Leitsatz (amtlich)
Führt die vertragsgemäße Erstattung von Krankheitskosten durch einen anderen als eine Krankenversicherung zu steuerpflichtigen Einnahmen beim Empfänger, so kann dieser seine krankheitsbedingten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach-§ 33 EStG geltend machen.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer 1968 zusammenveranlagt wurden. Der Kläger ist selbständiger Handelsvertreter, der seine Einkünfte nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt; die Klägerin hat Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger ist nicht krankenversichert. Im Streitjahr erstattete ihm sein Geschäftsherr vertragsgemäß Krankenhaus- und Arztkosten in Höhe von 1 614 DM. Der Kläger behandelte die Zahlung als Betriebseinnahme und machte sie bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) entsprach diesem Antrag des Klägers nicht. Der Rechtsbehelf der Kläger hatte nur teilweise Erfolg. Das FA hielt eine außergewöhnliche Belastung insoweit für gegeben, als die Erstattung der Krankheitskosten zu einem Einkommen- und Gewerbesteuermehr von 418,50 DM geführt hatte.
Das FG wies die Klage mit folgender Begründung ab: Die Anwendung des § 33 EStG setze voraus, daß das Einkommen der Kläger durch Aufwendungen belastet gewesen sei. Wegen der Erstattung der Krankenhausund Arztkosten durch den Geschäftsherrn des Klägers sei eine Belastung nicht gegeben. Der Ansicht der Kläger, daß Erstattungen von außergewöhnlichen Belastungen die Anwendung des § 33 EStG dann nicht ausschließen könnten, wenn sie sich steuererhöhend ausgewirkt hätten, könne nicht gefolgt werden. Das FA habe zu Recht darauf hingewiesen, daß Aufwendungen i. S. von § 33 EStG in aller Regel aus steuerpflichtigem Einkommen getragen würden. Die Steuererhöhung, die auf der Erstattung beruhe, sei selbst keine Aufwendung nach § 33 EStG. Die von den Klägern angeführten Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) beträfen Sonderausgaben und seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der BFH habe mit Urteil vom 19. Juli 1957 VI 106/55 U (BFHE 65, 250, BStBl III 1957, 329) zwar entschieden, daß ein Steuerpflichtiger durch Aufwendungen nicht belastet sei, soweit er für diese eine nach § 3 Nr. 11 EStG 1967 steuerbefreite Beihilfe erhielte. Daraus könne aber nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß eine außergewöhnliche Belastung vorliege, wenn die Ausgleichszahlung steuerpflichtig sei. Es könne dahinstehen, ob das FA die steuerlichen Auswirkungen der Erstattung als außergewöhnliche Belastung habe behandeln dürfen, denn die angefochtene Entscheidung dürfe nicht verbösert werden.
Mit der durch Beschluß vom 2. März 1973 VI B 38/72 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügen die Kläger unrichtige Auslegung des § 33 EStG. Sie wiederholen ihren Vortrag über die Erheblichkeit der Versteuerung der erstatteten Krankenhaus- und Arztkosten für die Anwendung des § 33 EStG. Da im übrigen feststehe, daß die Aufwendungen außergewöhnlich und zwangsläufig gewesen seien und die zumutbare Eigenbelastung bereits durch andere Ausgaben ausgeschöpft sei, müßten sich ihre Aufwendungen voll nach § 33 EStG auswirken. Das gebiete auch der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Das FG habe zu Unrecht die von ihnen zitierte Entscheidung des BFH vom 13. August 1971 VI R 171/68 (BFHE 103, 350, BStBl II 1972, 57) zur Frage des Sonderausgabenabzugs bei Zuschüssen des Arbeitgebers zu den Versicherungsbeiträgen des Arbeitnehmers unberücksichtigt gelassen. Auch das Urteil vom 27. September 1963 VI 123/62 U (BFHE 77, 592, BStBl III 1963, 536) sei in ihrem Fall analog anwendbar.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid 1968 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 1971 dahin abzuändern, daß die Einkommensteuer 1968 auf 2 674 DM festgesetzt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet.
Der Kläger hat die ihm von seinem Geschäftsherrn erstatteten Krankheitskosten zutreffend als steuerpflichtige Einnahmen behandelt; denn die Voraussetzungen, unter denen Beihilfen in Krankheitsfällen steuerfrei sind (§ 3 Nr. 11 EStG 1967, § 6 Nr. 9 LStDV 1968, Abschn. 10 Abs. 2 LStR 1968), lagen bei ihm nicht vor. Mit der Erfassung der Erstattungen in den Betriebseinnahmen und im gemeinsamen Einkommen der Kläger verloren diese ihre steuerrechtliche Selbständigkeit, so daß für die differenzierenden Untersuchungen des FG im Rahmen des § 33 EStG kein Raum bleibt. Da der Kläger seine Krankheitskosten aus seinem zu versteuernden Einkommen gezahlt hat, besteht für ihn die Möglichkeit, seine Aufwendungen nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen. Das ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
Wie der Senat mit Urteil vom 15. September 1961 VI 231/60 U (BFHE 73, 687, BStBl III 1961, 516) ausgeführt hat, bewirken lohnsteuerfreie Unterstützungen, die ein Arbeitgeber zur Deckung von Krankheitskosten zahlt, eine Minderung der Belastung des Arbeitnehmers i. S. des § 33 EStG. Die Bedeutung der Steuerfreiheit der Ersatzleistung bei der Berücksichtigung von Aufwendungen in Krankheitsfällen nach § 33 EStG hat der Senat erneut in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 1971 VI R 242/69 (BFHE 104, 63, BStBl II 1972, 177) herausgestellt. Damit, daß Beihilfen, obgleich sie zusätzlichen Arbeitslohn darstellen, steuerfrei sind und den nach § 3 Nr. 1 EStG nicht steuerpflichtigen Versicherungsleistungen noch die steuerlichen Vorteile in Gestalt des Abzugs der Kranenkassenbeiträge als Sonderausgaben gegenüberstehen, wurde auch die unterschiedliche Behandlung von geschenkten Beträgen begründet. § 33 EStG ist eine Tarifvorschrift, die aus Billigkeitsgründen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen wegen der steuerlichen Gleichmäßigkeit oder der sozialen Gerechtigkeit Härten mildern oder beseitigen will. Es wäre aber unbillig, dem Kläger den Abzug seiner Aufwendungen zu verweigern, nachdem er die Erstattungen versteuert hat.
Fundstellen
Haufe-Index 71444 |
BStBl II 1975, 632 |
BFHE 1975, 357 |