Leitsatz (amtlich)
Ändert das FA einen bestandskräftigen Investitionszulagebescheid gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 i.V.m. § 5 Abs.5 InvZulG 1979, so trägt es grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage nicht vorgelegen haben.
Orientierungssatz
Ändert das FA einen bestandskräftigen Investitionszulagenbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 i.V.m. § 5 Abs. 5 InvZulG 1979, so trägt es dann nicht die objektive Beweislast dafür, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage nicht vorgelegen haben, wenn der Begünstigte den Zulagenbescheid durch schuldhaft und vorwerfbar unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat oder wenn er ohne Rücksicht auf Verschulden dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehende Tatsachen verschwiegen hat, die anzugeben im wesentlichen nur er in der Lage war, so daß sich das FA auf deren Nichtvorhandensein verlassen durfte (vgl. BFH-Rechtsprechung, BVerwG-Rechtsprechung).
Normenkette
InvZulG § 4b Fassung: 1979-01-02, § 5 Abs. 5 Fassung: 1979-01-02; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Omnibusunternehmen. Antragsgemäß gewährte ihr der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im April 1977 für die Anschaffung eines Omnibusses eine Investitionszulage gemäß § 4b des Investitionszulagengesetzes (InvZulG). In ihrem Zulageantrag hatte die Klägerin als Tag der Bestellung den 27.Juni 1975 angegeben.
Im Anschluß an eine Steuerfahndungsprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Klägerin habe das Fahrzeug erst am 4.Juli 1975 und damit nach Ablauf des maßgeblichen Begünstigungszeitraums bestellt. Es änderte deshalb im Oktober 1979 den ursprünglichen Zulagebescheid und setzte die Investitionszulage auf 0 DM fest.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam nach Durchführung einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, daß nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, ob das Fahrzeug am 27.Juni oder am 4.Juli 1975 bestellt worden ist. Diese Unaufklärbarkeit geht nach Auffassung des FG zu Lasten der Klägerin.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der § 4b InvZulG und § 173 der Abgabenordnung (AO 1977).
Sie beantragt,
die Vorentscheidung, den Änderungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 i.V.m. § 5 Abs.5 InvZulG i.d.F. vom 2.Januar 1979 (BGBl I 1979, 24, BStBl I 1979, 29) sind Investitionszulagebescheide zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Investitionszulage führen. Den Nachweis dafür, daß die für eine Änderung eines Bescheids erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, hat das FA zu führen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.März 1980 VII R 97/76, BFHE 130, 209, 212; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., Rdnr.18 zu § 96 FGO). Es hat --bezogen auf den Streitfall-- nachzuweisen, daß der Steuerpflichtige entgegen der Annahme im ursprünglichen Bescheid das Wirtschaftsgut tatsächlich nach dem 30.Juni 1975 bestellt hat. Dem FA obliegt insoweit die objektive Beweislast (Feststellungslast). Die Unerweislichkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen geht aber nicht nur dann zu seinen Lasten, wenn feststeht, daß der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut innerhalb des maßgeblichen Begünstigungszeitraums bestellt hat, sondern auch dann, wenn unaufklärbar bleibt, ob die Bestellung tatsächlich rechtzeitig erfolgt ist. Der Zulagebescheid führte zu einer Begünstigung und damit zu einer schutzwürdigen Rechtsposition des Steuerpflichtigen. Dies rechtfertigt es, den Nachteil der Ungewißheit der entscheidungserheblichen Tatsachen der Behörde aufzuerlegen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 25.März 1964 VI C 150.62, BVerwGE 18, 168). Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß das FA die Möglichkeit hatte, die Zulage gemäß § 164 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 5 Abs.5 InvZulG 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festzusetzen.
Anders ist es jedoch, wenn der Begünstigte den Zulagebescheid durch schuldhaft und vorwerfbar unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat, oder wenn er ohne Rücksicht auf Verschulden dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehende Tatsachen verschwiegen hat, die anzugeben im wesentlichen nur er in der Lage war, so daß das FA sich auf deren Nichtvorhandensein verlassen durfte (vgl. Urteil in BFHE 130, 209, m.w.N.; BVerwG-Urteile vom 7.Juli 1966 III C 219.64, BVerwGE 24, 294, 299; vom 26.November 1969 VI C 121.65, BVerwGE 34, 225; Tipke/Kruse, a.a.O.). Durch diese Ausnahmen wird in ausreichendem Umfang dem Umstand Rechnung getragen, daß die Zulage vielfach ohne eingehende Überprüfung des vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalts ausgezahlt wird, um den mit der Zulage bezweckten Erfolg zu erreichen (Zur Berücksichtigung der Zweckbestimmung einer Norm vgl. BFH-Urteil vom 5.November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, 165, BStBl II 1971, 220, 224).
2. Danach war das FA nicht berechtigt, den Investitionszulagebescheid vom April 1977 zu Lasten der Klägerin zu ändern.
a) Das FG hat aus den von ihm getroffenen Feststellungen die Schlußfolgerung gezogen, es habe sich nicht feststellen lassen, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin den Kaufvertrag über den Omnibus abgeschlossen hat. Hierbei handelt es sich um einen Schluß tatsächlicher Art, den das FG aufgrund des festgestellten Sachverhalts im Rahmen der Tatsachenwürdigung (Beweiswürdigung) gezogen hat. Diese kann vom Senat nicht in Frage gestellt werden, da sie weder unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften zustande gekommen ist noch gegen Denkgesetze oder Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung verstößt. Als Revisionsgericht hat der BFH nur zu prüfen, ob das FG aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen zu den gezogenen Schlußfolgerungen kommen konnte; daß es dazu kommen mußte, ist nicht erforderlich. Zu der Annahme der Unentschiedenheit konnte das FG aufgrund der Abwägung der Eintragungen in der Kundenkartei einerseits und den Aussagen der Zeugen andererseits kommen.
b) Der Umstand, daß nicht mit Sicherheit festzustellen ist, wann die Klägerin den Omnibus tatsächlich bestellt hat, geht nach den unter 1. dargelegten Grundsätzen zu Lasten des FA. Dafür, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ausnahmsweise der Steuerpflichtige die Feststellungslast trägt, liegen keine Anhaltspunkte vor.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA nicht den Nachweis erbracht hat, daß die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Zulagebescheids vorliegen, waren der Änderungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 60720 |
BStBl II 1986, 441 |
BFHE 146, 320 |
BFHE 1986, 320 |
BB 1986, 1002-1002 (ST) |
HFR 1986, 414-414 (ST) |