Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine offenbare Unrichtigkeit bei doppelter Berücksichtigung desselben „Verlustbetrages“ innerhalb verschiedener Einkunftsarten
Leitsatz (amtlich)
Einigen sich der Steuerpflichtige und das FA auf die zusätzliche Berücksichtigung von Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit innerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens und übersehen sie bei ihrer Einigung, dass der streitige Betrag in dem angefochtenen Bescheid bereits als Verlust bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb berücksichtigt war, so liegt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des FA nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, was die Annahme einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit ausschließt.
Normenkette
AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs. Im September 1986 verkaufte er diesen mit Ausnahme der Hofstelle. Die Hofstelle überführte er ins Privatvermögen. Er beabsichtigte, die freiwerdenden Mittel in Immobilien anzulegen, zumal er bereits im Jahr 1985 eine eigene Immobilienvermittlung gegründet hatte. Er kaufte für insgesamt 2 450 000 DM zwei Mehrfamilienhäuser in X. Der Notar zahlte insgesamt 1 836 968 DM an den Verkäufer aus, ohne dass der Kläger letztlich Eigentümer der Objekte wurde. Der Kläger konnte sich wegen eines schweren Verkehrsunfalls nicht selbst um die Angelegenheit kümmern. Alle Versuche, das Geld zurückzuerlangen bzw. Schadensersatz vom Notar zu erhalten, scheiterten. Über die vom Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) hatte die Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuer 1986, darunter den Gewinn aus der Veräußerung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes, zunächst geschätzt. Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Münster (2 K 1638/90 E) machte der Kläger u.a. die an den Verkäufer gezahlten Gelder als Verluste aus einem gewerblich betriebenen Grundstückshandel geltend. Nach einem Wechsel des Steuerberaters erkannte das FA schließlich den geltend gemachten Verlust für das Jahr 1987 als Betriebsausgaben an. Mit Bescheid vom 26. September 1994 setzte es die Einkommensteuer 1986 auf 79 114 DM herab; dabei wirkten sich die an den Verkäufer verlorenen Gelder durch den erhöhten Verlustrücktrag entsprechend steuermindernd aus. Der Änderungsbescheid war u.a. wegen der Kinderfreibeträge vorläufig.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger Einspruch, mit dem sie als weiteren möglichen Verlust geltend machten, das FA habe den Kläger in Höhe von 252 349 DM als Haftenden für Schulden der Fa. A-GmbH in Anspruch genommen. Nach einer Erörterung im FA am 20. Dezember 1994 nahmen die Kläger ihren Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 26. September 1994 zurück und erklärten das Klageverfahren 2 K 1638/90 E für in der Hauptsache erledigt.
Das FA hatte sich am 20. Dezember 1994 verpflichtet, den Betrag von 252 349 DM in die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1990 einzubeziehen. In dem darauf erlassenen Bescheid vom 3. März 1995 betreffend den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1990 kam das FA seiner Zusage nach, übersah jedoch, dass der Betrag von 252 349 DM entsprechend der Steuererklärung 1990 bereits im Einkommensteuerbescheid vom 27. März 1992 sowie im Bescheid vom 28. April 1992 betreffend den verbleibenden Verlustabzug berücksichtigt worden war.
Am 22. Juni 1995 änderte das FA unter Hinweis auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) den Bescheid vom 3. März 1995 und verminderte den festgestellten verbleibenden Verlust um den doppelt berücksichtigten Betrag. Außerdem lehnte es den Antrag des Klägers ab, die Einkommensteuer 1986 aus Billigkeitsgründen auf null DM festzusetzen. Die gegen diese Bescheide gerichteten Einsprüche blieben erfolglos.
Im Klageverfahren betreffend die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1990 (14 K 2620/96 F) machten die Kläger u.a. geltend, die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 lägen nicht vor. Eine offenbare Unrichtigkeit könnte bei einem Vergleich nicht vorliegen, wenn das FA monatelang Zeit für die Sachverhaltsaufklärung gehabt habe. Ihren Prozessbevollmächtigten sei der eigentliche Sachverhalt unbekannt gewesen. Im Klageverfahren betreffend die Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 aus Billigkeitsgründen (14 K 1399/96 E) brachten die Kläger vor, eine Billigkeitsmaßnahme sei geboten, weil ihnen durch Verkettung unglücklicher Umstände aus dem Verkauf des Betriebes letztlich nichts verblieben sei. Ihre Existenz sowie der Unterhalt ihrer vier in der Ausbildung befindlichen Kinder sei nicht gesichert.
Die Klagen hatten keinen Erfolg. Das FG verband die beiden Verfahren. In seinem Urteil führte es u.a. aus, zwar habe sich das FA mit den Klägern dahin geeinigt, den Betrag von 252 349 DM in die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1990 einzubeziehen. Es habe aber übersehen, dass der gewerbliche Sonderverlust bereits im Einkommensteuerbescheid 1990 berücksichtigt worden sei. Die doppelte Erfassung des Verlustes sei eine offenbare Unrichtigkeit. Sie beruhe auf einem reinen Versehen; ein Rechtsfehler lasse sich zweifelsfrei ausschließen. Der Grundsatz von Treu und Glauben stehe der Änderung des Feststellungsbescheides nicht entgegen. Eine Bindung des FA an die Erledigungserklärung bestehe nicht, weil die Kläger nicht schutzwürdig seien. Ihnen sei bekannt gewesen, dass das FA den streitigen Betrag berücksichtigt hatte. Ihnen hätte ersichtlich sein müssen, dass die Zusage des FA zu einer doppelten Berücksichtigung führte.
Die Versagung der beantragten Billigkeitsmaßnahme lasse keinen Ermessensfehler erkennen. Die Kläger hätten erreicht, dass die verlorenen rd. 1,8 Mio. DM als Verlust anerkannt worden seien, obwohl keinesfalls feststehe, ob der Kläger einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben habe und der Verlust damit im Zusammenhang gestanden habe. Mit der gütlichen Einigung sei nur noch eine Steuer von knapp 80 000 DM verblieben. Da beide Seiten damit einverstanden gewesen seien, sei eine weitere Korrektur über einen Billigkeitserlass ausgeschlossen.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Einkommensteuer 1986 auf null DM festzusetzen und den verbleibenden Verlustabzug für den Kläger zum 31. Dezember 1990 auf 567 835 DM festzustellen,
sowie hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur zum Teil begründet. Hinsichtlich des verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1990 waren das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 1996 sowie die gesonderte Feststellung zum 31. Dezember 1990 über den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer vom 22. Juni 1995 aufzuheben; im Übrigen war die Revision zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 3. März 1995 über die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1990 verbleibenden Verlustabzuges wegen einer offenbaren Unrichtigkeit berichtigt werden konnte. Doch hat das FG die Klage gegen die Versagung der aus Billigkeitsgründen begehrten Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 auf null DM zu Recht abgewiesen. Insoweit sind weder Verfahrensmängel noch die geltend gemachten Billigkeitsgründe gegeben.
I. Die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Die Rüge, das FG habe die Akten des Klageverfahrens 2 K 1638/90 E nicht förmlich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und damit den Anspruch der Kläger auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―), ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Die Beiziehung dieser Akten war erforderlich, weil die Kläger sich mit der Klagebegründung darauf berufen hatten, dass in diesem Verfahren bereits um den Abzug des geltend gemachten Verlustes in Höhe von 1 839 969 DM gestritten worden sei. Das FG kam also einem Anliegen der Kläger nach (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. März 1992 II B 12/91, BFH/NV 1993, 221), wäre dazu aber auch ohne diese Anregung verpflichtet gewesen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 53/95, BFH/NV 1997, 293). Zudem haben die Kläger nicht dargelegt, warum sie einen etwaigen Verstoß gegen die Pflicht, den Beteiligten die Beiziehung von verfahrensfremden Akten mitzuteilen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. März 1999 VII B 182/98, BFH/NV 1999, 1229), nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 6. November 1997 gerügt hatten. Sie tragen auch nicht vor, zu welchem Inhalt der beigezogenen Akten sie sich nicht hätten äußern können, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätten und warum dies zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1229). Vielmehr greifen sie die Würdigung des FG an, die Anerkennung der Verluste aus dem gewerblichen Grundstückshandel ergebe sich aus dem Bestreben, eine gütliche Einigung herbeizuführen, mit dem beide Seiten einverstanden gewesen seien. Sie übersehen insoweit, dass nach Ansicht des FG diese Verluste nicht ein weiteres Mal berücksichtigt werden konnten, und zwar auch nicht aus Billigkeitsgründen.
2. Das FG hat den Sachvortrag der Kläger zu den persönlichen Billigkeitsgründen nicht außer Acht gelassen (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FGO). Es hat ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger vergeblich versucht habe, den für zwei Mehrfamilienhäuser in X bezahlten Betrag von 1 836 968 DM zurückzuerlangen, und keinen Schadensersatz erhalten habe. Ferner hat es den Verkehrsunfall des Klägers und dessen Beeinträchtigungen zur Kenntnis genommen und den Standpunkt des FA festgehalten, die vorgebrachten persönlichen (Erwerbsunfähigkeit des Klägers) und sachlichen Billigkeitsgründe rechtfertigten keine Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 auf null DM, weil die verlorenen Gelder (1 836 968 DM) sich bereits über einen Verlustrücktrag mindernd auf die Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer 1986 ausgewirkt hätten. Es hat auch den Vortrag der Kläger erfasst, ihnen sei von dem rechnerisch ermittelten Veräußerungsgewinn letztlich nichts verblieben.
Dass das FG in den Entscheidungsgründen nicht im Einzelnen auf die verbliebenen Schulden, die Erwerbsunfähigkeit des Klägers sowie die damaligen Einkünfte der Klägerin eingegangen ist, stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs dar (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FG muss sich nicht ausdrücklich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen befassen (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 14. Juni 1996 X B 157/95, BFH/NV 1996, 919, und vom 26. April 1995 I B 166/94, BFHE 177, 451, BStBl II 1995, 532). Erst wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht wesentliche Ausführungen eines Beteiligten bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht berücksichtigt hat, ist das rechtliche Gehör verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. auch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 27. März 1980 2 BvR 316/80, BVerfGE 54, 39, und vom 15. April 1980 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86). Dafür besteht im Streitfall kein Anhaltspunkt.
Der Passus im angefochtenen Urteil, das FA habe im Hinblick auf das Ergebnis der gefundenen gütlichen Einigung eine "weitere Korrektur" über einen Billigkeitserlass ermessensfehlerfrei abgelehnt, steht dem nicht entgegen. Das FG hat festgestellt, dass der Kläger im Jahr 1990 den Betrag von 252 349 DM zahlen musste. Es hat auch nicht übersehen, dass das FA mit dem Einkommensteuerbescheid 1986 vom 26. September 1994 ―im Wege des Verlustrücktrages― den vom Kläger im Jahr 1987 erlittenen Verlust (in Höhe von 1 839 968 DM) berücksichtigt hatte und die Beteiligten sich erst danach über die Erledigung des Verfahrens 2 K 1638/90 E geeinigt hatten. Daran anknüpfend hat es ausgeführt, dass der Verlust aus dem gewerblichen Grundstückshandel nicht aus Billigkeitsgründen nochmals berücksichtigt werden könne. Damit hat es auch dem Vortrag Rechnung getragen, der Verlust sei auf die Folgen des Unfalls des Klägers zurückzuführen. Daher hat es auch nicht verkannt, dass Steuerfestsetzung und Billigkeitserlass zwei grundsätzlich voneinander getrennte Verfahren sind.
3. Da die Verbindlichkeiten für die Höhe des zu versteuernden Veräußerungs- oder Aufgabegewinns außer Betracht bleiben (vgl. Senatsurteil vom 7. März 1996 IV R 52/93, BFHE 180, 302, BStBl II 1996, 415, sowie BFH-Urteil vom 17. Juni 1998 XI R 64/97, BFHE 186, 347, BStBl II 1998, 727) und die Minderung der Leistungsfähigkeit durch die Ausbildung von Kindern bereits im Rahmen der Steuerfestsetzung berücksichtigt wird, wäre es Sache der Kläger gewesen, im Einzelnen darzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 25. März 1988 III R 186/84, BFH/NV 1989, 426), warum die festgesetzte Einkommensteuer aus diesen Gründen gemäß § 163 AO 1977 herabgesetzt werden müsse. Denn die für eine persönliche Unbilligkeit vorausgesetzte Gefährdung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Angehörigen setzt voraus, dass durch die Steuererhebung der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612). Da hier die Steuern bereits entrichtet waren, hat das FA zu Recht auf die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Kläger im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuern abgestellt.
4. Auch im Übrigen hält der Senat die erhobenen Verfahrensrügen für nicht durchgreifend. Er sieht gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer weiteren Begründung ab.
II. A. Herabsetzung Einkommensteuer 1986
1. Gemäß § 163 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. § 163 AO 1977 bezweckt, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (Senatsurteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, m.w.N.). Die Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO 1977 sind Ermessensentscheidungen, die nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden können. Die gerichtliche Überprüfung bezieht sich im Fall der Versagung darauf, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die Ermessensgrenzen überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein Ermessensfehler in diesem Sinne (Ermessensmangel) liegt auch vor, wenn die Behörde in Verkennung der Reichweite ihrer Ermessensbefugnis angenommen hat, ihr stehe eine Ermessensbefugnis nicht zu, und infolgedessen einen Antrag mit der unzutreffenden Begründung ablehnt, sie habe nach der anzuwendenden Rechtsnorm bei der Bescheidung des ihr vorliegenden Antrags keine Ermessensbefugnis, sondern müsse den Antrag aus Rechtsgründen ablehnen (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1987 IV R 31/87, BFHE 151, 64, BStBl II 1988, 20, m.w.N.).
2. Dass die Herabsetzung der festgesetzten Steuer aus sachlichen Gründen geboten sei, machen die Kläger nicht mehr geltend. Eine sachliche Unbilligkeit wegen der fehlenden Möglichkeit, Verluste mit früher erzielten Gewinnen zu verrechnen, ist auch nicht ersichtlich (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 426).
Das FG hat zutreffend erkannt, dass die beantragte Billigkeitsmaßnahme nicht aus in der Person der Kläger liegenden Gründen geboten ist. Bei der ―auf den Zeitpunkt der Entrichtung der festgesetzten Steuer (Senatsurteil in BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, unter 2. b) bezogenen― Überprüfung ist die Versagung der beantragten Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 auf null DM nicht zu beanstanden. Eine Unbilligkeit aus in der Person des Steuerpflichtigen liegenden Gründen ist anzunehmen, wenn im Falle der Versagung des Erlasses dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet oder ernsthaft gefährdet würde (vgl. Senatsurteil in BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, sowie BFH-Beschluss vom 2. April 1996 III B 171/95, BFH/NV 1996, 728). Davon ist im Streitfall nicht auszugehen. Das FA hat den Betrag von 252 349 DM in vollem Umfang berücksichtigt, und zwar erklärungsgemäß bei der Veranlagung 1990. Dies entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen im jeweiligen Besteuerungsabschnitt. Auch hat der im Jahr 1987 erlittene Verlust (1 836 968 DM) infolge des Verlustrücktrages bereits die Bemessungsgrundlage für die Steuerfestsetzung für das Jahr 1986 gemindert. Es würde nicht nur dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, sondern auch der Billigkeit widersprechen, wenn diese Beträge ein weiteres Mal zum Abzug kämen. Die Kläger haben auch nicht dargelegt, warum die der Steuerfestsetzung 1986 bereits zugrunde gelegten persönlichen Verhältnisse (wie z.B. die Ausbildung ihrer vier Kinder) zusätzlich, und zwar aus Billigkeitsgründen berücksichtigt werden könnten. Die Tatsache, dass der Kläger mit dem Veräußerungsgewinn nicht sämtliche betrieblichen Verbindlichkeiten abgelöst hat, gebietet ebenfalls keine Herabsetzung der festgesetzten Steuern. Denn von dem erzielten Veräußerungsgewinn von über 4 Mio. DM verblieb ―nach Abzug der erlittenen Verluste und der restlichen Betriebsschulden― zu den maßgeblichen Stichtagen der jeweiligen Zahlung rein rechnerisch noch ein erheblicher Teil. Die Kläger hätten daher selbst im Hinblick auf die Erwerbsunfähigkeit des Klägers im Einzelnen begründen müssen, warum die ihnen verbliebenen Mittel nicht zu einer bescheidenen Lebensführung ausreichten (vgl. Senatsurteile in BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, und vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726).
Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass das FG nicht von sich aus auf die Frage eingegangen ist, ob das Existenzminimum der vier Kinder der Kläger möglicherweise unzureichend berücksichtigt wurde. Denn das FA hatte den angefochtenen Bescheid insoweit für vorläufig erklärt.
B. Verlustfeststellung 1990
1. Nach der Rechtsprechung des BFH sind ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO 1977 einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können. Ist die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535, BFH/NV 1998, 1148). Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter ―ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht― unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22, m.w.N.; vom 23. Januar 1991 I R 26/90, BFH/NV 1992, 359; BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 1998 IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452; vom 12. April 1994 IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1, und vom 14. Februar 1995 IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (BFH-Urteile vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3; vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277, sowie Senatsurteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535, und Senatsbeschluss in BFH/NV 1998, 1452).
2. Bei Beachtung dieser Grundsätze war das FA nicht berechtigt, den Bescheid vom 3. März 1995 über die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1990 verbleibenden Verlustes zu berichtigen. Es fehlt an einer einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit.
Das FA berücksichtigte im Bescheid vom 3. März 1995 den Betrag von 252 348,55 DM noch einmal, weil es ihn im Einkommensteuerbescheid 1990 vom selben Tage als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit angesetzt hatte. Der entsprechende Ansatz ging auf das Ergebnis einer Besprechung der Kläger mit dem FA am 20. Dezember 1994 zurück. Die Anerkennung dieses Betrages als Werbungskosten war in erster Linie eine rechtliche Beurteilung eines über lange Zeit hinweg streitigen Sachverhaltes, von der bis heute nicht einmal feststeht, dass sie fehlerhaft war. Sie entzieht sich sowohl nach der Art ihres Zustandekommens als auch nach ihrem Inhalt weitgehend einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977. Der dem FA bei seiner Entscheidung am 3. März 1995 unterlaufende Fehler bestand darin, dass es die im Einkommensteuerbescheid 1990 vom 27. März 1992 angesetzten Verluste bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 303 373 DM nicht näher auf ihre Richtigkeit und auf ihre Stimmigkeit mit den nunmehr anerkannten Werbungskosten überprüfte. Das FA hat am 3. März 1995 die übrigen im Einkommensteuerbescheid 1990 vom 27. März 1992 angesetzten Besteuerungsgrundlagen "blind" übernommen. Dieser Fehler ist jedoch dem Bereich der unterlassenen Sachverhaltsaufklärung zuzuordnen, die dem FA von Amts wegen oblag, und schließt die Beurteilung als ähnliche offenbare Unrichtigkeit aus. Damit war kein mechanisches Versehen des FA, sondern eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht die Ursache des Fehlers. Zumindest liegt eine solche Annahme nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit.
Unter diesen Umständen ist es unerheblich, dass sich die doppelte Erfassung ―anders als in den Entscheidungen des BFH in BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22; in BFH/NV 1992, 359; in BFH/NV 1995, 1033; in BFH/NV 1998, 1452, und vom 26. November 1996 IX R 77/95, BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422― auch ohne Zuziehung der Vorgänge anderer Veranlagungszeiträume hätte vermeiden lassen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 8. März 1989 X R 116/87 (BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531) in dem es um die doppelte Gewährung eines Freibetrages nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ging. Diese beruhte nicht auf einer unvollständigen Sachaufklärung, sondern auf einem offensichtlichen Versehen des FA. Der Streitfall ist auch nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem BFH-Beschluss vom 25. Januar 1996 III B 122/93 (BFH/NV 1996, 682) zugrunde lag. Der BFH stellt dort unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83 (BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541) ―zu § 107 FGO― für das Übersehen zweifelsfreier und aus den vorliegenden Akten ersichtlicher Tatsachen auf die Qualität des Fehlers ab. Ausdrücklich unterscheidet er bloße Ablese- und Übernahmefehler von Fehlern bei der Beurteilung von Tat- und Rechtsfragen. Bei Fehlern dieser Art scheide die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit selbst dann aus, wenn nur eine mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums besteht (vgl. Senatsurteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535) oder sie auf eine mangelnde Sachaufklärung zurückgehen (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853, sowie BFH-Urteile vom 13. Februar 1979 VIII R 53/77, BFHE 127, 302, BStBl II 1979, 458; vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480; vom 4. November 1992 XI R 51/88, BFH/NV 1993, 403). Da seitens der Kläger zweimal um Prüfung des Sachverhalts gebeten wurde, liegt es nahe, dass das FA mit der Anerkennung der Haftungsinanspruchnahme als Werbungskosten bei den Einkünften eine wertende Entscheidung treffen wollte. Auch wenn aus der abgegebenen Steuererklärung und der Aktenausfertigung des ursprünglichen Bescheides deutlich erkennbar war, dass das FA die Zahlung im Jahr 1990 bereits in Höhe von 252 349 DM bereits berücksichtigt hatte, handelte es sich doch schon um einen Ermittlungsfehler des FA (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 1992 XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509).
3. Die Vorentscheidung entspricht teilweise nicht diesen Grundsätzen. Sie kann insoweit keinen Bestand haben und war teilweise aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FG hat bei seiner Annahme, die doppelte Berücksichtigung der Haftungsinanspruchnahme beruhe auf einem reinen Versehen, außer Acht gelassen, dass das FA die Inanspruchnahme des Klägers wegen seiner Haftung als Geschäftsführer der A-GmbH ausweislich des Aktenvermerks über die Erörterung am 20. Dezember 1994 erneut geprüft hat. Das Urteil des FG kann daher in diesem Punkt keinen Bestand haben.
Fundstellen
Haufe-Index 425667 |
BFH/NV 2000, 1149 |
BStBl II 2000, 372 |
BFHE 191, 226 |
BFHE 2001, 226 |
BB 2000, 1510 |
BB 2000, 2241 |
DB 2000, 1797 |
DStRE 2000, 821 |
HFR 2000, 627 |
StE 2000, 434 |