Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Betriebsverpachtung und Betriebsaufgabe
Leitsatz (NV)
Eine schlüssige Erklärung, seinen Gewerbebetrieb aufgeben zu wollen, läßt sich nur dann annehmen, wenn außer der Erklärung einer bestimmten Einkunftsart (hier: Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) noch weitere Umstände hinzukommen, die auf einen möglichen Aufgabenwillen schließen lassen.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1972 ist streitig, ob durch den Verkauf eines verpachteten Hotelgrundstücks ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn (§§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) entstanden ist.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Ehefrau (Klägerin) betrieb bis zum 31. Dezember 1958 ein ihr gehörendes Hotel. Zum 1. Januar 1959 verpachtete sie den Betrieb unter Veräußerung des gesamten Warenbestands und des Inventars zunächst an den Gastwirt A, ab 1. Januar 1961 an den Gastwirt W. W räumte sie im Pachtvertrag vom 19. September 1960 zugleich das Recht ein, das Grundstück jederzeit zum Preis von 80 000 DM zu erwerben. Zu dieser Veräußerung kam es nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte den im Jahre 1959 aus der Veräußerung der anderen Wirtschaftsgüter an den Pächter erzielten Überschuß als begünstigten Veräußerungsgewinn i. S. der §§ 16, 34 EStG. In einem internen Aktenvermerk hielt das FA zugleich die stillen Reserven des Hotelgrundstücks zum Zeitpunkt der Verpachtung fest und vermerkte, daß diese bei einer späteren Veräußerung noch erfaßt werden müßten.
Die vereinnahmten Pachten wurden in den Jahren 1959 bis 1972 als Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklärt und als solche auch nach einer die Jahre 1965 bis 1967 umfassenden Betriebsprüfung im Jahre 1968 der Besteuerung zugrunde gelegt. Bei einer weiteren Betriebsprüfung im Jahre 1975 (Prüfungszeitraum 1971 bis 1973) stellte der Prüfer fest, daß die Klägerin das Hotel (einschließlich 250 qm Grund und Boden) im Jahre 1972 für 310 124 DM an die . . . veräußert hatte. Da sie dem FA gegenüber zu keiner Zeit besondere Erklärungen hinsichtlich der steuerlichen Behandlung des verpachteten Hotels abgegeben hatte, sah der Prüfer darin eine Betriebsveräußerung (einschließlich Überführung der restlichen 1 074 qm Grund und Boden in das Privatvermögen) und ermittelte einen (nach seiner Ansicht begünstigt zu besteuernden) Veräußerungs- und Entnahmegewinn von insgesamt 284 381 DM. Dem folgte das FA und berichtigte die Veranlagung für 1972 entsprechend (Bescheid vom 11. März 1976).
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren machten die Kläger mit ihrer Klage geltend, das FA hätte die stillen Reserven im Jahre 1960 steuerlich erfassen müssen; denn durch die Einräumung des unwiderruflichen Kaufangebots an den Pächter W - der Pachtvertrag habe dem FA vorgelegen - sei subjektiv die Absicht zur endgültigen Aufgabe des Hotelbetriebs dokumentiert worden. Zwar hätten sie diese Absicht dem FA gegenüber möglicherweise nicht in der erforderlichen Eindeutigkeit kundgetan. Unabhängig davon sei die nunmehr im Streit befindliche Versteuerung im Zuge der Veranlagung 1972 nicht zulässig. Nach Änderung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 1963 GrS 1/63 S (BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) sowie dem sog. Verpachtungserlaß der Finanzverwaltung (Gemeinsamer Ländererlaß, vgl. Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen S 2151-10 VB 1/S 2150 vom 28. Dezember 1964, BStBl II 1965, 5) hätte das FA bereits bei der Veranlagung für 1965 prüfen müssen, ob die erklärten Einkünfte weiterhin solche aus Vermietung und Verpachtung oder aus Gewerbebetrieb gewesen seien. Diese Frage hätte spätestens bei der Betriebsprüfung für die Jahre 1965 bis 1967 im Jahre 1968 aufgegriffen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, seien sie - die Kläger - der Ansicht gewesen, daß auch das FA anerkannt habe, das Hotelgrundstück sei vor dem 1. Januar 1965 in das Privatvermögen überführt worden. Selbst wenn das FA damit unrichtig entschieden hätte, sei es daran gebunden. Das Hotelgrundstück müsse deshalb im Zeitpunkt seiner Veräußerung dem Privatvermögen zugerechnet werden.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 15, 16 EStG sowie der §§ 143 ff., 148 der Reichsabgabenordnung (AO). Sie verfolgt ihr Klagebegehren weiter und beruft sich für ihre Ansicht, daß das FA im Jahre 1965 die Frage der Betriebsaufgabe hätte aufklären müssen, auf das BFH-Urteil vom 6. April 1976 VIII R 142/75 (Der Betrieb - DB - 1976, 1702).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzgericht (FG) hat die Ansicht des FA, daß der Verkauf und die Entnahme des Grundbesitzes im Streitjahr 1972 zu einer Betriebsveräußerung geführt habe, zu Recht gebilligt.
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und bei der Aufgabe eines Gewerbebetriebs (§ 16 Abs. 3 EStG) erzielt wird. In der hier zu entscheidenden Frage, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt bei Verpachtung des gesamten Gewerbebetriebs eine Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe vorliegt, hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zwischen dem Zeitpunkt der letzten Verpachtung durch die Klägerin und dem Zeitpunkt der Veräußerung bzw. Entnahme des Grundstücks geändert.
Zunächst war der BFH in Anlehnung an die spätere Auffassung des Reichsfinanzhofs (RFH) davon ausgegangen, daß die Verpachtung eines Gewerbebetriebs nur dann eine gewerbliche Tätigkeit darstelle, wenn die Verpachtung innerhalb eines fortbestehenden Gewerbebetriebs geschehe oder die Tätigkeit des Verpächters während der Verpachtung wegen der laufenden umfangreichen Verwaltungsarbeiten einen eigenen Gewerbebetrieb begründe. In allen anderen Fällen könne nach der Verpachtung des Betriebs keine laufende gewerbliche Tätigkeit erblickt werden. Die Pachteinnahmen gehörten zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Zu versteuern seien die bei Beginn der Verpachtung in den Wirtschaftsgütern des verpachteten Unternehmens ruhenden stillen Reserven. Der Verpächter könne jedoch wählen, ob er die Betriebsaufgabe alsbald oder zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen wolle, wobei das Wahlrecht durch Überführung der verpachteten Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen ausgeübt werde. Spätestens seien die stillen Reserven der Wirtschaftsgüter bei deren Veräußerung zu erfassen (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1955 IV 505/53 U, BFHE 62, 46, BStBl III 1956, 18; vom 2. April 1957 I 53/56 U, BFHE 65, 105, BStBl III 1957, 273; vom 1. September 1959 I 201/58 U, BFHE 69, 590, BStBl III 1959, 482; vom 9. Dezember 1960 VI 3/60 S, BFHE 72, 422, BStBl III 1961, 155).
Von dieser Rechtsprechung ist der Große Senat des BFH im Urteil in BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124 abgegangen (seitdem ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 16 Anm. 140). Dem Gesetz sei der Begriff des ruhenden Gewerbebetriebs fremd; es kenne nur einen bestehenden oder einen aufgegebenen Betrieb. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG sei im Zeitpunkt der Veräußerung des verpachteten Betriebsvermögens ein Veräußerungsgewinn in Höhe des Unterschieds zwischen den Buchwerten im Zeitpunkt der Veräußerung und dem Veräußerungserlös (nach Abzug der Veräußerungskosten) erzielt. Der Verpächter könne wählen, ob er den Vorgang i. S. des § 16 Abs. 3 EStG behandeln und damit die Gegenstände seines Betriebsvermögens in sein Privatvermögen überführen oder ob und wie lange er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen wolle. Solange der Verpächter eine solche Erklärung nicht abgegeben habe, blieben die verpachteten Wirtschaftsgüter in seinem Betriebsvermögen mit der Folge, daß er weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele und Wertschwankungen des verpachteten Betriebsvermögens im Rahmen des § 6 EStG zu berücksichtigen seien. Spätestens aber trete die Betriebsaufgabe mit der Veräußerung des verpachteten Gewerbebetriebs ein.
Im Gemeinsamen Ländererlaß (vgl. BStBl II 1965, 5, 7) haben sich die Länder ,,aus Billigkeitsgründen" bereiterklärt, daß in den Fällen, in denen der Betrieb vor dem 17. März 1964 verpachtet worden ist - was hier zutrifft -, nur die bei Pachtbeginn vorhandenen stillen Reserven versteuert werden, wenn der Verpächter bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist für den Veranlagungszeitraum 1964 die Aufgabe des Betriebs erklärt oder verpachtete Wirtschaftsgüter veräußert.
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das FA im Streitfall nicht gehindert war, die stillen Reserven des veräußerten Grundstücks und des entnommenen Grundstücksteils im Streitjahr 1972 steuerlich zu erfassen.
a) Im Streitfall hat die Klägerin innerhalb der vom Gemeinsamen Ländererlaß festgesetzten Zeit keine Erklärung über die Aufgabe des Betriebs abgegeben. Die Einkünfte aus der Verpachtung hätten also ab dem Veranlagungszeitraum 1964 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) behandelt werden müssen. Die Tatsache, daß dies nicht geschehen ist, kann den Klägern nicht zu ihrem Vorteil gereichen, auch wenn das FA die Einkünfte über das Jahr 1963 hinaus als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung qualifiziert hat. Dies kann nicht dazu führen, die Kläger von den gesetzlichen Folgen der Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe freizustellen. Die Verhältnisse im Streitfall liegen nicht so, daß man annehmen könnte, die Klägerin habe durch schlüssiges Verhalten eine Betriebsaufgabe erklärt, indem sie die Einkünfte sowohl vor wie nach 1964 als solche aus Vermietung und Verpachtung bezeichnet hat. Eine wenigstens schlüssige Aufgabeerklärung könnte man nur dann annehmen, wenn im Streitfall außer der Erklärung einer bestimmten Einkunftsart noch weitere Umstände hinzugekommen wären, die auf einen möglichen Aufgabenwillen schließen lassen konnten. Zwar hat die Klägerin bei der zweiten Verpachtung dem Pächter ein Kaufoptionsrecht eingeräumt; solange diese jedoch nicht ausgeübt war, bestand nach wie vor die Möglichkeit, eines Tages den Gewerbebetrieb selbst weiterzuführen.
b) Die Kläger können sich weder auf das Urteil in DB 1976, 1702 noch auf das BMF-Schreiben in FR 1977, 143 berufen.
Der Sachverhalt im Urteil in DB 1976, 1702 ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß der Verpächter den Betrieb im Mai und Juni 1964 versuchsweise selbst wieder geführt und er dem FA am 18. Juli 1964 mitgeteilt hatte, er habe ,,den Betrieb aus Gesundheitsgründen" wieder aufgegeben, was der Steuerberater am 23. April 1965 dem FA gegenüber bestätigt hatte. Bei dieser besonderen Sachlage hätte das FA tatsächlich Anlaß gehabt, eine Betriebsaufgabe in Betracht zu ziehen und - im Zweifel - beim Steuerpflichtigen nachzufragen. Vergleichbare Verhältnisse liegen im Streitfall nicht vor. Vielmehr kann man hier davon ausgehen, daß sowohl der Kläger wie das FA aus Rechtsunkenntnis der Meinung gewesen sind, die Qualifikation der Pachteinnahmen seien gegenüber den Jahren vor 1964 unverändert geblieben.
Im BMF-Schreiben in FR 1977, 143 ist zwar ausgeführt: ,,Gibt ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewerbebetrieb im ganzen verpachtet hat, keine eindeutige Aufgabeerklärung ab, führt er die Einkünfte aus der Verpachtung in seiner Einkommensteuererklärung jedoch unter den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf, so ist durch Rückfrage bei dem Steuerpflichtigen zu klären, ob er den Betrieb als aufgegeben oder auch während der Verpachtung als fortbestehend ansehen will. Dabei ist dem Steuerpflichtigen auch mitzuteilen, daß von einer Fortführung des bisherigen Betriebs ausgegangen wird und die Pachteinnahmen als Gewinn aus Gewerbebetrieb erfaßt werden, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist eine eindeutige Aufgabeerklärung abgegeben worden ist." Dieses BMF-Schreiben kann dem FA für die Zeit vor Bekanntgabe dieses Schreibens nicht entgegengehalten werden.
3. Die im Revisionsverfahren von den Klägern erhobenen Einwendungen gegen die Berechnung des Veräußerungsgewinns greifen ebenfalls nicht durch. Sie gehen von der Voraussetzung aus, daß bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nur die stillen Reserven des Grundstücks angesetzt werden dürften, die bei Pachtbeginn vorhanden waren. Das trifft jedoch nicht zu. Vielmehr sind nach der seit 1964 ständigen Rechtsprechung des BFH die stillen Reserven zu besteuern, die im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung oder -aufgabe vorhanden gewesen sind. Nach diesen Gesichtspunkten ist das FA verfahren. Da das FA den Steueranspruch des Jahres 1972 geltend macht, war die Verjährung zum Zeitpunkt des Erlasses des berichtigten Sammelbescheids am 11. März 1976 noch nicht abgelaufen. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (Art. 97 § 10 Abs. s 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976, BGBl I, 3341, § 144 Abs. 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965, BGBl I, 1356). Die Verjährung war daher - ungeachtet der Frage ihres Beginns und einer Ablaufhemmung durch die Betriebsprüfung - bei Erlaß des Berichtigungsbescheids für das Jahr 1972 am 11. März 1976 keinesfalls eingetreten.
Fundstellen
Haufe-Index 414320 |
BFH/NV 1986, 726 |