Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein einjähriger Auslandsaufenthalt zur Vervollkommnung der Sprachkenntnisse einer künftigen Auslandskorrespondentin ist auch dann als Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG 1957 anzusehen, wenn er in einer Familie als Haushaltshilfe verbracht wird.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Ziff. 3; EStG § 32/2/2/a/aa
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bg. für seine am 10. Mai 1938 geborene Tochter bei der Lohnsteuer für das ganze Jahr 1957 Kinderermäßigung erhalten kann. Die Tochter hat nach Ablegung der Reifeprüfung im März 1957 zur Vervollkommnung ihrer englischen Sprachkenntnisse vom 27. Mai 1957 bis März 1958 in England bei einer Familie gelebt, bei der sie im Haushalt gegen Gewährung freier Unterkunft und Verpflegung tätig war. Seit April 1958 besucht sie eine staatliche Handelsschule, um Auslandskorrespondentin zu werden.
Das Finanzamt hat Kinderermäßigung bei der Lohnsteuer nur für die Zeit bis zum 31. März 1957 zugebilligt und für die folgenden Monate das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG 1957 verneint. Der Einspruch des Bg. gegen die Versagung der Kinderermäßigung für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1957 hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht teilte die Auffassung des Finanzamts nicht. Es bejahte vielmehr die Voraussetzungen für die vom Bg. wegen der Berufsausbildung seiner Tochter beantragte Kinderermäßigung. Für die Berufsausbildung als Auslandskorrespondentin sei ein Auslandsaufenthalt sehr wesentlich. Das Finanzgericht habe keinen Zweifel daran, daß der Auslandsaufenthalt im Streitfall den Zweck gehabt habe, der Tochter zur Beherrschung der englischen Sprache zu verhelfen. Dies könne nur durch täglichen Umgang mit Engländern erreicht werden. Durch die Beschäftigung der Tochter in einem Haushalt sei dieser Zweck nicht in nennenswertem Masse beeinträchtigt worden; denn diese Betätigung, für welche die Tochter lediglich freie Unterkunft und Verpflegung erhalten habe, sei nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Da der Bg. die Kosten des Unterhalts und der Ausbildung für vier Monate im Kalenderjahr getragen habe, seien alle im EStG aufgestellten Voraussetzungen der beantragten Kinderermäßigung für das ganze Jahr erfüllt.
Der Vorsteher des Finanzamts rügt mit der Rb. unrichtige Anwendung des § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG 1957 und des § 8 Abs. 2 LStDV. Das Finanzgericht habe den Begriff der Berufsausbildung in diesen Vorschriften verkannt. Diese liege nur vor, wenn eine abgeschlossene, die Arbeitskraft und die Arbeitszeit eines Kindes im wesentlichen in Anspruch nehmende Ausbildung stattfinde. Die Tochter des Bg. habe regelmäßig erst abends die Möglichkeit gehabt, einen englischen Klub aufzusuchen oder in Kinos, Theater usw. zu gehen. Sie sei während ihres Englandaufenthalts im wesentlichen in einem englischen Haushalt als "mothers help" tätig gewesen und habe die Arbeit einer Hausgehilfin verrichtet. Sie habe insbesondere die vier Kinder der englischen Familie betreut, von denen das kleinste noch im Säuglingsalter gewesen sei. Unter diesen Umständen sei sie nicht in der Lage gewesen, einer fremdsprachlichen Ausbildung nachzugehen. Es treffe nicht zu, daß durch einen Auslandsaufenthalt dieser Art die Berufsaussichten als Auslandskorrespondentin wesentlich steigen würden. Dieser Beruf erfordere zwar ausreichende sprachliche Kenntnisse. Diese könnten aber in jeder inländischen Handelsschule erworben werden. Der Auslandsaufenthalt der Tochter des Bg. habe nicht der Berufsausbildung gedient, sondern ihr einen Einblick in die Lebensgewohnheiten eines anderen Volkes geben und dadurch ihren Lebenskreis erweitern sollen. Das sei bei schulentlassenen Töchtern der Gesellschaftsschichten, zu denen der Bg. gehöre, durchaus üblich. Eine großzügige Auslegung des Begriffes "Berufsausbildung" sei im Steuerrecht nicht angebracht, insbesondere wegen der Auswirkungen der Kinderermäßigung bei den Sonderausgaben und bei der Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Tochter des Bg. wurde im Streitjahr 19 Jahre alt. Der Bg. konnte daher nach § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG 1957 (ß 8 Abs. 2 LStDV) für sie Kinderermäßigung erlangen, wenn sie sich während des Jahres 1957 vier Monate in Berufsausbildung befand und der Bg. während dieser Zeit die Kosten ihres Unterhalts und ihrer Berufsausbildung trug.
Daß der Besuch einer öffentlichen höheren Schule Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG war, ist unter den Beteiligten nicht streitig. Diese Auffassung entspricht auch der Verwaltungsübung (vgl. Abschn. 181 Abs. 3 EStR 1956/1957). Der Senat hat hiergegen keine Bedenken. Der Zeitraum, in dem die Tochter eine öffentliche höhere Schule besucht hat, ist aber allenfalls mit drei Monaten anzunehmen. Er reicht also für sich allein zur Erfüllung der in § 32 Abs. 4 Ziff. 3 EStG 1957 (ß 8 Abs. 4 LStDV 1957) vorgeschriebenen Frist nicht aus.
Die Entscheidung, ob die Tochter des Bg. im Streitjahr sich vier Monate in Berufsausbildung befunden hat, hängt also davon ab, ob ihr Aufenthalt in England als Berufsausbildung zu werten ist. Das Finanzgericht hat dies im Gegensatz zum Finanzamt bejaht. Es hat hierzu festgestellt, daß dieser Aufenthalt im wesentlichen dazu diente, die in der Schule erworbenen Kenntnisse der englischen Sprache zu vervollkommnen und damit eine Voraussetzung für die im April 1958 begonnene Handelsschulausbildung als Auslandskorrespondentin zu schaffen. Der Senat hat keine Bedenken gegen diese Würdigung des Finanzgerichts. Sie entspricht der Lebenserfahrung. Sie wird bestätigt durch das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 22. Mai 1959 II B 1 - BA 3190 - 416/59 (Gemeinsames Ministerialblatt 1959 Nr. 18 vom 12. Juni 1959), in dem die Tätigkeit als Haustochter bei einer Familie im Ausland gegen freie Station und Taschengeld als Ausbildung für die Berufe des Dolmetschers, Lehrers für fremde Sprachen, Auslandskorrespondenten usw. anerkannt wird.
Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Vorstehers des Finanzamts, die Tochter habe ausschließlich als Hausgehilfin gearbeitet und deshalb keine Zeit gehabt, ihre Sprachkenntnisse zu erweitern, gehen fehl. Es ist nach dem zweiten Weltkrieg in weiten Volkskreisen üblich geworden, daß junge Mädchen durch übernahme einer hauswirtschaftlichen Beschäftigung bei einer Familie im Ausland sich den sonst verhältnismäßig teuren Aufenthalt in einem fremden Land ermöglichen, um die fremde Sprache zu erlernen oder die Kenntnisse darin zu erweitern. Selbst wenn sie dabei einen großen Teil des Tages im Haushalt zubringen, wird dieser Zweck bereits durch die unumgänglich notwendige Unterhaltung mit den Familienangehörigen weit besser erreicht, als dies in einer inländischen Schule möglich wäre. Ein solcher Aufenthalt wird, wenn er ungefähr ein Jahr nicht überschreitet, regelmäßig als Berufsausbildung anzusehen sein, sofern nicht besondere Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer Berufsausbildung sprechen. Da die Tochter des Bg. unmittelbar nach ihrem Aufenthalt in England die fachliche Ausbildung als Auslandskorrespondentin durch den Eintritt in eine Handelsschule begonnen hat, wird auch der Einwand, der Aufenthalt in England habe lediglich einer Erweiterung des Allgemeinwissens gedient, widerlegt.
Der Hinweis schließlich auf die steuerlichen Auswirkungen der Zubilligung der Kinderermäßigung in derartigen Fällen bei den Sonderausgaben und bei den außergewöhnlichen Belastungen ist nicht erheblich, weil bei der Auslegung einer Gesetzesvorschrift die möglichen Auswirkungen bei anderen Vorschriften grundsätzlich außer Betracht bleiben müssen. Da der Senat daher der Vorentscheidung in vollem Umfang beitritt, ist die gegen sie gerichtete Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409597 |
BStBl III 1960, 118 |
BFHE 1960, 316 |
BFHE 70, 316 |