Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz des Vertrauensschutzes des Gemeinschaftsrechts; zur Auslegung des Grundsatzes von Treu und Glauben; zur Vorlagepflicht an den EuGH
Leitsatz (NV)
1. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften. Er hat im wesentlichen den gleichen Inhalt wie der nationale Grundsatz von Treu und Glauben.
2. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Steuerrecht setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige und die Finanzbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen. Der Einführer bestimmter Waren kann daher nicht deren Zollfreistellung verlangen unter Hinweis auf einen Runderlaß des BMF, in dem zu Unrecht eine entsprechende Zollfreiheit ausgewiesen war. Ein solcher Erlaß kann auch nicht als verbindliche Zolltarifauskunft angesehen werden.
3. Keine Pflicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes.
Normenkette
EWGVtr Art. 177 Abs. 1; EWGV Art. 177 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte am 30. September, 7. Oktober und 15. Oktober 1980 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) die Abfertigung von Aluminium-Hüttenblöcken der Tarifst. 76.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zum freien Verkehr. Sie hatte diese Waren aufgrund eines Kaufvertrages vom 28. August 1980 bezogen und war beim Einkauf davon ausgegangen, daß diese Waren aufgrund des Interims-Abkommens zwischen der EWG und Jugoslawien vom 6. Mai 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1980, L 130/2 ff.) zollfrei eingeführt werden könnten. Grundlage für diese Annahme war der vom Verlag des Bundesanzeigers (BAnz) als Berichtigung zum Deutschen Gebrauchs-Zolltarif veröffentlichte Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 6. Juni 1980 III B 5 - Z 1239 - 132/80. Dieser Erlaß war inhaltlich falsch. Mit einem Fernschreiben vom 26. Juni 1980 III B 5 - Z 1239 - 149/80 an alle Zollbehörden stellte der BMF klar, daß u. a. Waren der Tarifst. 76.01 A GZT nach einem Satz von 4,1 v. H. zu verzollen seien. Das war zwischen der EWG und Jugoslawien von Anfang an vereinbart. Die genannte Veröffentlichung des BMF-Erlasses vom 6. Juni 1980 wurde nicht berichtigt.
Mit Bescheiden vom 30. September und 7. Oktober 1980 erhob das HZA Zölle nach dem Zollsatz von 6,9 v. H. Mit Änderungsbescheid vom 22. Dezember 1980 setzte das HZA die Zollforderung nach Maßgabe eines Zollsatzes von 4,1 v. H. herab. Das führte zur Erhebung eines auf . . . DM geminderten Zollbetrages. Im Zollbescheid vom 15. Oktober 1980 über . . . DM Zoll war sogleich der Zollsatz von 4,1 v. H. berücksichtigt worden.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 22. Dezember 1980 Einspruch, der am 29. Dezember 1980 beim HZA einging. Zuvor hatte die Klägerin mit Schreiben vom 4. November 1980 wegen der Gültigkeit der Änderung des Deutschen Gebrauchs-Zolltarifs beim BMF angefragt und die Auskunft erhalten, daß ein Zollsatz von 4,1 v. H. anzuwenden sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das HZA wies den Einspruch gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1980 wegen Fristversäumnis als unzulässig, den übrigen Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Die Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1980 sei schon deshalb unbegründet, weil der Einspruch verspätet eingelegt worden sei (§ 355 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Das Schreiben vom 4. November 1980 an den BMF könne nicht als Einspruch angesehen werden. Das HZA habe ohne Rechtsverstoß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Der Rechtsirrtum über die Möglichkeit, sich gegen eine Steuerfestsetzung durch Zollbescheid zu wenden, sei nicht entschuldbar.
Soweit die Einsprüche rechtzeitig eingelegt worden seien, sei die Klage nicht begründet, weil tatsächlich eine Zollbefreiung für die aus Jugoslawien gelieferten Waren nicht bestanden habe und der Zollforderung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegenstehe. Zwar hätte sich durchaus grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Klägerin bilden können. Wenn die Finanzverwaltung wisse, daß der Gebrauchs-Zolltarif von Steuerpflichtigen benutzt werde und sie später eine Veröffentlichung als falsch erkenne, handle sie treuwidrig, wenn sie anschließend eine Berichtigung nur den eigenen Stellen mitteile und die außerhalb dieses Informationskreises stehenden Benutzer der Falschinformation weiterhin aussetze.
Weitere Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben sei aber, daß im konkreten Fall das treuwidrige Verhalten des HZA ursächlich für nachteilige Vermögensdispositionen der Klägerin gewesen sei. Das sei hier nicht erwiesen und nach Überzeugung des FG auch nicht erweisbar. Das ergebe sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin. Auch wenn der Klägerin bekannt gewesen wäre, daß eine Zollfreiheit tatsächlich nicht bestehe, hätte sie keinen wirtschaftlichen Grund gehabt, von dem Bezug der billigen Ware aus Jugoslawien abzusehen. Es sei deshalb nicht überzeugend dargetan, daß die Klägerin durch ihren Irrtum über die Zollfreiheit zu Vertragsabschlüssen veranlaßt worden sein könnte, auf die sie sich sonst nicht eingelassen hätte.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin folgendes geltend:
Der Vorentscheidung sei darin zuzustimmen, daß sich die Finanzverwaltung treuwidrig verhalten habe. Durch die Mitteilung der Zollfreiheit im Gebrauchs-Zolltarif habe die Finanzverwaltung eine sie nach Treu und Glauben bindende Erklärung über eine bestimmte Rechtslage gegeben. Diese habe den Zolltarif betroffen. Die Rechtsfolge ergebe sich aus § 23 des Zollgesetzes (ZG). Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 ZG trete die Bindung an die erteilte Auskunft unmittelbar und ohne jede Bedingung ein.
Der Vorentscheidung könne jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als sie für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zusätzlich eine nachteilige Vermögensdisposition von ihr, der Klägerin, gefordert habe. Selbst wenn man jedoch eine Disposition des Betroffenen für erforderlich halte, so sei diese im vorliegenden Fall dem unstreitigen Sachverhalt zu entnehmen. Sie liege im Abschluß des Kaufvertrages vom 22. August 1980. Sie habe den Kaufvertrag im Vertrauen darauf, daß eine Zollfreiheit bestehe, abgeschlossen. Sie hätte andernfalls entsprechende Waren im EG-Raum zollfrei eingekauft.
Die Revision sei auch bezüglich des Bescheides vom 15. Oktober 1980 begründet. Das FG habe ausdrücklich festgestellt, daß sich die Zollverwaltung treuwidrig verhalten habe. Wenn jedoch die Berufung auf den Zollsatz von 4,1 v. H. gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, so könne sich die Zollverwaltung eben nach diesem Grundsatz gerade nicht auf die Tatsache berufen, daß der Bescheid vom 15. Oktober 1980 bestandskräftig geworden sei.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Zollbescheide vom 30. September, 7. Oktober und 15. Oktober 1980 sowie den Änderungsbescheid vom 22. Dezember 1980 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 1982 aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Zu Recht hat das FG die Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1980 deswegen abgewiesen, weil die Klägerin den Einspruch verspätet eingelegt hat. Der Einwand der Klägerin, das HZA verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn es sich auf diese Verspätung berufe, ist schon deswegen nicht stichhaltig, weil der gerügte Verstoß nicht vorliegt (vgl. die folgenden Ausführungen).
2. Die angefochtenen Bescheide entsprechen den Regelungen des GZT, also geschriebenem Gemeinschaftsrecht. Sie sind daher nur unrechtmäßig, wenn dieses Recht gegen höherrangige gemeinschaftsrechtliche Vorschriften verstößt. In Frage kommt allein der ungeschriebene Grundsatz des Vertrauensschutzes; dieser ist Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 3. Mai 1978 Rs. 112/77, EuGHE 1978, 1019, 1032; Grabitz, Kommentar zum EWGV, Art. 164 Anm. 93 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Dieser Grundsatz, der im wesentlichen den gleichen Inhalt wie der Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des deutschen Rechts hat, greift im vorliegenden Fall aber nicht durch.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Steuerrecht voraus, daß sich der Steuerpflichtige und die Finanzbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen (Urteil des Senats vom 18. März 1986 VII R 55/83, BFHE 146, 294, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch Urteil vom 25. April 1985 V R 123/84, BFHE 143, 383, 389). Ein solches konkretes Rechtsverhältnis zu schaffen war der BMF-Erlaß vom 6. Juni 1980 nicht geeignet. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 146, 294, in dem er entschieden hat, daß ein Einführer gegen eine Zollnachforderung nicht einwenden könne, er habe auf die Richtigkeit eines BMF-Erlasses vertraut, der unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht die Zollfreiheit für bestimmte Waren vorgesehen habe.
3. Auf § 23 ZG kann sich die Klägerin ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt das Vorliegen einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) voraus, durch die bestimmte Zollstellen gebunden worden sind. Der BMF-Erlaß vom 6. Juni 1980 bzw. das Berichtigungsblatt zum Gebrauchs-Zolltarif, in dem dieser BMF-Erlaß abgedruckt war, kann nicht als eine solche vZTA angesehen werden.
4. In Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415) sieht sich der Senat nicht für verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Er geht dabei davon aus, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Gemeinschaftsrecht keine weitergehenden Rechte gewährt als der Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung, die dieser im deutschen Recht gefunden hat. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts hält der Senat für so offenkundig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung bleibt.
Fundstellen
Haufe-Index 414922 |
BFH/NV 1987, 611 |