Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Berufsfortbildung außerhalb des Wohnorts können nach den für Dienstreisen geltenden Grundsätzen steuerlich berücksichtigt werden.
Findet die Fortbildungsveranstaltung am Wohnort des Arbeitnehmers, aber mehr als 5 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte entfernt statt, so können ebenfalls die Grundsätze für Dienstreisen angewandt werden.
Die Zeit für den freiwilligen Besuch von Fortbildungsveranstaltungen im Anschluß an den Dienst kann bei der Prüfung, ob der Arbeitnehmer mehr als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen ist, einbezogen werden. An den entgegenstehenden Grundsätzen der Entscheidung VI 196/57 U vom 22. August 1958 (BStBl 1958 III S. 433, Slg. Bd. 67 S. 419) hält der Senat nicht fest.
Normenkette
EStG §§ 9, 12
Tatbestand
Der Bg. ist Diplomingenieur und Gießereileiter. Seine Arbeitszeit geht von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr. Auf Wunsch seiner Arbeitgeberin hat er an Veranstaltungen des Vereins Deutscher Gießereifachleute teilgenommen, um die neueste Entwicklung auf dem Gießereigebiet kennenzulernen. Er hat sechs Abendvorträge in A. und einen Abendvortrag in B. besucht. Da die Veranstaltungen um 17.30 Uhr begannen, konnte der Bg. vorher nicht zum Essen nach Hause fahren. Eine Entschädigung von der Arbeitgeberin hat er nicht erhalten. Das Finanzamt erkannte nur die Fahrtkosten zu den Veranstaltungen mit dem eigenen PKW als Werbungskosten an.
Das Finanzgericht hat dem Bg. darüber hinaus für jede besuchte Veranstaltung auch einen Mehrverpflegungsaufwand von 5 DM - gekürzt um 1 DM Haushaltsersparnis - als Werbungskosten zugebilligt, insgesamt also (7 X 4 =) 28 DM. Es rechnet auch diese Mehrverpflegungskosten zu den Fortbildungskosten (Werbungskosten).
Der Vorsteher des Finanzamts rügt mit seiner Rb. eine Verletzung des sachlichen Rechts. Er hält die Mehraufwendungen für Verpflegung, zumal wenn sie am Wohnort eines Steuerpflichtigen entstehen, für steuerlich nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Finanzgericht konnte ohne Rechtsverstoß den Sachverhalt dahin würdigen, daß zwar keine strikte dienstliche Weisung des Arbeitgebers an den Bg. vorlag, die Vorträge zu besuchen, daß aber die Weigerung, den Wunsch der Arbeitgeberin zu erfüllen, die Beziehungen des Bg. zu seiner Arbeitgeberin verschlechtert hätte. Der Bg. hatte deshalb zwar keinen arbeitsrechtlichen Anspruch gegen seine Arbeitgeberin auf Ersatz seiner Aufwendungen. Die Aufwendungen dienten aber der beruflichen Fortbildung im Rahmen seines Arbeitsvertrags mit der Arbeitgeberin, so daß ein Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Arbeitsverhältnis bestand (vgl. Urteil des Senats VI 79/60 S vom 2. März 1962, BStBl 1962 III S. 192, Slg. Bd. 74 S. 513).
Aufwendungen eines Arbeitnehmers für seine Berufsfortbildung sind grundsätzlich Werbungskosten, soweit sie nicht vom Arbeitgeber erstattet werden und soweit sie nicht gleichzeitig in wesentlichem Umfang der privaten Lebensführung dienen (ß 12 Ziff. 1 Satz 2 EStG). Mit Recht hat demgemäß das Finanzamt die Fahrtkosten, die der Bg. getragen hat, als Werbungskosten berücksichtigt. Nach den Grundsätzen der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 229/57 U vom 28. August 1958 (BStBl 1959 III S. 44, Slg. Bd. 68 S. 113) und IV 105/60 U vom 16. November 1961 (BStBl 1962 III S. 181, Slg. Bd. 74 S. 481) können aber bei freiberuflich tätigen Personen auch Mehraufwendungen für Verpflegung bei dem auswärtigen Besuch von Lehrgängen nach den amtlichen Richtlinien als Betriebsausgaben angesetzt werden (siehe Abschnitt 119 Abs. 3 Ziff. 3 b EStR 1956/1957; Abschnitt 21 Abs. 4 Ziff. 3 LStR 1960). Der Senat tritt dieser Rechtsprechung bei und wendet sie bei Arbeitnehmern sinngemäß an, weil Betriebsausgaben und Werbungskosten einerseits und Kosten der Lebensführung andererseits bei allen Einkunftsarten grundsätzlich in derselben Weise gegeneinander abgegrenzt werden müssen (Urteile des Senats VI 166/60 U vom 16. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 63, Slg. Bd. 72 S. 169, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; VI 79/60 S a. a. O. - unter C 2 -). Demnach bestehen keine Bedenken dagegen, daß das Finanzgericht für die Reise des Bg. nach B. auch einen Mehraufwand für Verpflegung als Werbungskosten anerkannt hat.
Aber auch für die Besuche der Vorträge in A. ist die Berücksichtigung eines Mehraufwands für Verpflegung nicht, wie das Finanzamt meint, schlechthin ausgeschlossen. Nach Abschnitt 21 Abs. 2 Satz 1 LStR ist eine "Dienstreise" nicht nur anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer seinen Wohnort aus dienstlichen Gründen und in eine andere politische Gemeinde reist, sondern auch, wenn der Arbeitnehmer innerhalb derselben politischen Gemeinde, aber mehr als 5 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte entfernt tätig wird. Diese seit langem angewendete Auslegung des Begriffs "Dienstreise" ist mit dem EStG vereinbar. Der Senat trägt keine Bedenken, die Grundsätze über die Berücksichtigung der Kosten bei Dienstreisen auch auf Fälle zu übertragen, in denen ein Arbeitnehmer auf Wunsch des Arbeitgebers und im Anschluß an den Dienst Fortbildungsveranstaltungen besucht.
Da das Finanzgericht bisher nicht geprüft hat, ob die vom Bg. besuchten Vorträge in A. mehr als 5 km von der regelmäßigen Arbeitsstätte des Bg. stattgefunden haben, muß die Vorentscheidung aufgehoben werden.
Stellt das Finanzgericht fest, daß diese Voraussetzung erfüllt ist, so kann es dem Mehrverpflegungsaufwand des Bg., sofern nicht besondere Umstände entgegenstehen, der Höhe nach nach Abschnitt 21 Abs. 4 Ziff. 3 Buchst. a und b LStR 1960 berechnen. Zur Begründung wird auf die Entscheidung des Senats VI 143/60 U vom 11. August 1961 (BStBl 1961 III S. 509, Slg. Bd. 73 S. 669) Bezug genommen. Dafür, daß dem Bg. tatsächlich ein Mehraufwand entstanden ist, spricht wohl, daß der Bg. die Veranstaltungen im Anschluß an den Dienst besucht hat und deshalb nicht zum Essen hat heimfahren können.
Stellt das Finanzgericht dagegen fest, daß die Arbeitsstätte des Bg. und der Ort der Vortragsveranstaltungen in A. nicht mehr als 5 km voneinander entfernt liegen, so kann nach der bisherigen Rechtsprechung ein pauschaler Mehraufwand für Verpflegung am Dienstort A. nicht anerkannt werden. Zu erwägen ist aber, ob nicht die Verwaltungsanweisungen in Abschnitt 24 Abs. 5 LStR, die der Rechtsprechung des Senats entsprechen, auch auf Fälle übertragen werden können, in denen die zwölfstündige Dauer der Abwesenheit des Arbeitnehmers von der Wohnung nur durch den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen, an denen er im Anschluß an den Dienst teilnimmt, erreicht wird. Im Urteil VI 196/57 U vom 22. August 1958 (BStBl 1958 III S. 433, Slg. Bd. 67 S. 419) hat der Senat zwar die Ausweitung auf freiwillig besuchte Fortbildungsveranstaltungen ausdrücklich abgelehnt. Bei nochmaliger Prüfung hält er aber an dieser Rechtsauslegung nicht fest. In der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vor allem auch des erkennenden Senats, wird der Begriff "Fortbildungskosten" nicht eng gefaßt, vor allem, um das zugleich dem Gemeinwohl dienende Streben der Steuerpflichtigen nach Steigerung der beruflichen Leistung durch Fortbildung auch von der steuerlichen Seite her anzuregen, soweit die Rechtsprechung im Rahmen der Auslegung des geltenden Rechts dazu in der Lage ist (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs IV 229/57 U und IV 105/60 U, a. a. O.; VI 81/58 U vom 13. November 1959, BStBl 1960 III S. 53, Slg. Bd. 70 S. 143; VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 48, Slg. Bd. 74 S. 124). In dieser Linie liegt es - entgegen den Grundsätzen der Entscheidung des Senats VI 196/57 U, a. a. O. - auch die Zeit, die ein Steuerpflichtiger zum freiwilligen Besuch von Fortbildungsveranstaltungen im Anschluß an seinen Dienst aufwendet, in die Zeit von 12 Stunden einzubeziehen. Kommt also das Finanzgericht zu der Feststellung, daß die Vortragsveranstaltungen in A. nicht mehr als 5 km von der Arbeitsstätte des Bg. stattgefunden haben, so muß es prüfen, ob unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nach den in Abschnitt 24 Abs. 5 LStR dargestellten Rechtsgrundsätzen dem Bg. der Pauschsatz von 1,50 DM täglich zusteht.
Die Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das seine tatsächlichen Feststellungen zu ergänzen und sodann entsprechend den Rechtsgrundsätzen dieses Urteils erneut über den Streitfall zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410785 |
BStBl III 1963, 298 |
BFHE 1963, 818 |
BFHE 76, 818 |