Leitsatz (amtlich)
1. Zu Tonwiedergabegeräten ausbaubare "Cassettenlaufwerke" mit Fortbewegungsmechanik und Hörkopf, jedoch ohne Lautsprecher/Verstärker, sind auch dann unvollständige Tonwiedergabegeräte der Tarifst. 92.11 A II b 2 GZT, wenn sie in Rundfunkempfangsgeräte eingebaut werden sollen.
2. Zur Anwendung von ATV 2a Satz 1.
Orientierungssatz
Teile einer vollständigen Ware können im Hinblick auf diese nicht als Teile im Sinne einer solchen erfassenden Tarifposition gewertet werden (vgl. EuGH-Urteil vom 29. Mai 1979 Rs. 165/78). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für zerlegte oder zusammengesetzte Waren, sondern auch für unvollständige Waren, die gemäß ATV 2a Satz 1 zu tarifieren sind.
Normenkette
GZT Tarifnr 92.11 Tarifst A-2-b-2; GZT Tarifnr 92.13 Tarifst D; GZT Kap 92 Vorschr. 1 Buchst. c; GZT ATV 2a S. 1
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion --OFD-- wies in ihrer der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) "Cassettenlaufwerke Typ ..." aus Japan als unvollständige Tonwiedergabegeräte der Tarifst. 92.11 A II b 2 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Nach der Warenbeschreibung in der vZTA befinden sich auf einer Grundplatte Baugruppen wie Antriebsmotor (mit Laufvorrichtung und mechanischer Steuerung), Cassetten-Einschubvorrichtung, Übersetzung, Andruckrollen, Tonwiedergabekopf und bestückte Leiterplatten. Die durch externe Stromquelle (Autobatterie) betriebenen Laufwerke werden in Rundfunkempfangsgeräte für Kraftfahrzeuge eingebaut und enthalten weder Verstärker noch Lautsprecher.
Die OFD bestätigte ihre Tarifierung in der Entscheidung über den Einspruch der Klägerin, mit dem diese die Zuweisung der Laufwerke zu Tarifst. 92.13 D - "andere" Teile für Geräte der Tarifnr. 92.11 - begehrte.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie trägt vor, die Laufwerke wiesen nicht "die" wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware auf (vgl. Allgemeine Tarifierungs-Vorschrift --ATV-- 2a), denn ihnen fehle ein System zur Erzeugung von Schallwellen, das mindestens aus einem Vorverstärker (für den Anschluß eines Kopfhörers) bestehen müsse. Außerdem würden die Laufwerke nicht zu Tonwiedergabegeräten der Tarifnr. 92.11 vervollständigt; vielmehr dienten sie als Teile zur Herstellung von Cassetten-Autoradios der Tarifnr. 85.15. Da sie indessen auch in Tonwiedergabegeräte eingebaut werden könnten, seien sie Teile im zolltariflichen Sinne --Tarifst. 85.15 C II bzw. 92.13 D-- und gemäß ATV 3c der zuletzt bezeichneten Tarifstelle zuzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die zu tarifierenden Waren sind, wie in der angefochtenen vZTA richtig festgestellt, unvollständige Tonwiedergabegeräte der Tarifst. 92.11 A II b 2, nicht dagegen "andere" Teile für Geräte der Tarifnr. 92.11 i.S. der Tarifst. 92.13 D.
1. Die Waren gehören zu Kap.92 GZT; sie sind nicht durch Vorschrift 1c zu diesem Kapitel hiervon ausgeschlossen und als Rundfunkempfangsgeräte der Tarifnr. 85.15 zugewiesen, weil sie so, wie sie zolltariflich zu beurteilen sind, nicht mit Empfangsgeräten kombiniert sind.
2. Die Waren sind keine vollständigen Tonwiedergabegeräte der Tarifnr. 92.11.
Sie enthalten im wesentlichen eine Fortbewegungsmechanik, eine hinsichtlich ihres Funktionierens von den Parteien unterschiedlich beurteilte Vorrichtung zur Aufnahme von Cassetten sowie einen Hörkopf, jedoch weder Lautsprecher noch Verstärker. Die OFD vertritt in der Klageerwiderung wie schon in der Einspruchsentscheidung anscheinend die Auffassung, trotz Fehlens dieser Elemente lägen vollständige Tonwiedergabegeräte vor. Dem könnte nicht gefolgt werden. Der Aufbau der Tarifst. 92.11 A III b --"andere" kombinierte Geräte-- zwingt nicht zu dem Schluß, Tonwiedergabegeräte brauchten weder Verstärker noch Lautsprecher zu haben; er läßt nur erkennen, daß Tonwiedergabegeräte trotz Fehlens eines Lautsprechers vorliegen können. Der zolltarifliche Begriff "Tonwiedergabegerät" spricht dafür, daß ein solches (vollständiges) Gerät ein System zur Erzeugung von Schallwellen enthalten muß. Die Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT), die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Senats als maßgebliches Erkenntnismittel bei der Auslegung des Zolltarifs dienen, bestätigen diese Annahme (ErlZT zu Tarifnr. 92.11 Teil I Rdziff.5 und 18).
3. Die Laufwerke sind jedoch unvollständige Waren mit den wesentlichen --charakteristischen-- Beschaffenheitsmerkmalen von Tonwiedergabegeräten und somit gemäß ATV 2a Satz 1 wie diese zu tarifieren.
Ein Tonwiedergabegerät besteht im wesentlichen aus einem Tonabnehmer, einer Fortbewegungsmechanik und einem System zur Erzeugung von Schallwellen (ErlZT, a.a.O.). Diese drei Bauelemente kennzeichnen ein vollständiges Tonwiedergabegerät. Fehlt eines dieser Elemente, so liegt zwar kein vollständiges Tonwiedergabegerät vor; gleichwohl können die vorhandenen beiden Elemente "die" wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Ware (ATV 2a Satz 1) verkörpern. Letzteres trifft nach Auffassung des Senats zu, wenn Hörkopf und Bewegungsmechanik eines Tonwiedergabegeräts zusammen vorliegen. Zwar ist das Vorhandensein eines Systems zur Erzeugung von Schallwellen wichtiges Merkmal eines Tonwiedergabegeräts, sind die entsprechenden Bauelemente nicht bloß Zubehör wie gesondert gestellte und nach eigener Beschaffenheit zu tarifierende Verstärker, Lautsprecher usw. (vgl. Vorschrift 1c zu Kap.92 GZT; ErlZT, a.a.O., Rdziff.36). Gleichwohl behalten die --nur-- mit Hörkopf und Bewegungsmechanik ausgestatteten Laufwerke die charakteristischen Merkmale vollständiger Tonwiedergabegeräte, weil durch diese Elemente die Mehrzahl der Funktionen eines solchen Geräts besetzt wird und die Laufwerke entsprechend ausgebaut werden können. Letzteres wird auch von der Klägerin eingeräumt. Ob die Laufwerke später zu Tonwiedergabegeräten vervollständigt werden, spielt für die Anwendung von ATV 2a Satz 1 keine Rolle (vgl. Urteil des Senats vom 26.November 1985 VII K 19/84, BFHE 145, 280, 285); daß sie tatsächlich in Rundfunkempfangsgeräte eingebaut werden, bleibt für die Tarifierung somit unerheblich. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist es nicht erforderlich, daß die Laufwerke, sollen sie wie Tonwiedergabegeräte tarifiert werden, nur zu solchen Geräten vervollständigt werden können. Die Klägerin folgert dies daraus, daß Waren-Rohlinge grundsätzlich nur dann wie die Fertigwaren tarifiert werden, wenn sie ausschließlich zur Herstellung der fertigen Waren verwendet werden können (vgl. ErlZT zu ATV 2 Teil I Rdziff.3), und meint, das müsse erst recht für (weiter) bearbeitete Waren gelten. Die Klägerin übersieht, daß Rohlinge --da unbearbeitet-- allein unter der vorbezeichneten Voraussetzung die wesentlichen Merkmale der Fertigware aufweisen, während Waren wie die Laufwerke diesem Erfordernis in anderer Weise genügen (Vorhandensein einer Mehrzahl der konstitutiven Elemente vollständiger Tonwiedergabegeräte; Ausbaumöglichkeit). Die für die Tarifierung von Rohlingen geltenden Grundsätze können somit auf die zolltarifliche Behandlung von Waren, wie sie die Laufwerke darstellen, nicht übertragen werden.
4. Als "andere" Teile für Geräte der Tarifnr. 92.11 i.S. der Tarifst. 92.13 D können die Laufwerke nicht angesprochen werden, weil sie, wie ausgeführt, unvollständige Tonwiedergabegeräte sind, die zu Tarifnr. 92.11, dort aufgrund ihrer Beschaffenheit zu Absatz A II b 2 gehören. Diese Tarifierung schließt eine zolltarifliche Behandlung der Waren als "Teile" aus. Wie der EuGH entschieden hat (Urteil vom 29.Mai 1979 Rs.165/78, EuGHE 1979, 1837, 1844 --zu ATV 2a Satz 2--), können Teile einer vollständigen Ware im Hinblick auf diese nicht als Teile im Sinne einer solche erfassenden Tarifposition gewertet werden. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für zerlegte oder zusammengesetzte Waren, sondern auch für unvollständige Waren, die gemäß ATV 2a Satz 1 zu behandeln sind. Das ergibt sich aus dem "Stufenverhältnis", das zwischen den Tarifpositionen für vollständige Waren und deren Teilen besteht (vgl. dazu Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F II 2 Rdziff.9). Für Waren des Kap.92 kommt in ErlZT zu Kap.92 Teil I Rdziff. 10 besonders zum Ausdruck, daß Geräte mit den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen der vollständigen oder fertigen Waren wie diese, nicht aber wie Teile und Zubehör zu tarifieren sind.
Bei dieser Tarifrechtslage, nach der die Positionen für "Teile" zurückzutreten haben, ergibt sich auch nicht die von der Klägerin angenommene Konkurrenz zwischen Positionen für Teile (Tarifst. 92.13 D und 85.15 C II).
Fundstellen
Haufe-Index 61608 |
BFHE 151, 263 |
BFHE 1988, 263 |