Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Einlagewerts und Gewinnauswirkungen beim Verzicht eines Gesellschafters auf eine Pensionsanwartschaft gegenüber seiner Kapitalgesellschaft - Umdeutung einer Anfechtungsklage in eine Verpflichtungsklage
Leitsatz (amtlich)
1. Verzichtet ein Gesellschafter auf eine Pensionszusage gegenüber seiner Kapitalgesellschaft, so ist eine Einlage in Höhe des Teilwerts der Pensionsanwartschaft anzunehmen. Abzustellen ist auf den Teilwert der Pensionsanwartschaft des Gesellschafters und nicht auf den gemäß § 6a EStG ermittelten "Teilwert" der Pensionsverbindlichkeit der Kapitalgesellschaft.
2. Der Teilwert ist unter Beachtung der allgemeinen Teilwertermittlungsgrundsätze im Zweifel nach den Wiederbeschaffungskosten zu ermitteln. Demnach kommt es darauf an, welchen Betrag der Gesellschafter zu dem Zeitpunkt des Verzichtes hätte aufwenden müssen, um eine gleichhohe Pensionsanwartschaft gegen einen vergleichbaren Schuldner zu erwerben. Dabei kann die Bonität des Forderungsschuldners berücksichtigt werden. Außerdem kann von Bedeutung sein, ob die Pension unverfallbar ist oder ob sie voraussetzt, daß der Berechtigte bis zum Pensionsfall für den Verpflichteten nicht selbständig tätig ist.
3. Sollte der Teilwert der Pensionsanwartschaft unter dem Buchwert der Pensionsrückstellung liegen, so ergibt sich in Höhe des Differenzbetrages ein laufender Gewinn der Kapitalgesellschaft, der sachlich steuerpflichtig ist. Sollte der Teilwert der Pensionsanwartschaft über dem Buchwert der Pensionsrückstellung liegen, so ist der Differenzbetrag zum Stichtag des Forderungsverzichtes gleichzeitig als Aufwand der Kapitalgesellschaft und als Einlage zu behandeln.
Orientierungssatz
Ist das Klageziel auf die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids gerichtet, so ist die richtige Klageart die Verpflichtungsklage i.S. des § 40 Abs.1 FGO. Bei eine gleichwohl erhobener Anfechtungsklage kann der Klageantrag - auch noch in der Revisionsinstanz - in eine Verpflichtungsklage umgedeutet werden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 5, § 6a; FGO § 40 Abs. 1; KStG 1977 § 8 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.07.1994) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, an der bis zum 30. September 1989 X zu 44 v.H., dessen Ehefrau und dessen zwei volljährige Kinder beteiligt waren. X war zum Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Er hatte im Jahre 1972 von der Klägerin eine Pensionszusage erhalten, für die die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1988 eine Rückstellung in Höhe von 604 000 DM auswies. X war am 30. September 1989 63 Jahre alt.
Durch notariellen Vertrag vom 12. September 1989 veräußerten die o.g. (Alt-)Gesellschafter der Klägerin mit Wirkung zum 1. Oktober 1989 ihre Geschäftsanteile an der Klägerin zu 99 v.H. an die A-GmbH und zu 1 v.H. an deren Geschäftsführer. In § 4 des Kaufvertrages ist vereinbart, daß X die Geschäftsführung bei der Klägerin niederlegte und auf seine Pensionsanwartschaft gegenüber der Klägerin verzichtete.
Die Klägerin löste in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1989 die Pensionsrückstellung auf und behandelte die dadurch eintretende Vermögensmehrung als einen außerordentlichen Ertrag. Gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) erklärte sie auch einen entsprechend höheren Gewinn im steuerlichen Sinne. Das FA erließ einen Körperschaftsteuerbescheid 1989 auf der Grundlage der abgegebenen Steuererklärung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 16. Januar 1991 beantragte die Klägerin die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1989 dahingehend, daß die durch die Auflösung der Pensionsrückstellung eingetretene Vermögensmehrung als verdeckte Einlage gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom Gewinn im steuerlichen Sinne abzusetzen sei. Die Pensionsanwartschaft des X sei am 30. September 1989 bereits unverfallbar gewesen.
Das FA lehnte die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1989 ab. Der Einspruch der Klägerin und ihre sich anschließende Klage blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Der Senat hat durch Beschluß vom 27. Juli 1994 dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) u.a. folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Führt der Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr werthaltige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft bei letzterer zu einer Einlage in Höhe des Nominalwertes der Verbindlichkeit oder in Höhe des Teilwertes der Forderung?
2. Löst der Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft bei ihm stets den Zufluß des erlassenen Forderungsbetrages nach Art des § 11 EStG aus oder tritt diese Rechtsfolge nur bei bestimmten Formen eines Forderungsverzichtes (z.B. Erlaßvertrag i.S. des § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) ein?
Der Große Senat hat durch Beschluß vom 9. Juni 1997 GrS 1/94 entschieden:
1. Ein auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhender Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft führt bei dieser zu einer Einlage in Höhe des Teilwertes der Forderung. Dies gilt auch dann, wenn die entsprechende Verbindlichkeit auf abziehbare Aufwendungen zurückgeht.
2. Der Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft im Wege der verdeckten Einlage führt bei ihm zum Zufluß des noch werthaltigen Teils der Forderung.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz aufzuheben, den Körperschaftsteuerbescheid 1989 vom 7. Oktober 1991 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 1992 zu ändern und den Gewinn vorbehaltlich der sich daraus ergebenden Minderung der Gewerbesteuerrückstellung um 604 000 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Klägerin hat eine Anfechtungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 FGO erhoben. Richtigerweise hätte sie jedoch eine Verpflichtungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 FGO erheben müssen, weil ihr Klageziel auf die Änderung eines bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheides gerichtet ist. Der Senat geht davon aus, daß der Klageantrag der Klägerin in eine Verpflichtungsklage umzudeuten ist. Die Umdeutung ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich.
2. Die Beteiligten gehen davon aus, daß § 4 des notariellen Vertrages vom 12. September 1989 als Erlaßvertrag i.S. des § 397 BGB zu verstehen ist. Diese Auslegung ist jedoch durch die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht gedeckt. Danach handelt es sich bei dem Vertrag vom 12. September 1989 nur um einen solchen zwischen den Anteilsveräußerern (Alt-Gesellschafter) und den Anteilserwerbern (Neu-Gesellschafter). X verpflichtete sich also nur gegenüber den Neu-Gesellschaftern, auf seine Pensionsanwartschaft gegenüber der Klägerin zu verzichten. Ob X auch gegenüber der Klägerin auf seine Pensionsanwartschaft in der Form des § 397 BGB oder in anderer Form "verzichtete", ist in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt. Das FG wird die fehlenden Feststellungen im zweiten Rechtszug nachholen müssen. Sollte es dabei zu der Überzeugung kommen, daß ein Forderungsverzicht im Sinne des Beschlusses des Großen Senats vom 9. Juni 1997 GrS 1/94 anzunehmen ist, so wird es folgendes beachten müssen:
3. Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft. Als solche hat sie ihren Gewinn gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. §§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Dazu hat der Große Senat des BFH auf das Entscheidungsersuchen des erkennenden Senats hin entschieden, daß die Klägerin einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Verzicht ihres Gesellschafters auf seine Forderung als Einlage mit dem Teilwert der Forderung zu bewerten hat. Der Beschluß des Großen Senats bindet den erkennenden Senat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 11 Rz. 16) und gemäß § 126 Abs. 5 FGO auch das FG. Im Ergebnis bedeutet dies, daß das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Mai 1993 I R 34/92 (BFHE 171, 286, BStBl II 1993, 804) überholt ist. Der (hier unterstellte) Verzicht des X löst eine Einlage bei der Klägerin aus, die mit dem Teilwert der Pensionsanwartschaft zu bewerten ist. Sollte der Teilwert der Pensionsanwartschaft unter dem Buchwert der Pensionsrückstellung liegen, so ergibt sich in Höhe des Differenzbetrages ein laufender Gewinn, der sachlich steuerpflichtig ist. Sollte der Teilwert der Pensionsanwartschaft über dem Buchwert der Pensionsrückstellung liegen, so ist der Differenzbetrag zum Stichtag des Forderungsverzichtes gleichzeitig als Aufwand der Klägerin und als Einlage zu behandeln. Das FG wird den Teilwert der Forderung im 2. Rechtszug ermitteln müssen.
4. Abzustellen ist auf den Teilwert der Pensionsanwartschaft des X und nicht auf den gemäß § 6a EStG ermittelten "Teilwert" der Pensionsverbindlichkeit der Klägerin. Der Teilwert ist unter Beachtung der allgemeinen Teilwertermittlungsgrundsätze im Zweifel nach den Wiederbeschaffungskosten zu ermitteln. Demnach kommt es darauf an, welchen Betrag X zu dem Zeitpunkt des Verzichtes hätte aufwenden müssen, um eine gleichhohe Pensionsanwartschaft gegen einen vergleichbaren Schuldner zu erwerben. Dabei kann die Bonität des Forderungsschuldners berücksichtigt werden. Außerdem kann von Bedeutung sein, ob die Pension unverfallbar ist oder ob sie voraussetzt, daß der Berechtigte bis zum Pensionsfall für den Verpflichteten nichtselbständig tätig ist.
5. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es müssen Ermittlungen zum Verzicht und ggf. zum Teilwert der Pensionsanwartschaft angestellt werden. Diese Ermittlungen nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 519 |
BFH/NV 1998, 519-520 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 305 |
BFHE 184, 432 |
BFHE 1998, 432 |
BB 1998, 361 |
BB 1998, 419 |
DB 1998, 346 |
DStR 1998, 236 |
DStRE 1998, 157 |
DStRE 1998, 157 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 436 |
DStZ 1998, 436 (Leitsatz) |
HFR 1998, 294 |
StE 1998, 82 |
WPg 1998, 421 |
WPg 1998, 421-422 (Leitsatz und Gründe) |
StRK, Einlg. R.43 (Leitsatz und Gründe) |
FR 1998, 191 |
FR 1998, 191-192 (Leitsatz und Gründe) |
Information StW 1998, 223-224 (Leitsatz und Gründe) |
LEXinform-Nr. 0145126 |
NJW 1998, 1583 |
Inf 1998, 223 |
SteuerBriefe 1998, 397 |
SteuerBriefe 1998, 7 |
GStB 1998, Beilage zu Nr 4 (Leitsatz) |
GmbH-Rdsch 1998, 289-291 (Leitsatz und Gründe) |
GmbH-StB 1998, 59 (Kurzwiedergabe) |
GmbH-Stpr 1998, 167 (Kurzwiedergabe) |
BetrAV 1998, 53-54 (Leitsatz und Gründe) |
NZG 1998, 240 |
NZG 1998, 240 (Leitsatz) |
GmbHR 1998, 289 |
NWB-DokSt 1998, 850 |
stak 1998 |