Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungsbescheid während des Revisionsverfahrens; Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG
Leitsatz (NV)
1. Hat das FA während des Revisionsverfahrens einen Änderungsbescheid erlassen, liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zu Grunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann.
2. Ist der Änderungsbescheid Gegenstand des Revisionsverfahren geworden und haben sich hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen ergeben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Denn das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats.
3. Das durch das JStG 1996 eingeführte Abzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG führt nicht zu einer echten Rückwirkung, weil der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG erst mit der Veräußerung verwirklicht wird.
4. Die Neuregelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
EStG § 17 Abs. 2 S. 4, § 52 Abs. 1; FGO §§ 68, 127
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Gesellschafter der X-GmbH (im Folgenden: GmbH). Die GmbH wurde am 26. Juli 1990 im Handelsregister des zuständigen Kreisgerichts eingetragen. Das Stammkapital wurde mit Vertrag vom 11. August 1990 auf 2 050 000 DM festgelegt. Auf den Kläger entfiel ein Anteil von 226 100 DM. Der Kläger erwarb mit Verträgen vom 16. Dezember 1991 weitere Geschäftsanteile hinzu. Seine danach sieben Geschäftsanteile beliefen sich auf insgesamt 526 100 DM (25,66 v.H.).
Durch Beschluss vom 3. September 1993 wurde das Stammkapital der GmbH von bisher 2 050 000 DM auf 3 750 000 DM erhöht. In der Folgezeit wurde das Stammkapital durch weitere Beschlüsse erhöht. Die neuen Stammeinlagen übernahm jeweils die H-AG.
Mit Vertrag vom 5. Juni 1997 verkaufte der Kläger einen Geschäftsanteil von 226 100 DM an die H-AG zum Preis von 147 000 DM und zwei Geschäftsanteile von 51 800 DM und 44 400 DM zum Preis von 33 700 DM und 28 800 DM an seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin).
Der Kläger machte in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1997 aus diesen Anteilsverkäufen unter Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Sonderrücklage als anteilige Anschaffungskosten einen Veräußerungsverlust gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von insgesamt 396 038 DM geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste den Verlust mit der Begründung nicht, dass der Kläger nicht innerhalb der letzten fünf Jahre wesentlich beteiligt gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Für die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes gemäß § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438; im Folgenden: EStG 1996) wäre erforderlich gewesen, dass der Kläger die Anteile mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung erworben hätte und während dieser Zeit auch wesentlich beteiligt gewesen wäre. Die letztgenannte Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt, da der Kläger nur in der Zeit vom 16. Dezember 1991 bis zum 3. September 1993 wesentlich an der GmbH beteiligt gewesen sei. Der Kläger habe die wesentliche Beteiligung auch nicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. a EStG 1996 im Rahmen der Gründung der GmbH erworben. Die GmbH sei bereits im Jahr 1990 gegründet worden; der Kläger habe seine Beteiligung erst durch die Hinzuerwerbe aufgrund der Verträge vom 16. Dezember 1991 auf eine wesentliche Beteiligung aufgestockt.
Der geltend gemachte Veräußerungsverlust sei auch nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) zu berücksichtigen. Diese Gesetzesfassung, die auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden sei, rechtfertige den Verlustabzug ebenfalls nicht. Es könne dahinstehen, ob der Verlust nach dieser Vorschrift schon deshalb nicht zu berücksichtigen sei, weil der Kläger im Zeitpunkt der Veräußerung nicht wesentlich beteiligt gewesen sei. Auf jeden Fall seien die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG 1996 nicht erfüllt, weil der veräußerte Anteil nicht innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung Teil einer wesentlichen Beteiligung gewesen sei.
Der Kläger werde durch diese Gesetzeslage nicht in seinen Grundrechten aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1695 veröffentlicht.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision, dass § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 verfassungswidrig sei.
Die Kläger beantragen,
1. die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen,
2. die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Klärung der Verfassungswidrigkeit der Beschränkung des Verlustabzugs nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 2. Juni 2005 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1997 erlassen. Die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs sind hiervon nicht berührt worden.
Entscheidungsgründe
II. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG entschied über die Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1998 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 20. April 2001. An die Stelle dieses Bescheids trat während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 2. Juni 2005. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu Senatsurteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 13/89, BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, sowie Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43, und vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).
Der Bescheid vom 2. Juni 2005 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich hinsichtlich der streitigen Punkte durch die Bescheidänderung keine Änderungen ergeben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt haben, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO an das FG. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (Senatsurteil in BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, sowie BFH-Urteile in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43, und in BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).
III. Der erkennende Senat entscheidet aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Klage ist unbegründet. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der vom Kläger für das Streitjahr 1997 geltend gemachte Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG nicht zu berücksichtigen ist und dass dieses Ergebnis verfassungsgemäß ist.
1. Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Verlust des Klägers aus seiner Beteiligung an der GmbH steuerlich zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nicht nach der ursprünglich für das Streitjahr 1997 gültigen Fassung des § 17 EStG, sondern nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002. Diese Fassung ist durch die Einfügung des Satzes 2 in § 52 Abs. 34a EStG durch das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4; Steueränderungsgesetz 2001 --StÄndG 2001--) auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 und damit rückwirkend auch auf das Streitjahr 1997 anzuwenden.
Der Veräußerungsverlust des Klägers ist nach dem rückwirkend anwendbaren § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 nichtabziehbar.
a) Nach Buchst. a EStG dieser Vorschrift ist ein Veräußerungsverlust nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre unentgeltlich erworben hatte. Im Streitfall hat der Kläger seine Anteile unstreitig entgeltlich erworben.
b) Nach Buchst. b ist ein Veräußerungsverlust nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben worden sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen gehört haben. Dies gilt nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung geführt hat oder die nach Begründung der wesentlichen Beteiligung erworben worden sind.
Danach ist der Veräußerungsverlust des Klägers nicht zu berücksichtigen. Denn die von ihm im Streitjahr 1997 veräußerten Anteile haben nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer wesentlichen Beteiligung gehört. Eine wesentliche Beteiligung war im Streitjahr 1997 nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG 1996 gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel beteiligt war (vgl. zur Wesentlichkeitsgrenze im Jahr 1997 auch Senatsurteil vom 22. Februar 2005 VIII R 41/03, juris).
Der Kläger war nur in der Zeit vom 16. Dezember 1991 bis zum 3. September 1993 zu mehr als einem Viertel und damit wesentlich an der GmbH beteiligt. Von dem ursprünglichen Stammkapital von 2 050 000 DM entfiel auf ihn ein Anteil von 226 100 DM, also ein nicht wesentlicher Anteil von 11,03 v.H. Die Beteiligung wurde erst dadurch wesentlich, dass der Kläger im Dezember 1991 weitere Geschäftsanteile hinzukaufte, so dass sich sein Gesamtanteil am Stammkapital der GmbH auf 526 100 DM (25,66 v.H.) belief. Diese wesentliche Beteiligung war durch die Kapitalerhöhung im September 1993 wieder unter die Wesentlichkeitsschwelle von einem Viertel gesunken (Anteil von 526 100 DM bei einem Stammkapital von 3 750 000 DM entspricht 14,03 v.H.).
Der Kläger hat die Anteile, die zu seiner wesentlichen Beteiligung geführt haben, auch nicht innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung im Streitjahr 1997, sondern bereits im Dezember 1991 erworben.
2. Da die rückwirkende Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht zu einem Verlustabzug führt, könnten sich unter dem Gesichtspunkt einer aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden unzulässigen echten Rückwirkung dann Bedenken ergeben, wenn sich die rückwirkende Anwendung dieser Neufassung für den Kläger im Vergleich zu der bis dahin geltenden Rechtslage nachteilig ausgewirkt hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz wäre ein Veräußerungsverlust des Klägers auch nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 abziehbar gewesen.
a) Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. a EStG 1996 ist ein Veräußerungsverlust nur zu berücksichtigen, wenn der Veräußerer die wesentliche Beteiligung im Rahmen der Gründung der Kapitalgesellschaft entgeltlich erworben hat. Danach war der Veräußerungsverlust des Klägers nicht abziehbar. Denn wie dargelegt, wurde die Beteiligung des Klägers erst dadurch wesentlich, dass er im Dezember 1991, also mehr als ein Jahr nach der Gründung der GmbH, weitere Geschäftsanteile hinzukaufte.
b) Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG 1996 ist ein Veräußerungsverlust nur zu berücksichtigen, wenn der Veräußerer die Anteile mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung entgeltlich erworben hat und er während dieses Zeitraums wesentlich am Kapital der Gesellschaft beteiligt war. Im Streitfall hat der Kläger die im Jahr 1997 veräußerten Anteile zwar im Jahr 1990 und 1991 und damit mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung erworben. Er war aber nicht während dieses Zeitraums wesentlich am Kapital dieser Gesellschaft beteiligt, sondern nur in der Zeit vom 16. Dezember 1991 bis zum 3. September 1993.
c) Das Abzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 hätte dem Verlustabzug des Klägers allerdings dann nicht entgegengestanden, wenn diese Vorschrift aus verfassungsrechtlichen Gründen insgesamt mit dem GG unvereinbar und deshalb im Falle einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG gemäß § 78 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) für nichtig zu erklären gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
aa) Das durch das JStG 1996 eingeführte Abzugsverbot ist nicht wegen des grundsätzlichen Verbots der echten Rückwirkung belastender Steuergesetze bzw. der unzulässigen Rückbeziehung von Rechtsfolgen verfassungswidrig. Denn eine in der Regel unzulässige echte Rückwirkung liegt nur vor, wenn das Gesetz nachträglich in belastender Weise ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl. z.B. Entscheidung des BVerfG vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271). Hingegen ist eine bloß unechte Rückwirkung bzw. eine tatbestandliche Rückanknüpfung dann gegeben, wenn das Gesetz nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt (vgl. z.B. Beschluss des BVerfG vom 19. Juli 1967 2 BvL 1/65, BVerfGE 22, 241, 248). Auch in Fällen der unechten Rückwirkung dürfen belastende Steuergesetze schützwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen nicht ohne hinreichende Rechtfertigung enttäuschen. Vielmehr sind das Ausmaß des Vertrauensschadens und das gesetzgeberische Anliegen für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Es ist in jedem Einzelfall abzuwägen, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 254; vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, 36). Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde auch in Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt.
Im Streitfall hat das durch das JStG 1996 eingeführte Abzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG nicht zu einer echten Rückwirkung geführt. Denn der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG wird erst mit der Veräußerung verwirklicht. Das JStG 1996 vom 11. Oktober 1995 ist gemäß seinem Art. 41 Abs. 1 am Tage nach seiner Verkündung, also am 21. Oktober 1995, in Kraft getreten. Da der Kläger seine Geschäftsanteile erst im Streitjahr 1997 veräußert hat, hat § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 nicht in einen bereits abgewickelten Sachverhalt eingegriffen.
bb) Soweit sich das Abzugsverbot auf in der Vergangenheit angelegte, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte steuerbelastend ausgewirkt hat, also eine unechte Rückwirkung vorliegt, hat das Änderungsinteresse des Staates und des gemeinen Wohls die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwogen. Der Gesetzgeber wollte durch das Verbot des Abzugs von Verlusten Gestaltungen verhindern oder erschweren, die es einem bisher nicht wesentlich beteiligten Gesellschafter ermöglichen, durch kurzfristigen Zukauf weniger Anteile eine im Privatvermögen entstandene Wertminderung in den steuerlichen Verlustausgleich einzubeziehen (vgl. BTDrucks 13/901, 133). Er hat solche Sachverhalte als missbräuchlich angesehen (vgl. BTDrucks 14/6877, 28). Die Bekämpfung steuerlicher Missbräuche ist ein im Gemeinwohl liegendes Interesse, so dass das Abzugsverbot nicht von vornherein insgesamt mit dem GG unvereinbar ist.
cc) Das Abzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 verstößt auch nicht deshalb gegen das GG und ist daher auch nicht deshalb insgesamt unwirksam, weil es bewirkt hat, dass die Voraussetzungen für eine Pflicht zur Versteuerung eines Veräußerungsgewinns nicht mehr mit den Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Abzugs von Veräußerungsverlusten deckungsgleich sind. Denn Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abziehbarkeit von Verlusten ausnahmslos denen für die Pflicht zur Versteuerung von Gewinnen oder Überschüssen entsprechen müssen.
Für den Sachbereich des Steuerrechts begründet Art. 3 Abs. 1 GG die Gestaltungsgleichheit. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsspielraum hat. Nach der Regelung dieses Ausgangstatbestandes hat er aber die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschluss des Zweiten Senats vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95, m.w.N.). Das BVerfG hat für das Einkommensteuerrecht die Auffassung vertreten, dass insoweit, als es mehrere Einkunftsarten unterscheidet und daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden müssen; allein die systematische Unterscheidung durch den Gesetzgeber könne die Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88, 95, m.w.N.). Es hat zwar entschieden, dass nach diesem Maßstab der völlige Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände durch § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Es hat aber nicht ausnahmslos eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von Gewinnen und Verlusten untersagt, sondern eine durch sachliche Gründe gerechtfertigte Begrenzung der Verlustverrechnung als zulässig angesehen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88, 99).
Danach war das durch das JStG 1996 eingeführte Abzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 GG von vornherein insgesamt unzulässig und damit unwirksam. Denn der Gesetzgeber hat den Verlustabzug aus sachlichen Gründen, nämlich deshalb eingeschränkt, um unerwünschte Steuergestaltungen zu erschweren (vgl. BTDrucks 13/901, 133; 14/265, 180; 14/6877, 28). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei § 17 EStG 1996 die Ungleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten nicht auf Dauer, sondern nur für einen vorübergehenden Zeitraum besteht. Hätte z.B. im Streitfall der Kläger seine Anteile nicht im Streitjahr 1997, sondern nach dem 3. September 1998 veräußert, wäre auch ein eventueller Veräußerungsgewinn nicht mehr steuerpflichtig gewesen. Denn bei einer Veräußerung nach diesem Zeitpunkt wäre der Kläger nicht mehr, wie nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1996 erforderlich, "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" gewesen.
d) Ob das Verbot des Abzugs von Verlusten nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 in seinen konkreten Ausgestaltungen teilweise verfassungswidrig war, kann im Streitfall offen bleiben. Denn eine eventuelle nur teilweise Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift hätte nicht dazu geführt, dass der Kläger seinen Veräußerungsverlust hätte abziehen können und sich deshalb für ihn die rückwirkende Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erstmals belastend ausgewirkt hätte.
(1) Das FG Münster hat § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 insoweit für gleichheitswidrig gehalten, als Verluste aus der Veräußerung oder Aufgabe von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft eines an dieser Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligten Steuerpflichtigen auch dann ausschlossen waren, wenn der Steuerpflichtige vor dem Erwerb noch nicht an der Kapitalgesellschaft beteiligt war und allein der Erwerb der Anteile zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung geführt hat, sofern die Verluste aus innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung entgeltlich erworbenen Anteilen herrühren (Vorlagebeschluss vom 11. Juni 1999 4 K 5776/98 E, EFG 1999, 977). Selbst wenn insoweit die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift unterstellt würde (vgl. zur Verfassungswidrigkeit auch die Literaturnachweise bei Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 17 Rdnr. C 351, Fn. 342; vgl. auch Schreiben des BMF vom 3. August 2000, IV C 2 -S 2244- 35/00, BStBl I 2000, 1199), wäre der Kläger dadurch nicht in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt. Denn der vom FG Münster beschriebene Sachverhalt --für den der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 den Verlustabzug zugelassen hat-- liegt im Streitfall nicht vor. Eine --hier unterstellte-- teilweise Verfassungswidrigkeit hätte also an dem Abzugsverbot im Falle des Klägers nichts geändert.
(2) Gleiches gilt im Ergebnis für die Auffassung der Kläger, die in § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. a EStG 1996 getroffene Regelung, dass der Verlust berücksichtigt werden kann, wenn der Veräußerer die wesentliche Beteiligung im Rahmen der Gründung der Kapitalgesellschaft entgeltlich erworben hat, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn selbst wenn --wie die Kläger meinen-- die gesetzliche Differenzierung zwischen einer gründungsgeborenen und einer durch Hinzuerwerb begründeten wesentlichen Beteiligung in dieser Form nicht sachlich gerechtfertigt wäre und § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. a EStG 1996 wegen eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses wesentlich Beteiligter, die ihre wesentliche Beteiligung durch einen Hinzuerwerb ohne erkennbare Missbrauchsabsicht begründet haben, verfassungswidrig gewesen wäre, hätte dies nicht zu einer Abzugsberechtigung des Klägers geführt:
- Wäre die Vorschrift deshalb insoweit für nichtig erklärt worden (vgl. §§ 78, 80, 82 BVerfGG), hätte dies dem Kläger keinen Vorteil gebracht. Denn das in § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 festgelegte grundsätzliche Verbot des Verlustabzugs wäre bestehen geblieben und es wäre lediglich ein zum Verlustabzug berechtigender Ausnahmefall weggefallen.
- Aber auch dann, wenn man annähme, das BVerfG hätte im Fall einer Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. a EStG 1996 nur für mit dem GG unvereinbar und nicht gemäß §§ 78, 80, 82 BVerfGG für nichtig erklärt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet, hätte das dem Kläger keinen Verlustabzug ermöglicht. Denn der Gesetzgeber hat das Abzugsverbot durch das StEntlG 1999/ 2000/2002 --unabhängig von einer Entscheidung des BVerfG-- unter anderem auch aufgrund verfassungsrechtlicher Überlegungen neu geregelt. Die Neufassung differenziert nicht mehr zwischen gründungsgeborenen und derivativ erworbenen Anteilen, sondern nur noch zwischen unentgeltlich und entgeltlich erworbenen Anteilen. Die Vorschrift sollte im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers, einen Verlustabzug bei kurzfristigen Zukäufen zu erschweren, "treffsicherer und zugleich sprachlich einfacher" gestaltet werden (BTDrucks 14/265, 180; 14/6877, 28). Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung in Satz 4 Buchst. b bezweckt, das Abzugsverbot auf die eigentlichen Missbrauchsfälle einzuschränken (BTDrucks 14/265, 180). In bestimmten Fällen, in denen künstliche und missbräuchliche Gestaltungen nicht vorgelegen hätten, habe es nach dem Wortlaut des ursprünglichen Gesetzestextes des JStG 1996 gleichwohl zum Ausschluss der Verlustberücksichtigung kommen können; nunmehr beschränke die Neufassung durch das StEntlG 1999/ 2000/2002 das Abzugsverbot auf die eigentlichen Missbrauchsfälle und gehe von der grundsätzlichen Abziehbarkeit von Verlusten aus; um eine verfassungskonforme Anwendung sicherzustellen, solle die Neufassung bereits für die Veranlagungszeiträume 1996 bis 1998 angewandt werden (vgl. BTDrucks 14/6877, 28).
Da jedoch auch die solchermaßen motivierte Neufassung für den im Streitfall verwirklichten Sachverhalt keinen Verlustabzug ermöglicht (vgl. dazu oben unter III.1. der Gründe), käme ein Verlustabzug des Klägers nur in Betracht, wenn die Neufassung ihrerseits verfassungswidrig wäre. Das ist jedoch nicht der Fall (a.A. wohl Paus, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB-- Fach 3, S. 10845, 10849).
3. Die Neuregelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht deshalb mit dem GG unvereinbar, weil die Vorschrift auch weiterhin Sachverhalte erfasst, in denen --wie im Streitfall-- keine Anhaltspunkte für eine Missbrauchsabsicht vorliegen.
Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Steuerrechtliche Regelungen sind so auszugestalten, dass Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Gleichheitssatz fordert nicht eine immer mehr individualisierende und spezialisierende Gesetzgebung, die letztlich die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs gefährdet, sondern die Regelung eines allgemein verständlichen und möglichst unausweichlichen Belastungsgrundes. Deshalb darf der Gesetzgeber einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gerechtigkeit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfG-Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162, unter B.II.1.a, m.w.N.). Er darf auch die Verwirklichung des Steueranspruchs verfahrensrechtlich erleichtern und dabei die für den Staat verfügbaren personellen und finanziellen Mittel berücksichtigen. Außerdem kann eine Tatbestandstypisierung dazu dienen, komplizierte Lebenssachverhalte übersichtlicher und verständlicher zu machen, um so den steuerlichen Belastungsgrund zu verdeutlichen und in das Bewusstsein zu rücken (BVerfG-Beschluss vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist es dem Gesetzgeber erlaubt, im Interesse einer praktikablen Gesetzesanwendung und damit auch der Rechtsanwendungsgleichheit Tatbestände, die der Verhinderung oder Erschwerung solcher Gestaltungen dienen, die er als missbräuchlich ansieht, durch objektive Merkmale zu bestimmen. Er ist berechtigt, in den gesetzlichen Tatbestand nicht das subjektive Merkmal einer --im Einzelfall häufig gar nicht oder nur mit hohem Ermittlungsaufwand nachweisbaren-- Missbrauchsabsicht aufzunehmen, sondern stattdessen objektiv nachprüfbare Tatbestandsmerkmale festzulegen, bei denen eine Missbrauchsabsicht bei typisierender Betrachtung in der überwiegenden Zahl der Fälle anzunehmen ist. Dem Gesetzgeber steht nicht nur bei der Festlegung der von ihm ins Auge gefassten Regelungsziele, sondern auch bei der Beurteilung dessen, was er zur Verwirklichung dieser Ziele für geeignet und erforderlich halten darf, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 16. März 2004 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141, 157, m.w.N.). Der Gesetzgeber hat das ursprüngliche Verlustabzugsverbot des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 bereits rückwirkend geändert, um das angestrebte Ziel treffsicherer als bisher zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Neuregelung gleichwohl zur Verhinderung von Missbräuchen ungeeignet oder unverhältnismäßig wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Gewinnen und Verlusten aus der Veräußerung von Beteiligungen nicht von Dauer, sondern nur vorübergehend ist. Denn es tritt wieder eine Deckungsgleichheit der steuerlichen Behandlung ein, wenn die wesentliche Beteiligung entweder innerhalb der fünf Jahre vor der Veräußerung bestanden hat oder mehr als fünf Jahre vorher weggefallen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1444500 |
BFH/NV 2005, 2202 |
HFR 2006, 274 |
NWB 2006, 50 |
GmbH-StB 2005, 360 |
GmbHR 2005, 1624 |