Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Mineralölsteuer aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (NV)
1. Bestandskräftig festgesetzte Steuern können im Billigkeitsverfahren nur dann sachlich nachgeprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist, und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.
2. Wird Mineralöl, für das bereits eine Steuerschuld entstanden war, in ein Steuerlager aufgenommen und entsteht dafür später eine weitere Steuerschuld, so ist die Doppelbesteuerung für sich allein kein Grund für einen Erlaß der erstentstandenen Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen.
3. Die in Billigkeitsrichtlinien der Verwaltung entwickelten Grundsätze sind unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen als Material für die Rechtsfindung von Bedeutung.
Normenkette
AO 1977 § 227; MinöStG § 15 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d; MinöStDV § 36 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte am 11. und 12. März 1977 mittelschweres Öl (Kerosin) aus den Niederlanden in die Bundesrepublik ein. Das Mineralöl sollte an das Steuerlager in A der Firma E versandt werden. Auf Antrag der Klägerin überwies daher der Beklagte und Revisionskläger (HZA) das Kerosin an das HZA A. Am 13. und 14. März 1977 wurde es in den Lagertank gelöscht, der der E von einem anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt worden war, später in den Steuerlagertank . . . umgepumpt und dort mit Gasöl vermischt. Dieses Gemisch wurde Ende April 1977 als Dieselkraftstoff dem Steuerlager entnommen und von der E zur Versteuerung angemeldet. Die Steuern dafür sind entrichtet worden.
Mit zwei Steuerbescheiden vom 9. August 1977 forderte das HZA von der Klägerin Mineralölsteuer in der Höhe von . . . im wesentlichen mit folgender Begründung an: Der E sei nur ein Steuerlager für Leichtöle und Schweröle bewilligt gewesen. Das Kerosin als mittelschweres Öl habe deshalb nicht in das Steuerlager aufgenommen werden dürfen. Da es dennoch eingelagert worden sei, sei es an einen nicht zum Bezug Berechtigten abgegeben worden. Das habe zur Folge, daß die Klägerin nach § 15 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) für das Kerosin die Mineralölsteuer zu entrichten habe. Die Steuerbescheide sind bestandskräftig.
Mit Schreiben vom . . . beantragte die Klägerin, ihr die Mineralölsteuer aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Das HZA lehnte den Antrag mit Bescheid vom . . . ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Beide Verwaltungsakte hob das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom . . . ersatzlos auf. Nach erneuter Überprüfung lehnte das HZA den Antrag der Klägerin mit Verfügung vom Februar 1985 wiederum ab. Die Beschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das FG hob die Verfügung des HZA vom Februar 1985 sowie die Beschwerdeentscheidung auf und verpflichtete das HZA, Mineralölsteuer zu erlassen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:
Die Verwaltung sei zwar ermessensfehlerfrei davon ausgegangen, daß ein sachlicher Billigkeitsgrund unter dem Gesichtspunkt der rechtswidrigen Steuerfestsetzung nicht vorliege. Anders wäre es nur, wenn die Sach- oder Rechtslage im Steuerbescheid offensichtlich falsch beurteilt worden wäre und besondere Umstände eine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigten. Das sei hier nicht gegeben. Das HZA sei auch ermessensfehlerfrei davon ausgegangen, daß ein Billigkeitserweis allein aus dem Gesichtspunkt der Doppelbesteuerung nicht in Betracht komme. Zwar sei die Steuer unstreitig von der E gezahlt worden, woran die Vermischung nichts ändere. Nach § 36 Abs. 2 MinöStDV entstehe jedoch für steuerbares Mineralöl, für das keine bedingte Steuer bestehe, mit der Aufnahme in das Steuerlager eine bedingte Steuerschuld. Der Gesetzgeber habe also eine Doppelbesteuerung in manchen Fällen ausdrücklich verlangt, es sei denn, es lägen im Einzelfall besondere Umstände vor.
Nach Teil C Abs. 3 Nr. 12 b der Billigkeitsrichtlinien des Bundesministers der Finanzen (BMF) 1974 (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - S 1019) sei jedoch die Mineralölsteuer auch dann zu erlassen, wenn versteuertes Mineralöl in ein Steuerlager verbracht werde, sofern besondere Umstände dies erfordert hätten oder entschuldbar erscheinen ließen. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall vor und führten zu einer Einengung der Ermessensgrenzen, so daß nur eine bestimmte Entscheidung möglich sei, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen müßte.
Bei dem in das Steuerlager der E aufgenommenen Kerosin handle es sich um versteuertes Mineralöl, da die Steuer dafür unbedingt geworden sei. In der Person der Klägerin lägen auch Umstände vor, die die Aufnahme des Kerosins in das Steuerlager entschuldbar erscheinen ließen. Im Zeitpunkt der Aufnahme des Kerosins in das Steuerlager habe es keine ausdrückliche mineralölsteuerrechtliche Vorschrift gegeben, daß die Erweiterung der Steuerlagerbewilligung genehmigungspflichtig gewesen sei. Die Klägerin habe sich auch unwiderlegt dahin eingelassen, es habe zum damaligen Zeitpunkt allgemeiner Verwaltungspraxis entsprochen, daß die Erweiterung der Steuerlagerbewilligung nicht der Genehmigung durch das zuständige HZA bedurft habe. Dafür spreche auch die von einem Teil der Verwaltungsfachleute zu diesem Problem vertretene Rechtsauffassung (vgl. Der Deutsche Zollbeamte - ddz - 1979 Heft 12, Beilage ,,Sie fragen - Wir antworten" V 11). Die Tatsache, daß es sich hierbei entgegen der Auffassung des HZA nicht um eine Einzelmeinung, sondern um eine allgemein vertretene Verwaltungsauffassung gehandelt habe, ergebe sich auch aus dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben des HZA . . .. Diese Rechtsauffassung sei auch zunächst vom HZA A, dem für das Steuerlager der Firma E zuständigen HZA, vertreten worden.
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände sei es daher entschuldbar, wenn die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen sei, daß das Zumischen von mittelschwerem Mineralöl mit bereits im Steuerlager befindlichem Gasöl nicht genehmigungsbedürftig gewesen sei, sondern dieser Vorgang nur buchmäßig habe erfaßt und vorher angezeigt werden müssen. Dies sei hier geschehen. Das HZA A hätte daher bis zum Vermischen genügend Zeit gehabt, ggf. erforderliche Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Das habe es aber erkennbar nicht getan. Die Steuerbescheide seien vielmehr auf Veranlassung des HZA A erst am 9. August 1977 erlassen worden, nachdem die Firma E in Konkurs gefallen sei.
Seine - durch das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene - Revision begründet das HZA wie folgt:
Das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht (§ 76 Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Behauptung des FG habe es 1977 nicht der allgemeinen Verwaltungsauffassung entsprochen, die Erweiterung des Lagerverkehrs bedürfe keiner Erlaubnis durch das zuständige HZA. Aus der Antwort auf eine Leseranfrage in der ddz und aus einer Einzelverfügung des HZA . . . aus dem Jahre 1972, die einen Ausnahmefall betroffen habe, könne auf eine allgemeine Verwaltungspraxis nicht geschlossen werden. Die Zollverwaltung habe seit jeher die Auffassung vertreten, daß ein Steuerlagerinhaber nur die in der Lagerbewilligung genannten Mineralöle unversteuert beziehen dürfe. Es treffe auch nicht zu, daß das HZA A ebenfalls zunächst die Rechtsauffassung vertreten habe, das Zumischen des Kerosins zu dem im Steuerlager befindlichen Gasöl sei nicht genehmigungsbedürftig.
Die Vorentscheidung verletze § 227 der Abgabenordnung (AO 1977). Der Erlaß sei nur möglich, wenn unabhängig von der Doppelbesteuerung im einzelnen Fall besondere Gründe vorlägen, die die Einziehung der Steuer als unbillig erscheinen ließen. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 MinöStDV sei für den Bezug von unversteuertem mittelschwerem Mineralöl eine zollamtliche Erlaubnis erforderlich gewesen. Diese Erlaubnis sei Verwaltungsakt und entscheide verbindlich über den Inhalt des Bezugsrechts des Steuerlagerinhabers (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 3 MinöStDV). Von dieser rechtlichen Ausgangslage aus könnten in einem Fall wie dem vorliegenden Billigkeitserlasse nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen, nämlich dann, wenn das steuerschädliche Verhalten auf einer besonderen Notlage, auf einem Versehen oder auf einem Irrtum beruhe und deshalb entschuldbar sei (Teil C Abs. 3 Nr. 12 b der Billigkeitsrichtlinien 1974). Versehen und Irrtümer des Lieferanten, die sich auf die Erlaubnis bezögen, seien nicht entschuldbar. Der Glaube an die Echtheit, Gültigkeit oder Richtigkeit einer mineralölsteuerrechtlichen Erlaubnis werde im Mineralölsteuerrecht nicht geschützt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1982 VII R 82/79, BFHE 135, 368). Daher könne ein etwaiges Vertrauen der Klägerin auf die Erklärung ihres Geschäftspartners, der E, das zuständige HZA werde ihr auch die Erlaubnis zum Bezug mittelschweren Öls zeitlich vor oder bei der Lieferung erteilt haben, nicht mit rechtlichem Schutz ausgestattet sein. Leichtfertige Versäumnisse aber, wie sie der Klägerin unterlaufen seien, ließen die Einziehung der Steuer keinesfalls unbillig erscheinen. Hinzu komme, daß ein steuerrechtlich schützenswertes Vertrauen nur mit einem entsprechenden Verhalten des zuständigen HZA, nicht aber mit einem Verhalten eines Geschäftspartners der Klägerin hätte begründet werden können.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen, ferner hilfsweise, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Bescheid des HZA vom 25. Februar 1985 in der Fassung der Beschwerdeentscheidung vom 22. April 1985 ersatzlos aufzuheben. Sie führt u. a. aus:
Unter dem Gesichtspunkt der rechtswidrigen Steuerfestsetzung ergäben sich Billigkeitsgründe. Das uneingeschränkte Recht, unversteuertes Mineralöl in das Steuerlager aufzunehmen, sei nie umstritten gewesen. Die Auffassung des FG, die Lagerbewilligung beinhalte ausdrücklich ein nur beschränktes Bezugsrecht, könne daher nicht geteilt werden.
Billigkeitsgründe ergäben sich auch unter dem Gesichtspunkt der Doppelbesteuerung. Das ergebe sich aus dem BMF-Erlaß vom 11. November 1987, durch den angeordnet worden sei, daß die Steuer für versteuertes ungebrauchtes Mineralöl, das u. a. in Steuerlager verbracht werde, erlassen oder erstattet werden könne, wenn Art, Menge und Herkunft vor der Versteuerung usw. erfaßt seien. Die Regelung dieses Erlasses müsse ihr zugute kommen. Sie sei Ergebnis einer erweiterten Auffassung der Doppelbesteuerung als Billigkeitsgrund.
Durch Teil C Abs. 3 Nrn. 2 und 12 der Billigkeitsrichtlinien 1974 habe sich der BMF bei Eintritt der Doppelbesteuerung im Sinne eines Billigkeitserweises gebunden, sofern besondere Umstände das Verbringen in den Herstellungsbetrieb oder das Steuerlager erfordert hätten oder entschuldbar erscheinen ließen. Die Einzelfallentscheidung des Senats im Urteil vom 23. Juli 1968 VII 84/65 (BFHE 93, 114) sei von der irrtümlichen Auffassung ausgegangen, die Aufnahme versteuerter Mineralöle in ein Steuerlager komme nur ganz selten vor. Aus dem Mineralölsteuergesetz (MinöStG) sei nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit der Institution des Steuerlagers die Mehrfachbesteuerung - aus welchen Gründen auch immer - gewollt habe.
Die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlaß nach Teil C Abs. 3 Nrn. 2 und 12 habe das FG zu Recht für vorliegend erachtet. Als besonderer Grund im Sinne der Entschuldbarkeit sei anzusehen, daß das eingeführte Kerosin unter erschöpfender Erfassung als unversteuerte und unter steuerlicher Überwachung stehende Ware in den Lagerbereich der E überführt worden sei. Ihr, der Klägerin, Verhalten sei auch sonst als entschuldbar anzusehen. Sie habe das uneingeschränkte Bezugsrecht der E aus § 33 Abs. 1 MinöStDV gefolgert. Sie habe auf die Zusage des HZA vertraut, einen Billigkeitserweis zu befürworten, was durch alle Unterstellen auch geschehen sei. Schließlich habe sie auf die Zusage des im BMF für die Erlaßmaßnahme zuständigen Referatsleiters vertraut, einen Billigkeitserweis anzuordnen, falls sie, die Klägerin, am E- Konkurs kein Verschulden treffe und die Steuer für das nämliche mittelschwere Öl durch die E entrichtet worden sei. Sie habe nicht damit rechnen können, daß der Nachfolger im Amt die Angelegenheit anders beurteile. Sie sei nicht über die nach Auffassung der Verwaltung unzureichende Steuerlagerbewilligung der E unterrichtet gewesen. Die besondere Sachlage, die sie zwar zu vertreten habe, die aber überraschend eingetreten sei, müsse ihr als entschuldbar angerechnet werden, da normalerweise Steuerlager für alle steuerpflichtigen Mineralöle bewilligt würden.
Ihr sei auch ein besonderer Vertrauensschutz zuzubilligen. Die E habe die Erweiterung der Lagerstätte für Kerosin fernmündlich am 11. März 1977 und schriftlich am 14. März 1977 dem HZA A angezeigt. Der Aufsichtsbeamte habe die Aufnahme des Kerosins in Tank Nr. 15 festgestellt und die Versandscheinerledigung veranlaßt. Dieser Sachverhalt bestätige, daß das HZA A der Einbeziehung des Tanks Nr. 15 als Lagerstätte für Kerosin zugestimmt habe. Erst später sei das HZA A von diesem Rechtsstandpunkt abgegangen. Diese Kehrtwendung habe offensichtlich auf der finanziellen Situation der E beruht. Ein rechtzeitiger Widerruf des Steuerlagers Ende 1976 hätte nicht nur einen erheblichen Steuerausfall vermieden, sondern auch die Auslösung dieses Streitfalls.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren nur dann sachlich nachgeprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (zuletzt Senatsurteil vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Mineralölsteuer, um deren Erlaß aus Billigkeitsgründen es im vorliegenden Verfahren geht, ist durch die beiden Steuerbescheide vom 9. August 1977 bestandskräftig festgesetzt worden. Es bestehen - auch nach dem Vorbringen der Klägerin - keine Anhaltspunkte dafür, daß es der Klägerin nicht zumutbar war, sich gegen eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Steuerbescheide rechtzeitig zu wehren. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Argumente der Klägerin, die diese in ihrer Revisionserwiderung unter dem Gesichtspunkt der rechtswidrigen Steuerfestsetzung vorgetragen hat. Auch wenn die Auffassung der Klägerin zuträfe, daß das HZA bei Erlaß der Steuerbescheide unter Verkennung des § 33 MinöStDV davon ausgegangen ist, daß die E nicht berechtigt war, mittelschweres Öl unversteuert zu lagern, ergäben sich daraus keine Gesichtspunkte, die die Verwaltung verpflichteten, die bestandskräftig festgesetzten Steuern aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
2. Die Entscheidung der Finanzbehörden über den Erlaß von Steuern, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre (§ 227 Abs. 1 AO 1977), ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), die durch das Gericht nur in den Grenzen des § 102 FGO auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden kann. Das FG hat entschieden, nach Lage des Falles habe sich der Ermessensspielraum für das HZA so eingeengt, daß nur die Gewährung des beantragten Billigkeitserweises ermessensfehlerfrei möglich war. Diese Entscheidung hält jedoch den Angriffen der Revision nicht stand.
a) Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer aus sachlichen Gründen - wie sie die Klägerin geltend gemacht und das FG bejaht hat - kommt nach der Rechtsprechung des BFH in Betracht, wenn die Besteuerung - unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen - im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Das ist der Fall, wenn und soweit nach dem erklärten oder mutmaßlichen (objektivierten) Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, der Gesetzgeber hätte die Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne der beantragten Billigkeitsentscheidung geregelt. Erfüllt ein Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand, läuft aber die Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, so kann ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, stehen dem entgegen (vgl. zuletzt BFH- Urteil vom 24. September 1987 V R 76/78, BFHE 151, 221, BStBl II 1988, 561).
b) Aus dem Gesichtspunkt der Doppelbesteuerung allein ergibt sich, wie das FG ohne Rechtsirrtum entschieden hat, kein solcher sachlicher Billigkeitsgrund. Es ist schon zweifelhaft, ob dieser Gesichtspunkt hier eine Rolle spielen kann, da zwar in bezug auf die eingeführte Ware von einer Doppelbesteuerung gesprochen werden kann, nicht aber in bezug auf die Klägerin als Steuerschuldnerin; denn im vorliegenden Fall sind zwei verschiedene Personen als Schuldner je einfach in Anspruch genommen worden. Jedenfalls aber ergibt sich aus den mineralölsteuerrechtlichen Regelungen, daß der Gesetzgeber eine solche doppelte Entstehung der Steuer bewußt in Kauf genommen hat.
Durch § 15 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d MinöStG (a. F. und n. F.) hat der Gesetzgeber den BMF ermächtigt, zur Durchführung des MinöStG das Nähere über Steuerlager zu bestimmen mit der Maßgabe, daß u. a. ,,für versteuertes Mineralöl, das in ein Steuerlager verbracht wird, eine neue bedingte Steuer entsteht". Auf dieser Ermächtigung beruht § 36 Abs. 2 MinöStDV, wonach für Mineralöl, für das keine bedingte Steuerschuld besteht, mit der Aufnahme in ein Steuerlager eine bedingte Steuerschuld entsteht.
Schon nach dem Wortlaut dieser Vorschriften kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der Gesetzgeber die Entstehung einer weiteren Steuerschuld für die eingelagerte Ware bewußt in Kauf genommen hat, und zwar unabhängig von der Anzahl der möglicherweise von der Regelung erfaßten Fälle. Der Grund hierfür liegt, wie der Senat im Urteil in BFHE 93, 114, 116 ausgeführt hat, darin, daß das Steuerlager, das an sich wegen des damit verbundenen zeitlichen Aufschubs der Entstehung der Steuerpflicht für den Mineralölhandel eine erhebliche Vergünstigung bringt, steuertechnisch nur sehr schwer und umständlich sowie unter Inkaufnahme erheblicher Unsicherheiten zu handhaben wäre, wenn dabei zwischen versteuert und unversteuert eingelagerten Waren unterschieden werden müßte. Umstände aber, die der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen hat, begründen nach der unter Buchst. a zitierten Rechtsprechung des BFH keinen sachlichen Billigkeitsgrund. Dabei ist ohne Bedeutung, ob das Mineralöl unter zollamtlicher Überwachung geblieben ist.
Es kann dahingestellt bleiben, ob anders zu entscheiden wäre, wenn die Ermächtigung des § 15 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d MinöStG wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht ungültig wäre. Eine solche Ungültigkeit will die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung offenbar auch geltend machen, indem sie ausführt, die genannte Vorschrift sei ,,nicht beanstandungsfrei". Es ist aber nicht erkennbar und von der Klägerin auch nicht dargelegt worden, mit welchen höherrangigen Vorschriften § 15 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d MinöStG unvereinbar sein soll. Die Frage, ob ein Bedürfnis zur Regelung dieser Frage vorlag - die Klägerin bestreitet das -, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Auch ein Widerspruch der genannten Ermächtigung zur Regelung des § 9 MinöStG ist nicht erkennbar und wäre überdies auch unschädlich; denn aus einem solchen Widerspruch könnte jedenfalls nicht die Folgerung gezogen werden, die genannte Ermächtigung sei ungültig.
Auf den BMF-Erlaß vom 11. November 1987 kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, da für die Überprüfung einer Ermessensentscheidung der Verwaltung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist (vgl. z. B. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 102 Anm. 13, mit Hinweisen). Dem Erlaß kann auch nicht mittelbar etwas Sachdienliches für die Entscheidung entnommen werden. Aus den im maßgebenden Zeitpunkt geltenden Billigkeitsrichtlinien ergab sich jedenfalls, daß nach Auffassung der Verwaltung die Doppelbesteuerung allein (also ohne hinzukommende besondere Umstände wie die Entschuldbarkeit) kein sachlicher Billigkeitsgrund war. Sollte die Verwaltung inzwischen ihre Auffassung geändert haben, so ergibt sich daraus nichts dafür, daß die damalige Verwaltungsentscheidung rechtswidrig war. Auch ist dem BMF-Erlaß kein Argument zu entnehmen, aus dem sich ergäbe, daß bei der damaligen Rechtslage die Doppelbesteuerung allein die Gewährung eines Billigkeitserlasses nicht rechtfertigen konnte.
c) Der Senat folgt aber nicht der Auffassung des FG, das HZA sei aufgrund der damaligen allgemeinen Verwaltungspraxis nach § 227 AO 1977 verpflichtet gewesen, in Anwendung von Teil C Abs. 3 Nr. 12 b der Billigkeitsrichtlinien 1974 dem Billigkeitsantrag der Klägerin stattzugeben.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind die in Billigkeitsrichtlinien entwickelten Grundsätze, da sie den Niederschlag von Rechtsgedanken enthalten, die eine jahrzehntelange Ermessensausübung auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern aus dem Wesen dieser Abgaben hervorgebracht hat, unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichheitssatzes auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen als Material für die Rechtsfindung nicht ohne Bedeutung (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 7. Mai 1981 VII R 64/79, BFHE 133, 262, 265, BStBl II 1981, 608). Diese Grundsätze hat offenbar auch das FG zugrunde gelegt. Die Gründe seines Urteils rechtfertigen aber nicht die Entscheidung, bei der Anwendung der genannten Billigkeitsrichtlinien habe das HZA das Verhalten der Klägerin als entschuldbar ansehen müssen.
Nach Teil C Abs. 3 Nr. 12 Buchst. b der Billigkeitsrichtlinien 1974 hat der BMF den Oberfinanzdirektionen (OFD) und den Zollstellen die Befugnis übertragen, Mineralölsteuer ganz oder teilweise zu erlassen, wenn versteuertes Mineralöl in ein Steuerlager verbracht worden ist, sofern besondere Umstände dies erfordert haben oder entschuldbar erscheinen lassen. Diese Regelung setzt also jedenfalls die Entschuldbarkeit des Handelns der Klägerin voraus. Das FG hat den besonderen Umstand, wonach die Abgabe des Kerosins durch die Klägerin an die E zu entschuldigen ist, darin gesehen, daß nach damaliger allgemeiner Verwaltungspraxis die Erweiterung der Steuerlagerbewilligung nicht der Genehmigung durch das zuständige HZA bedurft habe. Diese Auffassung ist jedoch aus mehreren Gründen rechtsfehlerhaft.
aa) Die Feststellungen des FG, die genannte Auffassung sei allgemeine Verwaltungspraxis gewesen, ist rechtsfehlerhaft, weil das FG allein aufgrund der Umstände, die es in seiner Entscheidung genannt hat, zu dieser Feststellung nicht gelangen konnte. Es ist nicht möglich, allein aus der Äußerung in einer Fachzeitschrift, der Äußerung eines HZA in einem Einzelfall und der von einem im vorliegenden Fall beteiligten HZA zunächst vertretenen Rechtsauffassung den Schluß auf eine bestimmte allgemeine Verwaltungspraxis zu ziehen. Das gilt um so mehr, als die damals vorliegende 4. Auflage des von Franz Gotterbarm, dem Mineralölsteuerreferenten des BMF, bearbeiteten Kommentars von Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, keine Hinweise auf eine entsprechende Verwaltungspraxis enthält und in der von demselben Referenten bearbeiteten 5. Auflage 1982 dieses Kommentars (§ 9 MinöStG Anm. 21) die entgegengesetzte Auffassung vertreten wird, ohne daß sich daraus Anhaltspunkte für eine frühere andere Verwaltungsauffassung entnehmen ließen. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Einwendungen des HZA, den vom FG zitierten Äußerungen sei die vom FG unterstellte allgemeine Rechtsauffassung gar nicht zu entnehmen. Nach allem mußte es sich dem FG aufdrängen, daß es ohne weitere Ermittlungen nicht von der Existenz der von ihm angenommenen allgemeinen Verwaltungspraxis ausgehen durfte. Das hat das HZA zu Recht gerügt.
bb) Überdies ist die vom FG festgestellte allgemeine Verwaltungspraxis keine ausreichende Grundlage für die Schlußfolgerung des FG, die Klägerin habe bei der Abgabe des Kerosins an die E entschuldbar im Sinne der genannten Vorschrift der Billigkeitsrichtlinien 1974 gehandelt. Das Bestehen der vom FG angenommenen Praxis konnte die Klägerin allenfalls dann entschuldigen, wenn sie in Kenntnis und im Vertrauen auf diese so wie geschehen gehandelt hat. Entsprechende Feststellungen des FG fehlen aber. Die Klägerin hat das Bestehen einer solchen Kenntnis auch nicht behauptet, sondern sich - wie sich dem angefochtenen Bescheid entnehmen läßt - nur darauf berufen, sie habe im Vertrauen auf die Zusicherungen der E gehandelt. Ein solches Vertrauen für sich allein vermag sie aber nicht zu entschuldigen.
3. Die Vorentscheidung wäre aus diesen Gründen nicht aufzuheben, wenn sie sich aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig herausstellte. Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Andere Regelungen der Billigkeitsrichtlinien 1974 vermitteln der Klägerin nicht den von ihr behaupteten Rechtsanspruch auf die Gewährung des beantragten Billigkeitserlasses. Das gilt auch für Teil C Abs. 3 Nr. 2 der Richtlinien. Diese Regelung betrifft allgemein den Fall einer Doppelbesteuerung. Ihr geht aber die der Nr. 12 b als Spezialregelung für die Aufnahme versteuerten Mineralöls in ein Mineralölsteuerlager vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt diese Differenzierung nicht gegen den Gleichheitssatz. Dieser verbietet nur die willkürlich ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte. Er ist deshalb nicht verletzt, wenn von einer bestimmten Handhabung aus einem sachlich einleuchtenden Grund abgewichen wird. Daß solche Gründe hier vorliegen, ergibt sich aus der Begründung des Senaturteils in BFHE 93, 114.
b) In ihrer Revisionserwiderung beruft sich die Klägerin auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Ihr angebliches Vertrauen aber in eine andere Auslegung der Vorschriften des Mineralölsteuerrechts als die, die den Steuerbescheiden zugrunde liegt, ist für sich nicht schützenswert. Das gleiche gilt für das angebliche Vertrauen der Klägerin in ein bestimmtes Verhalten der E (vgl. auch Senatsurteil vom 16. März 1982 VII R 82/79, BFHE 135, 368, 371 f.).
c) Die angebliche Zusage des HZA, einen Billigkeitserweis zu befürworten, ist rechtlich ohne Bedeutung. Das gleiche gilt für die angebliche Zusage des damals zuständigen Mineralölsteuerreferenten des BMF, den beantragten Billigkeitserweis unter bestimmten Umständen auszusprechen. Dieser Zusage fehlt offensichtlich das essentielle, ausdrücklich erklärte Merkmal, sich für die Zukunft binden zu wollen. Auch hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen, sie habe im Vertrauen auf diese Zusage besondere Dispositionen getroffen.
d) Das HZA war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht verpflichtet, vor Abfertigung des eingeführten Kerosins auf Mineralölsteuerversandschein zu prüfen, ob die Inhaberin des von der Klägerin in ihrem Antrag genannten Steuerlagers, die E, die erforderliche Genehmigung hatte. Die Prüfung der Frage, ob die E zur Aufnahme des Kerosins in ihr Steuerlager berechtigt war, gehörte zum Verantwortungsbereich der Klägerin.
4. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Klägerin hat im Revisionsverfahren bestritten, es sei ihr bekannt gewesen, daß die E nur im Besitz einer Lagerbewilligung für Schwer- und Leichtöle gewesen sei. Von einem solchen Wissen der Klägerin ist das HZA in seinem Ablehnungsbescheid aber ausgegangen. Lag es nicht vor, so ergibt sich zwar nicht ohne weiteres, daß das HZA zur Gewährung des beantragten Billigkeitserweises verpflichtet gewesen wäre. Eine auf einem unrichtigen Sachverhalt gegründete Ermessensentscheidung der Verwaltung ist aber unrechtmäßig und muß aufgehoben werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Juni 1983 I R 76/82, BFHE 139, 146, BStBl II 1983, 672). Da das FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - tatsächliche Feststellungen dazu nicht getroffen hat, ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416277 |
BFH/NV 1989, 551 |