Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstückserwerb im Zwangsversteigerungsverfahren: Vorsteuerabzug, Abrechnung mit Gutschrift
Leitsatz (amtlich)
Verzichtet der Vollstreckungsschuldner bei einer Grundstücksversteigerung auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes, so steht dem Vorsteuerabzug des Erwerbers § 42 AO 1977 jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Erwerber das Entgelt für die Grundstückslieferung bar beglichen hat.
Orientierungssatz
Der Erwerb eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren kann über den Grundstücksumsatz durch Gutschrift abrechnen.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 14 Abs. 5, § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 41 Abs. 2, § 42; ZVG §§ 49, 81, 144; UStDV 1993 § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; UStG 1980 § 4 Nr. 9a
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 21.01.1992; Aktenzeichen 15 K 6665/90 U) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb am 1.Februar 1989 im Wege der Zwangsversteigerung das Grundstück ... zu einem Barmeistgebot i.S. der §§ 49, 81 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) in Höhe von 650 000 DM. Der Versteigerungserlös wurde ausweislich des Kontrollteilungsplanes (§ 144 ZVG) vom 10.Juli 1989 nach Abzug von Verfahrenskosten zur Befriedigung von dinglich gesicherten Darlehensansprüchen der die Zwangsversteigerung betreibenden Volksbank und in geringem Umfang zur Begleichung von Ansprüchen der Gemeinde H verwendet. Der früheren Eigentümerin des Grundstücks S, die das Grundstück unter Vorsteuerabzug im Jahre 1987 erworben hatte, wurde aus dem Versteigerungserlös nichts ausgezahlt. Die Klägerin führte das auf dem Grundstück befindliche Hotel mit Gaststättenbetrieb als regelversteuernde Unternehmerin fort.
Die Klägerin erteilte der S am 30.März 1989 aufgrund einer von S gegenüber der Volksbank ausgestellten, dort am 13.August 1988 eingegangenen Einverständniserklärung eine Gutschrift über den Grundstücksumsatz, in der sie aus dem Versteigerungserlös Umsatzsteuer in Höhe von 79 824,56 DM herausrechnete und offen auswies. S verzichtete gegenüber dem Finanzamt (FA) auf die Steuerbefreiung des Grundstücksumsatzes. Sie gab für 1989 weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch eine Umsatzsteuerjahreserklärung ab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) lehnte den von der Klägerin für März 1989 geltend gemachten Vorsteuerabzug in Höhe von 79 824,56 DM ab. Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 564 abgedruckten Urteil ab. Zur Begründung führte es aus: Bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks könne der frühere Eigentümer zwar zur Umsatzsteuerpflicht optieren. Dem Vorsteuerabzug stehe aber im Streitfall § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegen. Der Verzicht auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes habe nur dem Ziel gedient, die Befriedigung des Grundpfandgläubigers (Volksbank) zu Lasten des Fiskus zu erhöhen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 AO 1977. Nach ihrer Auffassung ist die Versagung des Vorsteuerabzugs nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 1989 auf ./. 79 824 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Auf Anfrage der Senatsgeschäftsstelle haben die Beteiligten übereinstimmend mitgeteilt, daß für 1989 noch kein Umsatzsteuerjahresbescheid ergangen ist.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer für März 1989 (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug zu.
a) Nach § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Als Rechnung gilt auch eine Gutschrift, mit der ein Unternehmer über eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung abrechnet, die an ihn ausgeführt wird (§ 14 Abs.5 Satz 1 UStG 1980). Die in § 14 Abs.5 Satz 2 UStG 1980 genannten Voraussetzungen für die Anerkennung einer Gutschrift sind im Streitfalle erfüllt. Hierüber besteht kein Streit.
Aus der Rechtsprechung des Senats zur Abrechnungslast (grundlegend Urteil vom 4.März 1982 V R 107/79, BFHE 135, 118, BStBl II 1982, 309) ergeben sich keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Abrechnung durch Gutschrift. Die Klägerin besaß uneingeschränkte Kenntnis der Abrechnungsgrundlagen. Eine Vorschrift, nach der der Vollstreckungsschuldner zur Abrechnung gegenüber dem Erwerber allein berechtigt und verpflichtet wäre, gibt es nicht. Dies rechtfertigt die Abrechnung durch Gutschrift.
b) Die Grundstücksversteigerung ist an sich gemäß § 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980 steuerfrei. S hat aber wirksam auf die Steuerfreiheit verzichtet (§ 9 Abs.1 UStG 1980).
Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Zwangsversteigerung eines Grundstücks umsatzsteuerrechtlich zu einer Lieferung des Grundstückseigentümers unmittelbar an den Ersteher (Senatsurteile vom 19.Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 6.Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817). Der frühere Grundstückseigentümer kann auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichten (§ 9 Abs.1 UStG 1980), und zwar auch noch nach Abschluß des Versteigerungsverfahrens (Senatsurteil in BHFE 146, 484, BStBl II 1986, 500). Der Schutz der Vollstreckungsgläubiger steht der Option zur Steuerpflicht jedenfalls dann nicht entgegen, wenn --wie im Streitfall-- die Option keine Auswirkungen auf die Verteilung des Versteigerungserlöses hat.
c) § 41 Abs.2 AO 1977 schließt den Vorsteuerabzug nicht aus. Der Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit ist weder ein Scheingeschäft noch eine Scheinhandlung, sondern wirklich gewollt (vgl. Senatsurteil vom 6.Juni 1991 V R 70/89, unter 2., BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866).
d) Auch § 42 AO 1977 hindert den Vorsteuerabzug nicht.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Verzichtet der Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung, ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 4.). Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber lediglich für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen Gegenforderungen verrechnet (vgl. hierzu noch Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 42 AO 1977 Tz.36; Weiß, UR 1991, 317, und die Urteilsanmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 20). So liegen die Dinge im Streitfall nicht, da die Klägerin keine Gläubigerin der S gewesen war und das Bargebot beglichen hat.
Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Neuregelung in § 51 Abs.1 Satz 1 Nr.3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 3.Dezember 1992 (BGBl I, 1992, 1982, BStBl I 1993, 49) aufgrund der durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz vom 25.August 1992 (BGBl I 1992, 1548) geschaffenen Ermächtigung in § 18 Abs.8 Satz 1 Nr.3 UStG. Nach der UStDV-Bestimmung hat der Ersteher bei einer steuerpflichtigen Lieferung eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige FA abzuführen. Durch diese Regelung hat der Verordnungsgeber sichergestellt, daß der Verzicht auf die Steuerfreiheit bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks nicht dadurch zu Steuerausfällen führt, daß dem Erwerber zwar der Vorsteuerabzug zusteht, der Vollstreckungsschuldner als leistender Unternehmer aber die geschuldete Steuer für den Grundstücksumsatz nicht an das FA abführen kann. Der Verordnungsgeber geht mithin davon aus, daß § 42 AO 1977 dem Vorsteuerabzug des Erstehers nicht entgegensteht.
Fundstellen
Haufe-Index 64783 |
BStBl II 1993, 736 |
BFHE 171, 7 |
BFHE 1994, 7 |
BB 1993, 1647 |
BB 1993, 1647-1648 (LT) |
DB 1993, 1656 (LT) |
DStR 1993, 1022 (KT) |
HFR 1993, 537 (LT) |
StE 1993, 353 (K) |