Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung des Vorauszahlungsbescheids durch den Jahressteuerbescheid auch nach Eintritt der Festsetzungsverjährung
Leitsatz (NV)
Erläßt das FA nach Ablauf der Festsetzungsverjährung einen Vermögensteuerbescheid, der später wieder aufgehoben wird, sind die für das betreffende Kalenderjahr geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen zu erstatten.
Normenkette
VStG § 22 Abs. 2-3; AO 1977 § 37 Abs. 2, § 124 Abs. 2, § 169 Abs. 1 S. 1, § 218 Abs. 1-2
Tatbestand
Das seinerzeit zuständige Finanzamt hatte mit Bescheid vom Juni 1979 gegenüber den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) Vermögensteuervorauszahlungen für 1980, 1981 und 1982 von jährlich 5 000 DM festgesetzt. Nach Änderung der örtlichen Zuständigkeit führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit Bescheid vom 11. Dezember 1986 die Vermögensteuerhauptveranlagung auf den 1. Januar 1980 durch und setzte für die Jahre 1980, 1981 und 1982 eine jährliche Vermögensteuer von 4 000 DM fest. Der sich gegenüber den Vorauszahlungen ergebende Differenzbetrag von 1 000 DM pro Jahr wurde den Klägern erstattet.
Mit dem Einspruch begehrten die Kläger die vollständige Erstattung der Vermögensteuervorauszahlungen, weil das FA infolge Ablaufs der Verjährungsfrist daran gehindert sei, für die Streitjahre Vermögensteuer festzusetzen. Daraufhin hob das FA die Vermögensteuerfestsetzungen auf den 1. Januar 1980 und 1. Januar 1981 wegen Festsetzungsverjährung auf und erließ mit gleicher Verfügung einen Abrechnungsbescheid, mit dem die bereits erstattete Vermögensteuer von jeweils 1 000 DM für 1980 und 1981 zurückgefordert wurde.
Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist mit seinen wesentlichen Entscheidungsgründen in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 1039 veröffentlicht.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. März 1979 III R 79/77 (BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461) entfalle die Vermögensteuervorauszahlungsschuld, wenn die Vermögensteuer wegen Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mehr festgesetzt werden dürfe. Die Vorschrift des § 171 Abs. 14 der Abgabenordnung (AO 1977), wonach die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht ende, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 noch nicht verjährt sei, könne hier zugunsten des FA nicht angewandt werden, da sie erst mit Wirkung vom 1. Januar 1987 eingeführt worden sei.
Im Streitfall bestehe ein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Vorauszahlungen sowohl nach § 22 Abs. 2 -- höhere Vorauszahlungen als die festgesetzte Vermögensteuer -- und Abs. 3 des Vermögensteuergesetzes (VStG) -- Aufhebung des Vermögensteuerbescheids -- als auch nach § 37 Abs. 2 AO 1977. Mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Jahressteuerschuld sei jeglicher Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Vorauszahlungen durch das FA entfallen. Die materielle Vorauszahlungsschuld als Rechtsgrund, die mangels Tilgungswirkung der Vorauszahlungen bezüglich der Jahressteuerschuld in ihrem Charakter als eigenständige Vorauszahlungsschuld bestehen bleibe, sei mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO 1977 erloschen; der Regelungsgehalt des Vorauszahlungsbescheids habe sich gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977 "auf andere Weise" erledigt. Zur näheren Begründung der vorstehenden Rechtsauffassung wird auf die Ausführungen von Koops/Scharfenberg (Das Schicksal geleisteter Einkommensteuervorauszahlungen im Falle der Verjährung der Jahressteuerschuld, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1995, 552) Bezug genommen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung den angefochtenen Abrechnungsbescheid dahin abzuändern, daß die für die Jahre 1980 und 1981 geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen als Erstattungsbeträge festgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es hält die Rechtsauffassung des FG für zutreffend. Die Auffassung der Revision, daß es sich bei den Vorauszahlungen um Zahlungen auf eine Vermögensteuerschuld handele, die unter dem Vorbehalt stünden, daß später eine endgültige Steuer in dieser Höhe festgesetzt werde, finde im Gesetz keine Stütze. Der Vorauszahlungsbescheid sei hier Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Zahlungen. Aus der Regelung des § 164 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977, wonach der Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der Festsetzungsfrist entfalle, ergebe sich, daß unter dem Geltungsbereich der AO 1977 der vorläufige Charakter des Vorauszahlungsbescheides ausschließlich in der Nebenbestimmung des Vorbehalts der Nachprüfung zum Ausdruck komme und der Vorauszahlungsbescheid mit Ablauf der Festsetzungsfrist unbedingt wirke.
Auch soweit mit der Revision § 22 Abs. 2 und 3 VStG als Anspruchsgrundlage für die Erstattung herangezogen würde, sei dem nicht zu folgen. Diese Vorschriften setzten voraus, daß ein (Jahres-)Steuerbescheid bekanntgegeben werde, handele es sich nun um die erstmalige Festsetzung der Jahressteuer oder um deren Aufhebung oder Änderung. Stets sei mithin eine materielle Festsetzung der Jahressteuer Voraussetzung für den Ausgleich des Unterschiedsbetrages zwischen Jahressteuer und geleisteten Vorauszahlungen. Da die Jahressteuerfestsetzungen auf den 1. Januar 1980 und den 1. Januar 1981 wegen Festsetzungsverjährung mit Verfügung vom 23. Januar 1991 ersatzlos aufgehoben worden seien, mangele es an der materiellen Festsetzung der Jahressteuern (§ 155 Abs. 1 AO 1977).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Die Kläger haben einen Anspruch auf Erstattung ihrer Vermögensteuervorauszahlungen für die Jahre 1980 und 1981, weil hinsichtlich der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1980 und den 1. Januar 1981 Festsetzungsverjährung eingetreten war, bevor diese mit Bescheiden vom 11. Dezember 1986 festgesetzt worden ist (§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1, § 170 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Der Senat nimmt hinsichtlich des Eintritts der Festsetzungsverjährung für die Vermögensteuer der Jahre 1980 und 1981 auf die Ausführungen in der Vorentscheidung, die zwischen den Beteiligten nicht streitig sind, Bezug. Entgegen der Auffassung des FA und des FG ergibt sich aus dem Vorauszahlungsbescheid vom Juni 1979 keine formelle Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der aufgrund dieses Bescheides geleisteten Vorauszahlungen durch das FA, weil sich der Vorauszahlungsbescheid für die Streitjahre 1980 und 1981 jedenfalls durch die -- später wieder aufgehobene -- Festsetzung der Jahressteuern (Vermögensteuerbescheid vom 11. Dezember 1986) erledigt und er damit seine Wirksamkeit verloren hat (§ 124 Abs. 2 AO 1977).
1. a) Mit seinem Urteil in BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461 hat der III. Senat des BFH zur Rechtslage nach der Reichsabgabenordnung (AO) entschieden, daß die Vorauszahlungsschuld entfällt und damit ein Anspruch auf Erstattung geleisteter Vermögensteuervorauszahlungen entsteht, wenn die Vermögensteuer wegen Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mehr festgesetzt werden darf (§§ 144, 145, 148 AO). Er hat dies damit begründet, daß Vorauszahlungen, die der Steuerpflichtige leistet, bevor er zur Vermögensteuer veranlagt werde, die Jahressteuerschuld (mangels Festsetzung) noch nicht tilgten. Es seien lediglich vorläufige Zahlungen auf die Steuerschuld, die unter dem Vorbehalt stünden, daß später eine endgültige Steuer in dieser Höhe festgesetzt werde. Die Vorauszahlungsschuld sei eine durch die Festsetzung der Jahressteuerschuld auflösend bedingte Steuerschuld. Werde die Jahressteuerschuld festgesetzt, falle die Vorauszahlungsschuld weg, so daß die Vorauszahlungen auf die endgültige Steuerschuld angerechnet werden könnten. Dürfe die Jahressteuerschuld nicht mehr festgesetzt werden oder werde die Festsetzung aufgehoben, so falle die Vorauszahlungsschuld ebenfalls weg und die geleisteten Vorauszahlungen seien zu erstatten.
b) Das FG Hamburg hat mit Urteil vom 5. Dezember 1986 VI 354/85 (EFG 1988, 577, und Betriebs-Berater -- BB -- 1987, 1938) auch für die Rechtslage nach der AO 1977 die Auffassung vertreten, daß bestandskräftig festgesetzte und entrichtete Einkommensteuervorauszahlungen zu erstatten sind, wenn es das FA unterläßt, die Einkommensteuer innerhalb der Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO 1977) wirksam festzusetzen. Der Erstattungsanspruch ergibt sich danach aus § 37 Abs. 2 AO 1977, weil der rechtliche Grund für die Zahlung der Vorauszahlungen mit Eintritt der Festsetzungsverjährung weggefallen sei. Die Vorauszahlungsbescheide seien ihrer Funktion gemäß in der Dauer ihrer Regelungswirkung bis zum Zeitpunkt der endgültigen Steuerfestsetzung begrenzt. Ebenso wie sich die Vorauszahlungsbescheide gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977 "auf andere Weise" erledigten, sobald die Jahressteuerschuld durch Bescheid festgesetzt sei, verlören sie ihre Regelungswirkung auch dann, wenn eine Steuer wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden könne und daher endgültig feststehe, daß sie deshalb in Höhe der festgesetzten Vorauszahlungen nicht geschuldet werde (im Ergebnis ebenso: Koops, Anmerkung zu dem vorstehend zitierten Urteil, BB 1987, 1940, und Koops/Scharfenberg, DStR 1995, 552 ff.).
Gegen die vorstehende Entscheidung wird im Schrifttum (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 37 AO 1977 Tz. 15) eingewendet, das FG Hamburg verkenne, daß Vorauszahlungsbescheide sich (nur) durch die Wirksamkeit des Steuerbescheids gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977 erledigten, es zu dieser Erledigung aber nicht kommen könne, weil die Festsetzungsverjährung abgelaufen sei und die Steuer darum nicht mehr festgesetzt werden dürfe (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Dem Steuerpflichtigen könne nur durch Erstattung aus Billigkeitsgründen (§ 227 Abs. 1 AO 1977) geholfen werden (ebenso: Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 37 Anm. 1 und die Vorentscheidung).
Die Finanzverwaltung hält -- ebenso wie das im Streitfall ergangene FG-Urteil -- die oben zitierte BFH-Entscheidung (BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461), wonach bereits geleistete Vorauszahlungen zu erstatten sind, wenn die Jahressteuerschuld wegen Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mehr festgesetzt werden kann, seit dem Inkrafttreten der AO 1977 nicht mehr für anwendbar. Dies wird im wesentlichen mit der gesetzlichen Regelung begründet, wonach der Vorauszahlungsbescheid eine eigenständige Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ist (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), und dieser Vorbehalt nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft; daraus folge, daß der Vorauszahlungsbescheid endgültig seine Wirkung behalte, wenn wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist der Erlaß eines Jahressteuerbescheids nicht mehr möglich ist (vgl. die Vorentscheidung in EFG 1995, 1039, 1040, und Oberfinanzdirektion Bremen, Verfügung vom 10. Juli 1980, Felix, Steuererlasse in Karteiform, Abgabenordnung, § 169 Nr. 3).
2. Im Streitfall bestimmt sich die Frage, ob Erstattungsansprüche der Kläger hinsichtlich der von ihnen geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen für 1980 und 1981 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung für die Jahressteuerschulden entstanden sind, nach den Vorschriften des VStG und der AO 1977, weil sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erst nach Inkrafttreten der AO 1977 entstanden sind (Art. 97 §§ 1, 10, Art. 102 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung). Der Senat gelangt danach zu dem Ergebnis, daß die Kläger die Erstattung der für die Streitjahre geleisteten Vorauszahlungen verlangen können.
a) Der Erstattungsanspruch ergibt sich -- wie die Revision zutreffend ausführt -- bereits aus § 22 Abs. 2 und 3 VStG.
Ist die Summe der Vorauszahlungen, die bis zur Bekanntgabe des Steuerbescheides entrichtet worden sind, höher als die Steuer, die sich nach dem bekanntgegebenen Steuerbescheid für die vorangegangenen Fälligkeitstage ergibt, so wird nach § 22 Abs. 2 VStG der Unterschiedsbetrag nach Bekanntgabe des Steuerbescheides durch Aufrechnung oder Zurückzahlung ausgeglichen. Im Streitfall ist durch Vermögensteuerbescheid vom 11. Dezember 1986 für die Jahre 1980 und 1981 eine geringere Steuer als die für die Streitjahre entrichteten Vorauszahlungen festgesetzt worden. Daraus ergibt sich nach der genannten Vorschrift über die Abrechnung der Vorauszahlungen ein Rückzahlungsanspruch der Kläger von jährlich 1 000 DM. Das FA hätte diesen bereits ausgezahlten Erstattungsbetrag mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid nicht zurückfordern dürfen.
Nach § 22 Abs. 3 VStG gilt Abs. 2 entsprechend, wenn der Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird. Das FA hat nach den Feststellungen des FG den am 11. Dezember 1986 erlassenen Vermögensteuerbescheid für die Streitjahre durch Verfügung vom 23. Januar 1991 aufgehoben. Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 VStG sind damit gegeben. Infolge der Aufhebung des Vermögensteuerbescheids ergibt sich nach diesen Vorschriften ein weiterer Erstattungsanspruch hinsichtlich der bisher noch nicht zurückgezahlten Vorauszahlungen von jährlich 4 000 DM, die der aufgehobenen Steuerfestsetzung entsprachen.
Da die Abrechnung über die Vorauszahlungen nach § 22 VStG an die formelle Bescheidlage anknüpft (Höhe der Steuerfestsetzung, Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids), ist es unerheblich, auf welchen Gründen die Festsetzung der Jahressteuer bzw. die Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides beruht. Entgegen der Auffassung des FA steht somit der Abrechnung oder Erstattung der Vorauszahlungen nicht entgegen, daß wegen der eingetretenen Festsetzungsverjährung im Ergebnis eine Festsetzung der Jahressteuern nicht erfolgt ist.
b) Ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der Vermögensteuervorauszahlungen für 1980 und 1981 ergibt sich auch aus § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, wobei das Verhältnis des in dem Einzelsteuergesetz geregelten Anspruchs (hier: § 22 Abs. 2 und 3 VStG) zu dem durch eine Generalklausel (§ 37 Abs. 2 AO 1977) bestimmten allgemeinen Erstattungsanspruch hier keiner weiteren Erörterung bedarf (vgl. hierzu § 37 Abs. 1 AO 1977 und Schwarz, Abgabenordnung, § 37 Anm. 7 bis 9). Der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 folgt daraus, daß der rechtliche Grund für die geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen für 1980 und 1981 mit Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Vermögensteuerschulden dieser Streitjahre nachträglich weggefallen ist. Der Ablauf der Festsetzungsfrist führt nach § 47 AO 1977 zu einem Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, d. h. hier der materiell-rechtlichen Ansprüche auf die Vermögensteuer für die Jahre 1980 und 1981, die nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr festgesetzt werden dürfen. Eine eigenständige Vorauszahlungsschuld, die als Rechtsgrund für die geleisteten Zahlungen in Betracht kommen könnte (vgl. BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461; FG Hamburg, EFG 1988, 577, 578; Koops/Scharfenberg, DStR 1995, 552, 553, 554) ist jedenfalls seit dem Ergehen der Vermögensteuerfestsetzungen auf den 1. Januar 1980 und den 1. Januar 1981 durch den Steuerbescheid vom 11. Dezember 1986 nicht mehr gegeben (vgl. Stolterfoht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 37 A 11 m. w. N.). Auch der Vorauszahlungsbescheid bietet keinen Rechtsgrund mehr für die Einbehaltung der Vorauszahlungen durch das FA.
Zwar sind die Vorauszahlungen, da sie aufgrund des Vorauszahlungsbescheides (§ 21 VStG) entrichtet worden sind, vom FA zu Recht eingezogen und einbehalten worden (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Ergeht aber -- wie im Streitfall -- ein Vermögensteuerbescheid (§ 15 Abs. 1 VStG, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), ist der Vorauszahlungsbescheid i. S. des § 124 Abs. 2 AO 1977 "auf andere Weise" erledigt (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730, 732, mit Hinweisen auf die vorangegangene Rechtsprechung, insbesondere auf das BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, 103, BStBl II 1985, 370). Da die Vorauszahlungen auf die Vermögensteuer lediglich aufgrund einer regelmäßig auf dem Ergebnis der letzten Veranlagung beruhenden Prognose festgesetzt werden (§ 21 Abs. 2 VStG), besteht kein Grund dafür, daß der Vorauszahlungsbescheid weiterhin wirksam bleibt, wenn die Steuer für den Veranlagungszeitraum entstanden (§ 5 Abs. 2 VStG) und durch den Vermögensteuerbescheid nach den Vermögensverhältnissen des Steuerpflichtigen zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres (§ 5 Abs. 1 VStG), festgesetzt worden ist. Der den Vorauszahlungsbescheid ablösende Vermögensteuerbescheid ist nunmehr alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Beginn des Kalenderjahres entstandene Vermögensteuer (§ 5 Abs. 2 VStG, § 218 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Dieser und nicht mehr der Vorauszahlungsbescheid bildet jetzt die Grundlage für die Einbehaltung und das Behaltendürfen der als Vorauszahlungen entrichteten Beträge.
Im Streitfall hat somit der Vorauszahlungsbescheid mit der Bekanntgabe des Vermögensteuerbescheides vom 11. Dezember 1986 gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977 seine Wirkung verloren. Er kann damit nicht mehr als formeller Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Vorauszahlungen durch das FA dienen. Daß dieser Vermögensteuerbescheid später für die Kalenderjahre 1980 und 1981 wegen Festsetzungsverjährung aufgehoben worden ist, führt nicht dazu, daß der bereits unwirksam gewordene Vorauszahlungsbescheid nunmehr mit seinen Rechtswirkungen wieder auflebt. Formelle Rechtsgrundlage für die Verwirklichung des Vermögensteueranspruchs der Jahre 1980 und 1981 und damit für die Frage der Einbehaltung geleisteter Zahlungen ist jetzt vielmehr die Aufhebungsverfügung vom 23. Januar 1991 mit der Folge, daß auch nach der formellen Bescheidlage sämtliche für die Jahre 1980 und 1981 geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen zu erstatten sind.
Dieses Ergebnis entspricht den Ausführungen in dem BFH-Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370. Dort heißt es, daß ein Umsatz-Jahresbescheid, der den Vorauszahlungsbescheid nach § 124 Abs. 2 AO 1977 erledigt, zwar aufgehoben oder geändert werden könne; er könne aber nicht mit der Wirkung aufgehoben werden, daß an seine Stelle wieder die Festsetzungen für die Voranmeldungszeiträume maßgeblich würden (ebenso: Frotscher in Schwarz, a. a. O., § 164 Anm. 31). Für die Erledigung des Vorauszahlungsbescheids nach § 124 Abs. 2 AO 1977 reicht es im Streitfall somit aus, daß überhaupt für die Jahre 1980 und 1981 ein Vermögensteuerbescheid nach § 124 Abs. 1 AO 1977 wirksam ergangen ist. Entgegen der Vorentscheidung bleibt der Vorauszahlungsbescheid für die Streitjahre nicht deshalb wirksam, weil im weiteren Verlauf des Verfahrens eine endgültige Festsetzung von Jahressteuern nicht erfolgt ist.
Die Regelungen des § 164 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 AO 1977, wonach der Vorbehalt der Nachprüfung, mit dem die Festsetzung einer Vorauszahlung stets behaftet ist, mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist entfällt, sind im Streitfall -- entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des FA -- ohne jede Bedeutung. Sie beinhalten lediglich, daß der Vorauszahlungsbescheid ab dem Zeitpunkt der Festsetzungsverjährung nicht mehr (ohne weitere Voraussetzungen) nach § 164 Abs. 2 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden kann. Daß der Vorauszahlungsbescheid aber durch Erledigung auf andere Weise (§ 124 Abs. 2 AO 1977) seine Wirkungen verliert, wenn -- wie hier -- dennoch ein Jahressteuerbescheid ergeht, wird durch die vorstehenden Bestimmungen nicht in Frage gestellt.
3. Nach den vorstehenden Ausführungen ist der Erstattungsanspruch der Kläger, der sich wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung für die Vermögensteuer 1980 und 1981 ergibt (§ 37 Abs. 2, §§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), jedenfalls deshalb begründet, weil sich das FA wegen des Erlasses von Vermögensteuer-Jahresbescheiden nicht mehr auf die Wirksamkeit des Vorauszahlungsbescheides als formellen Rechtsgrund für die erhaltenen Vermögensteuervorauszahlungen berufen kann (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Da -- wie oben ausgeführt -- für die Frage des Behaltendürfens der Vorauszahlungen allein auf die formelle Bescheidlage und nicht auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids abzustellen ist (§ 218 Abs. 1 AO 1977), ist es unerheblich, daß der Vermögensteuerbescheid vom 11. Dezember 1986 für die Streitjahre wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht hätte ergehen dürfen und deshalb später aufgehoben worden ist.
Wegen dieser für den Streitfall entscheidungserheblichen Besonderheit (Festsetzung der Jahressteuer) braucht der Senat die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage (vgl. oben 1.), ob ein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Vorauszahlungen auch gegeben ist, wenn ein Jahressteuerbescheid wegen der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr ergeht, hier nicht zu entscheiden. Es bedarf deshalb auch keines Eingehens auf die Frage, ob mit der am 1. Januar 1987 in Kraft getretenen Vorschrift des § 171 Abs. 14 AO 1977, nach der die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht endet, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 noch nicht verjährt ist (§ 228 AO 1977), nunmehr auch ein etwaiger Anspruch auf Erstattung der geleisteten Vorauszahlungen nach Ablauf der Festsetzungsfrist ausgeschlossen worden ist und welche Schlußfolgerungen daraus für solche Sachverhalte gezogen werden können, bei denen die Festsetzungsfrist -- wie im Streitfall -- bereits vor dem Inkrafttreten der Vorschrift eingetreten ist (vgl. hierzu Frotscher in Schwarz, a. a. O., § 169 Anm. 63 und 64).
4. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Den Klägern steht nach den vorstehenden Ausführungen ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der gesamten von ihnen geleisteten Vermögensteuervorauszahlungen für die Jahre 1980 und 1981 in Höhe von insgesamt 10 000 DM zu. Der angefochtene Abrechnungsbescheid war dementsprechend zu ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 421303 |
BFH/NV 1996, 454 |