Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Angehörigen der freien Berufe, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, müssen bei der Buchung der Geschäftsvorfälle die allgemeinen Regeln der kaufmännischen Buchführung befolgen.
Eine Buchführung ohne Kontokorrentkonto kann ordnungsmäßig sein, wenn die Honorarforderungen der Zeitfolge nach in einem Hilfsbuch erfaßt sind und wenn der Steuerpflichtige oder ein sachverständiger Dritter daraus in angemessener Zeit einen überblick über die Außenstände gewinnen kann.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 10a; AO § 161
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl. bearbeitet als Rechtsbeistand vorwiegend Rückerstattungs- und Entschädigungssachen. Die mit den Auftraggebern vereinbarten Erfolgshonorare wickelte er wie folgt ab: Beim Eingang eines Entschädigungsbescheids legt der Stpfl. bei einem Bankhaus ein Konto auf den Namen des Berechtigten an und bittet das Entschädigungsamt, die Entschädigung auf dieses Konto zu überweisen. Nach dem Eingang des Geldes fordert er im allgemeinen das Bankhaus auf, sein Honorar auf sein Postscheckkonto zu überweisen. Gleichzeitig teilt er seinem Auftraggeber mit, daß er über die Entschädigung abzüglich des Honorars verfügen könne. Wenn ein Auftraggeber aber sein Konto bei einer anderen Bank einrichten läßt, muß der Steuerpflichtige die überweisung des Honorars durch den Auftraggeber abwarten.
Der Stpfl. ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG und nimmt als rassisch Verfolgter die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns gemäß § 10 a EStG in Anspruch. Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1963 stellte der Prüfer fest, daß der Stpfl. seine Ansprüche auf die Erfolgshonorare nicht bei ihrer Entstehung in Grundbüchern und Kontokorrentkonten gebucht hatte. Diese Forderungen, die zum 31. Dezember 1959 941 DM betrugen, seien während des Jahres erheblich höher gewesen. Der Stpfl. habe die Ansprüche in der Regel erst bei der Mitteilung an den Auftraggeber in einem "Hilfsbuch" der Zeitfolge nach mit dem Tag der Eintragung, dem Namen des Auftraggebers, der Höhe des Honorars und dem Tag der Zahlung festgehalten. Zum Teil liege zwischen der Eintragung und der Zahlung eine erhebliche Zeitspanne. Das Finanzamt (FA) sah hierin einen Systemfehler der Buchführung und versagte dem Stpfl. für das Streitjahr 1959 die Steuervergünstigung nach § 10 a EStG.
Der Stpfl. hält seine Buchführung für ordnungsmäßig. Er behauptet, seine Außenstände seien während des Jahres gering gewesen. Nur in 10 bis 14 Fällen liege ein etwas größerer Zwischenraum zwischen der Mitteilung an den Auftraggeber und dem Honorareingang. Die Honorarforderungen seien an die Zahlung des Entschädigungsbetrags so gebunden, daß sie erst mit dieser Auszahlung entstanden seien. Er habe sie in seiner Buchführung nicht zuverlässig erfassen können, da er damit habe rechnen müssen, daß seine Auftraggeber sich auf die Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. Juli 1959 und des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 1960 berufen würden, in denen die Gerichte die Nichtigkeit der vereinbarten Erfolgshonorare festgestellt hätten.
Der Einspruch wurde vom Steuerausschuss als unbegründet zurückgewiesen. Die Berufung hatte hingegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1966 S. 20 veröffentlicht ist, führte aus: Für Angehörige der freien Berufe hätten die Regeln einer kaufmännischen Buchführung nur Geltung, soweit die Geschäftsvorfälle für sie die gleiche Bedeutung hätten wie bei einem Kaufmann. Das gelte auch für die Führung eines Kontokorrents. Ein Kaufmann müsse in seinen Büchern Personenkonten einrichten, um einen überblick über die Beziehungen zum jeweiligen Geschäftsfreund zu haben, da der Verkehr mit Kunden und Lieferanten in der Regel nicht nur aus einer Lieferung und einer Zahlung bestehe. Das Kontokorrentkonto habe jedoch für die Angehörigen der freien Berufe keine Bedeutung, wenn diese wie im Streitfall von jedem Auftraggeber nur einen Auftrag erhielten, der noch dazu in kurzer Zeit in einer Summe bezahlt werde. Es würde gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verstoßen, hier vom Freiberufler die Führung von Personenkonten zu verlangen. Dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit habe die Rechtsprechung bisher bei der Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung zu wenig Bedeutung beigemessen. Der Freiberufler dürfe zwar nicht ganz auf die Aufzeichnung der Außenstände und deren Tilgung verzichten. Diesem Erfordernis habe der Stpfl. jedoch in seinem "Hilfsbuch" entsprochen. Die Honorarforderungen brauchten nicht im Grundbuch enthalten zu sein und mit anderen Konten buchmäßig in Beziehung zu stehen; sie beruhten nur auf der Arbeitskraft und hingen nicht mit einem buchmäßig erfassbaren Vorgang zusammen. Das "Hilfsbuch" könne im übrigen auch als ausreichendes Personenkonto gelten. Da es unrationell sei, für Kunden und Auftraggeber mit voraussichtlich nur einem Auftrag ein Personenkonto auf einem besonderen Blatt der handelsüblichen Geschäftsfreundebücher zu führen, müßten sowieso mehrere Kunden oder Auftraggeber auf einem Blatt des Geschäftsfreundebuches geführt werden.
Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung bestehenden Rechts. Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben. Der Stpfl. hat keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Stpfl. kann die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a EStG nur beanspruchen, wenn er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung durch Vermögensvergleich ermittelt. Eine Buchführung ist gemäß den Urteilen des BFH I 47/58 U vom 24. November 1959 (BStBl 1960 III S. 188, Slg. Bd. 70 S. 499) und VI 241/62 U vom 14. Juni 1963 (BStBl 1963 III S. 381, Slg. Bd. 77 S. 172) ordnungsgemäß im Sinne des § 4 Abs. 1 EStG, wenn sie den Anforderungen des § 161 AO und den allgemeinen Regeln einer kaufmännischen Buchführung entspricht.
Der Auffassung des FG, daß ein Angehöriger eines freien Berufs die Regeln der kaufmännischen Buchführung nur zu befolgen habe, soweit die Geschäftsvorfälle für ihn die gleiche Bedeutung hätten wie bei einem Kaufmann, tritt der Senat nicht bei. Ob eine Buchführung ordnungsgemäß ist, ist für alle Berufe und für alle Geschäftsvorfälle nach einheitlichen Gesichtspunkten zu bestimmen. Diese Grundsätze sind dem kaufmännischen Rechnungswesen zu entnehmen, da dieses von den anderen Wirtschaftszweigen zur Ermittlung des Gewinns durch Vermögensvergleich übernommen wurde. Im Kaufmannsstand wurde auch der Begriff der "ordnungsmäßigen" Buchführung entwickelt, an den das EStG auch in § 10 a anknüpft.
Wie das FG zutreffend ausführt, erfordert eine kaufmännische Buchführung, Forderungen und Schulden bei ihrer Entstehung und Zahlung in zeitgerechter Folge im Journal (Grundbuch) und auf Personenkonten (Kontokorrentkonten) zu verbuchen. Entspricht die Buchführung nicht diesen Voraussetzungen, so ist sie wegen Systemmangels nicht ordnungsmäßig, auch wenn die erklärten Gewinne der Besteuerung zugrunde gelegt werden (BFH-Urteile I 303/55 U vom 3. September 1957, BStBl 1958 III S. 102, Slg. Bd. 66 S. 260; VI 195, 196/62 vom 14. Juni 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 172 b, und IV 84/59 vom 10. Mai 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 S. 104). Das gilt für Angehörige der freien Berufe ebenso wie für Gewerbetreibende (BFH-Urteile VI 241/62, a. a. O., und VI 29/62 U vom 13. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 185, Slg. Bd. 78 S. 481). Kontokorrentkonten haben entgegen der Ansicht des FG für die Freiberufler im allgemeinen Bedeutung, auch wenn diese von einem Auftraggeber jeweils nur einen Auftrag erhalten. Sie erleichtern es, bei einer Vielzahl von Auftraggebern auf Anfragen, bei Mahnungen oder bei überprüfung der Liquidität ohne umständliche Nachforschung die Höhe der einzelnen Forderungen festzustellen. Das Kontokorrentkonto dient dabei zugleich der Sicherung der Gläubiger. Es ist schließlich ein zuverlässiges Mittel, durch Gegenkontrolle die Richtigkeit und Vollständigkeit der Buchungen des Kreditverkehrs im Sachkonto des Journals zu überwachen (vgl. BFH-Urteil IV 18/53 U vom 10. April 1953, BStBl 1953 III S. 157, Slg. Bd. 57 S. 403).
Das FG betont mit Recht, daß die Anforderungen an die Buchführung nicht überspitzt werden dürfen; die Buchführung darf nicht Selbstzweck werden. Es übersieht jedoch, daß der BFH dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit kaufmännischen Handelns auch bei der Buchführung stets Rechnung trägt. Das Gesetz und die Rechtsprechung schreiben dem Steuerpflichtigen nicht eine bestimmte Form der Buchführung vor, sondern beurteilen die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung danach, ob der Steuerpflichtige selbst oder ein sachverständiger Dritter sich in dem Buchführungswerk ohne große Schwierigkeit in angemessener Zeit zurechtfinden kann. Unter diesen Voraussetzungen hat der BFH z. B. die monatliche gruppenweise Verbuchung der Geschäftsvorfälle im Journal und auf den Sach- und Personenkonten zugelassen, sofern die Geschäftsvorfälle vorher laufend, richtig und vollständig in Grundbüchern aufgezeichnet sind (BFH-Urteil IV 42/61 U vom 16. September 1964, BStBl 1964 III S. 654, Slg. Bd. 80 S. 500).
Ebenso hält er bei einem verhältnismäßig geringen unbaren Geschäftsverkehr die laufende Führung eines Kontokorrentkontos nicht für notwendig, wenn die unbaren Geschäftsvorfälle der Zeitfolge nach im Grundbuch aufgezeichnet und die am Bilanzstichtag bestehenden Forderungen und Schulden im Kontokorrentbuch ausgewiesen sind. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung Einzelhändlern und Handwerkern mit geringen Krediteinkäufen und Kreditverkäufen gestattet, diese Geschäftsvorfälle anstatt im Grundbuch in einer Kladde festzuhalten (vgl. BFH-Urteile IV 15/51 S vom 23. Februar 1951, BStBl 1951 III S. 75, Slg. Bd. 55 S. 199; IV 356/51 U vom 27. März 1952, BStBl 1952 III S. 122, Slg. Bd. 56 S. 310; IV 174/52 U vom 5. März 1953, BStBl 1954 III S. 106, Slg. Bd. 58 S. 507; IV 2/63 vom 14. Juni 1963, StRK, Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 84). Diese Grundsätze gelten für die Buchführung der Angehörigen der freien Berufe entsprechend (vgl. BFH-Urteil VI 241/62 U, a. a. O.). Auf der anderen Seite ist erforderlich, daß, wer eine Buchführung einrichtet, obwohl vielleicht die Aufzeichnungen der Einnahmen und Ausgaben für ihn das Angemessenere wäre, die Grundsätze der Buchführung beachten muß, wenn er sich auf ihre Ordnungsmäßigkeit berufen will.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, da das FG die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht unter diesen Voraussetzungen geprüft hat.
Das FG muß zunächst prüfen, wann die Ansprüche auf die Erfolgshonorare entstanden sind. Es hat zu dem vom FA bestrittenen Vortrag des Stpfl. Stellung zu nehmen, ob der Eingang der Entschädigungen so eng mit den Honoraransprüchen verbunden war, daß die Forderungen erst beim Eingang entstanden. Sollte hierin nur eine Abrede über die Fälligkeit liegen, so dürften die Honoraransprüche spätestens mit dem Eingang des Entschädigungsbescheides entstanden sein. Da der Stpfl. die Forderungen in seinem "Hilfsbuch" aber in der Regel erst bei der Mitteilung an den Mandanten erfaßte, kann die Buchführung schon wegen dieses Systemmangels nicht ordnungsmäßig sein (vgl. BFH- Urteile IV 226/58 S vom 28. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 291, Slg. Bd. 72 S. 111; IV 93/58 U vom 24. März 1960, BStBl 1960 III S. 268, Slg. Bd. 71 S. 53, und IV 205/60 vom 6. Februar 1964, StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 677). Einer rechtzeitigen Buchung der Forderungen steht die bürgerlich- rechtliche Nichtigkeit der Erfolgshonorare nicht entgegen. Die Ungewißheit, ob sich die Auftraggeber auf die Nichtigkeit berufen würden, hätte der Stpfl. durch Bildung von Wertberichtigungen berücksichtigen können. Sollte der Stpfl. tatsächlich nicht mit dem Eingang dieser Honorare gerechnet haben, so hätte er zumindest seine Ansprüche auf die normalen Gebühren bei ihrer Entstehung buchen müssen.
Im übrigen muß das FG die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung danach beurteilen, ob der Stpfl. oder ein sachverständiger Dritter nach den Eintragungen der Forderungen im "Hilfsbuch" in angemessener Zeit einen überblick über die Außenstände hätte gewinnen können. Dieser überblick richtet sich nicht allein danach, ob der Stpfl. von jedem Auftraggeber nur einen Auftrag bekam. Wesentlich ist hier vor allem wie groß der Kreditverkehr während des Jahres war und wie schnell die Honorare beglichen wurden. Zu diesem Zweck muß das FG die Buchführung des Stpfl. entweder selbst in Augenschein nehmen oder einen Sachverständigen mit der Prüfung beauftragen, wie dies vom Stpfl. auch beantragt wurde. Es kann zu diesem Zweck insbesondere die Oberfinanzdirektion ersuchen, einen geeigneten Betriebsprüfer zu benennen. Ist dies geschehen, so ist dem Stpfl. Gelegenheit zu geben, eventuelle Einwände gegen diesen Prüfer vorzubringen. Das FG muß dann nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob der von der Oberfinanzdirektion benannte Prüfer oder eine andere geeignete Person als Sachverständiger tätig werden soll (BFH-Urteile I 155/61 U vom 18. Dezember 1962, BStBl 1963 III S. 164, Slg. Bd. 76 S. 451; VI 128, 129/64 vom 7. Mai 1965, HFR 1965 S. 487, und VI 248/64 vom 30. Juni 1965, HFR 1965 S. 537).
Fundstellen
Haufe-Index 412010 |
BStBl III 1966, 496 |
BFHE 1966, 535 |
BFHE 85, 535 |