Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Musterungs-Vertragsärzte üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Musterungskommission unselbständig aus.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 2 Ziff. 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.), ein praktischer Arzt mit eigener Praxis, übt auf Grund eines jeweils für einen Musterungsabschnitt mit der Bundesrepublik abgeschlossenen Vertrages gegen einen Pauschalsatz von ... DM und eine Unkostenvergütung von ... DM je Musterungstag die Tätigkeit eines Musterungsarztes aus. Das Bestehen eines Angestelltenverhältnisses im öffentlichen Dienst wird im Vertrage ausdrücklich verneint.
Streitig ist, ob die dem Stpfl. aus seiner Tätigkeit als Musterungsarzt im Jahre 1958 zugeflossenen ... DM der Umsatzsteuer unterliegen. Die Frage wurde vom Finanzamt bejaht, vom Finanzgericht dagegen verneint. In der Vorentscheidung wird ausgeführt, das Gesamtbild der Tätigkeit des Stpfl. als Musterungsarzt spreche für Unselbständigkeit. Der Stpfl. sei organisatorisch in die Musterungskommission eingegliedert. Er sei in bezug auf Zeit, Ort, Umfang und sonstige Umstände den Weisungen der militärischen Dienststellen zu folgen verpflichtet. Der Wille dieser Stellen, mit ihm kein Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst einzugehen, sei zwar beachtlich, aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend seien die objektiven Merkmale seiner Tätigkeit als Musterungsarzt, die überwiegend für Unselbständigkeit sprächen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gerügt wird, hat keinen Erfolg. Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß es bei der Frage der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit in erster Linie auf das Innenverhältnis des Beauftragten zum Auftraggeber ankommt und das Gesamtbild entscheidet. Das Gesamtbild zeigt - wie in der Vorentscheidung ohne Rechtsirrtum dargelegt wird - überwiegend Merkmale für eine Eingliederung des Musterungsarztes in die militärische Organisation der Musterungskommission. Der Musterungsarzt ist verpflichtet, den Weisungen der zuständigen militärischen Dienststellen (Bereichswehrersatzamt, Kreiswehrersatzamt, Leiter der Musterungskommission) zu folgen in bezug auf den Umfang der Tätigkeit (Zahl und Art der zur Untersuchung kommenden Personen, Ausmaß der Untersuchungen), die Zeit der Tätigkeit (Festsetzung der Musterungstage im Musterungsplan, Bestimmung des Beginns und Endes der Musterung durch den Kommissionsleiter) und den Ort der Tätigkeit (Festlegung des Musterungsortes und - raumes im Musterungsplan). Auch die Art der ärztlichen Untersuchung richtet sich nach genauen Vorschriften ("fachliche Richtlinien des Bundesministers für Verteidigung" gemäß § 2 des Musterungsvertrages, Entgegennahme von "Weisungen für die allgemeine Durchführung der Dienstobliegenheiten von der zuständigen Wehrersatzbehörde" gemäß § 3 Abs. 1 des Musterungsvertrages, Feststellung der Funktionstüchtigkeit der einzelnen Organe, Einstufung der Wehrpflichtigen in Tauglichkeitsgrade, Einholung von Weisungen des leitenden Medizinalbeamten beim Bereichswehrersatzamt in Zweifelsfällen usw.). Das jeweils zuständige Kreiswehrersatzamt stellt dem Musterungsarzt zur Durchführung der Musterung die medizinischen und technischen Instrumente und Geräte sowie das erforderliche Hilfspersonal (Schreiber, Sanitäter) zur Verfügung. Der Stpfl. ist nicht in der Lage, die Ausdehnung und den Erfolg seiner Arbeit durch freie Willensentschlüsse zu bestimmen. Als Entgelt erhält er einen festen Tagessatz. Ein irgendwie geartetes Unternehmerwagnis, dem der Senat hinsichtlich der Frage der Selbständigkeit schon immer eine besondere Bedeutung beigemessen hat, trägt er nicht.
Es ist dem Finanzamt zuzugeben, daß einige Anzeichen auch für die Selbständigkeit des Musterungsarztes sprechen. So besteht bei Personen, die im Hauptberuf Unternehmer sind, grundsätzlich die Vermutung, daß sie auch an eine mit dem Hauptberufe zusammenhängende Nebentätigkeit in ihrer Eigenschaft als Unternehmer herangehen (Urteil des Bundesfinanzhofs V 88/57 U vom 10. September 1959, BStBl 1959 III S. 437, Slg. Bd. 69 S. 474). Das gilt für die Nebentätigkeit eines Arztes, der eine eigene Praxis ausübt, in besonderem Maße (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 320/57 U vom 3. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 344, Slg. Bd. 69 S. 215; IV 197/58 U vom 19. November 1959, BStBl 1960 III S. 88, Slg. Bd. 70 S. 236). Solche Vermutungen, denen in Zweifelsfällen eine erhebliche Bedeutung zukommt, können aber durch das Gewicht in entgegengesetzter Richtung wirkender Tatsachen widerlegt werden. Auch der ausdrückliche Hinweis in den vom Stpfl. mit den Wehrersatzämtern abgeschlossenen formularmäßigen Verträgen, daß die übernahme der Tätigkeit als Musterungsarzt kein Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst begründet, und der Umstand, daß für diese Tätigkeit keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt worden ist, deuten auf Selbständigkeit hin. Sie zeigen, von welcher Warte der Auftraggeber die Rechtsstellung des Beauftragten beurteilt. Diese Beurteilung kann dann aber nicht ausschlaggebend sein, wenn die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen einen anderen Schluß rechtfertigt, den der Auftraggeber aus irgendwelchen Gründen nur nicht ziehen will, z. B. weil er unbequeme Folgen (Zahlung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeträgen, Gewährung von Urlaub und Altersversorgung und dergleichen) vermeiden möchte.
Letztlich entscheidend sind - wie immer im Umsatzsteuerrecht - die tatsächlichen Verhältnisse. Wenn das Finanzamt dem Stpfl. hinsichtlich der Frage der Selbständigkeit mit den Knappschaftsärzten vergleicht, die der Bundesfinanzhof als selbständig beurteilt (vgl. die oben angeführten Urteile VI 320/57 U und IV 197/58 U), so übersieht es, daß gerade die wichtigsten Beweisanzeichen, die zu dieser Beurteilung führten (Einrichtung der Knappschaftsarztpraxis auf eigene Kosten, Selbstbeschaffung des zu ihrer Führung erforderlichen Materials, Einstellung und Entlohnung der Hilfskräfte, Stellung eines Vertreters bei Urlaub und Erkrankung, Tragung des vollen Risikos der knappschaftsärztlichen Tätigkeit, Weisungs- und Entscheidungsfreiheit der Knappschaftsärzte usw.), im Streitfalle fehlen.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Finanzgericht bei der Würdigung des Gesamtbildes der Tätigkeit des Stpfl. als Musterungsarzt zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Merkmale, die für Unselbständigkeit sprechen, gegenüber denen, die auf Selbständigkeit hindeuten, überwiegen. Besonders die Einordnung des Stpfl. in den straffen militärischen Organismus als weisungsgebundenes Mitglied der Musterungskommission und das Fehlen jeglicher Unternehmerinitiative und jeglichen Unternehmerwagnisses lassen die vom Finanzamt zur Begründung seines Standpunktes angeführten Merkmale in den Hintergrund treten.
Fundstellen
Haufe-Index 410699 |
BStBl III 1963, 167 |
BFHE 1963, 460 |
BFHE 76, 460 |