das FA ist demgemäß berechtigt, die sachliche Zuständigkeit an sich zu ziehen, indem es die Entscheidung über den Einspruch gegen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte durch die Gemeinde selbst erläßt. Das FA hat aufgrund des § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG eine der Gemeinde als Landesfinanzbehörde gegenüber vorrangige sachliche Zuständigkeit, so daß trotz der Vorschrift des § 367 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 die Einspruchsentscheidung vom FA erlassen werden kann.
b) Auf § 367 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 läßt sich die sachliche Zuständigkeit des FA für den Erlaß der Einspruchsentscheidung dagegen nicht stützen. Diese Vorschrift greift nur ein, wenn eine Behörde einen Verwaltungsakt für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat. Die Gemeinde nimmt aber Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte nicht "für" das FA vor, sondern sie tut dies aufgrund des § 39 Abs. 6 EStG in eigener sachlicher Zuständigkeit. Daran ändert nichts, daß nach § 248 Abs. 3 Satz 2 der Reichsabgabenordnung das FA über Einsprüche gegen Verfügungen einer Hilfsstelle des FA zu entscheiden hatte und an die Stelle dieser Vorschrift § 367 Abs. 3 AO 1977 getreten ist. Denn da die Gemeinden nunmehr als örtliche Landesfinanzbehörden in eigener sachlicher Zuständigkeit tätig werden, können sie nicht mehr als Hilfsstellen der FÄ angesehen werden (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 39 EStG, grüne Blätter, Erläuterungen zu Abs. 6; Drenseck in Schmidt, a. a. O., § 39 Anm. 7; Lademann/Söffing/Brockhoff, a. a. O., § 39 Tz. 67).
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG muß noch darüber entscheiden, welche Steuerklasse auf der Lohnsteuerkarte des Klägers einzutragen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 74658 |
BStBl II 1983, 520 |
BFHE 1983, 390 |