Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung. Bindung des Steuerrechts
Leitsatz (amtlich)
An das handelsrechtliche Wahlrecht, Rückstellungen zu bilden für unterlassene Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt wird, ist das Steuerrecht nicht gebunden.
Normenkette
EStG § 5; AktG § 152 Abs. 7 S. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, beauftragte im Herbst des Streitjahres 1968 eine Firma, ihre Getreidesauganlage zu reparieren. Die beauftragte Firma erklärte in ihrer Auftragsbestätigung vom 19. Dezember 1968, daß die zur Reparatur erforderlichen Teile in etwa drei Monaten geliefert würden. Am 20. Februar 1969 teilte die Firma mit, daß der Liefertermin aus technischen Gründen nicht eingehalten werden könne, daß aber versucht werde, die Auslieferung noch im März 1969 zu erwirken. Die Reparatur wurde dann in den Monaten April bis Juli 1969 durchgeführt. Restarbeiten erstreckten sich bis August 1969.
Die Klägerin bildete in ihrer Handelsbilanz zum 31. Dezember 1968 eine Rückstellung für unterlassene Instandhaltung. Davon entfielen auf die Reparatur der Getreidesauganlage 140 925 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erkannte diese Rückstellung steuerrechtlich nicht an, weil die Reparatur nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Bilanzstichtag durchgeführt worden sei.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Klage hat das FG den Körperschaftsteuerbescheid dahin geändert, daß es die Rückstellung für unterlassene Instandhaltung zugelassen hat. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung dürften steuerrechtlich in dem bisher zugelassenen Umfang weiter gebildet werden. Die Frist von drei Monaten, innerhalb der die Reparaturarbeiten im neuen Geschäftsjahr durchzuführen seien, sei allerdings nur eine Richtschnur, die unter den veränderten Verhältnissen (Lage auf dem Arbeitsmarkt, lange Lieferfristen) verlängerungsfähig sei. Im Streitfall habe die Klägerin ohne Verzögerung den Auftrag erteilt, die unaufschiebbaren Reparaturarbeiten durchzuführen. Sie habe ernsthaft damit rechnen können, daß die Arbeiten innerhalb der Dreimonatsfrist begonnen würden, was zur Einhaltung der Frist genüge. Die Verzögerung beruhe auf Gründen, die außerhalb des Dispositionsspielraumes der Klägerin gelegen hätten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung der § 6 Abs. 1 KStG, § 5 EStG gerügt wird. Das FA vertritt die Auffassung, die Rückstellung für unterlassene Instandhaltung sei nur bei einer geringfügigen zeitlichen Verschiebung aus Vereinfachungsgründen zulässig. Geringfügig sei die zeitliche Verschiebung nur dann, wenn die Reparatur innerhalb von drei Monaten nach dem Bilanzstichtag ausgeführt werde. Im Streitfall sei diese Frist überschritten worden. Auf die Gründe für die Verzögerung komme es nicht an.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Rückstellung für unterlassene Instandhaltung, soweit sie den Gegenstand des gegenwärtigen Rechtsstreits bildet, ist steuerrechtlich nicht zulässig (§§ 4, 5 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG).
1. Nach § 152 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 AktG dürfen Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung gebildet werden, wenn die Aufwendungen im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden. Für die Bildung dieser Rückstellungen besteht nach überwiegender handelsrechtlicher Auffassung, die der Senat teilt, ein Wahlrecht (Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Bd. 1, § 152 Tz. 159). An handelsrechtliche Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte ist das Steuerrecht grundsätzlich nicht gebunden (Beschluß des BFH vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291). Das bedeutet für Passivierungswahlrechte, daß Beträge, die handelsrechtlich passiviert werden dürfen, aber nicht müssen, steuerrechtlich nicht passiviert werden dürfen, es sei denn, daß die steuerrechtlichen Gründe für die Ablehnung eines Wahlrechts im Einzelfall nicht zutreffen, wie z. B. für Pensionsrückstellungen (§ 6 a EStG).
Den Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung nach § 152 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 AktG liegen - ebenso wie den dort genannten Rückstellungen für Abraumbeseitigung - keine rechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten, sondern betriebswirtschaftliche Verpflichtungen gegen sich selbst zugrunde. Deshalb besteht handelsrechtlich keine Passivierungspflicht, sondern ein Passivierungswahlrecht. Macht eine Gesellschaft von diesem Wahlrecht in der Weise Gebrauch, daß sie die Rückstellung für unterlassene Instandhaltung nicht bildet, so liegt darin keine gesetzwidrige Überbewertung. Bildet sie die Rückstellung, so verlagert sie bilanzrechtlich Aufwendungen des laufenden Geschäftsjahres in das vergangene Geschäftsjahr. Das ist mit dem Zweck der steuerrechtlichen Gewinnermittlung, den vollen Gewinn eines Wirtschaftsjahres zu erfassen, nicht vereinbar. Die Bedenken, die der BFH-Beschluß GrS 2/68 gegen die Anerkennung eines Bilanzierungswahlrechts geäußert hat, treffen hier grundsätzlich zu.
2. Der Reichsfinanzhof hat daher die Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung ursprünglich abgelehnt (vgl. Mathiak, FR 1974, 415). Erst der Oberste Finanzgerichtshof (OFH) und der BFH haben es für vertretbar gehalten, eine Rückstellung für unterlassene Instandhaltung zu bilden, wenn sich die Ausführung unaufschiebbarer Instandsetzungsarbeiten nur kurze Zeit, d. h. drei Monate nach dem Bilanzstichtag, verzögert (BFH-Urteil vom 15. Februar 1955 I 54/54 U, BFHE 60, 448, BStBl III 1955, 172; OFH-Urteil vom 28. Februar 1948 I 10/47 U, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz § 4, Rechtsspruch 4). Die Rückstellung soll nach diesen Entscheidungen der Vereinfachung der Buchführung dienen, ohne daß näher angegeben worden wäre, worin diese Vereinfachung liegt.
Der erkennende Senat hat erhebliche Bedenken geäußert, diese Rechtsprechung aufrechtzuerhalten (Urteil vom 16. Mai 1973 I R 186/71, BFHE 110, 325, BStBl II 1974, 25). Er braucht im Streitfall diese Frage, auch die Frage einer Weitergeltung der Rechtsprechung als Gewohnheitsrecht (Mathiak, a. a. O.), nicht abschließend zu prüfen. Denn die Klägerin hat die Instandsetzungsarbeiten erst innerhalb von sieben oder acht Monaten nach dem Bilanzstichtag durchgeführt. Die Rückstellung für unterlassene Instandhaltung könnte allenfalls unter der Voraussetzung gebildet werden, daß die Instandsetzungsarbeiten innerhalb von drei Monaten nach dem Bilanzstichtag nicht nur begonnen, sondern vollständig ausgeführt werden. Worin auch immer die Vereinfachung der Buchführung durch diese Rückstellung liegen mag, ein Abweichen von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Verhältnisse am Bilanzstichtag vermag sie nur in engen zeitlichen Grenzen zu rechtfertigen, für deren Festsetzung sich die gesetzlichen Fristen von drei Monaten zur Aufstellung der Bilanz anbieten (§ 148 Abs. 1 AktG, § 41 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung).
Fundstellen
Haufe-Index 71399 |
BStBl II 1975, 535 |
BFHE 1975, 362 |