Leitsatz (amtlich)
1. Als Rechtsgrundlage für die Verpflichtung der Behörde, die Vollziehung eines im Verwaltungsvorverfahren angefochtenen Bescheides auszusetzen, kommt nur § 242 AO n. F. in Betracht.
2. Der Große Senat des BFH ist nicht anzurufen, wenn ein Senat in Abweichung von der Ansicht eines anderen Senats aussprechen will, es sei ernstlich zweifelhaft, ob ein angefochtener Verwaltungsakt rechtmäßig sei, der auf einem (nachkonstitutionellen) Gesetz beruht, dessen Vereinbarkeit mit dem GG nach Ansicht des abweichenden Senats zu bezweifeln ist.
2. Anforderungen an eine Revisionsrüge, mit der Verfahrensmängel geltend gemacht werden.
Normenkette
GG Art. 100 Abs. 1; FGO § 11 Abs. 3, § 40 Abs. 1, § 69 Abs. 1-2, §§ 101, 118 Abs. 3, § 120 Abs. 2 S. 2; AO n.F. § 242
Tatbestand
Durch Bescheide vom 26. September 1968 hat das beklagte FA die Klägerin zur Beförderungsteuer herangezogen; die Beförderungsteuer hat die Behörde wie folgt festgesetzt:
für 1964 auf 46 508,05 DM,
für 1965 auf 26 416,60 DM,
für 1966 auf 30 943,35 DM und
für 1967 auf 94 962,75 DM.
Auf den Einspruch gegen die Bescheide hat der Beklagte den Einspruch insoweit als unbegründet zurückgewiesen, als er sich auf die Steuerfestsetzung für 1965 bezog; im übrigen setzte das FA - gestützt auf § 244 AO n. F. - die Entscheidung über den Einspruch aus. Den gleichzeitig gestellten Antrag, die Vollziehung sämtlicher Beförderungsteuerbescheide auszusetzen, lehnte das FA ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.
Das FG hat auf die Klage die ablehnende Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und das beklagte FA verpflichtet, die Vollziehung der Beförderungsteuerbescheide bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen einer Entscheidung des FG über den Beförderungsteuerbescheid 1965 auszusetzen.
Mit der hiergegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte, das Urteil des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das FG hat seine Entscheidung auf § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO gestützt. Der Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 4/67 vom 4. Dezember 1967 (BFH 90, 461, [468], BStBl II 1968, 199 [202]), auf den sich das FG als Beleg für seine Ansicht bezogen hat, betraf einen Sonderfall. In diesem Fall beruhten die Entscheidungen des FA und der OFD auf § 251 AO a. F. Die Hauptsache war - wie aus dem Tatbestand des Beschlusses des Großen Senats ersichtlich (BFH 90, 462) - bereits rechtshängig.
Im Streitfall ist nur der Beförderungsteuerbescheid 1965 mit der Klage angefochten und insoweit die Rechtshängigkeit eingetreten (§ 66 Abs. 1 FGO). Hinsichtlich der Beförderungsteuerbescheide 1964, 1966 und 1967 ist die Entscheidung über den Einspruch ausgesetzt (§ 244 AO n. F.).
Im Verfahren über die Klage auf Verurteilung zum Erlaß eines Verwaltungsaktes (Verpflichtungsklage - § 40 Abs. 1 FGO -) muß das Gericht prüfen, ob der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, daß es die Behörde abgelehnt hat, den begehrten Verwaltungsakt - hier: Aussetzung der Vollziehung - zu erlassen; die Behauptung, daß dies der Fall sei, ist Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, der Kläger sei durch die rechtswidrige Weigerung der Verwaltungsbehörde, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, in seinen Rechten verletzt, muß es, wenn die Sache spruchreif ist, die beklagte Behörde durch Urteil verpflichten, diesen Verwaltungsakt zu erlassen (§ 101 FGO).
Solange der Bescheid, dessen Vollziehung ausgesetzt werden soll, noch im Einspruchsverfahren auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen ist, kommt als Rechtsgrundlage für die Verpflichtung der Behörde, die Vollziehung des im Verwaltungsvorverfahren angefochtenen Bescheides auszusetzen, nur § 242 AO n. F. in Betracht. Die Verurteilung der Behörde kann nur auf die Vorschrift gestützt werden, die für die Behörde eine Verpflichtung begründen kann. Solange die Bescheide noch nicht mit der Klage angefochten sind, kann die Behörde nur auf der Grundlage des § 242 AO n. F. über die Aussetzung der Vollziehung befinden. § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO gibt der Behörde, wie Abs. 1 dieser Vorschrift verdeutlicht, die Aussetzungsbefugnis nach Klageerhebung in der Hauptsache. Im Ergebnis ist das angefochtene Urteil insoweit trotzdem richtig, weil § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO mit § 242 Abs. 2 Satz 2 AO n. F. - von der Verwendung der Worte "Verwaltungsakt" einerseits und "Verfügung" andererseits abgesehen - wörtlich übereinstimmt.
Aus diesem Grunde braucht auch nicht geklärt zu werden, ob die vorstehend dargelegte Rechtsauffassung auch für die hinsichtlich des Beförderungsteuerbescheides 1965 begehrte Aussetzung der Vollziehung gilt. Die Entscheidung über die Beschwerde gegen die ablehnende Verfügung des Beklagten vom 31. Oktober 1968 stammt vom 31. Januar 1969. Am 25. März 1969 hat der Beklagte über den Einspruch gegen den Beförderungsteuerbescheid 1965 entschieden. Zu einem vom FG nicht festgestellten Zeitpunkt hat die Klägerin die Klage gegen diesen Beförderungsteuerbescheid eingereicht; über die Klage ist noch nicht entschieden. Das angefochtene Urteil im Streit über die Aussetzung der Vollziehung ist nach mündlicher Verhandlung am 30. Mai 1969 ergangen. Auf die Frage, welcher Zeitpunkt hinsichtlich der Rechtslage für die im Streitfall insoweit in Betracht kommende Koppelung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage maßgebend ist (vgl. hierzu Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 113 Rdnrn. 8 ff.; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 42 Anm. D 2 und 3; Redecker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., § 108 Rdnrn. 17 ff., 22 ff.; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., § 108 Anm. III, insbesondere Nr. 2), braucht nicht eingegangen zu werden. Die Entscheidung, ob auszusetzen ist oder nicht, wird angesichts der Wortgleichheit von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO und § 242 Abs. 2 Satz 2 AO nicht dadurch beeinflußt, welche der beiden Vorschriften angewandt wird.
II.
Entgegen der Ansicht des Beklagten hat das FG den Begriff "ernstliche Zweifel" nicht verkannt. Das Gericht hat sich wegen der Bejahung der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beförderungsteuerbescheide auf die Beschlüsse des Senats II S 8/67 vom 27. März 1968 (BFH 91, 547, BStBl II 1968, 491) und II 68 und 91/64 vom 15. Oktober 1968 (BFH 94, 268, BStBl II 1969, 126) bezogen. In dem zuletzt genannten Beschluß hat sich der II. Senat mit der im Urteil V R 128/66 vom 27. Juni 1968 (BFH 92, 144, BStBl II 1968, 488) vertretenen abweichenden Ansicht auseinandergesetzt. In dem zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß II S 4/69 vom 11. November 1969 hat der Senat daran festgehalten, daß es ernstlich zweifelhaft ist, ob durch die FÄ erlassene Beförderungsteuerbescheide rechtmäßig sind.
Obwohl der Senat mit dieser Entscheidung von der im Beschluß V B 11/69 vom 22. Juli 1969 (BFH 95, 467, BStBl II 1969, 564) vertretenen Rechtsauffassung abweicht, ist der Große Senat des BFH nicht nach § 11 Abs. 3 FGO anzurufen. Die Anrufung des Großen Senats kommt nicht in Betracht, wenn ein Senat entgegen der Ansicht eines anderen Senats des BFH ein (nachkonstitutionelles) Gesetz für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält und deswegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht einzuholen hat (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 222). Der Große Senat ist aber auch dann nicht anzurufen, wenn ein Senat in Abweichung von der Entscheidung eines anderen Senats aussprechen will, es sei ernstlich zweifelhaft, ob ein angefochtener Verwaltungsakt rechtmäßig sei, der auf einem (nachkonstitutionellen) Gesetz beruht, dessen Vereinbarkeit mit dem GG nach Ansicht des abweichenden Senats zu bezweifeln ist. Wenn dem Großen Senat kraft Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidungskompetenz in Fällen fehlt, die sich auf die Entscheidung der Hauptsache beziehen, kann er auch nicht in Fällen kompetent sein, in denen es sich nur um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache handelt.
III.
Das Urteil des FG läßt auch insoweit einen Rechtsfehler nicht erkennen, als es den Beklagten zur Aussetzung verpflichtete, ohne die Möglichkeit vorzusehen, von der Klägerin Sicherheitsleistung zu verlangen. Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß die Verwirklichung der von dem Beklagten geltend gemachten Steuerforderung angesichts der wirtschaftlichen Lage der Klägerin gefährdet ist, sind nicht festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO). Selbst wenn man den Hinweis auf den BFH-Beschluß I B 7/67 vom 22. Juni 1967 (BFH 89, 24, BStBl III 1967, 512) in Verbindung mit der Behauptung des Beklagten, die wirtschaftliche Lage der Klägerin sei mit Rücksicht auf die Steuerforderungen gefährdet, als Rüge mangelnder Sachaufklärung auffassen wollte, könnte der Beklagte keinen Erfolg haben.
Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß die Revision oder die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Nur die in dieser Weise gerügten Mängel unterliegen der Prüfung des Revisionsgerichts (§ 118 Abs. 3 FGO). Die als mangelhaft gerügten Prozeßvorgänge sind genau und bestimmt zu beschreiben; der Revisionskläger darf sich nicht darauf verlassen, daß sie das Gericht den Akten entnehmen könne (BFH-Urteil II R 118/67 vom 5. November 1968, BFH 94, 116 [119], BStBl II 1969, 84 [85], mit Nachweisen).
Der Beklagte hat zwar in der Revisionsschrift behauptet, die Bevollmächtigten der Klägerin hätten "eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung beantragt mit der Begründung, daß ihre Mandantin wegen der nachgeforderten Beförderungsteuer mit größter Wahrscheinlichkeit zur Anmeldung des Konkurses verpflichtet sei". Daraus ergebe sich - so hat der Beklagte weiter ausgeführt -, "daß eine Begleichung der Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen Feststellung mehr als fraglich erscheinen muß". Damit will der Beklagte zum Ausdruck bringen, das FG hätte auf Grund der eigenen Ausführungen der Klägerin prüfen müssen, ob eine Sicherheitsleistung geboten sei, und daß das Gericht nach Durchführung dieser Prüfung die Verpflichtung des Beklagten, die Vollziehung auszusetzen, mit der Befugnis für den Beklagten hätte verbinden müssen, Sicherheit zu verlangen.
Die Behauptung des Beklagten über die Ausführungen der Klägerin kann in dem Sinne verstanden werden, daß diese Ausführungen in der Klagebegründung enthalten seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Behauptung kann aber auch in dem Sinne verstanden werden, daß die Klägerin den Hinweis auf ihre finanzielle Lage im Laufe des Verfahrens vor dem FG gegeben habe. In diesem Falle ist der Mangel (d. h. die Tatsache, die das FG nach Ansicht des Beklagten zu Unrecht nicht berücksichtigt hat) nicht genau beschrieben. Die Aktenstelle, aus der sich diese vom Beklagten behauptete Äußerung ergibt, muß bezeichnet sein (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 126 S. 245 [249], Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 14 S. 205 [209 f.]). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die Akten darauf zu untersuchen, ob die von dem Revisionskläger behauptete Tatsache, aus der er einen Verfahrensmangel abzuleiten sucht, aus den in den Akten enthaltenen Schriftsätzen entnommen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 68968 |
BStBl II 1970, 408 |
BFHE 1970, 386 |