Leitsatz (amtlich)
1. Die vom Rat der EWG durch Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) 120/67 und Art. 1 Abs. 1 der VO (EWG) 371/67 angeordnete Gewährung einer Produktionserstattung enthält bereits die Rechtsgrundlage für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs; sie umfaßt alle Tatbestandsmerkmale, die für die Entstehung eines solchen Anspruchs erforderlich sind, auch wenn der Rat der EWG sich in Art. 11 Abs. 3 der VO (EWG) 120/67 vorbehalten hat. Regeln für die Durchführung dieses Artikels festzulegen.
2. Bestimmungen der Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 22. Dezember 1967 (BAnz Nr. 244 vom 30. Dezember 1067, BZBl 1068, 30), die den Anspruch auf Gewährung der Produktionserstattung von der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen abhängig machen, sind unwirksam.
Normenkette
EWGV 120/67 Art. 11 Abs. 1, 3; EWGV 371/67 Art. 1 Abs. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt –HZA–) gewährte der Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) in den Jahren 1968 und 1969 nach der Verordnung (EWG) Nr. 120/67 – VO (EWG) 120/67 – vom 13. Juni 1967 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1967 S. 2269 – ABlEG 1967, 2269 –, BZBl 1967, 962) und der Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 22. Dezember 1967 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 244 vom 30. Dezember 1967, BZBl 1968, 30) für die Verarbeitung von Mais der Tarifnr. 10.05 zu Stärke bzw. Quellmehl Produktionserstattungen. Eine Betriebsprüfung ergab, daß Teilmengen des Maises nicht gemäß Abschn. II und V der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 unter zollamtliche Überwachung gestellt oder nicht innerhalb der festgesetzten Frist verarbeitet worden waren. Deshalb forderte das HZA durch Bescheid vom 19. März 1970 von der Klägerin die Produktionserstattung zurück. Diesen Bescheid hob das Finanzgericht (FG) Hamburg mit Urteil vom 4. Februar 1972 V 43/70 N (EFG 1972, 390) antragsgemäß auf.
Zur Begründung führte es aus: Der Rückforderungsbescheid verletze die Klägerin in ihrem durch die VO (EWG) 120/67 begründeten Recht auf Produktionserstattung. Nach Art. 11 Abs. 1 dieser Veordnung werde eine Erstattung gewährt bei der Erzeugung von Stärke und Quellmehl aus Mais. Die Gewährung der Erstattung sei nur an die Voraussetzung gebunden, daß tatsächlich Mais zu Stärke oder Quellmehl verarbeitet werde. Das zeige die auf Art. 11 Abs. 3 der VO (EWG) 120/67 beruhende VO (EWG) 371/67 vom 25. Juli 1967 (ABlEG Nr. 174/40 vom 31. Juli 1967), die in bezug auf die Herstellung von Stärke oder Quellmehl aus Mais nur Bestimmungen über die Höhe der Erstattung enthalte. In der Präambel dieser Verordnung sei auch ausdrücklich festgestellt, daß die Durchführung der Erstattungsbestimmungen eine „Pflichtregelung” darstelle. Es stehe fest, daß die Klägerin die in Rede stehenden Maismengen zu Stärke bzw. Quellmehl verarbeitet habe.
Die mit Wirkung vom 1. Juli 1967 neu geschaffene Marktordnung gewähre den Erstattungsbeteiligten Rechtsansprüche auf die von Organen der EWG festgelegten Erstattungen, denen sich die Mitgliedstaaten nicht entziehen könnten. Diese könnten nur noch ergänzende Verfahrensregelungen treffen. Für die in Rede stehenden Produktionserstattungen habe die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) rechtsverbindliche Verfahrensregelungen nicht getroffen. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sei zwar durch § 5 des Durchführungsgesetzes EWG Getreide, Reis, Schweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch (DurchfG EWG-GRSEG) vom 30. Juni 1967 BGBl I 1967, 617; BZBl 1967, 1001; 1968, 912) ermächtigt worden, Verfahrensvorschriften durch Rechtsverordnung zu erlassen. Er habe aber von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht. Die von ihm statt dessen erlassene Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 sei nur eine Verwaltungsanordnung und schon deshalb nicht rechtsverbindlich. Außerdem hätte ihr Inhalt selbst in der Gestalt einer Rechtsverordnung nur insoweit maßgebend sein können, als er die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Produktionserstattung, wie sie in den Verordnungen (EWG) festgelegt seien, weder ändere noch ergänze (Hinweis auf Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften –EGH– vom 11. Februar 1971 Rs. 39/70. EGHE 1971, 49 ff.).
Der Rückforderungsbescheid könne nicht etwa deshalb als rechtmäßig angesehen werden, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin durch eine Erklärung vom 1. Februar 1968 gemäß Abschn. 1 Nr. 3 c der Bekanntmachung deren Bestimmungen als für sich verbindlich anerkannt habe. Nach einem allgemeinen Rechtssatz könne allerdings derjenige eine Rechtsverletzung nicht gellend machen, der sich damit freiwillig einverstanden erklärt habe. Die Rechtsvorgängerin habe aber die Erklärung vom 1. Februar 1968 nicht freiwillig, sondern in einer Zwangslage abgegeben. Das ergebe sich aus Abschn. 1 Nr. 3 der Bekanntmachung. Deshalb könne durch ihre Erklärung nicht etwa auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande gekommen sein.
Das HZA begründet seine gegen das FG-Urteil eingelegte Revision wie folgt:
Es rüge die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967.
Die Bestimmungen dieser Bekanntmachung seien entgegen der Auffassung des FG mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Art. 11 Abs. 1 der VO (EWG) 120/67 enthalte eine unvollständige Regelung. Das zeige Art. 11 Abs. 3 dieser Verordnung, der vorsehe, daß der Rat Regeln für die Durchführung und die Festsetzung der Produktionserstattung erlasse. Durch die VO (EWG) 371/67 seien nur Regeln für die Festsetzung der Produktionserstattung zustande gekommen. Durchführungsregeln fehlten deshalb noch, weil sich die Gemeinschaft über sie noch nicht habe einigen können. Für sie seien daher die Mitgliedstaaten zuständig geblieben. Die Bestimmungen der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 seien mit der VO (EWG) 120/67 vereinbar, da diese nur die Frage beantworte, ob die Produktionserstattung zu gewähren sei, nicht aber auch, wie das zu geschehen habe. Es habe dem deutschen Gesetzgeber freigestanden, die Durchführungsregeln selbst zu erlassen, dafür eine Rechtsverordnung vorzusehen oder sie im Verwaltungswege zustande kommen zu lassen. Die Ermächtigung des § 5 DurchfG EWG-GRSEG wäre jedenfalls in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 30. Juli 1968 (BGBl I 1968, 874, BZBl 1968, 910) ausreichend gewesen, um den Inhalt der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 durch Rechtsverordnung festzulegen. Jedenfalls seien die Bestimmungen der Bekanntmachung durch ihre schriftliche Anerkennung durch den Erstattungsbeteiligten für diesen verbindlich geworden.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) macht geltend: Die Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 stelle revisibles Bundesrecht dar. Denn zum Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 FGO gehörten auch Verwaltungsanordnungen, die nicht lediglich Innerdienstliche Weisungen an Behörden darstellten. Bundesrecht im erwähnten Sinne sei auch die mit unmittelbarer Wirkung in den Mitgliedstaaten erlassene VO (EWG) 120/67. Das FG habe diese Verordnung unzutreffend ausgelegt.
Das HZA und der BdF beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig.
Ihre Einlegung wird der Forderung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gerecht, daß die verletzte Rechtsnorm zu bezeichnen ist. Das HZA hat zum Ausdruck gebracht, daß es die Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 als eine dem Bundesrecht zugehörige Rechtsnorm ansteht und welche Teile dieser Bekanntmachung es für verletzt hält. Für die Zulässigkeit der Revision kommt es nicht darauf an, ob der Inhalt der Bekanntmachung den Charakter von Rechtsnormen beanspruchen kann, es genügt, daß dies nach Auffassung des HZA der Fall ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 22. Oktober 1971 II R 104/70, BFHE 103, 541, BStBl II 1972, 183; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7, Aufl., § 120 FGO, Rdnr. 8).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Nach § 118 Abs. 1 FGO kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Das durch die Revision angefochtene FG-Urteil beruht nicht auf einer solchen Rechtsverletzung.
Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 FGO sind auch die vom Rat der EWG erlassenen VO (EWG) 120/67 und 371/67 (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG– vom 12. Juni 1970 VII C 35.69, BVerwGE 35, 277). Nach der Rechtsprechung des BVerwG und des Bundesgerichtshofs (BFH) können dem Bundesrecht i. S. der Revisionsvorschriften unter gewissen Voraussetzungen ausnahmsweise Verwaltungsanordnungen gleichgestellt werden, die die Gewährung von Leistungen durch Behörden regeln und die Einhaltung des Gleicheitsgrundsatzes gewährleisten sollen (vgl. BVerwG-Urteil vom 8. Juli 1969 II C 80.67, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 238.90 Nr. 27; BFH-Urteile vom 16. Juni 1958 III ZR 68/57, Lindenmaier-Möhring – LM –, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, Nr. 46 zu § 549 ZPO, und vom 29. Oktober 1969 I ZR 72/67, LM Nr. 81 zu § 549 ZPO). Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob die Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 22. Dezember 1967 eine solche Gleichstellung beanspruchen kann. Denn auch wenn man sie wie Bundesrecht behandelt, können ihre Regelungen nur insoweit berücksichtigt werden, als sie den Bestimmungen der VO (EWG) 120/67 und 371/67 nicht widersprechen (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 9. Juni 1971 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145, 174, und vom 29. Mai 1974 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 280).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Rat der EWG durch Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) 120/67 und Art. 1 Abs. 1 der VO (EWG) 371/67 mit unmittelbarer Wirkung in der Bundesrepublik (vgl. Art. 189 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft –EWGV–) für die Zeit vom 1. Juli 1967 an die Gewährung einer Erstattung für Mais, der zu Stärke oder Quellmehl verarbeitet wird, in Höhe des Unterschieds zwischen dem Schwellenpreis und 6.80 Rechnungseinheiten je 100 kg angeordnet hat. Ihm ist auch darin beizutreten, daß diese in der Präambel der VO (EWG) 371/67 als „Pflichtregelung” bezeichnete Anordnung bereits die Rechtsgrundlage für die Entstehung eines Anspruchs auf Gewährung der Produktionserstattung enthält. Sie umfaßt selbst schon alle Tatbestandsmerkmale, die für die Entstehung eines solchen Anspruchs erforderlich sind, nämlich in bezug auf den Grund und die Höhe des Anspruchs sowie in bezug auf den Gläubiger und den Schuldner. Sie bringt zum Ausdruck, daß derjenige, der aus Mais Stärke oder Quellmehl herstellt, mit dieser Maßnahme einen Anspruch auf Produktionserstattung gegen die Bundesrepublik erwirbt und wie hoch dieser Anspruch ist.
Daran kann die Tatsache nichts ändern, daß der Rat der EWG sich in Art. 11 Abs. 3 der VO (EWG) 120/67 vorbehalten hat, auch Regeln für die Durchführung dieses Artikels zu bestimmen. Denn der Rat hat weder in dieser Verordnung noch in der auf ihren Art. 11 Abs. 3 gestützten VO (EWG) 371/67 zum Ausdruck gebracht, daß die Anwendbarkeit der von ihm über die Produktionserstattung bereits getroffenen Bestimmungen von dem Zustandekommen der erwähnten Durchführungsregeln abhänge. Besonderen Anlaß für einen solchen Vorbehalt bot ihm der Erlaß der VO (EWG) 371/67, weil er sich in dieser nur zur Bestimmung des Erstattungsbetrages, nicht aber auch der Durchführungsregeln entschlossen hatte. Durch Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung hat jedoch der Rat den Willen bekundet, schon von dem Inkrafttreten der VO (EWG) 120/67 an die bisher geschaffenen und auch ohne Ausführungsbestimmungen praktikablen Regelungen über den Erstattungsanspruch trotz des Ausbleibens von Durchführungsregeln gelten zu lassen. Denn er hat die Bestimmungen über die Höhe des Anspruchs rückwirkend auf den 1. Juli 1967 abgestellt, auf den Zeitpunkt nämlich, in dem die VO (EWG) 120/67 gemäß ihrem Art. 33 Abs. 2 in Kraft getreten war.
Es kann dahingestellt bleiben, ob angesichts des Umstandes, daß der Rat der EWG durch Art. 11 Abs. 1 und 3 sowie durch Art. 33 Abs. 2 der VO (EWG) 120/67 mit Wirkung vom 1. Juli 1967 bereits Voraussetzungen für die Gewährung von Produktionserstattungen bestimmt und sich vorbehalten hatte, auch Vorschriften über die Durchführung des Art. 11 und über die Höhe des Erstattungsbetrages zu erlassen, der deutsche Gesetzgeber befugt war, durch § 5 des am 6. Juli 1967 verkündeten DurchfG EWG-GRSEG den Bundesminister für Ernährung, Landwirtsschaft und Forsten zu ermächtigen, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen durch Rechtsverordnung die zur „Durchführung” der gemeinsamen Marktorganisation erforderlichen Vorschriften zu erlassen über „die Voraussetzungen, die Höhe und das Verfahren” bei Produktionserstattungen. Denn jedenfalls ist von der Ermächtigung kein Gebrauch gemacht worden. Selbst wenn eine nationale Verordnung befugterweise erlassen worden wäre, hätte sie keine Bestimmungen treffen können, die den Bestimmungen der VO (EWG) 120/67 und 371/67 widersprochen hätten.
Das muß erst recht gelten für Bestimmungen, die in der vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erlassenen Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 enthalten sind, soweit sie den Anspruch auf Gewährung der Produktionserstattung von der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen abhängig machen und damit den durch die genannten EWG-Verordnungen vorbehaltlos gewährten Anspruch einschränkten. Eine solche Einschränkung liegt darin, daß die Erstattung nur gewährt werden soll, wenn die Grunderzeugnisse unter zollamtliche Überwachung gestellt werden (Abschn. II), und wenn sie innerhalb einer von der Zollstelle zu bestimmenden Frist verwendet werden (Abschn. V). Unter diesen Umständen kann auch dahingestellt bleiben, ob die von der Rechtsvorgängerin der Klägerin abgegebene Erklärung, daß sie die Bestimmungen der Bekanntmachung als für sich verbindlich anerkenne (Abschn. I Nr. 3 c), wirksam abgegeben war und welchen rechtlichen Charakter diese Erklärung gf. hätte. Denn das HZA durfte der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Erstattung nicht versagen, ohne gegen EWG-Recht zu verstoßen.
Die Gewährung und Belassung der Produktionserstattung hing also im vorliegenden Fall nicht davon ab, ob der Mais unter zollamtliche Überwachung gestellt War und ob für seine Verarbeitung eine Frist eingehalten wurde. Das FG hat daher den auf die Nichteinhaltung der entsprechenden Bestimmungen der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 gestützten Rückforderungsbescheid zu Recht aufgehoben.
Fundstellen
Haufe-Index 510528 |
BFHE 1976, 386 |