Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Abzugs gezahlter Stückzinsen
Leitsatz (NV)
Beim Erwerb von festverzinslichen Wert papieren gezahlte Stückzinsen stellten unter der Geltung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG vor 1994 negative Einnahmen erst im Zeitpunkt des Zuflusses der vom Steuerpfl. aus den entsprechenden Wertpapieren erzielten Zinseinnahmen dar.
Normenkette
EStG vor 1994 § 20 Abs. 2 Nr. 3 S. 2; EStG § 52 Abs. 20 S. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Streitjahr 1989 nach Ablauf der jeweiligen Zinstermine festverzinsliche Wertpapiere. Dabei vergütete er den Veräußerern Stückzinsen in Höhe von ... DM. Der Kläger begehrte vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --), diese Stückzinsen bereits bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen für 1989 abzuziehen. In dem angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid 1989 lehnte das FA dies unter Hinweis auf Abschn. 155 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1987 ab. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 32 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 und der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 20 Satz 4 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) zum Wegfall des Satzes 2 in § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG. Entgegen der Ansicht des FG habe § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 eine eindeutige Regelung über den Zeitpunkt des Abzugs der vom Erwerber eines festverzinslichen Wertpapiers gezahlten Stückzinsen dahin getroffen, daß diese Zinsen erst im Jahr der Einlösung des Zinsscheines abzuziehen gewesen seien. Wie sich aus der amtlichen Begründung zu § 20 und § 43 a Abs. 2 EStG i. d. F. des StMBG ergebe, habe der Gesetzgeber mit der Streichung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 bezweckt, daß abweichend vom bisherigen Recht die gezahlten Stückzinsen bereits im Jahr ihres Abflusses abzuziehen seien (BRDrucks 612/93, S. 61, 64 f.). Dies gelte jedoch erstmals für Stückzinsen, die nach dem 31. Dezember 1993 gezahlt würden (§ 52 Abs. 20 Satz 4 EStG i. d. F. des StMBG).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Dem FG kann nicht darin beigepflichtet werden, daß die streitigen Stückzinsen bereits in den Zeitpunkten ihrer Zahlung und damit schon im Streitjahr 1989 als negative Einnahmen zu berücksichtigen seien. Vielmehr stellen sie negative Einnahmen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184; vom 25. September 1968 I R 52/64, BFHE 93, 444, BStBl II 1969, 18, 25; vom 11. August 1971 VIII R 76/70, BFHE 103, 160, BStBl II 1972, 55; Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. N 29) erst in den Zeitpunkten des Zuflusses der vom Kläger erzielten Zinseinnahmen aus den entsprechenden Wertpapieren und damit im Veranlagungszeitraum 1990 dar.
a) Nach dem für die Beurteilung des Streitfalles maßgeblichen § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 sind die "bei der Einlösung oder Weiterveräußerung der Zinsscheine vom Erwerber der Zinsscheine vereinnahmten Zinsen ... um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine zu kürzen". Diese -- inzwischen durch das StMBG aufgehobene -- Regelung ist von der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur und der Finanzverwaltung dahin verstanden worden, daß die vom Erwerber eines festverzinslichen Wertpapieres gezahlten Stückzinsen nicht bereits im Zeitpunkt ihres Abflusses, sondern erst in dem Moment zu berücksichtigen sind, in welchem dem Erwerber die auf die laufende Zinsperiode entfallenden Zinseinnahmen zufließen (vgl. Schmidt/Heinicke, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 20 Rdnr. 177; Bordewin in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. 577; Riegler in Littmann/Bitz/Hellwig, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. 272; Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. 383; Blümich/Stuhrmann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 20 Rdnr. 336 ff.; Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. N 30; Seemann in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. 169; Scheurle, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 3, S. 8895, 8896 f. und 8899; Abschn. 155 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 EStR 1987; a. A. -- allerdings bezogen auf die Zeit vor Einführung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG a. F. -- Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 20 EStG Rdnr. 385; kritisch zur Abweichung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG a. F. vom Abflußprinzip Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Hellwig, a.a.O., § 11 Rdnr. 163; Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. N 4; Höhn, Betriebs-Berater -- BB -- 1979, 1180; vgl. auch Risse, BB 1979, 814; Quitmann, Finanz-Rundschau 1984, 12).
b) Dieser Ansicht tritt der erkennende Senat bei. Für ihre Richtigkeit spricht zunächst der Wortlaut des § 20 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG 1987. Wenn es dort heißt, daß die vereinnahmten Zinsen "um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine", d. h. also um die beim Erwerb gezahlten Stückzinsen, "zu kürzen" seien, so legt dies eine Deutung in der Weise nahe, daß der Abzug der gezahlten Stückzinsen bis zur Vereinnahmung der aus demselben Papier für die laufende Zinsperiode erzielten "positiven" Kapitaleinnahmen hinausgeschoben werden sollte. Anderenfalls könnte von einer "Kürzung" der vom Erwerber bei Ablauf der Zinsperiode oder bei vorheriger Veräußerung erzielten Zinseinnahmen (Stückzinseinnahmen) nicht die Rede sein. Diese Einnahmen wären vielmehr wegen des bereits früher (evtl. in einem früheren Veranlagungszeitraum) erfolgten Abzugs der gezahlten Stückzinsen ungekürzt und damit auch insoweit zu erfassen, als sie auf die Zeit vor dem Erwerb durch den Steuerpflichtigen entfielen.
Gegen die vom FG vorgenommene Auslegung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 spricht überdies und vor allem die im Wortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 klar zum Ausdruck gebrachte konkrete Zuordnung der gezahlten Stückzinsen zu einem bestimmten veräußerten oder eingelösten Wertpapier (Zinsschein): "Die bei Einlösung oder Weiterveräußerung der Zinsscheine erzielten Einnahmen ... sind um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine" (meint: der nämlichen Zinsscheine) "zu kürzen". Einer solchen konkreten Zuordnung hätte es nicht bedurft -- sie wäre gar unverständlich --, wenn der Gesetzgeber die vom Steuerpflichtigen (Erwerber) gezahlten Stückzinsen ohne Blick auf die aus demselben Papier erzielten künftigen Kapitaleinnahmen bereits im Zeitpunkt ihrer Zahlung zum Abzug hätte zulassen wollen. Die in § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 vorgenommene konkrete Zuordnung der gezahlten Stückzinsen zu den Erträgen aus derselben Kapitalanlage, d. h. zu den bei der Veräußerung oder Einlösung desselben Papiers eingenommenen (Stück-)Zinsen, war denn auch ein maßgeblicher Grund dafür, daß der Gesetzgeber die Regelung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 durch das StMBG aufgehoben hat. Wie die Revision zutreffend ausführt, sahen sich die Kreditinstitute bei der Einbehaltung der im Zuge des StMBG eingeführten Zinsabschlagsteuer zu einer konkreten Zuordnung der gezahlten Stückzinsen zu den aus demselben Wertpapier erzielten Kapitaleinnahmen nicht in der Lage. Aus diesem Grund ist für die Erhebung der Zinsabschlagsteuer ein "modifiziertes Nettoprinzip" geschaffen worden, wonach für die Bemessung der Zinsabschlagsteuer von den in einem Kalenderjahr bezogenen Zinseinnahmen bis zu deren Höhe alle im selben Kalenderjahr gezahlten Stückzinsen unabhängig davon abzuziehen sind, für welche Papiere sie aufgewendet wurden (BTDrucks 12/5630, S. 62). Dieses für die Erhebung der Zinsabschlagsteuer geschaffene "modifizierte Nettoprinzip" sollte "aus Gründen der Übersichtlichkeit für den Steuerpflichtigen" auch bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen im Rahmen des § 20 EStG angewendet werden (BTDrucks 12/5630, S. 59, zu § 20 EStG, und S. 62, zu § 43 a Abs. 2 EStG; BRDrucks 612/93, S. 61, zu § 20 EStG). Einer solchen Anwendung stand nach Auffassung des Gesetzgebers allerdings § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG 1987 entgegen. Diese Bestimmung wurde deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1994 (vgl. § 52 Abs. 20 Satz 4 EStG) aufgehoben. In dieser Aufhebung sah der Gesetzgeber -- entgegen der Ansicht des FG -- eine Abweichung vom bisherigen Recht und eine "Rückkehr zum reinen Zufluß-/ Abflußprinzip" (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59, zu § 20 EStG; BRDrucks 612/93, S. 61, zu § 20 EStG; vgl. auch Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. N 30). Das dokumentiert auch die -- andernfalls leerlaufende -- Übergangsregelung des § 52 Abs. 20 Satz 4 EStG.
Auch die Entstehungsgeschichte des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG a. F. belegt die Richtigkeit der vom Senat vertretenen Auffassung. § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a. F. ist durch das Körperschaftsteuerreformgesetz (KStRG) vom 31. August 1976 (BGBl I 1976, 2597, BStBl I 1976, 445) in das Gesetz eingefügt worden und sanktionierte die bereits vor 1977 durch die Finanzverwaltung (vgl. Abschn. 155 Abs. 1 Satz 4 EStR 1975) und die Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. die BFH-Urteile in BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184; in BFHE 93, 444, BStBl II 1969, 18, 25; in BFHE 103, 160, BStBl II 1972, 55) geübte Praxis (Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. N 3). Dieser Praxis lag die Vorstellung zugrunde, daß die beim Kauf eines festverzinslichen Wertpapiers samt Zinsscheinen an den Veräußerer gezahlten Stückzinsen "beim Erwerber gewissermaßen nur durchlaufende Gelder" darstellten und "ihre Verrechnung ... nur eine banktechnische Methode (sei), um in möglichst einfacher Form die Zinsen einer Zinsperiode auf den Veräußerer und den Erwerber des Wertpapiers zu verteilen". Soweit die vom Erwerber vereinnahmten Zinsen auf die Besitzzeit des Veräußerers entfielen, ziehe er "gewissermaßen nur eine Zinsforderung ein, die er zuvor vom Veräußerer entgeltlich erworben habe ... " (BFH-Urteil in BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184, 185, rechte Spalte; vgl. ferner auch BFH-Urteil in BFHE 103, 160, BStBl II 1972, 55). Die konsequente und zwingende Folge eines solchen -- bei der Einführung des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a. F. durch das KStRG vom Gesetzgeber vorgefundenen -- Verständnisses vom wirtschaftlichen Gehalt der "Stückzinsengeschäfte" konnte nur sein, daß die vom Erwerber aufgewendeten Stückzinsen nicht bereits bei ihrer Zahlung, sondern unabhängig vom Zeitpunkt der Anschaffung des Wertpapiers erst von den bei der Veräußerung oder Einlösung des Zinsscheins eingenommenen Stückzinsen bzw. Zinsen abgezogen werden konnten.
Fundstellen
Haufe-Index 65808 |
BFH/NV 1997, 17 |