Leitsatz (amtlich)
Die Kommission der EG hat nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, indem sie keine Währungsausgleichsbeträge für bestimmte Folgeprodukte der Maisverarbeitung vorgesehen hat.
Orientierungssatz
1. Das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot ist eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört; nach diesem Grundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre (vgl. EuGH-Urteil vom 25.10.1978 Rs. 125/77).
2. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es eine Eigentümlichkeit des Systems der Währungsausgleichsbeträge, daß diese in pauschaler und allgemeiner Weise für Erzeugnisse oder Gruppen von Erzeugnissen festgesetzt werden. Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
EWGV 2140/79; EWGV 974/71 Art. 1 Abs. 2-3, Art. 4 Abs. 2; EWGVtr Art. 95; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) --verbunden in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts-- führten in der Zeit vom 27.November 1979 bis 29.September 1980 von ihnen unter Verarbeitung von Mais hergestellte Waren in Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaften aus. In einzelnen handelte es sich um ...kg einer Zubereitung auf der Grundlage von Stärke (Tarifst.19.02 B II a 7 des Gemeinsamen Zolltarifs --GZT--), um ...kg Klebstoffe aus Stärke (Tarifst. 35.05 B II und IV GZT) sowie um ...kg verätherte, veresterte, kationische Stärke als Hilfsmittel für die Textil-, Papier- und Lederindustrie (Tarifst. 39.06 B GZT). Die Klägerinnen beantragten für die ausgeführten Warensendungen die Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen (WAB) mit der Begründung, die Verordnung (EWG) Nr. 2140/79 (VO Nr.2140/79) der Kommission vom 28.September 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 247/1 vom 1.Oktober 1979) sei insofern rechtswidrig, als sie für die hier in Frage stehenden Waren keine WAB vorsehe, obwohl zur Herstellung dieser Produkte Mais eingesetzt werde. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) lehnte die Anträge ab. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Es gebe keine Rechtsgrundlage für den von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch. Die für die Zeit der hier fraglichen Ausfuhren maßgebliche VO Nr.2140/79 sehe keine WAB für Waren der Tarifst. 19.02 B II a 7, 35.05 B II und IV sowie 39.06 B GZT vor. Ein Rechtsanspruch auf die begehrten WAB lasse sich auch nicht aus der Grundverordnung (EWG) Nr.974/71 (VO Nr.974/71) des Rates vom 12.Mai 1971 (ABlEG L 106/1 vom 12.Mai 1971, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- M 0901) ableiten. Die VO Nr.974/71 sehe nicht vor, daß WAB für alle oder zumindest für sämtliche in Art.1 Abs.2 aufgeführten Erzeugnisse festzusetzen seien. Nach Art.1 Abs.3 VO Nr.974/71 würden WAB vielmehr nur angewandt, wenn sonst "Störungen des Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen" eintreten würden. In Art.4 Abs.2 VO Nr.974/71 sei darüber hinaus ausdrücklich bestimmt, daß kein WAB festgesetzt werde, wenn dieser im Verhältnis zum Durchschnittswert des Erzeugnisses unbedeutend sei. Im Einklang damit habe der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom 5.April 1979 Rs.151/77 (EuGHE 1979, 1469) entschieden, daß die Kommission nicht verpflichtet sei, für alle Erzeugnisse einer Warengruppe WAB festzusetzen.
Die Klägerinnen hätten keine Umstände dargetan, die eine Störung des Warenverkehrs ergäben. Im Hinblick darauf, daß die Klägerinnen als Produzenten eines Aufwertungslandes für den eingeführten Mais WAB bezahlen müßten, aber nicht für alle daraus hergestellten Erzeugnisse bei der Ausfuhr WAB erhielten, seien sie zwar im Vergleich zu Herstellern eines anderen Landes benachteiligt. Dieser Nachteil habe aber augenscheinlich nicht zur Störung des Warenverkehrs geführt.
Es sei kein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu erkennen. Weder der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) noch die VO Nr.974/71 verlangten die vollständige Neutralisierung von Währungsmaßnahmen durch einen alle Produkte erfassenden Mechanismus.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß es keine Rechtsgrundlage für den von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch gibt.
Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, sieht die VO Nr.974/71 nicht vor, daß für sämtliche in Art.1 Abs.2 der Verordnung aufgeführte Erzeugnisse WAB festgesetzt werden müssen (vgl. EuGHE 1979, 1469, 1488, Abs.15 der Gründe). Nach Art.1 Abs.3 Vo Nr.974/71 ist vielmehr jeweils Voraussetzung, daß andernfalls die Währungsmaßnahmen "Störungen des Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen" zur Folge haben. Gleiches ergibt sich aus Art.4 Abs.2 VO Nr.974/71, wonach keine WAB festzusetzen sind, soweit sie im Verhältnis zum Durchschnittswert eines Erzeugnisses unbedeutend sind (vgl. auch EuGH-Urteil vom 3.Juli 1985 Rs.39/84, Abs.21 der Gründe, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1985, 488, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1985, 302). Die Absätze 3 bis 6 der Erwägungsgründe der VO Nr.974/71 belegen die Richtigkeit dieser Auffassung.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 15.Oktober 1980 Rs.4/79 und 109/79 EuGHE 1980, 2823, 2847 und EuGHE 1980, 2883, 2907, jeweils Abs.27 der Gründe, und Urteil vom 15.Oktober 1980 Rs.145/79, EuGHE 1980, 2917, 2937, Abs.13 der Gründe) obliegt es der Kommission, die mit dem Währungsausgleich zusammenhängenden schwierigen technischen und wirtschaftlichen Probleme unter Wahrung einer gewissen Kohärenz und eines Mindestmaßes an Transparenz zu lösen. Dabei verfügt die Kommission über einen weiten Ermessensspielraum insbesondere im Hinblick auf bestehende und drohende Störungen des Handelsverkehrs, auf die Zahl der abhängigen Erzeugnisse, für die ein Ausgleichsbetrag festzusetzen ist, und auf die Inzidenz des für das Grunderzeugnis festgesetzten WAB auf den Preis des abhängigen Erzeugnisses. Es kann unerläßlich sein, pauschale Bewertungen vorzunehmen.
Diese Ermessensbefugnis der Kommission hat allerdings ihre Grenzen (vgl. die zuletzt zitierten EuGH-Urteile Abs.28 bzw. 14 der Gründe). Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kommission diese Grenzen verkannt hat, indem sie in der VO Nr.2140/79 keine WAB für die streitbefangenen Waren vorgesehen hat. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn deswegen Störungen des Warenverkehrs zu befürchten waren. Die Klägerinnen haben aber weder in der Vorinstanz noch in ihrer Revisionsbegründung Umstände dargetan, die eine solche Befürchtung rechtfertigten. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Klägerinnen im Rahmen des geltenden Gemeinschaftsrechts Ein- und Ausfuhren von Mais und Maisverarbeitungserzeugnissen in erheblichem Umfang durchführen, Störungen des Warenverkehrs also nicht eingetreten sind.
Die Klägerinnen berufen sich in erster Linie darauf, die Nichtfestsetzung von WAB für die streitbefangenen Waren verstoße gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot. Dieses Verbot ist eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, der in der Tat zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört; nach diesem Grundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre (vgl. z.B. Urteil des EuGH vom 25.Oktober 1978 Rs.125/77, EuGHE 1978, 1991, 2004).
Es stellt sich die Frage, ob eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes hier schon deswegen ausscheidet, weil Störungen des Warenverkehrs nicht zu befürchten sind und sich die Entscheidung der Kommission daher im Rahmen der Regelung des Art.1 Abs.3 VO Nr.974/71 hielt. Diese Regelung dürfte jedoch wohl dahin zu verstehen sein, daß die Kommission auch dann, wenn solche Störungen nicht zu befürchten sind, zur Festsetzung von WAB für bestimmte Waren dann verpflichtet ist, wenn anderenfalls die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer in relevanter Weise ungleich behandelt würden. Dafür sprechen auch die Urteile in EuGHE 1980, 2823, 2847; 1980, 2883, 2907; 1980, 2917, 2937 (Abs.27 bzw.13 der Gründe), wonach die Kommission im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zur "Wahrung einer gewissen Kohärenz" verpflichtet ist. Es bedarf jedoch keiner Entscheidung dieser Frage. Denn jedenfalls hat die Kommission den Gleichheitssatz nicht verletzt, indem sie für die streitbefangenen Waren WAB nicht festgesetzt hat.
Der EuGH hat in den zuletzt zitierten Urteilen ausdrücklich darauf hingewiesen, "daß die Berechnung der Inzidenz des für ein Grunderzeugnis festgelegten WAB auf die Preise der abhängigen Erzeugnisse bei einer großen Zahl von Erzeugnissen, deren Herstellungsverfahren und Zusammensetzung in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft verschieden sein können, schwierige technische und wirtschaftliche Probleme aufwirft" und es "unerläßlich sein kann, pauschale Bewertungen vorzunehmen" (Abs.27 bzw.13 der Gründe). In seinem Urteil vom 9.März 1978 Rs.79/77 (EuGHE 1978, 611, 620, Abs.8 der Gründe) hat der EuGH betont, es sei eine Eigentümlichkeit des Systems der WAB, daß diese in pauschaler und allgemeiner Weise für Erzeugnisse oder Gruppen von Erzeugnissen festgesetzt würden. Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Danach wird der Gesetzgeber durch das Gleichheitsgebot nicht gehindert, anstelle eines individuellen Wirklichkeitsmaßstabes aus Gründen der Praktikabilität pauschale Maßstäbe zu wählen und sich mit einer "Typengerechtigkeit" zu begnügen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 17.November 1981 VII R 11/79, BFHE 134, 486, 489, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Nur wenn die wirtschaftlichen Folgen einer benachteiligenden Typisierung in einem Mißverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen, genügt diese dem Maßstab des Gleichheitssatzes nicht (vgl. BVerfG-Beschluß vom 26.April 1978 1 BvL 29/76, BVerfGE 48, 227, 239).
Mißt man die Tatsache, daß die Kommission WAB für die streitbefangenen Erzeugnisse nicht festgesetzt hat, an diesen Maßstäben, so ergibt sich (noch) keine Verletzung des Gleichheitssatzes. Zwar ist mit den Klägerinnen festzustellen, daß das System der Festsetzung der WAB für Mais und Maisverarbeitungserzeugnisse u.a. wegen ihrer unterschiedlichen Auswirkungen in Aufwertungs- und Abwertungsmitgliedstaaten in der Tat eine gewisse Kohärenz vermissen läßt. Das erscheint jedoch vertretbar im Hinblick auf die Schwierigkeiten, ein stimmiges System zu schaffen, das nicht zu kompliziert ist und den Verwaltungsaufwand in Grenzen hält. Ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz könnte in der Regelung der VO Nr.2140/79 nur gesehen werden, wenn unverhältnismäßige wirtschaftliche Nachteile für die Unternehmen in den Aufwertungsländern die Folge wären. Das ist jedoch hier (noch) nicht der Fall, wie oben bei der Behandlung der Frage ausgeführt worden ist, ob Störungen des Warenverkehrs zu befürchten sind.
Fundstellen
Haufe-Index 61085 |
BFHE 145, 262 |
BFHE 1986, 262 |
HFR 1986, 201-201 (ST) |