Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Arbeitsrecht
Leitsatz (amtlich)
Das geltende Umsatzsteuersystem verstößt nicht gegen das GG.
Normenkette
UStG §§ 2-3; GG Art. 3, 20
Nachgehend
Tatbestand
Die Bfin. befaßt sich mit dem Bau und dem Vertrieb elektrischer Anlagen. Streitig sind das Vorliegen durchlaufender Posten, der Zeitpunkt des Entstehens der Steuerpflicht von Anzahlungen bei der Istbesteuerung und die Zulässigkeit der Aufspaltung einer Werklieferung in eine Großhandelslieferung und in eine sonstige Leistung sowie die Verfassungsmäßigkeit der Allphasenbesteuerung.
Bei einer Betriebsprüfung im September / November 1957 wurden folgende Feststellungen getroffen:
Die Bfin. hat in den Veranlagungszeiträumen 1951 bis 1956 insgesamt ... DM, die sie ihren Kunden gesondert in Rechnung gestellt hatte, an Auslösungen, Wegegeldern und Fahrtkosten für ihre Monteure vereinnahmt, ohne den Betrag der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Sie hat diese Einnahmen als durchlaufende Posten behandelt.
Das Finanzgericht hat die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 UStG verneint. Es hat ausgeführt, daß die Monteure in einem Arbeitsverhältnis nur zur Bfin. gestanden hätten; die Bfin. habe diese Beträge als ein offen ausgewiesenes Kalkulationselement von den Kunden im eigenen Namen und für eigene Rechnung vereinnahmt. Mit der Auszahlung dieser Beträge habe sie eine eigene Verbindlichkeit den Monteuren gegenüber erfüllt. Es handle sich somit um Geschäftsunkosten, die bei der Umsatzsteuer nicht abzugsfähig seien.
Die Bfin. hat ferner in den gleichen Veranlagungszeiträumen, obwohl sie ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten versteuert, Kundenanzahlungen nicht im Zeitpunkt der Vereinnahmung, sondern wesentlich später, meist erst bei Eingang des Restrechnungsbetrages der Umsatzsteuer unterworfen. Die Bfin. vertritt den Standpunkt, daß ein Umsatz nicht schon mit der Anzahlung, sondern erst mit der Lieferung gegeben sei.
Das Finanzgericht hat unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, daß Anzahlungen für bestimmte zukünftige Leistungen im Falle der Istbesteuerung mit der Vereinnahmung als Entgelt zu betrachten seien.
Schließlich hat die Bfin. in den Jahren 1951 bis 1956 Umsätze aus dem Bau elektrischer Anlagen bei teils einheitlicher und teils gesonderter Auftrags- und Rechnungserteilung in steuerbegünstigte Großhandelslieferungen und in Montageleistungen aufgespaltet.
Die Bfin. vertritt hierzu die Ansicht, es müsse ihr gestattet sein, sowohl Großhandelslieferungen als auch Montagen durchzuführen; sie könne daher auch mit umsatzsteuerlicher Wirkung ihre Geschäfte beliebig in Großhandelslieferungen und in sonstige Leistungen zerlegen. Wolle man dieses Vorgehen einengen, würde dies einen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) bedeuten.
Das Finanzgericht hat hierzu ausgeführt, daß dem Schriftwechsel der Bfin. mit ihren Kunden zu entnehmen sei, daß es in allen streitigen Fällen den Abnehmern auf die Lieferung betriebsfähiger Anlagen angekommen sei und nicht auf die Lieferung ihrer Einzelteile und auf deren anschließende Montage. Es handle sich somit um einheitliche wirtschaftliche Vorgänge, die nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in ihre Bestandteile aufgespaltet werden dürften.
Entscheidungsgründe
Die Rb. der Steuerpflichtigen ist nicht begründet.
Die Ausführungen der Vorinstanz lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen; sie entsprechen in allen Streitpunkten der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung des Senats. Soweit die Bfin. meint, daß die einheitliche Beurteilung ihrer als Großhandelslieferungen und Montageleistungen versteuerte Werklieferungen gegen das GG verstoße, ist darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung Umsatzgeschäfte, die nach dem Willen der Vertragschließenden, dem tatsächlichen Geschehensablauf und ihrem wirtschaftlichen Gehalt Werklieferungen sind, auch als solche zur Versteuerung heranzuziehen sind, selbst wenn sie künstlich in reine Lieferungen und in sonstige Leistungen aufgespalten worden sind, um zu gewährleisten, daß wirtschaftlich gleichliegende Vorgänge auch steuerlich gleichbehandelt werden (vgl. schon Urteile des Reichsfinanzhofs V A 348/27 vom 12. August 1927, Slg. Bd. 22 S. 22, RStBl 1927 S. 207, und V A 588/26 vom 19. November 1926, Slg. Bd. 20 S. 103, und Gr.S. 5/24 vom 24. Januar 1925, Slg. Bd. 15 S. 282, insbesondere S. 285). Die zuletzt erwähnte Entscheidung zeigt, daß dieser Grundsatz der Rechtsprechung durchaus nicht immer zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschlägt. Folgte man der Auffassung der Bfin., so gäbe es für das Gebiet der Umsatzbesteuerung überhaupt keine Werklieferungen mehr, obwohl dieser Begriff doch dem bürgerlichen Recht (vgl. § 651 BGB) entstammt und es dem Gesetzgeber freisteht, derartige Umsatzgeschäfte, die eine Mischung aus Lieferung und Leistung darstellen, wegen ihres Leistungselements von der Vergünstigung des § 7 Abs. 3 oder des § 4 Ziff. 4 UStG auszuschließen; denn diese Vorschriften sollen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich die reine Verteilerfunktion des Großhändlers begünstigen. Diejenigen Unternehmen, die im Wirtschaftsablauf durch Leistungen eine oft erhebliche Wertsteigerung der Ware herbeiführen, sind nach Auffassung des Gesetzgebers dieser Vergünstigung nicht bedürftig, es sei denn, daß aus wirtschaftspolitischen Gründen bestimmte Bearbeitungen zugelassen sind (vgl. zum Beispiel § 30 UStDB 1951).
Die Rb. greift weder die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz noch deren rechtliche Ausführungen zu den einzelnen Streitfragen an, sondern beschränkt sich nunmehr unter Vorlage eines Gutachtens darauf, die Verfassungswidrigkeit des geltenden Umsatzsteuerrechts darzulegen.
Die Behauptung, das geltende Umsatzsteuersystem, insbesondere der § 2 UStG, verletze den im GG (Art. 3) verankerten Gleichheitsgrundsatz, indem es zugunsten mehrstufiger Betriebe durch seine Kumulativ- und Konzentrationswirkung den einstufigen Betrieb schlechterstelle, erweist sich als unzutreffend, wenn man dieses System im ganzen und darüber hinaus das gesamte Steuersystem betrachtet und dabei die wirtschaftliche Gegebenheiten in der Bundesrepublik in diese Untersuchung einbezieht. Dabei ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber an den allgemeinen Gleichheitssatz nur in dem Sinn gebunden ist, daß er weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleichbehandeln darf (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvK 1/54 vom 16. März 1955, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 4 S. 145, 155). Eine Verletzung des Art. 3 liegt demnach nur vor, wenn keine sachlichen Gründe für die etwaige Ungleichheit bestehen (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 33/51 vom 21. Juli 1955, BVerfGE Bd. 4 S. 219, 243/44, und 2 BvF 4/56 vom 5. März 1958, BVerfGE Bd. 7 S. 305, 318). Das Vorbringen der Rb. will offenbar besagen, daß das UStG wesentlich Ungleiches gleichbehandle. Gerade Steuergesetz können aber bei der Vielfalt der wirtschaftlichen Erscheinungsformen, die sie zu erfassen haben, nicht auf jede Besonderheit Rücksicht nehmen, sondern müssen sich darauf beschränken, die typischen Vorgänge zu regeln.
Die Umsatzsteuer ist - im Gegensatz etwa zur Einkommensteuer - nicht als Personensteuer, sondern als Objektsteuer ausgestaltet; denn im Mittelpunkt der Umsatzsteuer steht der Steuergegenstand (Lieferung, sonstige Leistung, Eigenverbrauch, Einfuhr), nicht die Person des Steuerpflichtigen. Dies hat zur Folge, daß die persönlichen Verhältnisse des Unternehmers, den das UStG als Steuerschuldner bezeichnet (ß 9), grundsätzlich außer acht zu lassen sind. Die Umsatzsteuer besteuert die wirtschaftliche Kraft, die sich darin äußert, daß eine Ware (Leistung) noch Absatz findet (vgl. Herting, Deutsche Steuer-Zeitung 1936 Nr. 343 S. 1263). Aus dem in der freien Marktwirtschaft, für die sich die Bundesregierung im Grundsatz entschlossen hat, bestehenden freien Spiel von Angebot und Nachfrage leitet deshalb die Umsatzsteuer zugleich ihre innere Berechtigung her (vgl. Herting, Umsatzsteuer-Rundschau 1958 S. 25); denn die Umsatzsteuer knüpft bei dem wichtigsten Steuergegenstand der Lieferungen und sonstigen Leistungen an das Marktgeschehen an und besteuert dem im Wirtschaftsleben stattfindenden Leistungsaustausch. Die konkrete Erfassung dieses Leistungsaustausches ist für die Auslegung des UStG maßgeblich. Infolge der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Steuerüberwälzung belastet die Umsatzsteuer letzten Endes den Verbraucher. Sie hat also, obwohl als Verkehrsteuer ausgestaltet, die Wirkung einer allgemeinen Verbrauchsabgabe (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 306/37 vom 24. August 1938, RStBl 1938 S. 903, Slg. Bd. 44 S. 328). Man mag in der sich daraus ergebenden Verteuerung der Ware einen Nachteil des geltenden Systems erblicken (vgl. näheres bei Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl. Tzn. 11 ff.), doch ist nach dem Gesagten schon nicht ersichtlich, inwiefern sich der Unternehmer eines einstufigen Betriebs durch eine derartige Objektsteuer deshalb benachteiligt fühlen kann, weil ein Unternehmer eines mehrstufigen Betriebs seine Waren, in die weniger Umsatzsteuer als Kostenfaktor eingegangen ist, billiger verkaufen kann als er selbst, der zum Beispiel mit Umsatzsteuer bereits belastete Halbfabrikate erworben hat und deshalb bei angeblich sonst gleichen Verhältnissen teuerer verkaufen muß; denn findet auf dem Markt noch ein Leistungsaustausch statt, so wird auch nur die sich darin zeigende wirtschaftliche Kraft besteuert und damit dem tragenden Prinzip der Umsatzsteuer Genüge getan. Dazu kommt, daß eine als Verkehrsteuer ausgestaltete Steuer, die an Vorgänge des Rechtsverkehrs anknüpft, erst recht eine Verbrauchsteuer, schon ihrer Natur nach die Auswirkung auf den Steuerschuldner nur in ganz beschränktem Maße berücksichtigen kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs V 69/53 S vom 25. September 1953, BStBl 1953 III S. 332, 334, Slg. Bd. 58 S. 109, und V 45/53 S vom 10. Juni 1954, BStBl 1954 III S. 238, Slg. Bd. 59 S. 77). Schließlich hat der Gesetzgeber des GG im Art. 106 GG die Umsatzsteuer ausdrücklich genannt, deren System und deren Wirkungen ihm bekannt waren.
Eine isolierte Betrachtungsweise, die lediglich vom Unternehmer- und Lieferungsbegriff (ß 3 UStG) ausgeht, übersieht ein Mehrfaches. Einmal ist, umsatzsteuerrechtlich gesehen, ein Unternehmer nicht belastet, wenn und soweit die Marktlage ihm gestattet, die Umsatzsteuer in voller Höhe zu überwälzen. Ferner gibt es im wirtschaftlichen Raum kaum gleichartige Verhältnisse. Die überlegungen der Rb. gehen offenbar davon aus, daß immer nur völlig gleiche Waren auf dem Markt im Wettbewerb stehen. Vielfach wird dies nicht der Fall sein, weil jedes Unternehmen zum Beispiel andere Fertigungsmethoden hat, andere Rohstoffe verwendet, oft auch andere Käuferschichten ansprechen will. Der Verbraucher steht dann auf dem Markt einer Auswahl durchaus unterschiedlicher Produkte gegenüber, so daß der Preis der Ware solchenfalls nur einer unter vielen Gesichtspunkten ist, die seinen Kaufentschluß beeinflussen. Es ist auch nicht möglich, mehrere einstufige Betriebe (zum Beispiel einen Forstbetrieb, ein Sägewerk und eine Möbelfabrik) mit einem mehrstufigen (Möbelfabrik mit eigenem Sägewerk und eigenem Waldbesitz) zu vergleichen. Zwar spart der letztgenannte Betrieb die Umsatzsteuer des Forstbetriebes (1,5 %) und des Sägewerks (4 %), er könnte sogar noch die nachfolgenden Wirtschaftsstufen (Möbelgroßhandel und Möbeleinzelhandel) ausschalten und die Umsatzsteuer weiterer Wirtschaftsstufen sparen. Es werden gleichwohl nicht gleichartige Verhältnisse ungleich behandelt. Denn ein vertikal gegliederter Betrieb, der vom Forstbetrieb bis zum Möbeleinzelhandel reicht, setzt unter anderem eine ganz andere Organisation voraus als eine einstufige Möbelfabrik; denn jene muß wesentlich umfangreicher und deshalb auch kostspieliger sein als die Organisation eines einstufigen Betriebes. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß die Umsatzsteuer nur einer von vielen Kostenfaktoren ist, die in den Preis des Endproduktes eingehen, und zudem durchaus nicht der bedeutsamste Kostenfaktor. Neben den erhöhten Organisations- und Personalkosten treten zum Beispiel die sehr viel umfangreicheren Betriebsmittel, die höheren Kosten der Werbung, der Lagerhaltung und der Anbietung in entsprechenden Räumen hinzu, die eine Möbelfabrik, die nicht zugleich Einzelhandel betreibt, nicht aufzuwenden braucht. Es wird meist auch übersehen, daß das Risiko eines mehrstufigen Betriebes ungleich höher ist als das eines einstufigen Betriebes. Im hier gewählten Beispiel könnten ein Waldbrand oder ein Windbruch, aber auch Preisunterbietungen mit billigerem ausländischem Holz oder auch Absatzkrisen für inländische Holzarten infolge eines geänderten Käufergeschmacks, der nach bestimmten ausländischen Holzarten verlangt, für den mehrstufigen Betrieb zu Verlusten führen, denen der einstufige Betrieb nicht ausgesetzt ist. Es ist, wenn man - wie es der Senat für geboten hält - die Untersuchung auf das gesamte Steuersystem ausdehnt, auch zu bedenken, daß für den einstufigen Betrieb die höhere Umsatzsteuerbelastung als Betriebsausgabe zur Verminderung der Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) führt. Zudem ist auch zu beachten, daß gerade bei Produktionsbetrieben, in denen auf der Produktionsstufe aus den Rohstoffen ein Mehrfaches an Wert geschaffen wird, wodurch übrigens auch die Kumulativwirkung der Allphasenbesteuerung verringert wird, die Umsatzsteuer auch bei einem Steuersatz von 4 % eine geradezu untergeordnete Rolle spielt, daß aber die Gefahren, Risiken und Schwierigkeiten eines vertikalen Betriebsausbaues einer übermäßigen Konzentration Grenzen setzen. Die umsatzsteuerlichen Vorteile bieten demgegenüber oft keinen Ausgleich. Schließlich sei betont, daß ein geringerer Preis der Waren eines mehrstufigen Unternehmers nicht auf der Umsatzsteuerersparnis zu beruhen braucht, sondern sich oft nur aus dem größeren Kapitaleinsatz erklärt, der rationellere Fertigungsmethoden zum Beispiel durch Anschaffung modernster Maschinen gestattet. (Gleichmäßige Ware, weniger Ausschuß usw.)
Der Zug nach Betriebskonzentration liegt zwar im Wesen der modernen Wirtschaftsentwicklung (vgl. Riepl, Deutsche Steuer-Rundschau 1958 S. 217), diese Entwicklung ist aber sicherlich nicht um der umsatzsteuerlichen Vorteile willen in Gang gesetzt worden und würde durch ein anderes Umsatzsteuersystem auch nicht aufhören. Wirtschaftlicher Wagemut, kaufmännisches Geschick und Unternehmergeist werden, wie die wirtschaftliche Entwicklung schon vor der Einführung einer Umsatzsteuer und seitdem zeigt, stets die wesentlichen Triebkräfte einer Konzentration sein. Dazu kommen reine wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsgründe; für ein Hochofenwerk ist sicherlich der Gesichtspunkt rationeller Wärmewirtschaft für die Angliederung eines Stahlwerkes entscheidend, um nicht das aus dem Hochofen kommende Roheisen erkalten zu lassen, ehe es im Stahlwerk zur Stahlgewinnung eingesetzt wird. So haben vertikal weitgehend gegliederte Montankonzerne in Deutschland schon lange bestanden, ehe es eine Umsatzsteuer überhaupt gab. Der Zug zur Betriebskonzentration ist auch in den ausländischen Staaten festzustellen, die ein angeblich wettbewerbsneutrales Umsatzsteuersystem haben. So hat denn schon der Schöpfer der Umsatzsteuer (vgl. Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl. S. 28, 29) darauf hingewiesen, daß das Urteil über die Schädlichkeit oder Nützlichkeit vertikaler Betriebszusammenschlüsse je nach der volkswirtschaftlichen Einstellung verschieden ausfallen kann. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik hat in der Beibehaltung des geltenden Umsatzsteuersystems eine wirtschaftspolitische Entscheidung getroffen, die ihm nach dem GG nicht verwehrt ist. Das GG hat sich nicht für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden, so daß der Gesetzgeber darin frei ist, die ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu treiben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 23/54 S vom 7. April 1960, BStBl 1960 III S. 339, Slg. Bd. 71 S. 244). Er hat seit je und in verstärktem Maße seit dem Jahre 1951 dort, wo die Umsatzsteuer als Unkostenfaktor überhaupt eine größere Rolle spielen könnte, namentlich im Großhandelssektor, einschneidende Maßnahmen getroffen, die dem geltenden System die im wesentlichen auf dem hohen Steuersatz beruhenden Härten nehmen.
So sind die Großhandelslieferungen in Seehafenplätzen, die auf die Einfuhr folgen, und die ersten Lieferungen eingeführter Waren außerhalb eines Seehafenplatzes bei einem umfangreichen Warenkatalog (Freiliste 2) nach § 4 Ziff. 2 UStG steuerfrei; steuerfrei sind auch die Binnengroßhandelslieferungen notwendiger Rohstoffe und Halberzeugnisse und der gesamte Lebensmittelgroßhandel (Freiliste 3) nach § 4 Ziff. 4 UStG, während für die dann noch nicht befreiten Großhandelsumsätze der ermäßigte Steuersatz des § 7 Abs. 3 UStG gilt. Außerdem enthält der § 4 UStG nunmehr aus vorwiegend sozialen Gesichtspunkten einen so umfangreichen Befreiungskatalog, womit auch der sozialstaatliche Auftrag des GG, soweit im Rahmen einer Verkehrsteuer überhaupt möglich, gewahrt ist, daß das geltende Umsatzsteuersystem weitgehend seiner Härten entkleidet ist. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber weitere Ausgleichsmaßnahmen für die Textilwirtschaft, die nach dem damaligen Stand der Erkenntnisse einer solchen Regelung besonders bedurfte, getroffen hat (vgl. das oben angeführte Urteil V 231/54 S vom 7. April 1960).
Dieses Umsatzsteuersystem hat, wie die günstige wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung, die auch einstufige mittelständische Betriebe in den letzten 10 Jahren genommen haben, beweist, auch reibungslos durchgeführt werden können. Auch hier wäre die isolierte Betrachtung des Umsatzsteuer innerhalb des gesamten Steuersystems verfehlt; denn diese günstige Entwicklung beruht nicht nur auf den erwähnten umsatzsteuerlichen Vergünstigungsvorschriften, die auf dem Gebiete der Ausfuhr noch durch die Vergütungsvorschriften des § 16 UStG und für das gesamte Siedlungswesen und damit auch die Bauwirtschaft noch durch die Befreiungsvorschriften der einschlägigen Gesetze (zusammengefaßt in § 49 UStDB) ergänzt werden, sondern auch auf den durch die Einkommensteuergesetzgebung veranlaßten Impulsen (vgl. zum Beispiel die § 7-Gruppe des EStG). Dem Senat erschiene es eher verständlich, wenn sich ein Steuerpflichtiger gegen die völlige Befreiung der Landwirtschaft von der Umsatzsteuer wendete, die man als systemwidrig bezeichnen könnte (vgl. Herting in Grabower-Herting-Schwarz, Die Umsatzsteuer, 2. Aufl. Köln 1962 S. 211 am Ende). Allein auch hier hat der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Befugnis eine wirtschaftspolitische Entscheidung getroffen, die er noch durch die weiteren Maßnahmen des Grünen Planes (vgl. Landwirtschaftsgesetz vom 5. September 1955, BGBl 1955 I S. 565) verstärkt hat. Es ist deshalb angebracht, im Streitfalle, in dem die ungleichen Wettbewerbsbedingungen des mehrstufigen Großbetriebes gegenüber einem einstufigen Betrieb als Beweis einer Verletzung des Gleichheitssatzes gewertet werden, darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber auch andere als steuerpolitische Möglichkeiten hat, etwa bestehende Ungleichheiten auszugleichen und daß er dies in den letzten Jahren in großem Umfange getan hat. Zunächst hat er noch im Rahmen des UStG selbst die mittelständische Wirtschaft durch die Einfügung des § 7 a UStG (vgl. insbesondere die Fassung des Elften Gesetzes zur änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961, BGBl 1961 I S. 1330) entlastet, er hat außerhalb der Steuergesetze durch Subventionen, Zinsbegünstigungen, Investitionshilfemaßnahmen, Marktordnungen, Entschuldungsverfahren, Preispolitik, Zollmaßnahmen und Ausnahmetarife gerade auch der mittelständischen Wirtschaft, die vorwiegend in einstufigen Betrieben organisiert ist, zu helfen verstanden. Ob es ihm gelungen ist, die bestmögliche Form eines freien Wettbewerbs am Markt durchzusetzen, ist allein Sache des Gesetzgebers; dies haben die Gerichte nicht zu beurteilen (vgl. auch Voigt in "Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland" in "Staat und Bürger", Festschrift für Willibalt Apelt, München und Berlin 1958 S. 73 ff., 91, 97, 103). Der Gesetzgeber wird vielfach die übermächtige Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse gar nicht aufzuhalten vermögen, mag auch manche Entwicklung der ihm vorschwebenden sozialen Marktwirtschaft zuwiderlaufen; andererseits sind dem Gewinnstreben der Unternehmer und der Interessenverbände durch die in den Art. 20, 28 GG geforderte Sozialstaatlichkeit Grenzen durch die Rücksichtnahme auf die Gemeinschaft gesetzt. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, nicht als wesentlich erkannten Beeinträchtigungen einzelner Wirtschaftszweige nachzugehen, wird man deshalb nicht annehmen können. Mit den gleichen Gedankengängen, die der Rb. zugrunde liegen, könnte auch gegen die Befreiung zahlreicher Umsätze durch § 4 UStG und gegen die verschiedenen Steuersätze des § 7 UStG angegangen werden, obwohl der Gesetzgeber auch insoweit nur wirtschaftspolitische Entscheidungen im Rahmen seiner Zuständigkeit getroffen hat.
Hinzu tritt die Erwägung, daß es nach den vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erörterungen, die zu dem Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BVerfGE Bd. 7 S. 282 ff., 293) geführt haben, gar nicht möglich ist, die vorhandenen Unternehmenstypen der Gruppe der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmungen zuzuordnen. Es besteht hiernach keine Klarheit, unter welchen Voraussetzungen innerhalb eines Wirtschaftszweiges ein bestimmtes Unternehmen als einstufig oder als mehrstufig anzusehen ist. Der Versuch in den UStDB 1951, eine Zusatzsteuer grundsätzlich für alle Unternehmer vorzusehen, die im Einzelhandel Gegenstände liefern, die sie selbst hergestellt haben (ß 58 UStDB 1951), um auch auf diese Weise Härten der Allphasensteuer auszugleichen, ist denn auch mit aus diesem Grunde gescheitert. Aus diesem Versuch, Härten des Systems zu mildern, darf man aber keineswegs den Schluß ziehen, daß ein solcher Ausgleich der Umsatzsteuer, die bis zum Jahre 1934 ohne einen § 8 ausgekommen war, begriffsnotwendig innewohnt. Es sollte lediglich Einwendungen gegen das System durch einen Akt mittelständischer Steuerpolitik begegnet werden (vgl. Hübschmann in Hübschmann-Grabower, Beck-v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung, Erster Abschnitt, III., Anm. 4 S. 18, 21). Eine Verpflichtung der Bundesregierung, Maßnahmen im Sinne des früheren § 8 UStG zu treffen, kann demnach nicht anerkannt werden. Ein Weg, innerhalb des geltenden Systems eine Gleichheit in dem von der Rb. gewünschten Sinne herbeizuführen, erscheint hiernach gar nicht gegeben. Die Gedankengänge der Rb. würden deshalb den Gesetzgeber geradezu nötigen, das geltende Umsatzsteuersystem aufzugeben und sich einem anderen System zuzuwenden. Diese Folgewirkung geht nach Auffassung des Senats weit über das hinaus, was auch bei weitgehender Würdigung der überlegungen der Rb. noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer angeblichen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und der dem Gesetzgeber aufgezwungenen Schritte entsprechen würde; denn aus den obigen Ausführungen geht hervor, daß die konzentrationsfördernde Wirkung der Allphasenbesteuerung weit überschätzt wird, daß wirklich gleichliegende Verhältnisse in der Wirtschaft kaum anzutreffen sind, daß eine etwaige Mehrbelastung einstufiger Unternehmen nicht wesentlich erscheint und daß schließlich keineswegs sachfremde Erwägungen zu dem jetzigen Umsatzsteuersystem geführt haben (vgl. zum letzten Punkt Hübschmann in Hübschmann-Grabower-Beck- v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung, Zweiter Abschnitt, II., Anm. 3 S. 42 ff.).
Im übrigen würden bei einer Systemänderung, die zudem die große Gefahr nicht übersehbarer Belastungsverschiebungen in sich birgt, andere Mängel in Kauf genommen werden müssen; außerdem kann man mit guten Gründen bezweifeln, ob es überhaupt eine wettbewerbsneutrale Umsatzsteuer gibt und ob nicht die Bestrebungen nach einer solchen Besteuerungsart irreal sind, weil diese Forderung in der Praxis nicht erfüllbar ist; denn es ist sicher, daß im allgemeinen jede Besteuerung Wirkungen auf die Produktion und die Preisbildung ausübt (vgl. Hübschmann, Finanzarchiv Bd. 21, 1961 S. 396, aber auch Jecht, Finanzarchiv Bd. 19, 1958/59 S. 103, 105). Die unverkennbaren Mängel auch anderer Umsatzsteuersysteme seien am Beispiel der Mehrwertsteuer (Nettoumsatzsteuer) gestreift, weil diese im Hinblick auf Beschlüsse der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Zeit im Vordergrunde der Betrachtungen steht. Einmal kann man bezweifeln, ob es sich insoweit noch um eine echte Umsatzsteuer und nicht vielmehr um eine Rohgewinnsteuer handelt (vgl. Hübschmann in Hübschmann-Grabower-Beck- v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung, Zweiter Abschnitt, II., Anm. 15 S. 60 ff., und Herting in Grabower-Herting-Schwarz, a. a. O., S. 226), deren Erträge ohne änderung des Art. 106 Abs. 3 GG nur zum Teil (nicht - wie vorgesehen - ganz) dem Bunde zufließen könnten. Abgesehen davon würde bei einer Nettoumsatzsteuer, bei der nur der auf jeder Wirtschaftsstufe geschaffene Mehrwert besteuert wird, die Steuer zwar auf dem Endprodukt ohne Rücksicht auf die Zahl der Umsätze gleich sein, trotzdem würde sie eine Benachteiligung einstufiger Unternehmen nicht ausschließen; denn ein mehrstufiger Großbetrieb, der infolge größeren Kapitals und einer größeren Produktion rationeller und deshalb billiger produzieren kann, würde durch die dann niedrigere Umsatzsteuer seiner Stufe noch bevorzugt werden. Auch die Verschiedenheit des Steuerabzuges und des Zeitpunktes, in dem er vorgenommen wird, würde die Wettbewerbsverhältnisse der Unternehmer beeinflussen (vgl. Schettler, Umsatzsteuer-Rundschau 1955 S. 9 f., 10, derselbe auch Umsatzsteuer-Rundschau 1953 S. 133). Das Mehrwertbesteuerungssystem unterliegt außerdem im ganz besonderen Maße der Gefahr der Belastungsverschiebungen, und man hat schon erkannt, daß gerade arbeitsintensive Unternehmen, wie zum Beispiel Handwerksbetriebe, einen sehr hohen Steuersatz tragen müßten, ohne die Möglichkeit zu haben, größere Vorsteuer- oder Vorumsatzabzüge machen zu können (vgl. Eckhardt-Limmer, Die zukünftige Umsatzsteuer, Köln 1959 S. 3, und Bericht der Kommission zur technischen Prüfung der Umsatzsteuerreformvorschläge, Bonn 1960 S. 22 ff., wo besonders die erheblichen buchmäßigen Anforderungen, die gerade für kleinere Unternehmen kaum tragbar wären, herausgestellt werden). Auch würde die bei jeder Art Mehrwertsteuer gebotene Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes gerade die kleineren Betriebe am härtesten treffen. Die Beeinflußbarkeit der Höhe der Steuer durch Vergrößerung oder Verringerung der abzugsfähigen Aufwendungen, die sogenannte Nachholwirkung in späteren Besteuerungsphasen bei Einführung von Steuerbefreiungen oder Steuerbegünstigungen auf einzelnen Wirtschaftsstufen, ihre Krisenempfindlichkeit und die großen Schwierigkeiten bei ihrer technischen Durchführung sind weitere schwerwiegende Mängel der Mehrwertsteuer. Die sogenannte Siemens'sche veredelte Umsatzsteuer, die gleichfalls eine Nettoumsatzsteuer darstellt, ist deshalb schon vom Gesetzgeber der Vorkriegszeit nach Prüfung verworfen worden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Steuerbelastung jeder Wirtschaftsstufe von so vielen Faktoren (Einkaufs- und Verkaufspreise, Marktlage, Struktur des Betriebes, kaufmännische Leitung des Betriebes, Rohstofflage, Zollgesetzgebung usw.) abhängt, daß auch im Rahmen jeder Art Nettoumsatzsteuer eine gleichmäßige Belastung der Produktions- und der Handelsstufen unmöglich erscheint (vgl. auch Zierold-Pritsch, Die Umsatzsteuersysteme, Bonn 1952 S. 25). Jecht (Finanzarchiv Bd. 19, 1958/59 S. 105) hat denn auch die Vorstellung, daß es sich bei der Nettoumsatzsteuer um eine wettbewerbsneutrale Steuer handelt, als Utopie bezeichnet. Andere Umsatzsteuersysteme bergen andere Gefahren, Risiken und Mängel. Der Gesetzgeber, der sich praktisch seit der Einführung der Umsatzsteuer im Jahr 1918 um eine Verbesserung des Systems und um die Prüfung anderer Systeme bemüht hat, ist deshalb sicherlich nicht von unsachlichen oder gar willkürlichen Erwägungen ausgegangen, wenn er sich entschloß, zunächst das geltende Umsatzsteuersystem beizubehalten. Die Erkenntnis, daß die Umsatzsteuer in Krisenzeiten wie überhaupt in Zeiten hohen Finanzbedarfs die bestgeeignete Steuer ist, die dem Staate selbst bei rückläufiger Konjunktur eine sichere Einnahmequelle eröffnet und im Rahmen des gesamten Steuersystems auch diejenigen Kreise an den finanziellen Lasten mittragen läßt, die bei den Ertragsteuern unter Umständen steuerfrei bleiben, mag dem Gesetzgeber diesen Entschluß erleichtert haben (vgl. auch das Geleitwort von Popitz, abgedruckt in Grabower-Herting-Schwarz S. VII ff.).
Was die Organschaft betrifft, so sei zunächst darauf hingewiesen, daß es bei der Organschaft (ß 2 Abs. 2 Ziff. 2 UStG), die auf den ersten Blick als gegen die einstufigen Betriebe gerichtet angesehen werden könnte, um die Frage der umsatzsteuerlichen Selbständigkeit geht, die immer vorweg zu prüfen ist. Organschaft besteht in jedem Fall der Abhängigkeit einer juristischen Person von einem Unternehmer, gleich, ob das Unternehmen einstufig oder mehrstufig ist; es können Organschaften nicht nur bei vertikalen, sondern auch bei horizontalen Verbindungen vorliegen (vgl. Hübschmann, Finanzarchiv 1961 Bd. 21 S. 396). Soweit eine Mehrstufigkeit auf Grund organschaftlicher Verbindung besteht, liegen die Verhältnisse nicht anders als in den vorstehend behandelten und gewürdigten Fällen; ein Unterschied besteht nur insofern, als an Stelle mehrerer unselbständiger Abteilungen eines Unternehmens mehrere formal-juristisch selbständige Betriebe das umsatzsteuerlich einheitliche Unternehmen bilden. Der Senat kommt nach allem, insbesondere auch nach den aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewonnenen Erkenntnissen (vgl. außer den eingangs erwähnten Entscheidungen besonders noch 1 BvR 147/52 vom 17. Dezember 1953, BVerfGE Bd. 3 S. 58 ff., 135, 136) zu der überzeugung, daß das geltende Umsatzsteuersystem, insbesondere die §§ 2 und 3 UStG nicht gegen das GG verstoßen. Hierauf beruht auch seine gesamte Rechtsprechung seit Ergehen des GG (vgl. insbesondere die hier angeführten Urteile).
Die Rb. war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1963, 72 |
BFHE 1963, 204 |
BFHE 76, 204 |
StRK, UStG:1/1 R 244 |