Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff "Arbeitsstätte" bei einem Schlafwagenschaffner.
Normenkette
EStG 1967 § 9 Abs. 1; LStDV 1966 § 20
Tatbestand
Der Kläger ist als Schlafwagenschaffner bei der Deutschen Schlafwagen- und Speisewagen-Gesellschaft mbH (DSG) beschäftigt. Im Lohnsteuerjahresausgleich 1967 machte er unter anderem 4 431 DM mit folgender Begründung als Werbungskosten geltend: Er sei im Jahre 1967 an 211 Tagen als Schaffner auf Dienstreisen unterwegs gewesen, so daß ihm der Pauschsatz für Verpflegungsmehraufwand von 21 DM täglich zustehe. Das FA sah die Fahrten nicht als Dienstreisen an und gewährte dem Kläger für jeden Einsatztag, an dem er mehr als 12 Stunden von der Wohnung abwesend war, einen Pauschbetrag von nur 5 DM (insgesamt 1 055 DM).
Mit der Klage trug der Kläger vor: Er müsse während seiner Dienstzeit den Schlafwagen begleiten. Aus dem Lauf des Wagens ergebe sich eine Abwesenheit von zwei Nächten. In seinem Fall bestehe eine Reise in der Regel aus vier Nächten. Das liege daran, daß seine Reise von Frankfurt am Main nach Wien, von Wien nach Stuttgart, von da wieder nach Wien und dann nach Frankfurt zurück führe. Auf diese Tour entfielen etwa 2/3 seiner Tätigkeit. Außerdem befahre er noch die Strecken Frankfurt am Main-Hamburg und Heidelberg-Kiel. An den Wendestationen seien von der Arbeitgeberin Unterkünfte bereitgestellt. Essen müsse er aber in Gaststätten, die in der Nähe des Bahnhofs lägen und bekanntlich sehr teuer seien. Er dürfe für sich Brote mitnehmen und könne sich in seinem Dienstabteil auch Kaffee oder Tee kochen. Im übrigen sei ihm aber die Mitnahme von Lebensmitteln durch den Arbeitsvertrag verboten. Er unterscheide sich also von Arbeitnehmern, die aufgrund eines längeren Anmarschweges mehr als zwölf Stunden von der Wohnung entfernt seien. Als "Ort" der regelmäßigen Arbeitsstätte, der im Abschnitt 21 Abs. 2 LStR für die Begriffsbestimmung einer "Dienstreise" wesentlich sei, könne nur ein geographischer Ort in Betracht kommen, nicht etwa, wie das FA meine, der Schlafwagen.
Das FG gab der Klage statt und führte insbesondere aus: Die im Abschn. 21 Abs. 2 LStR enthaltene Begriffsbestimmung für eine "Dienstreise" sei nach der Rechtsprechung des BFH (Entscheidungen VI 249/62 U vom 15. März 1963, BFH 76, 818, BStBl III 1963, 298; VI 116/65 vom 17. August 1966, BFH 86, 713, BStBl III 1966, 634) mit dem EStG vereinbar. Es teile nicht die Auffassung des FA, daß der Ort der dienstlichen Tätigkeit des Klägers der rollende Zug oder der Schlafwagen sei. Es gehe vielmehr davon aus, daß der Sitz des Arbeitgebers in Frankfurt am Main der Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit und aus diesem Grunde die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers sei. Von hier aus unternehme der Kläger dauernd seine auswärtige Tätigkeit und hierher kehre er regelmäßig zurück. Da somit eine Dienstreise vorliege, habe der Kläger grundsätzlich Anspruch auf die steuerliche Anerkennung der Pauschsätze für Verpflegungsmehraufwand, deren Anwendung auch nicht zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung führe.
Das FA begründet seine vom FG zugelassene Revision wie folgt: Der Sitz der Arbeitgeberin in Frankfurt am Main könne nicht die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers sein, weil eine solche Annahme den tatsächlichen Verhältnissen widerspreche. Der Kläger fahre regelmäßig von seiner Wohnung "zum Bahnhof, zum Schlafwagen - zur tatsächlichen Arbeitsstätte". Das Büro des Arbeitgebers werde weder aufgesucht noch berührt. Es könne zwar in anderen Fällen unerheblich sein, ob eine Dienstreise von der regelmäßigen Arbeitsstätte oder von der Wohnung aus angetreten werde. Im vorliegenden Falle handele es sich jedoch um einen permanenten Vorgang. Herkömmlich werde unter einer Reise eine sich nicht mehr oder minder regelmäßig wiederholende Überbrückung von Entfernungen verstanden. Der Dienst des Klägers bestehe gerade darin, seine Arbeitskraft nach einem bestimmten Fahrplan ausschließlich und regelmäßig auf dem Schlafwagen einzusetzen. Es sei im Verfahren bisher nicht zur Sprache gekommen, aber durchaus denkbar, daß ebenso wie von Frankfurt aus auch von anderen Großstädten aus Schlafwagenschaffner der gleichen Gesellschaft eingesetzt würden. Dann könne mit dem Firmensitz als regelmäßiger Arbeitsstätte nicht mehr argumentiert werden. Der Firmensitz könne somit auch bei weitester Auslegung nicht als "regelmäßige Arbeitsstätte" angesehen werden. Solange aber die regelmäßige und die tatsächliche Arbeitsstätte nicht auseinanderfielen, läge auch eine Dienstreise nicht vor. Damit verbiete sich die Anwendung der im Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3a LStR enthaltenen Pauschsätze für Verpflegungsmehraufwand.
Das FA hat beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er macht geltend: Das Vorbringen des FA lasse eine Erklärung darüber vermissen, wo sich nach seiner Auffassung die regelmäßige Arbeitsstätte befunden habe. Die Behauptung, sie habe sich "im Schlafwagen" befunden, sei unzulänglich. Denn der Kläger arbeite nicht in einem, sondern monatlich in acht verschiedenen Schlafwagen. Er könne nicht monatlich acht verschiedene regelmäßige Arbeitsstätten haben. Zuzustimmen sei der Revision nur insoweit, als nicht notwendigerweise für jeden Schlafwagenschaffner der Sitz der Arbeitgeberin in Frankfurt am Main als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen sei, sondern für jeden Schaffner immer derjenige Ort und diejenige Dienststelle, von der aus er regelmäßig eingesetzt werde. Das müsse nicht unbedingt Frankfurt am Main sein.
Es sei außerdem darauf hinzuweisen, daß der Kläger an mindestens 26 Arbeitstagen im Jahr Bereitschaftsdienst und andere Dienstleistungen am Einsatzort Frankfurt zu verrichten habe. Außerdem falle vor Beginn und nach Schluß jeder Reise eine mehrstündige, mit seinem Dienst im Schlafwagen zusammenhängende Bürotätigkeit im Hauptbahnhof Frankfurt an.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils.
Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 EStG 1967 Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Bei einem Arbeitnehmer sind es alle Aufwendungen, die die Ausübung des Dienstes mit sich bringt, soweit sie nicht nach der Verkehrsauffassung durch die allgemeine Lebensführung bedingt sind (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 LStDV 1965; BFH-Entscheidung VI 33/65 vom 15. Dezember 1967, BFH 90, 493, BStBl II 1968, 150).
Verläßt ein Arbeitnehmer vorübergehend den Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte, um aus dienstlichen Gründen anderswo tätig zu werden, so befindet er sich nach der Rechtsprechung des BFH auf einer "Dienstreise". Die ihm hierbei in Gestalt von Fahrtkosten und von zusätzlichen Ausgaben für Verpflegung entstehenden Aufwendungen gehören zu den Werbungskosten (vgl. BFH-Entscheidung VI R 168/66 vom 14. April 1967, BFH 88, 422, BStBl III 1967, 430).
Eine regelmäßige Arbeitsstätte hat der Arbeitnehmer da, wo er mindestens einen Teil seines Dienstes in ständiger Wiederkehr zu erledigen hat (vgl. BFH-Entscheidung VI 24/58 U vom 18. April 1958, BFH 67, 73, BStBl III 1958, 300). Sucht der Arbeitnehmer den Betriebssitz seines Arbeitgebers nur auf, um dort die geleisteten Arbeitsstunden anzugeben, den Arbeitslohn und etwaige weitere Aufträge entgegenzunehmen, so wird dadurch der Betriebssitz noch nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte (vgl. das Urteil des Senats VI R 184/69 vom 5. November 1971, BFH 103, 493, BStBl II 1972, 130).
Aus den Feststellungen des FG ist nicht zu entnehmen, daß der Kläger über die erwähnten Handlungen hinaus Arbeiten am Betriebssitz seiner Arbeitgeberin verrichtet hätte. Soweit er hierzu im Revisionsverfahren Angaben gemacht hat, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO nicht berücksichtigen darf. Nach dem hiernach maßgebenden Inhalt der Vorentscheidung waren regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers vielmehr die Schlafwagen bestimmter Züge, weil der Kläger in ihnen in ständiger Wiederkehr seinen Dienst zu leisten hatte. Dann aber fehlt es an einem bestimmten Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte, war diese doch selbst dauernd "unterwegs". Fehlt es jedoch an einem bestimmten Ort, dann scheitert daran die Möglichkeit, die Fahrten des Klägers als "Dienstreisen" i. S. der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu behandeln.
Gleichwohl ist zuzugeben, daß der Kläger sich jedenfalls auf berufsbedingten Reisen befunden hat und daß ihm dadurch Mehraufwendungen für seine Verpflegung entstanden sein können. Der Senat hat in dem bereits erwähnten Urteil VI R 184/69, a. a. O., das einen auf ständig wechselnden Baustellen eingesetzten Pflasterer betrifft, anerkannt, daß ein Verpflegungsmehraufwand dem Grunde nach auch dann zu den Werbungskosten gehören kann, wenn der Ortswechsel keine Dienstreise i. S. der Rechtsprechung ist. Ob und in welcher Höhe ein beruflich bedingter Verpflegungsmehraufwand vorliegt, hängt von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles ab. Erforderlichenfalls ist der Mehraufwand, sofern ein entsprechender Anfall glaubhaft dargetan ist, zu schätzen.
Dem FG ist somit im Ergebnis darin beizupflichten, daß auch bei dem Kläger ein berufsbedingter Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten in Betracht kommt. Das FG hätte jedoch bei der Prüfung der Frage, in welcher Höhe ein solcher Verpflengungsmehraufwand entstanden ist, nicht ohne weiteres den für Dienstreisen ermittelten Erfahrungssatz von 21 DM anwenden dürfen, da die Reisen des Klägers gegenüber üblichen Dienstreisen Besonderheiten aufweisen, die es ihm gestatten, den etwaigen Verpflegungsmehraufwand verhältnismäßig niedrigzuhalten. Dazu gehört - neben der regelmäßigen und daher einkalkulierbaren Wiederkehr der gleichen Verhältnisse - insbesondere die vom Kläger selbst eingeräumte Möglichkeit, im Dienstabteil warme Getränke zuzubereiten und dazu mitgebrachte Brote zu verzehren.
Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Sollte bei der erneuten Verhandlung der Kläger seine Angaben über eine Tätigkeit am Einsatzort wiederholen und sollte die Überprüfung der Angaben zur Annahme einer tatsächlichen Arbeitsstätte am Einsatzort und damit zur Annahme von Dienstreisen führen, so weist der Senat darauf hin, daß auch in diesem Fall gegen die Anwendung der vollen Reisekosten-Pauschbeträge der LStR möglicherweise Bedenken bestehen, weil sie wegen der angeführten Besonderheiten der Reisen des Klägers zu falschen Ergebnissen führen würde (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. das Urteil VI R 168/66 vom 14. April 1967, BFH 88, 422, BStBl III 1967, 430).
Fundstellen
Haufe-Index 422751 |
BStBl II 1972, 915 |
BFHE 1973, 21 |