Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bestimmtheit des Haftungsbescheides
Leitsatz (NV)
Ein Haftungsbescheid ist dann hinreichend bestimmt, wenn für den Betroffenen hinreichend erkennbar ist, was von ihm - auch der Höhe nach - verlangt wird.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 118 Abs. 1 S. 1, §§ 119, 191
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Gesellschafter der GmbH waren der Kläger und H zu gleichen Teilen. Am . . . stellte die GmbH, vertreten durch den Kläger, Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen, der jedoch mangels Masse abgewiesen wurde. Am . . . wurde die GmbH von Amts wegen gelöscht.
Die rückständigen Umsatzsteuern konnten von der GmbH nicht beigetrieben werden. Im November 1989 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) deshalb gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über rückständige Umsatzsteuern und steuerliche Nebenleistungen. Die von der GmbH geschuldeten Steuern und Säumniszuschläge stellte es darin mit folgenden Beträgen fest:
Steuerart Zeitraum Fällig Betrag bis zum 31.5.89 verwirkte Säumniszuschläge
Umsatzsteuer ... ... ... ...
+ Säumniszuschlag ...
Gesamtsumme ...
Aufgrund der im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung ermittelten Quote für die Haftungsschuld bezüglich aller Haftungszeiträume, deren Prozentsatz das FA in dem Haftungsbescheid im einzelnen erläuterte, nahm es den Kläger für einen Haftungsbetrag von insgesamt . . . DM (. . . DM Umsatzsteuer zuzüglich . . . DM Säumniszuschlag) in Anspruch.
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Aus der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 ist nicht zu entnehmen, auf welche Zeiträume und in welcher Höhe (bezogen auf die einzelnen Zeiträume) der Kläger in Anspruch genommen werden sollte. Lediglich die Haftungssumme von . . .DM ist am Ende der Einspruchsentscheidung noch einmal bestätigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage mit dem Ziel, den Haftungsbescheid vom November 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 aufzuheben. Die Klage ist Gegenstand dieses Verfahrens.
Im Verlauf des Klageverfahrens erließ das FA eine - weitere - Einspruchsentscheidung (vom Oktober 1990) über die Haftungssumme von . . . DM, die inhaltlich der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 entsprach und lediglich um die Aufgliederung nach Voranmeldungszeiträumen und Steuern bzw. Nebenleistungen ergänzt war. In dem Begleitschreiben teilte das FA mit, daß ,,die diesem Schreiben beigefügte Einspruchsentscheidung somit an die Stelle der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 tritt. Ihre Klage vor dem Finanzgericht . . . richtet sich nunmehr gegen die Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990, die im übrigen - abgesehen von einer Aufgliederung - die bisher in der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 enthaltenen sachlichen und rechtlichen Ausführungen beinhaltet". Gegen die Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990 erhob der Kläger Klage, die Gegenstand des Verfahrens ist.
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für begründet und hob den Haftungsbescheid vom November 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 auf.
Der Haftungsbescheid vom November 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 sei schon deswegen rechtswidrig, weil er die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit des Haftungsbescheides nicht erfülle. Denn weder in dem Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung sei die Haftungssumme auf die einzelnen Haftungszeiträume aufgeteilt worden. Der Umstand, daß das FA in der Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990 diesen Mangel berichtigt habe, sei unbeachtlich, weil diese Einspruchsentscheidung nicht habe ergehen dürfen. Denn es sei unzulässig, den rechtshängigen Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung durch eine weitere Einspruchsentscheidung zu ,,ersetzen". Dies sei nur im Rahmen der §§ 130 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) möglich. Bei der Korrektur eines Verwaltungsakts durch eine ,,Nachbesserung" in dem Sinne, daß eine notwendige Begründung nachgeholt oder ein unvollständiger Verfügungssatz ergänzt werde, handle es sich nicht um einen Fall der §§ 130 ff. AO 1977.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, das FG habe den Haftungsbescheid zu Unrecht aufgehoben. Nach den Vorschriften der §§ 130, 132 AO 1977 könne nicht nur der ursprüngliche Verwaltungsakt, sondern auch die Einspruchsentscheidung geändert werden. Die Voraussetzungen für eine Korrektur der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 durch die vom Oktober 1990 lägen vor. Das FA habe diese Vorschriften auch anwenden wollen, selbst wenn es nicht ausdrücklich auf sie Bezug genommen habe. Der Haftungsbescheid sei bestehen geblieben, habe aber durch die Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990 einen anderen Inhalt erhalten. Eines Antrages nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bedürfe es nicht. In Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990 sei der Haftungsbescheid hinreichend bestimmt.. . .
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Da die Sache nicht spruchreif ist, wird das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).
1. Der Senat vermag der Vorinstanz nicht darin zu folgen, daß der Klage schon aus formellen Gründen stattzugeben ist, weil der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 (erste Einspruchsentscheidung) nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit des Haftungsbescheides (§ 119 AO 1977) genügt.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Haftungsbescheid dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn für den Betroffenen erkennbar ist, was von ihm - auch der Höhe nach - verlangt wird. Dabei genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über das Verlangte gewonnen werden kann (Senatsurteil vom 24. April 1990 VII R 114/88, BFH/NV 1991, 137 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ergibt sich aus dem Haftungsbescheid in Gestalt der ersten Einspruchsentscheidung auch ohne Ergänzung durch die Einspruchsentscheidung vom Oktober 1990 (zweite Einspruchsentscheidung) eindeutig, zu welchen Haftungsbeträgen der Kläger in den einzelnen Zeiträumen für die rückständigen Umsatzsteuern und Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden sollte. Der Haftungsbescheid enthielt eine detaillierte Aufstellung über die von der GmbH für die in Betracht kommenden Zeiträume geschuldeten Umsatzsteuern und Säumniszuschläge. Auch die Quote, mit der der Kläger in Anspruch genommen werden sollte, war bereits im Haftungsbescheid im einzelnen erläutert. Das FA hatte es lediglich unterlassen, aufgrund der ermittelten Haftungsquote auch die Haftungsbeträge für die einzelnen Voranmeldungszeiträume auszurechnen und in die Aufstellung aufzunehmen. Diese ,,Rechenarbeit" war jedoch im vorliegenden Fall entbehrlich, weil das FA den Kläger für sämtliche Rückstände mit derselben Haftungsquote in Anspruch nehmen wollte, was sich daraus ergibt, daß es keine unterschiedlichen Haftungsquoten für die einzelnen Fälligkeitszeiträume angegeben hat.
b) Unbeachtlich ist auch der Umstand, daß die im Haftungsbescheid enthaltene Aufgliederung der Umsatzsteuer und Säumniszuschläge in der ersten Einspruchsentscheidung unterblieb. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Haftungsbescheid insoweit durch die erste Einspruchsentscheidung geändert werden sollte.
c) Die Aufgliederung ist lediglich eine Ergänzung des Haftungsbescheids in Gestalt der ersten Einspruchsentscheidung durch die zweite Einspruchsentscheidung, deren Ziel erkennbar darin bestand, eine vermeintlich notwenige, aber nach Auffassung des Senats in diesem Fall entbehrliche Aufgliederung der Haftungssumme auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume nachzuholen. Die zweite Einspruchsentscheidung enthält keinen eigenständigen Regelungsinhalt (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sie stellt somit gegenüber dem Haftungsbescheid in der Gestalt der ersten Einspruchsentscheidung lediglich einen wiederholenden Verwaltungsakt dar, so daß sich die Frage nach der Zulässigkeit einer nachträglichen Änderung einer Einspruchsentscheidung oder deren Rücknahme und Ersetzung durch eine andere - weitere - Einspruchsentscheidung nicht stellt.
2. Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war somit aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, weil die Vorinstanz wegen der Aufhebung des Haftungsbescheids schon aus formellen Gründen nicht geprüft hat, ob der Kläger überhaupt für die rückständigen Umsatzsteuern und Säumniszuschläge gemäß §§ 34, 69, 191 AO 1977 haftet und ob neben ihm noch andere Personen - etwa H - haften, so daß das FA zwischen der Inanspruchnahme des Klägers und diesen nach seinem Ermessen auszuwählen hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 418613 |
BFH/NV 1993, 146 |