Leitsatz (amtlich)
Das Anbringen bestimmter Arten von Schultafeln an den Wänden von Schulklassen ist eine die Großhandelsbegünstigung des § 7 Abs. 3 UStG ausschließende Bearbeitung des Liefergegenstandes.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1, 3; UStDB § 12 Abs. 1, § 57 Abs. 1
Tatbestand
Die Bfin. betreibt Großhandel mit Schulmöbeln und Lehrmitteln. Sie beliefert unter anderem Behörden mit Schultafeln verschiedener Typen. Die Tafeln werden von selbständigen Handwerkern (in der Regel Tischlern) an den Wänden der Schulklassen angebracht. Dies geschieht bei den Schülerwandtafeln und den Wandklapptafeln in folgender Weise: In die Wand werden Löcher gebohrt, in diese Holzpflöcke getrieben und in die Pflöcke Haken von 6 bis 10 cm Länge geschlagen. Die Zahl der Befestigungsstellen richtet sich nach der Größe der Tafeln. 2 m breite Tafeln werden auf die geschilderte Weise an allen vier Ecken an der Wand befestigt. Die an die Stadt hauptsächlich gelieferten 4 m breiten Friese bestehen aus 2 Teilen, die zur Erhöhung der Festigkeit miteinander verhakt und geschlossen an der Wand angebracht werden. Bei den Schiebetafeln werden in die Bohrlöcher Keilschrauben mit Zementmörtel eingeführt. Die Keilbacken werden mit Hilfe eines Steckschlüssels durch eine Mutter aufgesperrt. Auf die Keilschrauben werden die Tafeln mit den an den oberen Tafelecken befindlichen Winkeln geschoben und durch Festdrehen von Muttern an der Wand befestigt. Die Schiebetafeln werden zusätzlich durch in die Wand einzementierte Maueranker gesichert. Alle Tafeln lassen sich leicht (ohne handwerkliche Vorbildung) von der Aufhängevorrichtung (Haken, Keilschrauben) wieder lösen.
In den Jahren 1950 bis 1952 lagen den Lieferungen der Wandtafeln schriftliche oder fernmündliche Angebotsaufforderungen der Stadt sowie Angebote der Bfin. und Besuche ihres Inhabers zugrunde. Aus den Akten der Stadt X und aus den von der Bfin. eingereichten Belegen ergibt sich, daß in vielen Fällen ausdrücklich die Montage der Wandtafeln von der Stadt X verlangt und von der Bfin. angeboten wurde. In den späteren Jahren ging die Stadtverwaltung dazu über, Angebote durch öffentliche Ausschreibungen einzuholen, in denen ebenfalls die Montage der Wandtafeln gemäß besonderen, zum Teil genau spezifierten Anforderungen verlangt wurde. Die Stadt X legte in ihren Angebotsaufforderungen, in ihren Ausschreibungen und in Einzelschreiben an die Bfin. im Laufe der Zeit immer größeren Wert auf eine fachgerechte, dauerhafte und betriebssichere Befestigung der Tafeln. Im Jahre 1952 ließ sie die bereits gelieferten und befestigten Schiebetafeln durch Einzementierung von Mauerankern zusätzlich sichern. Anfang 1953 forderte sie in einem Schreiben an die Bfin., daß bei der Befestigung von Schiebetafeln von vornherein Maueranker und längere Keilschrauben verwendet würden. Im März 1953 erklärte sich die Bfin. auf Drängen der Stadt X bereit, die Garantie für das fachgerechte Anbringen der Tafeln für zwei Jahre zu übernehmen. Auch in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten vom April 1953 und später in den zahlreichen öffentlichen Ausschreibungen wurde die Übernahme einer Garantie -- zunächst für zwei, später für drei Jahre -- verlangt. In den Jahren 1954 bis 1956 erhielt in der Regel die Bfin. den Zuschlag. Sie ließ die Befestigungsarbeiten durch selbständige Tischler durchführen, die sie anfangs nach Arbeitsstunden, später nach der Zahl der angebrachten Tafeln bezahlte.
Streitig ist,
a) ob die Bfin. in den Fällen, in denen sie die Schultafeln an den Wänden der Klassenzimmer anbringen ließ, den Großhandelssteuersatz von 3/4 bzw. 1 v. H. beanspruchen kann,
b) welchen Umfang (insbesondere in den Jahren 1950 bis 1953) das Anbringen der Schultafeln durch die Bfin. hatte.
Das Finanzamt hat in dem Befestigen der Schultafeln an den Wänden der Klassenzimmer eine umsatzsteuerlich schädliche Bearbeitung der Liefergegenstände erblickt und die streitigen Umsätze -- für die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1954 durch Berichtigungsveranlagungen, für die Veranlagungszeiträume 1955 und 1956 durch erstmalige Veranlagungen -- mit 3 bzw. 4 v. H. zur Umsatzsteuer herangezogen. Das Finanzgericht hat durch Urteil vom . . . . . zunächst über die Veranlagungszeiträume 1953 bis 1956 und durch Urteil vom . . . . . . -- nach Vornahme weiterer Ermittlungen -- über die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1952 entschieden.
Entscheidungsgründe
Die Rbn. haben keinen Erfolg.
Der Senat hält es für angebracht, über die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1956 in einer Entscheidung zu befinden. Er hat daher die beiden in der Berufungsinstanz getrennt behandelten Sachen wieder zu einer Sache zusammengefaßt.
I.
Verfahrensrechtliche Mängel liegen nicht vor.
1. Die Bfin. hat, ohne weitere Ausführungen zu machen, gebeten, die Darlegungen des Finanzgerichts über die Zulässigkeit der Sprungberufung zu überprüfen. Der Senat bestätigt die Auffassung des Finanzgerichts, daß in § 261 AO der Zeitpunkt, von dem an der Vorsteher seine Einwilligung zur Sprungberufung erklären muß, nicht bestimmt wird und die Erklärung daher schon vor dem Ergehen des Steuerbescheides in der im Anschluß an eine Betriebsprüfung stattfindenden Schlußbesprechung abgegeben werden kann.
2. Zu Unrecht rügt die Bfin., daß es das Finanzgericht entgegen ihrem Antrage unterlassen hat, über die Frage, ob sich die Marktgängigkeit von Schultafeln durch das Anbringen an der Wand ändert, das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Es ist nirgends vorgeschrieben, daß zur Feststellung der Verkehrsauffassung stets das Gutachten eines Sachverständigen angefordert werden müßte (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 105/52 S vom 22. Juli 1954, BStBl 1954 III S. 274, Slg. Bd. 59 S. 173). Die Verkehrsauffassung kann sich auch aus anderen Umständen, z. B. aus dem Schriftwechsel, aus den Angaben sachverständiger Personen, aus Aktenvermerken und dergleichen der am Kauf beteiligten Personen ergeben. Auf diese Weise ist im Streitfalle das Finanzgericht bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung vorgegangen. Es hat den Schriftwechsel zwischen der Bfin. und der Stadtverwaltung, insbesondere die zahlreichen Angebotsaufforderungen und öffentlichen Ausschreibungen der Stadt X, die vielen Offerten der Bfin., die Akten der Stadt X und die Aufzeichnungen der Bfin., soweit sie noch vorhanden waren, eingesehen und sachverständige Zeugen (Beamte der Stadtverwaltung, einen Angestellten der Bfin. und einen mit der Befestigung der Schultafeln beauftragten Tischler) vernommen. Das Finanzgericht ist auf Grund dieser umfangreichen und erschöpfenden Beweisaufnahme zu der Feststellung gelangt, daß die Stadt X auf eine fachmännische, dauerhafte und betriebssichere Anbringung der Schultafeln größten Wert legte, daß der Bfin. dies bekannt war, und daß sie die Arbeiten durch Beauftragung fachkundiger Handwerker und Vornahme von Kontrollen dementsprechend durchführen ließ. Über Art und Umfang der Beweisaufnahme entscheiden die Finanzgerichte nach eigenem vernünftigem Ermessen. Die Tatsache, daß Schultafeln der von der Bfin. gelieferten Arten wegen ihrer Größe und ihres Gewichtes bei ungenügender Befestigung eine Gefahr für Lehrer und Schüler bilden, und daß sie daher für den täglichen Gebrauch in Schulen erst nach betriebssicherer Anbringung an der Wand benutzbar sind, ist so offenkundig, daß es weiterer Ermittlungen hierzu durch das Finanzgericht nicht bedurfte. Das gilt um so mehr, als der Senat -- wie unter II. dargelegt wird -- für die Frage, ob und in welchen Fällen das Anbringen von Gegenständen an Wänden die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG ausschließt bzw. nicht ausschließt, in mehreren Urteilen aus neuerer Zeit bestimmte Merkmale aufgestellt hat, die die Entscheidung wesentlich erleichtern.
3. In welcher Weise das Finanzgericht -- wie die Bfin. fordert -- weitere Ermittlungen über die Lieferung von Ersatztafeln, bei denen ein besonderes Anbringen an der Wand nicht in Betracht kam, hätte vornehmen sollen, ist nicht ersichtlich. Aus den Aufzeichnungen der Bfin. ergab sich hierüber nichts, und der Inhaber der Bfin. konnte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Solche Ermittlungen hätten auch, selbst wenn sie möglich gewesen wären, keinen Zweck gehabt, weil der Bfin. die Steuerermäßigung des § 7 Abs. 3 UStG wegen Fehlens des Buchnachweises bezüglich der Bearbeitung der Schultafeln in keinem Falle hätte gewährt werden können.
II.
In der Sache selbst stimmt der Senat im Ergebnis den Vorentscheidungen zu.
1. Nach § 7 Abs. 3 UStG schließt die Bearbeitung des Liefergegenstandes durch den Unternehmer die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes grundsätzlich aus. Der Begriff der "Bearbeitung" ist in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bestimmen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 375/23 vom 23. Mai 1924, Slg. Bd. 14 S. 25; Urteil des Bundesfinanzhofs V 151/59 U vom 5. März 1964, BStBl 1964 III S. 284, Slg. Bd. 79 S. 144). Wirtschaftlich unbedeutende Maßnahmen, die sich lediglich als Nebenleistungen im Rahmen der dem Großhändler obliegenden Aufgabe der Warenverteilung oder gar als bloßer Kundendienst darstellen, fallen nicht darunter. Die Frage, ob das Anbringen eines Liefergegenstandes am Boden, an der Wand oder an der Decke eines Gebäudes oder Raumes ohne stoffliche Veränderung des Gegenstandes als eine steuerlich schädliche Bearbeitung im Sinne des § 12 UStDB oder als eine steuerlich unschädliche Nebenleistung zu beurteilen ist, bereitet im Einzelfalle oft Schwierigkeiten. Es gibt eine Reihe von Grenzfällen. Einige dieser Fälle, die das Anbringen von Hausbriefkästen, Feuerlöschern und Warenautomaten betrafen, hat der Senat erst kürzlich entschieden (vgl. Urteile V 157/64 U vom 22. April 1965, BStBl 1965 III S. 470; V 52/62 U vom 6. Mai 1965, BStBl 1965 III S. 471; V 155/64 U vom 22. April 1965, BStBl 1965 III S. 469). Zur Abgrenzung der steuerlich unschädlichen von den steuerlich schädlichen Maßnahmen des Großhändlers in diesen Fällen hat der Senat die Regel aufgestellt, daß eine "Bearbeitung" des Liefergegenstandes im Sinne des § 12 Abs. 1 UStDB grundsätzlich nicht vorliegt, wenn durch das Anbringen des Gegenstandes am Boden, an der Wand oder an der Decke eines Gebäudes oder Raumes (ohne Bildung einer Sacheinheit oder Sachgesamtheit) der Gegenstand selbst in keiner Weise verändert wird, das Anbringen mit einfachen Mitteln erfolgt, die eine handwerkliche oder technische Schulung nicht voraussetzen, und dadurch der Liefergegenstand einerseits und der Boden bzw. die Wand oder Decke andererseits weder in tatsächlicher noch in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer einheitlichen Sache werden.
2. Prüft man das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Anwendung des § 7 Abs. 3 UStG auf den Streitfall, so ist der Bfin. einzuräumen, daß die erste Voraussetzung gegeben ist. Denn die Schultafeln als solche werden weder durch das Anbringen an der Wand noch durch das Abnehmen von der Wand in ihrer Substanz verändert. Sie können ohne weiteres an einer anderen Wand wieder angebracht und, so lange sie nicht in Gebrauch genommen sind, zu demselben Preis an einen anderen Kunden verkauft werden.
Dagegen fehlt es an der zweiten Voraussetzung. Wie das Finanzgericht auf Grund der Beweisaufnahme festgestellt hat, erfordert das Anbringen der Schultafeln einschließlich der Befestigungsvorrichtungen grundsätzlich eine fachmännische (handwerkliche oder technische) Ausbildung sowie entsprechendes Handwerkszeug. Dies trifft besonders für die Wandschiebetafeln zu, die rund 2 Zentner wiegen, bei deren Befestigung zwei bis vier Mann tätig sind und die seit Anfang 1953 zusätzlich durch in die Wand einzementierte Maueranker gesichert werden. Das gilt aber nach den Feststellungen der Vorinstanz auch für die Schülerwandtafeln (regelmäßig 4 m breite Friese) und die Wandklapptafeln. Auch bei ihnen muß zur Erzielung einer hinreichenden Betriebssicherheit und Dauerhaftigkeit der Befestigung das Anbringen von fachmännisch ausgebildeten Personen besorgt werden.
3. Im Streitfalle liegt eine Werklieferung im Sinne des § 3 Abs. 2 UStG vor. Diese Vorschrift setzt voraus, daß der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstandes übernimmt, mithin ein "Werk" "liefert", das vorher nicht vorhanden war. Der vom Unternehmer gelieferte Gegenstand ist im Falle des § 3 Abs. 2 UStG ein anderer als der von ihm erworbene. Die Lieferung schließt die Leistung als wesentlichen Bestandteil des Lieferungsgeschäfts mit ein. Die Leistung ist keine bloße Nebenleistung, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilt.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle gegeben. Fachmännisch, d. h. mit Sachkunde und infolgedessen betriebssicher und dauerhaft an den Wänden der Schulzimmer angebrachte Schulwandtafeln sind, auch wenn an den Tafeln selbst keinerlei Veränderung eintritt, Gegenstände anderer Marktgängigkeit als auf dem Lager des Großhändlers befindliche Schulwandtafeln. Hierbei kommt entscheidende Bedeutung dem Umstand zu, daß die Stadt X wegen der Gefahr, die eine unsachgemäße Anbringung von Schultafeln für Lehrer und Schüler bedeutet, von der Bfin. die Übernahme einer zwei- bzw. dreijährigen Garantie für die Befestigung der Tafeln verlangt und erhalten hat. Gerade die Forderung einer Garantie beweist, daß die Stadt das Anbringen der Schultafeln nicht als Nebensache oder als bloßen Kundendienst, sondern als sehr wichtigen Bestandteil des Lieferungsgeschäfts angesehen hat. Das Anbringen der Tafeln war wesentlicher Vertragsinhalt und bildete zusammen mit ihrer Lieferung eine einheitliche Leistung. Die von der Bfin. erworbenen, noch keineswegs gebrauchsfertigen Wandtafeln sind durch das Befestigen an der Wand zu "Wandtafel-Einrichtungen" geworden, die -- wenn die Arbeit fachgerecht und sorgfältig ausgeführt wurde -- von den Lehrern und Schülern gefahrlos benutzt werden konnten. Von einer Nämlichkeit der erworbenen und der weitergelieferten Gegenstände kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
Entgegen der Ansicht der Bfin. genügt es zur Annahme einer Werklieferung, wenn der Unternehmer tatsächlich "die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstandes übernommen" hat. Eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung hierüber für jeden Einzelfall braucht nicht nachgewiesen zu werden. Es ist -- entgegen der Ansicht der Bfin. -- auch ohne Bedeutung, ob die Befestigungsmittel (Holzpflöcke, Haken, Keilschrauben, Winkel, Muttern, Maueranker und dergleichen) zu den Nebensachen oder zu den Hauptsachen rechnen, wenn nur die vom Unternehmer selbst beschafften und bearbeiteten Stoffe (die Schulwandtafeln) Hauptsachen sind.
4. Das Finanzgericht hat -- aus den in Abschnitt 3 näher dargelegten Gründen -- die Bfin. mangels Buchnachweises (Nämlichkeitsnachweises) zu Recht mit ihren sämtlichen Lieferungen von Schulwandtafeln mit dem allgemeinen Steuersatz von 3 bzw. 4 v. H. zur Umsatzsteuer herangezogen.
Fundstellen
Haufe-Index 411909 |
BStBl III 1966, 334 |