Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzugsberichtigung bei unzutreffender Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Erstjahr - Revisionsbegründungsfrist bei mangelnder Zustellung des Zulassungsbeschlusses
Leitsatz (amtlich)
Für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs.1 UStG 1980 ist die einer unanfechtbaren und nicht mehr änderbaren Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs selbst dann maßgebend, wenn sie unzutreffend war. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr ―gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr― zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a Abs.1 UStG 1980 gegeben (Begrenzung des BFH-Urteils vom 3.Dezember 1992 V R 87/90, BFHE 170, 472, BStBl II 1993, 411).
Orientierungssatz
NV: Wird ein Beschluß über die Zulassung der Revision nicht nach den Vorschriften des VwZG zugestellt, kann die Revision innerhalb eines Jahres begründet werden.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1 S. 1; UStG 1980 § 15a Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ―mit steuerpflichtigen Umsätzen aus Vermietung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung und ihm zugerechneten Umsätzen aus der Handelstätigkeit von Organgesellschaften― errichtete 1981 in V ein Mehrfamilienhaus mit 13 Wohnungen. Er vermietete sie durch Vertrag vom 3. August 1981 ab 1. Dezember 1981 für eine Monatsmiete von insgesamt 4 840,92 DM an die Immobilien-Verwaltungs-Gesellschaft A (GmbH). Die GmbH vermietete die Wohnungen an Endmieter. Der Kläger verzichtete auf die Steuerbefreiung für die Umsätze aus der Vermietung und machte 1981 aus Rechnungen von Bauhandwerkern über Bauleistungen zur Herstellung der Wohnungen den Abzug dergesondert ausgewiesenen Steuer (von insgesamt 109 636 DM) als Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) erkannte das Zwischenmietverhältnis an und ließ den Abzug der geltend gemachten Vorsteuerbeträge zum Abzug zu.
Die Monatsmieten wurden einverständlich ab 1. April 1985 auf 3 917 DM (ab 1. Oktober 1986 auf 4 090 DM) vermindert. Daraufhin setzte das FA die Umsatzsteuer ab 1985 unter Berücksichtigung eines Vorsteuerberichtigungsbetrages gemäß § 15a des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980) fest. Mit einem Schreiben vom 4. Mai 1990 beantragte der Kläger, den Umsatzsteuerbescheid 1988 vom 30. Oktober 1989 nach § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) u.a. um den darin berücksichtigten Vorsteuerberichtigungsbetrag (§ 15a Abs.1 UStG 1980) von 10 963 DM zu ändern. Dies lehnte das FA in der aus anderen Gründen geänderten Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 vom 27. Juni 1990 ab und wies auch den dagegen eingelegten Einspruch zurück.
Die (auf die Ablehnung der Änderung der Steuerfestsetzung für 1988 beschränkte) Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA antragsgemäß, die Umsatzsteuer für 1988 um 10 963 DM auf 963 396 DM herabzusetzen. Zur Begründung führte es u.a. aus: Das FA hätte das Zwischenmietverhältnis vor der Inhaltsänderung durch Herabsetzung der Mieten wegen Gestaltungsmißbrauchs (§ 42 AO 1977) nicht anerkennen dürfen, weil der Kläger durch den Abschluß eines Mietgarantievertrages mit einem anderen Garantiegeber gegen Mietausfallrisiken gesichert gewesen sei und deshalb von vornherein kein wirtschaftlich verständlicher Grund für eine Zwischenvermietung vorgelegen habe. Diese rechtlich fehlerhafte Beurteilung dürfe nicht durch Vorsteuerberichtigung im Streitjahr, sondern nur durch rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzungen korrigiert werden, in denen der Vorsteuerabzug zugelassen worden sei.
Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.
Der Kläger hält die Revision für unzulässig, weil sie verspätet begründet worden sei. In der Sache ist er der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Sie ist durch das FG zugelassen, rechtzeitig eingelegt und begründet worden. Das FG hat die Revision durch Abhilfebeschluß (gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ―BFHEntlG― i.V.m. § 115 Abs. 2, 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) zugelassen. Das FA hat die Revision innerhalb eines Monats, nachdem ihm dieser Beschluß zugänglich war, eingelegt (§ 120 Abs. 1 FGO).
Die Revision ist auch nicht verspätet begründet worden. Da der Beschluß über die Zulassung der Revision nicht ―wie gesetzlich vorgeschrieben (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO)― nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes ―VwZG― (§ 53 Abs. 2 FGO) zugestellt und dieser Mangel nicht heilbar ist (§ 9 Abs. 2 VwZG), wurde die Revisionsbegründungsfrist (§ 115 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in Gang gesetzt (vgl. zur Wirkung des § 9 Abs. 2 VwZG: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 9 VwZG Rz. 3 m.w.N.). Weil das FA die Revision aber innerhalb eines Jahres begründet hat, ist auch keine Verwirkung eingetreten (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1975 I R 144/74, BFHE 117, 350, BStBl II 1976, 194).
2. Die Revision des FA ist auch begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO). Das FA ist zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 verpflichtet. Die in der Festsetzung enthaltene Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15a UStG 1980 ist rechtmäßig.
Eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge ist vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums ―von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre)― ändern (§ 15a Abs.1 Sätze 1 und 2 UStG 1980). Unter den im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände zu verstehen, unter denen der Unternehmer mittels des bezeichneten Wirtschaftsguts die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs.2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
Die Verhältnisse ändern sich i.S. von § 15a Abs.1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren ―innerhalb des Berichtigungszeitraums― Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung qualifiziert werden. Dabei ist für die rechtliche Würdigung der Umsätze im Erstjahr grundsätzlich die zutreffende Beurteilung maßgebend, nicht aber eine von dieser abweichende Behandlung (§ 15 Abs.2, 3 UStG 1980) durch die Beteiligten.
a) Für die Prüfung, ob in den Folgejahren eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, besteht regelmäßig keine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Umsatzes im Erstjahr. Ist die Steuerfestsetzung für das Erstjahr jedoch unanfechtbar und nicht mehr (z.B. nach § 164 Abs.2, § 165 Abs.2, § 173 Abs.1 AO 1977) änderbar, bewirkt die Bestandskraft in Verbindung mit der Unabänderbarkeit, daß die der Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Anwendbarkeit des § 15a Abs.1 UStG 1980 selbst dann "maßgebend" ist, wenn sie unzutreffend war. Die Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das Erstjahr in Verbindung mit der Unabänderbarkeit gestaltet die für das Erstjahr "maßgebende" Rechtslage für die Verwendungsumsätze. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr ―gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr― zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a Abs.1 UStG 1980 gegeben. Der Vorsteuerabzug kann gemäß § 15a Abs.1 UStG 1980 zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden. Wegen dieser Gestaltungswirkung ist es geboten, den Fall so zu behandeln, wie wenn für das Folgejahr eine Gesetzesänderung eingetreten wäre (vgl. zur Änderung der Verhältnisse durch Gesetzesänderung BFH-Urteil in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
b) Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 wird auch nicht ―wie der Kläger meint― durch den etwa in der Zwischenzeit eingetretenen Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung des Erstjahres 1981 ausgeschlossen. Aus § 169 Abs.1 AO 1977 ergibt sich nichts anderes, weil eine Änderung der Steuerfestsetzung für das Erstjahr nicht vorgenommen wird. Der Vorsteuerberichtigungsbetrag nach § 15a UStG 1980 ist eine unselbständige Besteuerungsgrundlage (vgl. § 16 Abs.2 Satz 2 UStG 1980), die nicht selbständig der Festsetzungsverjährung unterliegt. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 ist die sachlich durch rechtserhebliche Verwendungsänderung gerechtfertigte Korrektur des Sofortabzugs von Vorsteuerbeträgen in Folgejahren. Die Korrektur wird für den Besteuerungszeitraum der Verwendungsänderung durchgeführt.
c) Der Senat hatte in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) ausgesprochen, daß eine fehlerhafte Beurteilung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1973 ("für sein Unternehmen") in einem Folgejahr grundsätzlich nicht nach § 15a UStG 1973 berichtigt werden darf. Daran hält der Senat fest.
Er hat ferner in seinen Urteilen vom 3. Dezember 1992 V R 87/90 (BFHE 170, 472, BStBl II 1993, 411) und vom 21. Januar 1993 V R 15/91 und V R 111/91―allerdings zu den Vorsteuerabzugsvoraussetzungen der Absätze 2 und 3 des § 15 UStG 1980― ausgeführt, daß bei gleichbleibender Verwendung und unveränderter gesetzlicher Regelung bezüglich der Verwendungsumsätze eine spätere andere rechtliche Beurteilung als im Erstjahr nicht zur Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 führt. Der Senat begrenzt die letztgenannte Aussage im Hinblick auf die für den Streitfall erheblichen Erwägungen auf die Fälle, in denen die Steuerfestsetzung mit dem Vorsteuerabzug noch änderbar und nicht unanfechtbar ist. Daraus folgt, daß bei unanfechtbarer und nicht mehr änderbarer Steuerfestsetzung für das Erstjahr die dabei zugrunde gelegte Verwendung der Leistungsbezüge "maßgebend" (§ 15a Abs.1 UStG 1980) ist. Soweit sich aus den zuletzt bezeichneten Entscheidungen eine gegenteilige Aussage ergeben sollte, hält der Senat an dieser nicht fest.
3. Im Streitfall ist die Umsatzsteuerfestsetzung 1981, in der das FA den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen ―zu Unrecht― zugelassen hat, unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In ihr ist eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Grundstücksvermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Wohnungen zugrunde gelegt worden. Im Streitjahr 1988, einem Folgejahr innerhalb des Berichtigungszeitraums, war die Vermietung der Wohnungen ―anders als nach der bindenden Beurteilung für das Erstjahr― zutreffend als steuerfrei (§ 4 Nr.12 Buchst.a UStG 1980) zu beurteilen. Die Zwischenvermietung von Wohnungen unter Verzicht auf die Steuerbefreiung ist ―wenn keine beachtlichen Gründe dafür vorliegen― grundsätzlich als rechtsmißbräuchlich i.S. von § 42 AO 1977 zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931 mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung zur Zwischenvermietung), weil nach den tatsächlichen Umständen vermutet werden darf, daß sie nur erfolgt, um den Vorsteuerabzug zu erlangen. Beachtliche Gründe für die Zwischenvermietung der streitbefangenen Wohnungen sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Damit liegt eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a Abs.1 UStG 1980 vor; denn die Bauleistungen werden nunmehr für steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze (§ 15 Abs.2 Nr.1 i.V.m. § 4 Nr.12 a UStG 1980) verwendet, während für das Erstjahr ―nicht mehr änderbar und deshalb maßgebend― von einer Verwendung der Bauleistungen durch steuerpflichtige, den Vorsteuerabzug zulassende Vermietungsumsätze auszugehen ist.
4. Die Änderung der Steuerfestsetzung für 1988, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, ist auch nicht ―wie der Kläger unter Berufung auf Vertrauensschutz verlangt― mit Rücksicht auf Abschn.217 Abs.3 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1988 geboten. Soweit die Regelung in Abschn.217 Abs.3 UStR 1988 von der Auslegung des Senats abweicht, ist ihre § 15a UStG 1980 widersprechende Anwendung im Steuerfestsetzungsverfahren nicht gerechtfertigt. Finanzgerichte sind an Verwaltungsvorschriften nicht gebunden.
Fundstellen
Haufe-Index 613332 |
BStBl II 1994, 485 |
BFHE 173, 270 |
BB 1994, 197 (Leitsatz und Gründe) |
BB 1994, 713 (Leitsatz) |
DB 1994, 819 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1994, 312 (Kurzwiedergabe) |
HFR 1994, 419 (Leitsatz und Gründe) |
StE 1994, 199 (Kurzwiedergabe) |