Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsaustausch bei Unmöglichwerden der Leistung
Leitsatz (NV)
1. Zahlungen aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs führen nicht zu einem steuerbaren Umsatz, wenn der Berechtigte keinen Anspruch auf Vertragserfüllung gehabt hat, auf den er gegen Entgelt hätte verzichten können. Diese Situation kann bestehen, wenn dem Verpflichteten die Erfüllung seiner Leistungsverpflichtung unmöglich geworden ist.
2. Aus der allgemeinen Bezugnahme des Finanzgerichts auf ,,die Steuer- und Gerichtsakten" ergibt sich nicht, ob und in welchem Umfang weitere, im Urteil nicht ausdrücklich aufgeführte Tatsachen Grundlage der Entscheidung geworden sind.
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; FGO § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte durch Mietvertrag vom . . . Ladenräume in A. bis zum . . . an die Z.-KG zu einem monatlichen Mietzins von . . . DM zuzüglich Nebenkosten vermietet. Nach Abschn. I.1. war die Mieterin berechtigt und verpflichtet, die Räumlichkeiten bei Bezugsfertigkeit zu übernehmen und zum Betriebe eines Lebensmittelgeschäftes mit üblichem Beisortiment zu nutzen. Im . . . schloß die Mieterin das Ladengeschäft, weil ihr durch den Betrieb des Geschäfts erhebliche Verluste entstanden. Die Miete wurde von der Mieterin weiter gezahlt. Da die Klägerin bestrebt war, daß das Ladengeschäft weiterhin tatsächlich betrieben werde, verklagte sie die Mieterin auf Wiedereröffnung des Geschäfts. Im Verlaufe dieses Rechtsstreits schlossen die Vertragsparteien am . . . vor dem Bundesgerichtshof (BGH) folgenden Vergleich:
,,1. Die Beklagte zahlt an die Klägerin bis zum . . . DM . . .
2. Damit sind sämtliche Ansprüche aus dem Mietverhältnis zwischen den Parteien über das Objekt in A. vollständig erledigt. Mit diesem Vergleich ist auch der Rechtsstreit . . . LG R. erledigt.
3. Das Mietverhältnis endet zum . . . Nebenkostenabrechnung erfolgt . . . Die schon bezahlte . . .-miete bleibt der Klägerin.
4. Die Kosten dieses Rechtsstreits und der Sache . . . LG R. werden gegeneinander aufgehoben."
Die Klägerin, die auf die Steuerfreiheit ihrer Vermietungsumsätze nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gemäß § 9 UStG verzichtet hatte, ging in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1981 davon aus, daß es sich bei der Zahlung aus dem Vergleich um nichtsteuerbare Schadensersatzzahlungen gehandelt habe. Durch Umsatzsteuerbescheid vom 23. Juli 1984 unterwarf der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Vergleichssumme der Umsatzsteuer. Er nahm an, daß die Vergleichssumme für den Verzicht der Klägerin auf Vertragserfüllung gezahlt worden sei.
Die hiergegen von der Klägerin erhobene Sprungklage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß die Zahlungen aus dem Vergleich insoweit in Erfüllung eines Schadensersatzanspruches der Klägerin geleistet worden seien, als sie mit der Verletzung der durch Abschn. I.1. des Mietvertrages der Mieterin auferlegten Verpflichtung in Zusammenhang stünden, in den gemieteten Räumen ein Lebensmittelgeschäft zu betreiben. Im Verlauf des von der Klägerin durchgeführten Zivilrechtsstreits, mit dem sie die Erfüllung der der Mieterin obliegenden Betriebspflicht habe durchsetzen wollen, habe sich nämlich herausgestellt, daß der Mieterin offenbar aus wirtschaftlichen Gründen der Betrieb des Lebensmittelgeschäftes nicht möglich gewesen sei. Daher habe beim Abschluß des Vergleichs vor dem BGH festgestanden, daß der Klägerin durch die Nichterfüllung der Betriebspflicht ein Schaden entstanden sei; es sei auch absehbar gewesen, daß ihr künftig ein Schaden entstehen würde, weil die Mieterin zur Erfüllung ihrer Betriebspflicht nicht in der Lage sein würde. Da der Mieterin die Erfüllung der Betriebspflicht für die Vergangenheit objektiv, für die Zukunft subjektiv unmöglich geworden sei, könne in dem Verzicht der Klägerin auf die Erfüllung der Betriebspflicht keine sonstige Leistung im Sinn des Umsatzsteuerrechts gesehen werden, denn eine Willenserklärung, durch die der Unternehmer seinem zur Erfüllung des Vertrages unfähig gewordenen Schuldner eine Ersatzleistung gestatte, sei nicht auf einen Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs bezogen. Nach bürgerlichem Recht befreie nämlich Unmöglichkeit der Leistung oder das Unvermögen des Schuldners von der geschuldeten Leistung. In diesem Fall sei der Schuldner grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet.
Als steuerbar und steuerpflichtig beurteilte das FG dagegen den durch Schätzung ermittelten Teil der Vergleichssumme, der dem Verzicht auf die künftigen Mieteinnahmen entspreche; insoweit sei der Klägerin ein Ersatz für die Mieten zugeflossen.
Klägerin und FA haben - jeweils selbständig - Revision eingelegt.
Die Klägerin wendet sich gegen die Auffassung des FG, der Vergleichsbetrag sei in eine Schadensersatzzahlung und in einen Ersatz für die Mieten aufzuteilen. Es handle sich vielmehr insgesamt um Schadensersatz, denn der Zivilrechtsstreit sei ausschließlich um die Betriebspflicht der Mieterin geführt worden.
Das FA vertritt die Auffassung, daß beim Abschluß des Vergleichs offen gewesen sei, ob die Mieterin noch eine Betriebspflicht getroffen habe und ob eine Schadensersatzverpflichtung der Mieterin gegeben gewesen sei. Im Zivilrechtsstreit seien Schadenersatzansprüche nicht geltend gemacht worden. In dem gerichtlichen Vergleich seien die Parteien übereingekommen, ohne weitere Klärung ihrer gegenseitigen Ansprüche das Mietverhältnis gegen Zahlung von . . . DM an die Klägerin insgesamt vorzeitig aufzuheben; die gesamte Zahlung sei daher der Bemessung der Umsatzsteuer zugrunde zu legen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revisionen wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Vorentscheidung ist wegen fehlerhafter Anwendung sachlichen Rechts aufzuheben, weil die vom FG getroffene Entscheidung, ein Teilbetrag der Vergleichssumme sei nicht Entgelt für eine Leistung der Klägerin, sondern (nichtsteuerbarer) Schadensersatz, durch tatsächliche Feststellungen nicht gedeckt ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1968 II R 36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610).
In umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht ist das FG zwar zutreffend davon ausgegangen, daß ein steuerbarer Umsatz der Klägerin durch die mit dem gerichtlichen Vergleich vom . . . vereinbarte Zahlung der Mieterin insoweit nicht ausgelöst worden wäre, als die Klägerin keinen Anspruch auf Vertragserfüllung gehabt hätte, auf den sie (gegen Entgelt) hätte verzichten können (BFH-Urteile vom 12. November 1970 V R 52/67, BFHE 100, 340, BStBl II 1971, 38, und vom 16. November 1972 V R 8/70, BFHE 107, 545, BStBl II 1973, 171). Die Annahme des FG, diese Situation habe - zivilrechtlich - bestanden, weil der Mieterin die Erfüllung der Betriebspflicht in dem Sinne unmöglich geworden sei, daß sie von ihrer vertraglichen Leistungspflicht befreit gewesen sei, ist jedoch nicht nachprüfbar, weil die Vorentscheidung Tatsachen hierzu nicht enthält. Dem Text des gerichtlichen Vergleichs kann nichts entnommen werden, was für die Auffassung des FG spräche. Dieser läßt eher darauf schließen, daß die Frage, ob der Anspruch der Klägerin gegen die Mieterin rechtlich durchsetzbar gewesen sei, noch offen war und daß wegen dieser Unsicherheit die vergleichsweise Zahlungsvereinbarung im Hinblick auf den Verzicht der Klägerin getroffen worden ist, ihren Anspruch aus der Betriebspflicht der Mieterin nicht weiter zu verfolgen. Für eine abschließende Entscheidung reicht dies jedoch nicht. Andere Feststellungen - auch im Hinblick auf den Rechtsstreit vor dem Landgericht R - fehlen; die allgemeine Bezugnahme des FG auf ,,die Steuer- und Gerichtsakten" genügt nicht; aus ihr ergibt sich nicht, ob und in welchem Umfang weitere, im Urteil nicht ausdrücklich aufgeführte Tatsachen Grundlage der Entscheidung geworden sind (Urteil in BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610, und Urteil vom 21. Januar 1981 I R 153/77, BFHE 133, 33, BStBl II 1981, 517).
Da die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das FG schon aus diesem Grunde gerechtfertigt ist und zu einer umfassenden, erneuten Prüfung durch das FG führt (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 126 Rz. 14), braucht der Senat auf die weiteren Ausführungen der Vorentscheidung und der durch die Revisionsführer vorgebrachten Angriffe nicht einzugehen.
Fundstellen