Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen Treu und Glauben bei der Beurteilung der Tätigkeit eines EDV-Beraters
Leitsatz (NV)
1. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nicht vor, wenn das Finanzamt die Tätigkeit eines EDV-Beraters bei der Gewerbeanmeldung 1965 und auch im Jahr 1967 nicht als gewerbliche Tätigkeit beurteilt, davon aber in den Veranlagungszeiträumen 1975 bis 1977 abweicht.
2. Der Beruf des EDV-Beraters ist steuerrechtlich als eigenständiger Beruf zu verstehen. Die Tätigkeit des EDV-Beraters ist mit der eines beratenden Betriebswirts nicht vergleichbar.
Normenkette
BGB § 242; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) studierte nach dem Abitur sechs Semester Elektrotechnik an einer Technischen Hochschule und anschließend acht Semester Betriebswirtschaft an einer Universität. Eine Abschlußprüfung legte er in keinem Studienfach ab. Ab Mitte 1963 wurde er als Angestellter bei einem Bundesamt in der Datenverarbeitung ausgebildet. Ergänzend dazu besuchte er einen von der Deutschen Angestelltengewerkschaft veranstalteten Abendkurs für Datenverarbeitung. Von 1964 bis 1969 war er im Bereich der Datenverarbeitung als Arbeitnehmer und ab 1965 außerdem nebenberuflich auf dem gleichen Gebiet selbständig tätig. Seit dem 1. Juli 1969 ist der Kläger ausschließlich selbständig tätig. Unter der Bezeichnung ,,EDV-Beratung und Programmierung" war er in den Streitjahren 1975 bis 1977 im wesentlichen für insgesamt vier Firmen tätig. Er erstellte für sie jeweils EDV-Programme für Buchhaltung, Lohnabrechnung, Provisionen und Aufträge, Verkaufsstatistik, Inventur und Fertigung.
Die Umsätze des Klägers besteuerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ab 1969 mit dem ermäßigten Steuersatz, auch in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Umsatzsteuerbescheiden 1975 bis 1977. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung änderte das FA diese Steuerfestsetzungen, hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf und besteuerte die Umsätze des Klägers in den Umsatzsteueränderungsbescheiden 1975 bis 1977 - alle vom 28. November 1979 - mit dem regelmäßigen Steuersatz, indem es die Steuer mit einem Steuersatz von 11 v. H. aus den Einnahmen herausrechnete.
Das FA vertrat die Auffassung, es handele sich nicht um begünstigte Umsätze (§ 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) aus einer freiberuflichen Tätigkeit, sondern um nichtbegünstigte Umsätze aus Gewerbebetrieb.
Der Einspruch und die Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unzureichende Aufklärung des Sachverhalts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Falls der Kläger mit dem Hinweis, das FG habe seine in der mündlichen Verhandlung dargestellte und aus den vorgelegten Unterlagen ersichtliche Tätigkeit als Systemanalytiker nicht berücksichtigt, die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung hat erheben wollen, so wäre diese Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Der Kläger hat nicht - wie es § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO) verlangt - die Tatsachen bezeichnet, die diesen Verfahrensmangel ergeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84). Er hätte in der Revisionsbegründung darlegen müssen, ob und welche von ihm angebotenen Beweise zu welchen tatsächlichen Behauptungen das FG ihn übergangen hat.
Nach Auffassung des Senats wendet sich dieser Vortrag des Klägers jedoch gegen die Schlußfolgerungen, die das FG aus den ihm vorgelegten Unterlagen gezogen hat, er habe nur Programme für ihm vorgegebene Bereiche erstellt, sich aber nicht wie ein Systemanalytiker mit der Planung und dem Entwurf von Automationsvorhaben befaßt. Damit ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, daß diese Würdigung tatsächlicher Art durch das FG nicht möglich sein sollte oder daß sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße.
b) Auch soweit der Kläger einen Verfahrensmangel darin sieht, daß das FG nicht auf die beiden Meinungsäußerungen von Beamten des FA bei der Gewerbeanmeldung 1965 und im Februar 1967 eingegangen ist, nach denen er sich nicht gewerblich betätige, hat seine Rüge keinen Erfolg.
Selbst wenn das FA bei Beginn der selbständigen Tätigkeit des Klägers im Jahre 1965 und auch im Jahre 1967 von einer freiberuflichen Tätigkeit ausgegangen sein sollte, läge kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn es an dieser jedenfalls für die Streitjahre 1975 bis 1977 unzutreffenden Rechtsansicht nicht festhält. Eine mögliche Bindung hätte sich nur für die Veranlagungszeiträume ergeben können, auf die sich die rechtliche Beurteilung beziehen konnte. Dies waren nicht die Veranlagungszeiträume 1975 bis 1977. Ebensowenig begründet die Ausübung des Vorbehalts der Nachprüfung und die Abweichung von der in den Vorbehaltsbescheiden vertretenen Rechtsansicht über die steuerrechtliche Einordnung der Tätigkeit des Klägers grundsätzlich einen Verstoß gegen Treu und Glauben (vgl. BFH-Entscheidung vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428). Die als Folge der geänderten Rechtsauffassung für den Kläger eingetretene Belastung mit Gewerbesteuer ist kein Ausnahmesachverhalt, der die Änderung von unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheiden nach Treu und Glauben hindern könnte. Die Auswirkungen des Verhaltens des FA nach Treu und Glauben sind für jeden Veranlagungszeitraum und für jede Steuerart gesondert zu beurteilen.
2. Die Vorentscheidung hat zu Recht angenommen, daß der Kläger keinen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Berufe ausgeübt hat, seine Tätigkeit auch keinem dieser Berufe ähnlich ist und seine Umsätze deshalb nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 begünstigt sind.
a) Der Kläger war kein beratender Betriebswirt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG).
Beratender Betriebswirt ist nur derjenige, der entweder über eine abgeschlossene Ausbildung als Betriebswirt verfügt - eine Voraussetzung, die der Kläger nicht erfüllt - oder der sich in Form eines vergleichbaren Selbststudiums, verbunden mit praktischer Erfahrung, Kenntnisse in allen hauptsächlichen Bereichen der Betriebswirtschaftslehre angeeignet hat, die denen vergleichbar sind, die in einem der genannten Ausbildungsgänge üblicherweise erworben werden. Er muß diese fachliche Breite seines Wissens auch bei seiner praktischen Tätigkeit einsetzen können und auch einsetzen. Die erforderliche fachliche Breite in diesem Sinne umfaßt Fragen der Führung, der Fertigung, der Materialwirtschaft, des Vertriebs, des Verwaltungs- und Rechnungswesens, des Personalwesens sowie des Unternehmensbestandes (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 12. August 1965 IV 61/61, 100/61, 336/64 U, BFHE 83, 237, BStBl III 1965, 586; vom 16. Januar 1974 I R 106/72, BFHE 111, 316, BStBl II 1974, 293; vom 27. Mai 1975 VIII R 199/73, BFHE 116, 30, BStBl II 1975, 665; vom 25. April 1978 VIII R 149/74, BFHE 125, 369, BStBl II 1978, 565; vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584). Das FG hat dazu ausgeführt, daß der Kläger für seine Auftraggeber jeweils EDV-Programme erstellt habe, die sich vorwiegend auf die Bereiche Buchhaltung, Abrechnung von Löhnen, Provisionen, Aufträgen, Verkaufsstatistik, Inventur und Fertigung erstreckten.
Die Schlußfolgerung des FG, daß der Kläger unter diesen Umständen nicht als beratender Betriebswirt tätig geworden ist, läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
b) Der Kläger war aber auch nicht einem beratenden Betriebswirt ähnlich tätig (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG).
Ein einem beratenden Betriebswirt ähnlicher Beruf liegt vor, wenn der ähnliche Beruf auf einer vergleichbar breiten Vorbildung beruht und die Beratungstätigkeit sich auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstreckt (BFH-Entscheidung vom 3. Dezember 1981 IV R 79/80, BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267).
Für die Zurechnung einer Beratungstätigkeit auf dem Gebiet der Datenverarbeitung als der einem beratenden Betriebswirt ähnlichen Tätigkeit reicht es aber nicht aus, daß die Beratung bestimmte Hauptbereiche der Betriebswirtschaftslehre berührt. Maßgebend für diese Beurteilung ist nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 285/82, BFHE 146, 121), der sich der Senat anschließt, die Verschiedenheit der Ausbildung, die den jeweiligen Berater zur Ausübung seiner Beratungstätigkeit befähigt. Die Ausbildung des EDV-Beraters weicht von der eines Betriebswirts wesentlich ab. Der EDV-Berater bedarf einer speziellen Ausbildung. Sie umfaßt sowohl Systemtheorie und die Entwicklung von Programmsystemen als auch Informationstheorien. Der EDV-Berater ist steuerrechtlich als ein eigenständiger Beruf zu verstehen. Dieser Beruf unterscheidet sich von dem des beratenden Betriebswirts dadurch wesentlich, daß er auf die Theorie und Technologie der Datenverarbeitung ausgerichtet ist. Der EDV-Berater berät, ob und welche betrieblichen Probleme durch den Einsatz von Geräten der elektronischen Datenverarbeitung gelöst werden können. Er unterstützt den Auftraggeber bei der Anschaffung geeigneter Geräte. Er entwickelt für den jeweiligen Betrieb und seine Aufgaben geeignete Programme und beaufsichtigt den Einsatz der Geräte. Hiernach kann ein Diplom-Kaufmann steuerrechtlich nicht als beratender Betriebswirt beurteilt werden, wenn er nur als EDV-Berater tätig ist, weil er dann eine andere Ausbildung haben muß als ein beratender Betriebswirt.
Für den Streitfall ist darüber hinaus entscheidend, daß nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die Elektronische Datenverarbeitung für die Tätigkeit des Klägers eine keineswegs untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Kläger hat sich nicht nur selbst als EDV-Berater bezeichnet. Er hat seine Auftraggeber auch zu einem wesentlichen Teil seiner praktischen Berufstätigkeit auf dem Gebiet der Elektronischen Datenverarbeitung beraten. So bestand seine Aufgabe nach den mit seinen Auftraggebern geschlossenen Rahmenverträgen, auf die das FG in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen hat, darin, Aufträge (Werkverträge) auf dem Gebiet der Programmierung für eine bestimmte Programmsprache zu schreiben.
Für die Firma N. hatte der Kläger ein EDV-Programm für das Lieferantenauftragssystem erstellt. Aus der von dem Kläger aufgestellten Übersicht über seine Tätigkeit hat das FG entnommen, daß die Tätigkeit im wesentlichen in einer laufenden praxisbezogenen Beratung für die Programmierung von EDV-Anlagen bestand. Insoweit war der Kläger als EDV-Berater gewerblich tätig. Zwar kann der Senat nicht ausschließen, daß der Kläger in Einzelfällen (möglicherweise bei der Aufstellung eines sog. Managementplans) auch nach Art eines Unternehmensberaters tätig geworden ist, was - vorbehaltlich einer vergleichbaren Ausbildung - den Vergleich mit dem Beruf eines beratenden Betriebswirts erlauben würde. Insgesamt hätte der Kläger dann jedoch eine gemischte Tätigkeit ausgeübt. Sie wäre einheitlich als gewerbliche Tätigkeit zu beurteilen, weil sie nur gegenüber einem Auftraggeber ausgeübt worden ist und mit den Programmierungstätigkeiten für diesen Auftraggeber untrennbar verflochten war. Nach der Verkehrsauffassung sind diese Tätigkeiten in einem solchen Fall als Einheit anzusehen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 29. Januar 1970 IV R 78/66, BFHE 98, 176, BStBl II 1970, 319; vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553; vom 25. April 1978 VIII R 149/74, BFHE 125, 369, BStBl II 1978, 565).
c) Der Senat hält damit an der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung fest, wonach der EDV-Berater weder ,,beratender Betriebswirt" ist noch seine Tätigkeit der eines beratenden Betriebswirts ähnelt (vgl. BFH-Urteile vom 27. Mai 1975 VIII R 199/73, BFHE 116, 30, BStBl II 1975, 665; vom 28. Juli 1976 I R 63/75, BFHE 120, 253, BStBl II 1977, 34; vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; BFH-Beschlüsse vom 25. April 1978 VIII B 64/76, BFHE 125, 63, BStBl II 1978, 458; vom 3. Dezember 1981 IV R 79/80, BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267).
d) Der Kläger übt auch keine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus. Dem Ingenieurberuf ähnlich ist ein Beruf, der in seinem Gesamtbild dem typischen Bilde des Ingenieurberufs mit allen seinen Merkmalen vergleichbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584).
Da der Ingenieurberuf eine qualifizierte Ausbildung - abgeschlossenes Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder dem Betriebsführungslehrgang an einer Bergschule - voraussetzt, muß bei dem ähnlichen Beruf auch die Ausbildung vergleichbar sein (BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 mit weiteren Nachweisen).
Der Kläger hat kein abgeschlossenes Ingenieurstudium. Ob sein nach sechs Semestern abgebrochenes Studium der Elektrotechnik gleichwohl als qualifizierte Ausbildung ausreichen könnte, braucht nicht weiter aufgeklärt zu werden. Die Ausübung eines dem Ingenieurberuf ähnlichen Berufs kann nämlich nur angenommen werden, wenn die Tätigkeit eine ,,gewisse fachliche Breite des Ingenieurberufs" aufweist. Dafür ist notwendig, daß die Tätigkeit das Wissen des Kernbereichs des Ingenieurberufs voraussetzt (vgl. Urteil in BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584).
Diese fachliche Breite erreichte die Tätigkeit des Klägers nicht. Das FG hat festgestellt, daß sich die Tätigkeit auf die auftragsgemäße Erstellung von Programmen beschränkte. Mit der Planung und dem Entwurf von Automatisierungsvorhaben wie ein Systemanalytiker befaßte sich der Kläger nicht.
Fundstellen