Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafte Versäumung eines Vorsprachetermins durch das Kind bei der Agentur für Arbeit
Leitsatz (NV)
1. Versäumt ein Kind schuldhaft einen von der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit festgesetzten Vorsprachetermin, kann die Registrierung als Arbeitsuchender schon vor Ablauf von drei Monaten gelöscht werden mit der Wirkung, dass der Kindergeldanspruch ab dem Folgemonat entfällt.
2. Die pauschale Behauptung, die Einladungsschreiben seien nicht eingegangen, ist grundsätzlich unsubstantiiert und daher unbeachtlich.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1; SGB III § 38 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über den Kindergeldanspruch des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für seinen 19 Jahre alten Sohn (S) im Zeitraum Mai bis September 2004.
Im November 2003 begann S eine Berufsausbildung als Tischler. Bereits drei Monate später --im Januar 2004-- wurde das Ausbildungsverhältnis noch während der Probezeit beendet. S sprach daraufhin Anfang Februar 2004 bei der Agentur für Arbeit vor, meldete sich arbeitslos und erklärte, die Ausbildung fortsetzen zu wollen. Zu einem daraufhin im April 2004 anberaumten Beratungsgespräch erschien er unentschuldigt nicht. Die Agentur für Arbeit löschte ihn daraufhin in der Liste der Arbeitsuchenden. Nach einem Computerausdruck der Behörde ist S dort erst wieder ab Oktober 2004 als arbeitsuchend gemeldet und nimmt seitdem an einer Fortbildungsmaßnahme teil. Am 1. April 2005 trat S seinen Grundwehrdienst an.
Der Kläger erhielt für S zunächst antragsgemäß Kindergeld, nachdem er bereits im Oktober 2003 bei der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) eine Bescheinigung über den Beginn der Berufsausbildung vorgelegt hatte. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 wurde die Festsetzung zunächst ab November 2004 aufgehoben, weil das Kind nicht mehr in seinem, des Klägers Haushalt lebe und die Kindesmutter den überwiegenden Barunterhalt für das Kind leiste. Dieser Bescheid ist bestandskräftig.
Mit weiterem Bescheid vom 21. Juni 2005 hob die Familienkasse die Festsetzung auch für den Zeitraum Mai 2004 bis Oktober 2004 auf und forderte das Kindergeld für die Monate Mai bis September in Höhe von 770 € zurück. Auf eine Rückzahlung für Oktober 2004 verzichtete sie, weil der Kläger das Kindergeld an S weitergeleitet hatte.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 16. Juni 2006 1 K 303/05 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1595) statt. S habe sich am 9. Februar 2004 bei der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitsuchender gemeldet. Aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebe sich nicht, dass die Arbeitslosmeldung kontinuierlich zu wiederholen sei. Die automatische Löschung als Arbeitsuchender führe nicht zum Wegfall des Anspruchs, zumal weder das Kind noch der Kläger über die beabsichtigte Löschung informiert worden seien und ihnen auch keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, die Löschung bei schuldlosem Verhalten rückwirkend zu beseitigen. S sei dem Beratungsgespräch nicht schuldhaft ferngeblieben. Der Kläger habe unwiderlegt vorgetragen, sein Sohn habe die Aufforderungen zur Arbeitsberatung nicht erhalten. Selbst wenn S nur deshalb vom Beratungstermin keine Kenntnis gehabt habe, weil er sich ohne Benachrichtigung der Agentur für Arbeit vorübergehend nicht in seiner Wohnung, sondern bei seiner Schwester in X aufgehalten habe, könne dies nicht zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen.
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 2004 wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.
a) Wie der Senat mit Urteil vom 19. Juni 2008 III R 68/05, BFHE 222, 349 entschieden hat, wirkt die Meldung eines volljährigen, aber noch nicht 21 Jahre alten Kindes als arbeitsuchend bei der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit nur drei Monate fort (vgl. § 38 Abs. 4 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch --SGB III--). Nach Ablauf dieser Frist muss sich das Kind entgegen der Auffassung des FG erneut als Arbeitsuchender melden, da sonst der Kindergeldanspruch entfällt. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf sein Urteil in BFHe 222, 349.
b) Wirkt ein arbeitsuchendes Kind nicht ausreichend bei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit mit, kann die Agentur für Arbeit die Vermittlung gemäß § 38 Abs. 2 SGB III ggf. schon früher einstellen. Versäumt z.B. ein Kind schuldhaft einen von der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit festgesetzten Vorsprachetermin, kann die Registrierung als Arbeitsuchender schon vor Ablauf von drei Monaten gelöscht werden. Damit entfällt entgegen der Auffassung des FG aber auch der Kindergeldanspruch ab dem Folgemonat des versäumten Termins; denn nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG muss der durch die Meldung begründete Status als arbeitsuchendes Kind durchgängig bestehen, darf also nicht wieder erloschen sein (vgl. Senatsurteil in BFHE 222, 349).
c) Nach der ab 1. Januar 2003 geltenden Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG braucht das volljährige Kind nicht mehr arbeitslos i.S. des SGB III zu sein, es genügt vielmehr, dass das noch nicht 21 Jahre alte Kind nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist. Hiernach genügt abweichend von der Auffassung des FG die Meldung als Arbeitsuchender; die übrigen Merkmale der Arbeitslosigkeit i.S. des § 119 Abs. 1 SGB III wie Eigenbemühungen und Verfügbarkeit brauchen nicht mehr nachgewiesen zu werden (Senatsurteil in BFHE 222, 349).
d) Ist streitig, ob das Kind sich bei der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit gemeldet hat oder ob es schuldhaft einen Vorsprachetermin versäumt hat, hat das FG die Entscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, ggf. unter Anhörung des Kindes oder Zeugeneinvernahmen zu treffen; die Entscheidung ist vom BFH nur eingeschränkt überprüfbar. Dabei obliegt der Nachweis für die Meldung des Kindes oder das schuldlose Terminversäumnis dem Kindergeldberechtigten. Die besondere Mitwirkungspflicht unter Einbeziehung des über 18 Jahre alten Kindes sieht § 68 Abs. 1 EStG ausdrücklich vor (Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 66/05, BFHE 222, 343). Pauschale Angaben, das Kind sei stets bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet oder habe keine Einladungen zu einem Vorsprachetermin erhalten, genügen nicht.
2. Nach diesen Grundsätzen besteht im Streitzeitraum Juni bis September 2004 schon deshalb kein Kindergeldanspruch, da sich S bei der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit zuletzt Anfang Februar 2004 gemeldet und die Meldung nicht nach Ablauf von drei Monaten erneuert hat. Aber auch für den Monat Mai 2004 sind die Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch nicht erfüllt, da S seine Mitwirkungspflichten i.S. des § 38 Abs. 2 SGB III verletzt hat, indem er zu einem von der Agentur für Arbeit festgesetzten Vorsprachetermin im April 2004 unentschuldigt nicht erschienen ist, und damit der Kindergeldanspruch ab dem Folgemonat entfallen ist. Ausweislich des in den FG-Akten befindlichen Computer-Aktenvermerks vom 13. Oktober 2004 hat S hierzu vorgetragen, er habe sich zeitweise in X bei seiner Schwester aufgehalten, daher seien die Einladungen auch nicht bei ihm persönlich angekommen und somit eine Vorsprache nicht möglich gewesen. S hätte bei dieser nicht nur vorübergehenden Abwesenheit sicherstellen müssen, dass ihn Einladungsschreiben der Agentur für Arbeit oder sonstige für den Erwerb eines Arbeitsplatzes wichtige schriftliche Informationen auch tatsächlich erreichen. Dass S die Postweiterleitung an ihn sichergestellt hat, hat der Kläger aber nicht vorgetragen; die pauschale Behauptung, die Einladungsschreiben seien bei S nicht eingegangen, ist unsubstantiiert und daher unbeachtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 2146985 |
BFH/NV 2009, 908 |